Meine Damen
und Herren, Sie haben die Begründung der Großen
Anfrage der Fraktion der SPD gehört. Wir sind
übereingekommen, daß wir nun zunächst nicht die
Antwort hören, sondern erst die Begründung des
Antrags der Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 1 c:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU betreffend Hilfsmaßnahmen und Entwicklungsprogramm für den Steinkohlen-
und Pechkohlenbergbau .
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Dr. Friedensburg , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem strahlenden Glanz unseres Wirtschaftswunders wirkt es ein wenig merkwürdig, daß es in dem sonst so erfolgreichen Bilde dunkle Stellen geben soll. Es muß vor der Öffentlichkeit, es muß aber auch vor der Regierung und dem Hohen Hause näher begründet werden, weshalb wir uns entschlossen haben, von einer Notlage eines großen, wichtigen Wirtschaftszweiges zu sprechen und von der Notwendigkeit, dieser Notlage abzuhelfen. Wir haben uns gewöhnt, das Wort „Not" in der Regel mit dem Begriff der kleinen Leute in der Wirtschaft zu verknüpfen, der Bauern, der Handwerker, der kleinen Mittelständler. Aber daß dieser mächtige, imponierende Wirtschaftszweig, als den wir die Kohlenwirtschaft doch kennen, notleidend sein soll, will uns nicht recht eingehen. Ich möchte deshalb ein paar Angaben hierzu machen, gerade auch, weil die Ausführungen meines Herrn Vorredners, des verehrten Kollegen B1 e i ß, vielleicht doch in dem einen oder anderen Punkte mißdeutet oder mißverstanden werden können.
Das äußere Kennzeichen der Schwierigkeiten, in die die Kohlenwirtschaft geraten ist, ist das Zurückbleiben der Produktion. Wir haben in Deutschland im Jahre 1955 einen allgemeinen Produktionsindex von 204 gegenüber 1936 erreicht. Unsere allgemeine Industrie also hat ihre Produktion reichlich verdoppelt. Der Steinkohlenwirtschaft ist es nur gelungen, auf einen Index von 112 zu kommen. Derjenige Wirtschaftszweig also, der doch eigentlich notwendig ist, um den ganzen Körper der deutschen Wirtschaft mit Nahrung zu erfüllen, hat gegenüber der allgemeinen Entwicklung so weit zurückbleiben müssen. Auch wenn wir nichts weiter wissen als diese beiden Zahlen, müssen wir zu der Überzeugung kommen: da ist etwas nicht in Ordnung, da müssen sich Regierung und Volksvertretungen zusammenfinden, um an diesem Zustand etwas zu ändern.
Vielleicht noch ernster ist aber eine andere Zahl. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich einige Zahlen nenne; aber mit Worten läßt sich trefflich streiten; es ist besser, man sagt mit klaren Zahlen, um was es sich handelt. Die Produktivität, d. h. die Wertschöpfung je Kopf des Beschäftigten, hat in der deutschen Industrie im Jahre 1955 gegenüber der Vorkriegszeit einen Stand von 127 % erreicht. Das heißt, je Kopf des Beschäftigten erzeugt die deutsche Industrie heute Werte, die um ein Viertel höher liegen als vor dem Kriege; eine wundervolle, hoch anerkennenswerte Leistung, die uns nur Respekt vor allen Beteiligten, den Arbeitern, den Ingenieuren und den Kaufleuten, abnötigt. Der Kohlenbergbau hat nur einen Index von 73 % erreicht. Also ebenso viel, wie die allgemeine Industrie über den Vorkriegsstand hinausgelangt ist, ist der Kohlenbergbau zurückgeblieben.
Ich glaube, wer sich mit volkswirtschaftlichen Zusammenhängen beschäftigt, wird geradezu erschrocken sein, wenn er die Bedeutung dieser Zahlen auf sich wirken läßt.
