Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich freuen sich darüber, daß die Fraktionen sich heute so eingehend mit diesem Problem beschäftigt haben. Wir sind auch nicht dadurch beeindruckt, daß ein großer Teil unserer lieben Kolleginnen und Kollegen im Augenblick eine wichtigere Beschäftigung hat. Wir sind der Auffassung, daß das Problem, dessen Besprechung heute ansteht, unsere ganze Kraft in Anspruch nimmt und vor allen Dingen von der politischen Seite aus stärker als bisher angesprochen werden muß. Die Oststudenten und -schuler, die zu uns kommen, kommen doch, weil sie die seelische Belastung in der Sowjetzone einfach nicht mehr ertragen können. Sie kommen zu uns, weil sie sich als ungeeignet gezeigt haben, dem dortigen System vorbildlich zu dienen. Wenn sie das nämlich täten, dann würden sie dort ihre Förderung bekommen. Wenn sie sich zu diesem System auch nur einigermaßen bekennen könnten, würden sie drüben in der Zone bleiben können. Weil sie es nicht können, weil sie einfach ihre innere Einstellung nicht überwinden können, weil sie einfach die Grundsätze einer echten demokratischen Berufung fühlen und nur hier leben können, deshalb kommen sie zu uns, und deshalb brauchen sie so dringend unsere Hilfe.
Wir haben heute vielleicht zuwenig nach Berlin gesehen. Ich halte es deshalb für notwendig, einige Worte über die dortige Situation zu sagen. Wir haben gerade in Berlin feststellen müssen — und das war ja bei unserem letzten Besuch der Hauptzweck —, daß die Förderung der Ostabiturienten und -schüler ein ganz entscheidendes Problem darstellt. Allein in Berlin wollen etwa 1100 junge Menschen ihr Studium zu Ende führen. Man versucht nun, diese jungen Menschen in Heimen unterzubringen und zu betreuen. Zum großen Teil ist das möglich. Ein geringer Teil versucht, sich durch Privatunterkünfte durchzuschleppen, und wieder ein kleiner Teil muß mit dem Pendelverkehr vorliebnehmen.
Nun haben gerade die letzten Wochen eine bedeutende Erschwernis gebracht. Infolge der verstärkten Werbung für die kasernierte Volkspolizei und infolge der eingeführten Wehrpflicht für die sogenannte Volksarmee ist es diesen jungen Menschen kaum mehr möglich, zurückzugehen und ihre Eltern zu besuchen. Hier müssen wir also ebenfalls nach Wegen suchen, diesen Menschen den Aufenthalt bei uns zu erleichtern, ihnen die Möglichkeit zu geben, auch hier in Westdeutschland das Studium zu vollenden.
Wir wissen, daß bei der Wiedervereinigung gerade diese Menschen eine entscheidende Rolle spielen werden. Es muß uns daran liegen, daß wir die jungen Menschen, die auf Grund ihrer Schulausbildung einmal im Leben eine führende Stelle einnehmen, für uns behalten können, sie ausbilden können, um sie in dem Augenblick der Wiedervereinigung an den Stellen, an denen sie gebraucht werden, zur Verfügung zu haben.
Von diesem Gesichtspunkt aus ist deshalb auch zu überprüfen, ob wir nicht bessere Möglichkeiten der Anerkennung ihres bisherigen Studiums f in-den können. Ich denke dabei vor allem — es ist von Herrn Kollegen Mommer schon aufgezeigt worden — an die Wertung der Kenntnisse in slavischen Fremdsprachen.
— Das ist mir völlig neu. Die Auswirkung in der Praxis sieht nicht so aus. Daß seit fünf Jahren bereits darauf Rücksicht genommen wird, ist völlig unbekannt. Vielleicht ist das eine „geheime Reichssache".
— Das hat sich bis zu mir noch nicht herumgesprochen. Das ist denkbar.
Sie sind jedenfalls mit mir der Auffassung, daß man die Kenntnisse in slavischen Sprachen entsprechend werten sollte; denn wir brauchen diese Voraussetzung.
Wenn wir von Wiedervereinigung sprechen, müssen wir gleichzeitig von unserer Nachbarschaft sprechen, und dazu brauchen wir die slavischen Sprachen.
Die Erhöhung der Förderung auf drei Semester ist auch nach unserer Auffassung eine absolute Notwendigkeit, und wir geben unserer Freude darüber Ausdruck, daß wir bei diesem Antrag eine einheitliche Meinung im ganzen Hause hatten.
