Rede von
Karl
Wienand
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Kollegin Brökelschen, ich möchte die Antwort hier sofort geben. Ich bin nicht mit Ihnen der Meinung, daß diese Unterscheidung heute keine Rolle mehr spielt. Aus dem
vorhin Dargelegten ist einwandfrei ersichtlich, daß es leider nicht so ist. Ich wäre froh, Ihnen zustimmen zu können.
Um meinen vorhin aufgegriffenen Gedanken zu Ende zu führen: Wir sollten uns doch bemühen, den geringeren Prozentsatz der Kosten, die der Student selbst aufbringen muß, auch noch zu übernehmen, wenn wir durch eine strengere Auslese bei der Begabtenförderung zu einem größeren Nutzeffekt in dieser Angelegenheit kämen. Ich glaube, das wäre sozialpolitisch, volkswirtschaftlich oder wie Sie es auch nennen wollen, gerechtfertigter als das Prinzip, das bis jetzt bei uns angewandt wird.
Lassen Sie mich von diesen ABFlern zu einem anderen Punkt übergehen, der mir vorhin nicht sehr gefallen hat. Gewiß bin ich mit der Regierung und auch mit Ihnen, Frau Kollegin Brökelschen, der Meinung, daß es heute darauf ankommt, Schulbeispiele dafür zu geben, daß wir die gewiß guten Kräfte, die aus der DDR zu uns kommen, nicht brachliegen lassen, um sie unserer Gesellschaftsordnung gegenüber nicht verbittert werden zu lassen. In dem Zusammenhang muß man aber doch auch einmal Überlegungen darüber anstellen, wie man sie hier eingliedern kann. Ich weiß, daß das nicht nur ein finanzielles Problem ist. Aber man kann es auch nicht so machen, wie es das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen bisher versucht hat, indem man pseudowissenschaftliche Traktätchen von einem Falk und Andrae herausgibt, die letztlich das, was hier unter freiheitlichem Demokratismus verstanden wird, was wir als Sozialdemokraten vertreten, in einer nicht mehr zu verantwortenden Form auch noch herunterziehen. So kann man die Auseinandersetzung mit den Menschen, die zu uns kommen, auf die Dauer gesehen auch nicht führen. Das sollte hier gesagt werden, damit auch auf diese Dinge einmal die Aufmerksamkeit gelenkt wird.
Nun zu dem, was vorhin über das Notaufnahmeverfahren gesagt wurde. Ich weiß, daß Verhandlungen mit dem Ziel im Gange sind, das Notaufnahmeverfahren abzuschaffen. Ich weiß auch, daß man noch einmal um eine gewisse Karenzzeit oder Zwischenzeit gebeten hat. Aber ich glaube, wir sollten hier sehr betont herausstellen, daß es nicht sehr vorteilhaft für uns ist, wenn all diejenigen, die in die Bundesrepublik kommen, der Befragung durch die Alliierten ausgesetzt werden. Das sollte offen ausgesprochen werden, und es sollte alles und jedes versucht werden, um dies abzuschaffen.
— Ich freue mich, daß ich auch hier die Zustimmung des Hauses feststellen darf.
Durch die Änderung des § 3 der Ersten Durchführungsverordnung zum Überleitungsgesetz wollen wir erreichen — und ich glaube, da waren wir uns bei der Ausarbeitung des interfraktionellen Antrages durchaus einig —, daß alle Flüchtlinge unter 25 Jahren anerkannt werden. Damit wollten wir aber doch in weiterer Konsequenz auch erreichen, daß sie nicht mehr der Befragung durch die Alliierten in Berlin ausgesetzt sind.