Und nun ein Wort zur Rentabilität. Herr Kollegen Bleiß hat ja viel Zeit darauf verwendet, nachzuweisen, daß es mit der Rentabilität gar nicht so schlimm stehe. Ich habe die Bilanzen und die Gewinn- und Verlustrechnungen der Aktiengesellschaften für das Jahr 1954 — für 1955 liegen sie noch nicht vor — nachprüfen lassen, und, Herr Kollege Bleiß, ich habe ermittelt, daß die Aktiengesellschaften, die im Kohlenbergbau tätig sind, im Jahre 1954 eine Rendite von 2,05N, also wenig mehr als 2 %, im Durchschnitt erzielt haben. Das ist völlig unzureichend angesichts der Notwendigkeit, Kapital für diesen Bergbau zu interessieren. Wer sich das einmal klarmacht, wer namentlich auch die Zahlen aus der Vorkriegszeit in Erinnerung hat, auch die wesentlich günstigeren Zahlen im Durchschnitt der deutschen Industrie, der kann erkennen, daß da von einer gesunden Rentabilitätslage einfach nicht gesprochen werden kann.
Eine so unverfängliche, so neutrale Stelle wie die Hohe Behörde in Luxemburg, die sich ja außerordentlich bemüht, sich nicht als Interessentenvertreter der einen oder der anderen Seite aufzufassen, hat ja nachgewiesen — die von Kollegen Bleiß genannten Zahlen sind von der Hohen Behörde ermittelt und von ihr bestätigt worden —, daß der deutsche Steinkohlenbergbau in seinem Ertrage um 4,50 bis 5 Mark je Tonne hinter dem Ertrage zurückbleibt, der erforderlich wäre, um neues Kapital zu interessieren, also wenigstens 4 % für das investierte Kapital im ganzen zu zahlen.
— Das ist kalkulatorisch gemacht worden.
— Kollege Bleiß, wir werden darüber ja im Wirtschaftspolitischen Ausschuß sprechen können. Ich gebe nur die amtlichen Zahlen wieder und kann nur sagen, daß, soviel ich weiß, sowohl das Wirtschaftsministerium wie auch ich selbst diese Zahlen als richtig anerkennen können.
Auf der sozialen Seite sehen wir, daß sich die Bergleute nicht mehr finden, die zur Steigerung der Kohlenförderung notwendig sind. Der deutsche Steinkohlenbergbau hat in den letzten Jahren einen Schwund von 17 000 Personen erlitten. Die Förderung hätte also wesentlich höher sein können. Dabei gilt heute noch die Tatsache, daß der Berg-
mann mit seinem Lohn verhältnismäßig günstig dasteht. Das ist ein sehr ernstes allgemeines, ich möchte beinahe sagen, kulturelles Problem. Die Menschen scheuen es immer mehr, sich dem Schmutz, dem Schweiß und den Gefahren eines Berufs auszusetzen, wenn sie für das gleiche oder nahezu das gleiche Geld in Berufen tätig sein können, in denen sie einen weißen Kragen anbehalten können. Das ist nun einmal eine allgemeine Erscheinung der modernen Zivilisation, die uns sehr ernst stimmen und jedenfalls veranlassen muß, den Beruf des Bergmannes mit besonderen Anreizmitteln zu versehen, damit er in der Lage bleibt, die Aufgaben zu erfüllen, von denen wir ihn gar nicht entbinden können, wenn wir unsere Wirtschaftsleistung weiter steigern wollen.
Eine besonders schmerzliche Erscheinung der Lage unseres Steinkohlenbergbaues ist aber die Notwendigkeit, fremde Kohle zu überhöhten Preisen einzuführen, übrigens auch ein Zeichen, daß da volkswirtschaftlich etwas nicht in Ordnung ist. Die amerikanische Kohle, die wir in steigenden Mengen hereinnehmen müssen, kommt je Tonne ungefähr um 40 DM teurer als unsere inländische Kohle, und es würde eine unerhörte Belastung für die deutsche Wirtschaft sein, wenn sich das weiter steigern sollte. Das bedeutet, auf 10 Millionen Tonnen umgerechnet, die wir in diesem Jahre einführen sollen, eine Belastung des deutschen Außenhandels mit rund einer Milliarde DM. Meine Damen und Herren, eine Milliarde DM werden wir im Jahre 1956 ausgeben müssen, um unsere Kohlenversorgung durch Zukauf amerikanischer Kohle überhaupt in Ordnung zu halten.