Lassen Sie mich zu der Situation der Studenten noch eins offen aussprechen! Ich habe manchmal das Gefühl, daß man einige Dinge zu verniedlichen versucht, auch die Sozialprobleme unserer studierenden jungen Menschen. Man glaubt, die Dinge werden sich schon irgendwie erledigen; außerdem ist es klar, daß der tüchtige Mensch sich ohne Prothese irgendwie zurechtfindet. Dazu muß man doch folgendes sagen. Es ist sicherlich kein Geheimnis, daß rund 30 % unserer jungen Studenten mit höchstens 50 Mark Verpflegungsgeld im Monat auskommen müssen. Das bedeutet doch, daß sie jede freie Stunde und Minute, die andere Generationen dazu benutzen konnten, sich vorzubereiten, sich weiterzubilden, dazu benutzen müssen, sich durch Arbeit Geld zu verdienen. Und diese Arbeiten sind recht mannigfaltig. Es beginnt damit, daß man früh um fünf bereits den ersten begegnet, die als Schaffner tätig sein müssen, die sich ihre fünf Stunden herumschlagen, um nachher auf der Schulbank wieder weiterlernen zu können. Wir sehen sie beim Kohlenschippen, wir finden sie beim Zeitungsverkauf und finden sie beim Würstchenanbieten. Überall haben wir die jungen Menschen, die sich so durchschlagen müssen. Sie tun es, und wir sind auch stolz darauf, daß sie es tun. Nur: sollten wir es ihnen nicht wirklich etwas leichter machen?
Sollten wir nicht wirklich noch ernster überlegen, ob wir nicht gerade hier ansetzen, gerade hierfür Mittel freimachen können?
Im Volke geht die Sage, in unserem Parlament sitze der sparsamste Mann Deutschlands. Das ist sehr schön. Aber gerade bei diesem Gebiet, über das wir heute sprechen, sollte man einmal fragen: Ist die Sparsamkeit nicht gerade bei der jungen Generation, die uns dringendst braucht, außerordentlich schlecht am Platze? Wir müssen uns also Gedanken darüber machen, wie wir an diese Dinge noch stärker herangehen können, wobei ich, wie gesagt, vor der ausgesprochenen Verniedlichung warnen möchte.
Dann ist hier noch eine Frage aufgetaucht, die ich nicht unbeantwortet lassen darf, wenngleich auch schon mein Herr Vorredner darauf eingegangen ist. Es handelt sich um die Sorge, durch die Förderung der sowjetzonalen Studenten und Schüler würden die Einheimischen benachteiligt und es könne dadurch das Gefühl aufkommen, daß hier eine Rivalität entstehe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir die Situation dieser Menschen genau kennen, dann wissen wir doch, daß sämtliche Beihilfen, die gegeben werden, nur die allernotwendigste Voraussetzung zum weiteren Studium schaffen. Wir werden auf keinen Fall der Auffassung folgen können, daß damit einheimische Studenten benachteiligt würden. Wir würden uns dagegen auch schwer verwahren, und zwar im Interesse dieser Menschen, über die wir heute sprechen; denn diese Menschen wollen gar keine Bevorzugung gegenüber anderen, sie wollen nur gerechte, gleiche Startmöglichkeiten. Ich möchte also bitten, sich auch darüber Gedanken zu machen, ehe man den Schluß zieht, durch die Unterstützung dieser Menschen könne eine Rivalität entstehen. Immer, auch bei gleichen finanziellen Voraussetzungen, laufen diese Menschen um ein gute Länge hinterher, weil ihnen die beste Voraussetzung, nämlich das Elternhaus, in den meisten aller Fälle fehlt.
Zu der Frage der Heimunterbringung wäre vielleicht noch zu sagen, daß wir stärker als bisher von der reinen Heimunterbringung abrücken und versuchen sollten, in größerem Maße auf Familienanschluß hinzuwirken, um diese Menschen in die Familien, in das Familienleben und damit in dieses ganze Niveau stärker hineinführen zu können. Dazu wird es notwendig sein, daß wir den sogenannten Pflegeeltern finanziell etwas unter die Arme greifen. Denn es kann nicht so sein, daß nur der, der es sich finanziell leisten kann, einen Gast aufzunehmen, dafür in Frage kommt, sondern es muß so sein, daß wir die Familien in Betracht ziehen, bei denen unsere jungen Menschen gut untergebracht sind.
Die anderen Fragen wurden von meinem Vorredner entsprechend gewürdigt. Wir brauchen uns da nur anzuschließen.
Ich möchte Sie abschließend herzlich darum bitten, die Fragen der finanziellen Hilfe nicht in dem Sinne der Ausführungen des Bundesvertriebenenministers in Berlin zu behandeln,
daß man nämlich von dem Gesichtspunkt ausgeht:
ja, wir können nicht so günstige Unterstützungen
geben; denn es besteht die Gefahr, daß der Osten
dann, um unsere Währung zu gefährden, auf einen Schub Tausende von Menschen abstellt.
Das, was in Berlin passiert ist und was sich auf die Häftlinge bezog, könnte sich natürlich so weiter fortpflanzen, wenn wir das nicht einmal deutlich aussprechen.
Ich bitte also, von dieser Methode abzurücken, soweit Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, das nicht auch schon längst getan haben. Die Durchführung des vor einigen Wochen gemeinsam angenommenen Antrags Drucksache 2034 wird zeigen, ob es dem Hohen Hause ernst ist mit den Auffassungen, die heute hier vertreten worden sind.