Ich habe vorhin schon gesagt, daß es darauf ankommt, einen größeren Prozentsatz der Studenten
in die allgemeine Studentenförderung einzubeziehen. Berlin hat hier durchaus ernst zu nehmende Praktiken entwickelt. Denken wir an das, was in Berlin hinsichtlich der Währungsbeihilfen und Sozialstipendien getan wird. Dies können wir anderen Ländern durchaus zur Nachahmung empfehlen. Sie haben ja — denn so leichtsinnig sind die Berliner wirklich nicht — in das Ausleseverfahren auch eine gewisse ,Begabtenauslese mit eingeschlossen. Aber sie helfen doch immerhin durch Währungsbeihilfen und durch die Sozialstipendien über 50 % der Studenten, was man von den westdeutschen Universitäten leider nicht sagen kann.
In diesem Zusammenhang wäre auch nötig, darauf hinzuweisen, daß es vor allen Dingen erforderlich ist, ein besonderes Augenmerk auf die Vorbereitungskurse, die zur Zeit noch bei den höheren Schulen liegen, zu richten. Ich glaube, daß es zweckmäßiger wäre, wenn man diese Vorbereitungs- oder Anerkennungskurse nicht mehr so sehr auf Heime konzentrierte, sondern den Versuch unternähme, sie möglichst in die Universitätsstädte zu bringen, damit dort die Möglichkeit des Einlebens und der Kontaktnahme mit dem westdeutschen Universitätsbetrieb gegeben ist. Davon würde nach meinem Dafürhalten der einzelne mehr profitieren, als es der Fall ist, wenn er jetzt fern der Universitätsstadt nur auf ein ganz bestimmtes Examen vorbereitet wird und nachher mit dem freiheitlichen Universitätsprinzip, wie es nun einmal bei uns im Gegensatz zur „DDR" vorherrscht, konfrontiert wird.
Diese wenigen Gedanken über diese Frage wollte ich hier noch aussprechen. Zum Schluß habe ich noch eine Bitte. Wir sollten von den Oberschülern, die zu uns kommen, um die Anerkennungsprüfungen zu machen, nicht noch die Prüfungsgebühr von 30 Mark verlangen, wie es in den einzelnen Ländern geschieht. — Ich weiß nicht, möglicherweise ist die Gebühr in der Zwischenzeit wieder abgeschafft worden. — Wenn die Möglichkeiten des Bundes, darauf hinzuwirken, nicht ausreichen, dann sollten wir überlegen, ob wir nicht Mittel dafür zur Verfügung stellen, daß wir also die 30 Mark ablösen. Dies scheint mir im Gesamten gesehen ein sozialpolitisches, ein gesamtdeutsches Anliegen zu sein wie die ganze Frage, die heute diskutiert worden ist.
Abschließend darf ich, um vielleicht das Interesse des Hohen Hauses für diese Fragen noch etwas zu erwärmen, wenigstens noch auf einen Auszug aus dem Gesetzblatt der „Deutschen Demokratischen Republik" — ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren — Teil I Nr. 15 vom 10. Februar 1956 hinweisen, der mir vorliegt. Danach werden für die Jugend in der Zone rund 2 1/2 Milliarden ausgegeben. Ich weiß, daß das ganz bestimmte Tendenzen hat; ich weiß, daß das zweckbetont ist, daß es nicht so sehr auf den einzelnen ankommt, dem man helfen will, und ich weiß, daß wir das mit unserer Hilfe nicht vergleichen können. Aber es beweist doch auch, daß diese Frage drüben zumindest mit einer größeren Aufgeschlossenheit — wenn auch aus zweckbetonten Motiven — gesehen wird, als es bei uns im Gesamten gesehen der Fall gewesen ist. Ich hoffe, daß es mir mitdiesem Hinweis gelungen ist, Ihre besondere Aufmerksamkeit auf diese Frage zu lenken. Vielleicht trägt er mit dazu bei, daß der für den Haushaltsausschuß und für das gesamte Parlament vorgetragen herzliche Aufruf der Frau Kollegin Brökelschen in letzter Konsequenz auch den Finanzminister erreicht. Dann tun wir uns in dieser Sache leichter und können helfen; denn das ist der Sinn unserer Anfrage gewesen, nicht etwa, daß wir Politik damit machen wollen.