Das wäre noch begreiflich und vielleicht verantwortbar, wenn wir keine Kohle hätten. Aber wir haben die Kohle doch im deutschen Boden. Deutschland ist eins der kohlereichsten Länder, meiner Überzeugung nach, auf die Fläche gerechnet, vierleicht sogar das kohlereichste Land der Erde. Die Milliarden Tonnen, die auf Hunderte von Jahren hinaus unsere Versorgung sicherstellen können, liegen noch unter der Erde. Es ist auch keineswegs so, daß die Kohle etwa besonders ungünstig gelagert sei. Ich kenne die meisten in Frage kommenden Kohlenreviere aus eigener Anschauung sehr gut. Deutschland kann wenigstens sagen, daß es im Durchschnitt der übrigen Länder steht; meiner Ansicht nach steht es sogar besser als die meisten anderen europäischen Länder, von Großbritannien vielleicht abgesehen. Es ist also an sich gar kein Grund erkennbar, warum der Bergbau in diese verhängnisvolle Situation gekommen ist, daß seine Förderung nicht mehr ausreicht, die deutsche Versorgung sicherzustellen.
Was ist der Grund? Der Grund ist, wie man sich das ja ohne weiteres denken kann, wirtschaftlicher Natur. An den Bergbau sind dauernd neue Anforderungen gestellt worden. Wir haben es von Herrn Kollegen Bleiß ja sehr anschaulich gehört, daß eine neue Lohnsteigerung um 3 DM je Tonne bevorsteht. Der Bergbau kann nicht wie jeder andere Wirtschaftszweig auf die beiden sonst gegebenen Möglichkeiten ausweichen, nämlich die Steigerung der Produktivität oder die Steigerung des Preises. Das ist der Weg, auf dem sonst eine Industrie steigende Kosten abfangen kann. Eine Produktivitätssteigerung ist angesichts der besonderen Verhältnisse im Bergbau unter Tage nicht möglich oder wenigstens nur in sehr langen Zeiträumen und nur mit verhältnismäßig geringen Fortschritten. Es ist nicht einfach möglich, zu sagen: am 15. Februar werden die Lohnkosten um etwa 3 DM je Tonne gesteigert, und das wird durch entsprechende Steigerung der Produktivität abgefangen. Preiserhöhungen will Herr Bleiß aber auch nicht. Es bleibt also nur übrig, daß der Bergbau in eine ungünstigere Lage kommt, und da ergeht nun in der Tat der Ruf an die Regierung: Entweder nimmt man den Bergbau aus dieser Situation heraus, d. h. man gibt ihm die Möglichkeit, sich im Rahmen der freien, sozialen Marktwirtschaft so zu betätigen, wie es jeder andere tut. Oder aber, wenn die Regierung das aus wahrscheinlich sehr wohlerwogenen Gründen nicht verantworten zu können glaubt, ist sie verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diese Sonderlasten dem Bergbau abgenommen werden. Man kann dem Bergbau im Interesse der Allgemeinheit nicht immer neue Lasten auferlegen in dem vollen Bewußtsein, daß er sich selber nicht helfen kann, und dann sagen: Der Bergbau soll selber sehen, wie er die Konsequenz trägt. Ich glaube, Herr Kollege Bleiß, da reicht es dann nicht aus, wenn es auch sehr schön ist, hier zu erklären: Wir wollen keine Kohlenpreiserhöhungen, aber wir wollen höhere Löhne; und über das, was zu geschehen hat, wollen wir nachher im Wirtschaftspolitischen Ausschuß sprechen. Das scheint mir nicht ganz ausreichend zu sein. Da würden meine Freunde sich doch für verpflichtet halten, heute etwas klarere und präzisere Forderungen zu stellen.
