Rede von
Dr.
Else
Brökelschen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich glaube, es ist allgemein zu begrüßen, daß die beiden Großen Anfragen der SPD Veranlassung geben, das ganze Problem der zu uns herübergekommenen Jugendlichen aus der Zone, soweit Fragen der Berufsunterbrechung, der Schulbildung und des Studiums in Betracht kommen, hier heute einmal im Zusammenhang aufzurollen. Ich möchte aber auf der andern Seite auch sagen, daß die Anfragen der SPD und die heutige Debatte nicht der Anlaß gewesen sind, daß diese Fragen in allem Ernst überhaupt aufgerollt worden sind. Wer in der Arbeit der letzten Monate gestanden hat, der weiß, in wieviel Sitzungen sich der Jugendausschuß zusammen mit Vertretern des Gesamtdeutschen Ausschusses um diese Dinge bemüht hat, und der weiß auch — ich habe schon bei den Ausführungen von Frau Kollegin Renger auf diese Dinge hingewiesen —, daß das Fazit dieser Besprechungen in dem interfraktionellen Antrag zum Ausdruck gekommen ist, den wir hier vor ganz kurzer Zeit einstimmig angenommen haben.
Darüber hinaus haben die ganz detaillierten Ausführungen von Herrn Staatssekretär Bleek uns einen Einblick in all das gegeben, was bereits geschehen ist. Wenn wir diese Antwort von Herrn Bleek zusammennehmen mit dem Antrag, von dem
ich soeben sprach, dann glaube ich doch, daß die Probleme, soweit sie im Augenblick lösbar sind, auch gelöst werden können, wenn es jetzt gelingt, im Haushaltsausschuß die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
— Richtig, Herr Blachstein, und deswegen hoffe ich, daß wir alle einig sind in dem Bestreben, den Haushaltsausschuß — darauf komme ich noch — von der Notwendigkeit der Bewilligung dieser Mittel zu überzeugen.
— Auf uns auch, Herr Blachstein! Deshalb hoffe ich, daß wir die Sache einstimmig durchziehen.
Die heutige Debatte hat uns wieder vor die Tatsache gestellt, wie unendlich folgenschwer die Spaltung Deutschlands ist und daß wir hier in einer Entwicklung stehen, die eine Richtung in der Jugenderziehung anbahnt, die auf die Dauer schwer zu verkraften ist, wenn nicht die Wiedervereinigung Ernst wird. Deshalb steht hinter der Erörterung heute hier als ganz große, letzte Mahnung die Frage der Wiedervereinigung und die Verpflichtung, alles zu tun, daß die Spaltung und damit die ganze Problematik unserer Jugend überwunden wird.
Herr Kollege Mommer hat im Zusammenhang mit den heute hier anstehenden Fragen die Frage der Begabtenförderung angeschnitten. Ich möchte mich auf diese Frage heute nicht einlassen, weil ich der Meinung bin: das ganze Gebiet ist viel zu komplex, als daß wir es in Zusammenhang mit den Flüchtlingsjugendfragen erörtern können. Die Antwort, die Herr Staatssekretär Bleek auf die Vergleiche gegeben hat, die Herr Kollege Mommer zwischen der deutschen Situation und derjenigen in England oder anderen Staaten zog, zeigt ja schon, wie gefährlich es ist, Dinge zu vergleichen, bei denen man nicht ganz genau die Voraussetzungen kennt.
Ich möchte hierzu nur eines sagen. Herr Kollege Mommer, Sie haben gesagt, daß es nicht gut wäre, wenn sich der Student durch sein Studium durchschuften müßte. Ich gestehe Ihnen ganz offen, daß auch ich zu den Studenten gehört habe, die sich sehr haben durchschuften müssen.
Ich will Ihnen in aller Offenheit sagen, daß es mir nicht geschadet hat. Ich bin sogar der Meinung, daß es gut ist, wenn den Studenten nicht alles in den Schoß fällt.
Entscheidend ist nur, daß die Schufterei nicht die Folge haben darf. daß der Student geistig überlastet ist und daß er körperlich den Dingen nicht gewachsen ist. Ich glaube, das ist das Gefahrenmoment, das wir vor allem auch bei der Flüchtlingsjugend aus dem Osten sehen müssen.
Nun gestatten Sie mir ein paar Fragen und ein paar Bemerkungen zu dem eigentlichen Thema von heute. Herr Staatssekretär Bleek hat schon darauf hingewiesen, daß für die augenblickliche Notlage, die zweifellos entstanden ist, dadurch Abhilfe geschaffen worden ist, daß sowohl die Summe der
Mittel für die Flüchtlingsstudenten wie auch die Summe der Beträge für Berlin erhöht worden ist.
Und nun lassen Sie mich das eine sagen. Es ist ja doch Tatsache, daß die ganze Frage erst wirklich dringend geworden ist durch den gewaltigen Anstieg der Zahl dieser Flüchtlinge seit dem 1. April 195E, seit dem Moment nämlich, wo die Jugendweihe in ihren Auswirkungen sich zeigte, wo weiter der berühmte Beschluß des Parlaments der FDJ über die „freiwillige" Meldung zur Volkpolizei sich auswirkte und seitdem sowohl die in der handwerklichen Berufsausbildung stehenden wie auch die anderen Jugendlichen immer stärker empfinden, daß es überhaupt nicht möglich ist, in der allgemeinen Situation der Zone zu einer echten, befriedigenden Berufsausbildung zu kommen.
Aus dieser Situation in der Zone ergibt sich — da unterstreiche ich das, was Herr Mommer gesagt hat —, daß gerade unter diesen Flüchtlingen die allerbesten Kräfte sind. Das sind eben die, die tatsächlich vorwärts wollen, die ganz klar sehen, welche inneren und äußeren Chancen ihnen in der sogenannten DDR gegeben sind und was alles ihnen bei dieser Situation nicht gegeben werden kann.
Wir sollten darüber hinaus, um den ganzen Ernst dieser Fragen zu sehen, auch noch etwas anderes beachten. Auch ein totalitärer Staat kann auf die Dauer geistige Führungskräfte nicht entbehren. Mit den Apparatschiks allein kann auch ein totalitärer Staat nicht seine Zukunft sichern. Deswegen ist es unser allergrößtes Interesse, diese geistig lebendigen und geistig aktiven und willigen Kräfte nicht — wie es einmal gesagt worden ist — zu Strandgut hier in unserer Bundesrepublik werden zu lassen. Das ist das große allgemeine politische Anliegen.