Es darf nicht dahin kommen, daß von diesen Jugendlichen solche in die Zone zurückkehren, die über ein echtes Versagen der Bundesrepublik enttäuscht sind und deshalb einfach entweder drüben mitmachen oder sogar in Führung gehen.
Daraus ergibt sich für uns dreierlei. Wir haben — und ich stelle das bewußt an den Anfang, meine Herren und Damen — in dieser ganzen Frage eine große menschliche Verpflichtung zu erfüllen. Ich möchte das gerade auch im Hinblick auf die konkreten Ausführungen und Einzelauskünfte des Herrn Staatssekretärs Bleek sagen. Wir müssen mit dieser menschlichen Aufgabe fertig werden, wir müssen verhindern — ich denke da an einen etwas merkwürdigen Artikel, der vor ganz kurzer Zeit im „Sonntagsblatt" erschienen ist —, daß diese Jugendlichen, gerade auch die Studenten, hier in das Gefühl einer völligen geistigen Verlassenheit und menschlichen Einsamkeit geraten, aus der es für sie kein Herauskommen gibt, auch dann nicht, wenn man ihnen finanziell hilft.
Die zweite große Fragengruppe ist die der Anerkennung der Examina oder, allgemeiner ausgedrückt, die Frage des Anschlusses an unser ganzes Ausbildungs-, Schul- und Hochschulsystem. Herr Mommer hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das im wesentlichen natürlich eine Frage der Konferenz der Kultusminister der Länder ist. Aber ich möchte gerade auch im Anschluß an das, was Herr Bleek sagte, meinem dringenden Wunsche Ausdruck geben, daß doch in diese Arbeit der Kultusministerkonferenz und vor allen Dingen in die
Realisierung ihrer Beschlüsse durch die Länder ein etwas besseres Tempo kommen möchte, als es leider Gottes bis jetzt vorhanden gewesen ist. Was wir gerade in der heute zur Debatte stehenden Angelegenheit brauchen — das gilt für den Bund und das gilt für die Länder —, ist, daß in Situationen, die unter Umständen unvorhergesehen über uns kommen, die aber an unsere letzten nationalen und politischen und staatlichen Verpflichtungen gehen, die Bereitschaft und die Fähigkeit besteht, damit mit möglichst wenig Bürokratie und mit möglichst viel Entschlußkraft und Einfühlungskraft fertig zu werden.
Zum Dritten! Die Frage der finanziellen Hilfe — darauf hat Herr Mommer mit Recht hingewiesen - ist allerdings entscheidend. Die Frage, ob nach zwei Semestern der Student aus der sowjetisch besetzten Zone mit dem westdeutschen Studenten die gleichen Startbedingungen erreicht hat, hat sich negativ beantwortet. Infolgedessen — das ergibt sich aus den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Bleek — ist die Unterstützungszeit von zwei Semestern auf drei Semester ausgedehnt worden. Damit ist eines der wesentlichen Anliegen der Vorbesprechungen erfüllt worden. Aber, meine Herren und Damen, lassen Sie mich in aller Ehrlichkeit auch ein Weiteres sagen. Ich bin der Meinung. daß darüber hinaus in einzelnen Härtefällen die Möglichkeit gegeben werden muß, über die drei Semester hinaus finanzielle Hilfe zu leisten.
Auf der andern Seite möchte ich aber auch sagen — und damit schneide ich das Problem an, auf das Herr Mommer in anderem Zusammenhang hingewiesen hat —, daß wir alles tun müssen, damit nicht durch eine überstarke finanzielle Förderung der Studenten aus der Zone irgendwelche Verstimmungen unter unseren westdeutschen Studenten entstehen und so Spannungen entstehen können, die wir gerade im Hinblick auf die notwendige innere Eingliederung der Flüchtlingsstudenten nicht brauchen können. Es ist in dieser Situation
— auch das möchte ich sagen — auf beiden Seiten, sowohl bei den Studenten der Bundesrepublik wie bei denen aus der Zone, sehr viel guter Wille notwendig, um die beiderseitigen Schwierigkeiten anzuerkennen und von einer gemeinsamen Basis aus gemeinsam vorzugehen und die Dinge gemeinsam zu meistern. Ich bin allerdings der Meinung, daß da, wo gesundheitliche Schädigungen nicht überwunden sind und wo vor allen Dingen auch Schädigungen als Folge von politischen Schwierigkeiten in der Zone noch nicht überwunden sind, über das dritte Semester hinaus geholfen werden müßte.
Nun ein paar Sätze zu der Frage der unterbrochenen Berufsausbildung und der Schüler der höheren Schulen. Nach dem, was ich einleitend allgemein gesagt habe, möchte ich hier nur noch betonen, daß es nicht zu verantworten wäre, wenn in diesen Fällen nicht geholfen würde. Gerade bei den Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren — denn um solche handelt es sich im wesentlichen — ist die Gefahr, daß sie aus Enttäuschungen heraus wirkliche Vertreter des Kommunismus werden, größer als bei Älteren, die schon eine selbständigere geistige Einstellung zu den Dingen haben. Ferner ist bei diesen Jahrgängen die Gefahr, daß sie sozial und geistig abrutschen, viel stärker als bei den Älteren.
Meine Herren und Damen, gerade bei den Jugendlichen unter 18 Jahren ist für uns auch der
Gedanke an die Eltern verpflichtend. Ich gebe einem Jungen oder Mädel unter 18 Jahren weniger gern eine selbständige Lebensverantwortung und stelle sie mit größeren Sorgen in eine mir völlig fremde und auch räumlich ferne Situation als einen Jugendlichen über 18 Jahre, der schon auf der Universität ist. Infolgedessen kommt für die Eltern, die ihre Kinder hier herübergeben, zu der allgemeinen schweren Bewältigung des einzelnen Tages auch noch die Sorge um diese Kinder und Jugendlichen hinzu. Es kommt weiter hinzu — wie ich selber in der letzten Zeit wiederholt habe beobachten können —, daß diese Jugendlichen wohl Gegner des dortigen politischen Systems sind, daß sie aber auf der andern Seite, ohne daß sie es überhaupt merken, auch schon sehr stark von den geistigen und Denkkategorien des Ostens beeinflußt sind. Aber gerade diese Jugendlichen sind auf der anderen Seite noch sehr ansprechbar und bildungsfähig, und infolgedessen ist es nicht allzu schwer, sie zu einer echten geistigen Auseinandersetzung mit einem in unserem Sinne positiven Ausgang zu bringen.