— Sie werden meine Vorschläge auch gleich hören.
Ich möchte noch über die besonderen Gründe der geringen Elastizität des Bergbaus sprechen. Der Bergbau verfügt im großen und ganzen über weit überalterte Anlagen. Dem nicht im Bergbau Tätigen wird es vielleicht geradezu grotesk erscheinen, daß das Durchschnittsalter der deutschen Steinkohlengruben 77 Jahre beträgt und daß reichlich 90 % der deutschen Steinkohlengruben vor Beginn des ersten Weltkriegs angelegt worden sind. Wenn man sich einmal die unerhörte Entwicklung, die die Technik seitdem genommen hat, vor Augen hält, ist es geradezu — ich wiederhole es — grotesk, sich vorzustellen, daß der Bergbau unter solchen Umständen seinen Platz in der modernen Wirtschaft behaupten soll.
Die Konkurrenz mit den anderen Energieträgern ist einstweilen noch nicht so ernst. Ich erwähne nur am Rande, daß das Heizöl, das heute sehr stark genannt wird, in Deutschland im Jahre 1955 einen Verbrauch von ganzen 2 Millionen t gehabt hat. Das ist jedenfalls gegenüber dem Kohlenverbrauch nicht so wesentlich, daß davon eine Einengung der Entwicklungsmöglichkeiten des Steinkohlenbergbaus abgeleitet werden könnte.
Ich glaube auch nicht, daß die Atomenergie in absehbarer Zeit für unseren Steinkohlenbergbau eine ernsthaft gefährliche Konkurrenz bedeuten wird. Es ist notwendig das zu sagen, weil viele Leute meinen: Was kümmert Ihr euch denn so viel um den Steinkohlenbergbau?! In kurzer Zeit wird kein Mensch mehr unter Tage arbeiten wollen. Die Leistung wird uns eines Tages ein schöner Kernreaktor abnehmen. — Wir wissen heute noch immer nicht, was wir mit dem sogenannten Atommüll tun sollen. Die phantastischen Pläne, ihn nach dem Mond zu schießen oder ihn in den Weltraum oder sonst irgendwie hinauszubefördern, scheinen mir nicht recht realisierbar zu sein. In wirtschaftlicher Hinsicht ist heute noch in gar keiner Weise
ein Vergleich mit der Kohlenenergie gegeben. Die Zahlen für die Kilowattstunde liegen in Höhe des Mehrfachen dessen, was die Kilowattstunde aus der Braunkohle und aus der Steinkohle kostet. Endlich — das darf ich als Fachmann sagen — scheint mir die Frage der Rohstoffversorgung, die noch immer in einem gewissen Umfang nötig sein wird, keineswegs so günstig zu liegen, wie man annimmt. Jedenfalls würden wir in Deutschland sehr unklug handeln, wenn wir im Vertrauen auf eine später einmal einsetzende Atomenergieversorgung nun das, was wir in der Hand haben, nicht die Spatzen in der Hand, sondern die Taube in der Hand, etwa verhungern lassen wollten, weil wir hoffen, uns irgendwann einmal auf irgendeinem anderen Weg helfen zu können.
— Nein, keineswegs; ich möchte mich ausdrücklich dazu bekennen, daß wir uns auf dem Gebiet der Kernenergie sehr wohl bemühen sollten, mit der Entwicklung anderer Länder Schritt zu halten. In England, aber auch in Amerika hat man allerlei eingeleitet, und es wäre ein Jammer, wenn sich Deutschland, das auf dem entsprechenden wissenschaftlichen Forschungsgebiet eine solche Bedeutung gehabt hat, in der tatsächlichen Ausnutzung ausschalten lassen wollte. Ich würde nur nicht empfehlen, Herr Kollege Bleiß, daß wir in der einstweilen noch recht vagen Hoffnung, im Wege der Atomernergieausnutzung zu wirtschaftlichen Kraftanlagen zu kommen, heute die Maßnahmen versäumen, die zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit unseres Kohlenbergbaus unentbehrlich sind.
Abg. Dr. Bleiß: Das hat auch kein Mensch
verlangt!)
— Nein, das behaupte ich auch nicht, Herr Kollege Bleiß. Ich möchte es nur einmal gesagt haben. Es gibt aber in der öffentlichen Meinung gelegentlich solche Stimmen. Entschuldigen Sie, Herr Kollege Bleiß, ich habe mich nicht gegen Sie gewandt, sondern ich spreche ganz allgemein.
Ich bin sogar entschieden der Ansicht, daß unsere Regierung und vielleicht auch wir hier im Hause ganz andere Anstrengungen darauf richten sollten, als es in den letzten Jahren geschehen ist; Deutschlands Anteil an der Entwicklung der Ausnutzung der Atomenergie zu sichern. Aber ebenso entschieden wünsche ich, daß man deshalb nicht den Kohlenbergbau vernachlässigt, ganz abgesehen davon, daß wir den Kohlenbergbau besitzen, das ist unser eigen. Die ganze standortmäßige Entwicklung der deutschen Wirtschaft beruht ja auf der Kohle, und wenn erst einmal die Atomenergie eingeführt sein wird, dann werden Standortverschiebungen in einem Ausmaß eintreten, bezüglich deren unsere volkswirtschaftliche Phantasie versagt, die jedenfalls nicht zugunsten unseres Landes und unserer Arbeiterschaft gehen werden. Auch das ist ein Umstand, den wir uns recht wohl vor Augen halten wollen.
Die Gründe für das Zurückbleiben des Steinkohlenbergbaus liegen ferner in der völlig unzureichenden Kapitalausstattung. Nach den Ermittlungen des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu Berlin hat der Steinkohlenbergbau im Jahre 1954 je Beschäftigten 1760 DM investiert, die Eisenindustrie 3850 DM, also mehr als das doppelte. Ich will Sie hier nicht mit den anderen
Zahlen aufhalten. Jedenfalls steht der Steinkohlenbergbau auf der untersten Sprosse der Leiter, und alle anderen Wirtschaftszweige stehen darüber. Da kann es einen nicht wundern, daß der Bergbau in seiner Produktionsentwicklung zurückbleibt und daß die Anlagen überaltert sind. Wir können rechnen, daß bei der jetzigen Kohlenförderung jedes Jahr im Durchschnitt etwa anderthalb Grubenfelder im deutschen Bergbau erschöpft sind. Tatsächlich sind seit 1938 statt 24, wie sich bei Ausrechnung ergeben müßte, im ganzen 5 neue Gruben in Förderung gekommen. Unser Bergbau ist durch diese schlechte Kapitalausstattung — das ist auch ein dringendes Anliegen, das wir der Regierung vortragen müssen — hoffnungslos zurückgeblieben.
Nicht unerwähnt möchte ich auch lassen, daß der Bergbau, und zwar gerade der Ruhrbergbau, von dem wir hauptsächlich sprechen, durch die Entwicklung der Entflechtung und der Dekartellisierung in recht erhebliche Schwierigkeiten gekommen ist. Es ist ein peinliches Gefühl, daß der Wirtschaftszweig, der uns solche Sorge macht, auch noch ein Hauptopfer der politischen Entwicklung des letzten Jahrzehnts gewesen ist. Es wäre vielleicht doch Zeit, Herr Staatssekretär Westrick, einmal zu überlegen, ob nicht das eine oder das andere, was politisch und in der öffentlichen Meinung längst als überholt und gegenstandslos erscheint — ich denke etwa an die Verkaufsverbote gegenüber einigen großen deutschen Unternehmen des Ruhrgebiets —, endlich einmal in friedlichem Einvernehmen mit den Vertragspartnern beseitigt werden kann. Das mag für unser Problem zunächst nicht allzu wichtig sein, aber es ist doch ein Schatten, es ist eine Fessel, die gerade auch auf dem deutschen Kohlenbergbau liegt. Es wäre deshalb gut, wenn diese psychologischen Schwierigkeiten für eine gesunde Vorwärtsentwicklung recht bald beseitigt würden.
Wir sehen jedenfalls: der Kohlenbergbau ist ein Stiefkind der sozialen Marktwirtschaft. Er hat nicht die Möglichkeit, sich der Vorteile der sozialen Marktwirtschaft zu bedienen, und er hat dafür den Nachteil, die Konkurrenz im Raume der Montanunion bestehen zu müssen. Aus dieser außerordentlich peinlichen Situation müßte die Regierung ihn allmählich herausheben. Es ist, volkswirtschaftlich betrachtet, eine unmögliche Zumutung an einen Wirtschaftszweig, unter solchen Umständen seine Pflicht zu erfüllen.
Sie wissen, daß ich als ein völlig unabhängiger Mann zu diesen Dingen stehe. Nicht etwa als Vertreter des Bergbaus, sondern als Wirtschaftsfachmann bin ich nur erstaunt, daß es dem Bergbau überhaupt gelungen ist, in einer im Grunde so unhaltbaren Zwangslage seine Aufgaben noch einigermaßen erfolgreich zu erfüllen.
— Das ist eine Frage für sich. Ich bin sehr im Zweifel, ob der Bergbau mit seiner geringen Elastizität, mit der Langfristigkeit aller seiner Maßnahmen nicht überhaupt, ähnlich wie die Landwirtschaft, aus den Gesetzen der sozialen Marktwirtschaft herausgenommen werden sollte. Ich kann mir nicht gut denken, daß das auf die Dauer geht.
— Wenn Sie die Güte haben, — wir wollen hier nicht Zwiegespräche führen. Die Zeit ist leider fortgeschritten. Es reizt mich sehr, darauf einzugehen; aber ich möchte das im Augenblick vermeiden.
Für die Lösung, auf die unsere Herren Kollegen von links wiederholt gedrängt haben, müssen wir meiner Ansicht nach klar unterscheiden die Sofortmaßnahmen von denen, die langfristig getroffen werden müssen. Der Antrag meiner politischen Freunde sieht ja auch eine solche klare systematische Unterscheidung vor.
Der Kollege Bleiß hat sehr energisch eine Preiserhöhung abgelehnt. Ja, Herr Kollege Bleiß, kann man es verantworten, dem Bergbau, also einem Zweig, dessen Zurückbleiben in der allgemeinen Entwicklung von niemandem bestritten werden kann und dem wir gerade im Begriffe sind, durch die Lohnerhöhung neue Lasten aufzuerlegen, zu sagen: Deine Preise darfst du nicht erhöhen?! Das ist meiner Ansicht nach nicht zu verantworten. Ich bin als Wirtschaftswissenschaftler auch nicht davon überzeugt, daß eine mäßige Preiserhöhung um 2 oder 3 Mark ernsthaft das Preisgefüge erschüttern oder beeinträchtigen könnte. Ich glaube, daß eine solche Erhöhung ernsthaft in Erwägung gezogen werden sollte.
Ferner sind meiner Ansicht nach steuerlich sehr wohl Möglichkeiten gegeben. Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums ist ja hier. Es gibt gewisse Bestimmungen unseres Steuerrechts, die der Sondersituation des Bergbaus nicht gerecht werden. Namentlich die Abschreibung der unterirdischen Anlagen ist durchaus betriebsfremd geregelt. Hier wären wesentliche Änderungen, die auch zu einer finanziellen Erleichterung des Bergbaus führen könnten, durchzuführen, und zwar sehr kurzfristig.
Die großen sozialen Lasten, die auf dem Bergbau liegen, werden von uns allen anerkannt und sie werden — ich glaube das auch dem Kollegen Bleiß sagen zu können — gern getragen. Aber soweit sie das tragbare Maß überschreiten, wird man angesichts der allgemeinen Bedeutung der Kohlenwirtschaft von der Bundesregierung erwarten können, daß sie zur Tragung dieser Lasten beiträgt.
Endlich hat Kollege Bleiß einen Ausgleich zwischen den hochverdienenden Zechen — die es ja Gott sei Dank immer noch in einzelnen Fällen gibt — und den weniger gut verdienenden vorgeschlagen. Wir möchten diesen Weg nur sehr ungern beschreiten, Herr Kollege Bleiß. Wir fürchten, daß dabei der Staatsinterventionismus — um nicht gleich von Sozialisierung zu sprechen — eine zu große Betätigungsmöglichkeit gegenüber einem Wirtschaftszweig erhält, dessen großartige Entwicklung im letzten Jahrhundert doch auf der freien Betätigung der Unternehmerinitiative beruht hat. Wir sehen in England und auch in Frankreich, daß sie durch die Staatsinitiative nicht wirksam ersetzt werden kann. Es ist ein sehr gefährliches Mittel, nun noch die letzte Freudigkeit des Unternehmers, seinen Betrieb voranzubringen, dadurch zu beseitigen, daß man sagt: Wenn du künftig besser verdienst, mußt du natürlich davon dem anderen weniger Tüchtigen und weniger gut Verdienenden abgeben. Das möchten wir nicht gerne haben.
Aber wir sind uns wohl alle einig, daß die Maßnahmen sehr dringlich sind und daß mit ihnen nicht gewartet werden kann. Wir haben nicht ohne Grund darauf bestanden, daß diese Debatte heute noch in so später Stunde stattfindet. Es muß bald gehandelt werden, weil, wie wir hören, am 15. Februar eine neue Mehrbelastung des Bergbaus eintreten soll. Aber ich glaube, wir sind uns alle mit der Bundesregierung einig, daß damit eine wirkliche Lösung des Problems des deutschen Kohlenbergbaus nicht gefunden wird, sondern daß es sich hier nur um die Beseitigung der augenblicklichen Notlage handelt, daß darüber hinaus weitergehende und viel umfangreichere Maßnahmen notwendig sind. Ob dazu, Kollege Bleiß, eine neue Enquete erforderlich ist, müssen wir überlegen. Ich will dem nicht von vornherein widersprechen, aber ich habe Sorge davor, daß man, wenn wir eine Enquete machen, glaubt, man habe ja einstweilen Zeit, man wolle einmal auf die Ergebnisse warten, die die Enquete bringt. Eine solche Enquete wird nach allen Erfahrungen einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren erfordern. Außerdem sind — und ich glaube davon etwas zu verstehen — unklare Tatbestände eigentlich gar nicht gegeben. Wir wissen, um was es sich handelt. Was soll denn wirklich bei einer Enquete noch herauskommen? Das, was noch geklärt werden muß, werden wir — ich glaube, da werden wir gern und vertrauensvoll zusammenarbeiten — in den Ausschüssen dieses Hauses fertigbringen. Dergleichen Aufgaben nimmt sich übrigens die Hohe Behörde in Luxemburg bereits mit großer Energie und großer Sorgfalt an. Also so dringend scheint mir eine Enquete nicht zu sein. Wenn Sie so entscheidenden Wert darauf legen und glauben, aus dem einen oder anderen Grund — den Sie noch anführen müssen — darauf bestehen zu sollen, will ich nicht widersprechen. Ich habe mich mit meinen politischen Freunden darüber noch nicht geeinigt. Aber ich möchte dringend davor warnen, etwa im Vertrauen auf ein irgendwann zu erwartendes Enquete-Ergebnis das heute bereits dringend erförderlich gewordene Entwicklungsprogramm aufzuschieben.
— Sie sind uns leider das Sofortprogramm noch schuldig geblieben. Ich freue mich aber, daß auch Sie das Sofortprogramm haben wollen. Aber vielleicht wäre es auch nicht gut, wenn wir die Verpflichtung, die wir der Bundesregierung auferlegen wollen, uns ein langfristiges Entwicklungsprogramm vorzulegen, damit lockerten, daß zunächst das Ergebnis des Enquete-Ausschusses abgewartet wird. Ich glaube, die Situation im Kohlenbergbau ist so klar, daß wir schon heute erkennen können, welche Maßnahmen notwendig sind — Sie haben es zum Teil selber angedeutet —, und daß wir uns über die Notwendigkeit sowie über die Durchführung eines langfristigen Programms einigen können.
Vor allen Dingen geht es um die Beschaffung der Investitionsmittel. Da kann ich dem Kollegen Bleiß nur zustimmen. Weiter muß die Rentabilität durch eine ganz andere und womöglich etwas radikalere Preispolitik wiederhergestellt werden. Es wird auch notwendig sein — ich möchte da einmal an den Bergbau eine Mahnung richten —, daß der Bergbau sich etwas mehr um die öffentliche Meinung kümmert als bisher.
Die öffentliche Meinung ist über den Bergbau herzlich schlecht unterrichtet. Das ist so ein Beruf, der sich im Dunkeln abspielt, von dem sich der durchschnittlich Gebildete im Grunde gar keine rechte Vorstellung machen kann.
Die Forderungen des Bergbaus, und zwar der Arbeiterschaft und der Unternehmerschaft, sind in der Öffentlichkeit einstweilen nicht ausreichend begründet. Es wird gut sein, wenn sich der Bergbau dieser Notwendigkeit für die Zukunft sehr viel stärker bewußt wird.
In diesen Zusammenhang würde auch eine bessere Nachwuchswerbung gehören. Wir müssen uns Mühe geben, den Bergmannsberuf noch als einen eigentlichen Beruf, nicht bloß als einen Notbehelf für jemanden, der nichts Besseres zu tun hat, als einen eigentlich schönen Beruf im Sinne einer Berufung, unseren jungen Deutschen anziehend zu machen. Das ist sicherlich auch auf materiellem, vielleicht sogar überwiegend auf materiellem Wege nötig. Dazu gehört aber auch eine — —
— Schön. Ich sage ja: Dazu gehört auch eine soziale Besserstellung. Sozial möchte ich nicht ohne weiteres mit „materiell" identifizieren. Dazu gehört eine soziale Besserstellung neben der materiellen. Dazu gehört aber auch ein besseres Wissen des jungen Deutschen um die Notwendigkeit des Bergbaus und auch um die Werte, die im Bergbau stecken. Ich glaube, daß diejenigen unter uns, die den Bergbau kennen, es gar nicht für so schrecklich halten, einmal im Dunkeln zu arbeiten. Ich muß sagen, wenn ich als reichlich älterer Herr heute noch einmal in die Grube komme, fühle ich mich da eigentlich so zu Hause wie sonst kaum irgendwo.
— Jawohl, ich habe auch Kohle gehackt, mein lieber Kollege Bleiß, und ich habe meinen Schichtlohn mühsam herausgehackt. Ich weiß, wie dem Bergmann zumute ist.
Meine Damen und Herren, wir wollen in dieser Stunde keine Zeit verlieren. Jedenfalls möchte ich für meine politischen Freunde versichern, daß wir uns der Dringlichkeit dieser Maßnahmen durchaus bewußt sind, und unsere Bundesregierung herzlich bitten, sich dieser dringlichen Maßnahmen anzunehmen. Lloyd George hat einmal gesagt, die englische Wirtschaft sei ein Block von Stahl, der auf einem Sockel von Kohle ruhe. Man kann das genau so gut von der Wirtschaft unserer Bundesrepublik sagen. Wehe uns, wenn dieser Sockel sich als unzulänglich oder gar als bröckelig und morsch erweist! Tun wir alles, um diesen Sockel gesund und fest zu machen, damit eine vernünftige Weiterentwicklung auch der ganzen Wirtschaft möglich ist!