Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich am Ende dieser Debatte noch einige Bemerkungen mache und einige Fragen aufwerfe, die — ich mache von dem Rechte, das der Opposition soeben ausdrück-
lieh konzediert wurde, Gebrauch — zum Teil kritischer Art sind. Sie werden vielleicht auf diese Kritik noch eingehen, Herr Bundesinnenminister. Ich möchte aber vorweg sagen, daß sie sich weniger gegen Sie richtet als gegen das ganze Verfahren, an dem Sie sicher persönlich zum Teil unschuldig sind.
Es ist eine recht merkwürdige Situation, daß ein Minister einen Teil seines Ressorts hier großzügig opfert und das hier auch noch vor dem Hause vertritt. Das ist, glaube ich, bisher noch nie da gewesen. Sonst wurde immer mit Klauen und Zähnen um jeden Bestandteil des Ressorts gekämpft. Ich kann Ihnen nachfühlen, Herr Minister, daß Ihre persönliche Auffassung zu dem ganzen Verfahren, das hier angewendet worden ist, in Ihren Darlegungen vielleicht doch nicht so ganz klar und eindeutig zum Ausdruck kam.
Wir haben hier ein Gesetz, das etwas schamhaft als „Zweites Gesetz über den Bundesgrenzschutz" bezeichnet wird. Schon das ist ein Anlaß zur Kritik. Denn entweder ist es ein Gesetz zur Überführung des Bundesgrenzschutzes in die Streitkräfte oder, besser gesagt, es ist — und das ist meine Auffassung — ein Gesetz über die Beendigung des Bundesgrenzschutzes. Nicht daß ich etwa mit dem Kollegen Eschmann insofern übereinstimmte, als er diese Beendigung oder Auflösung des Bundesgrenzschutzes gewünscht hat. Aber ich glaube, daß es beinahe unmöglich sein wird, den Bundesgrenzschutz wieder aufzufüllen und zu dem zu machen, was er vor der Überführung gewesen ist. Das hängt doch von sehr vielen Dingen ab, nicht nur von der Frage der Besoldung, deren Klärung der Herr Kollege Dr. Mende hier als eine Voraussetzung für die Wiederauffüllung bezeichnet hat. Das hängt doch auch davon ab, ob man überhaupt — und der Kollege Eschmann hat hierzu eine sehr treffende Bemerkung gemacht — die genügende Anzahl junger Menschen als Freiwillige für den Bundesgrenzschutz bekommen wird, wenn daneben die Wehrmacht steht, die natürlich bei den sehr viel größeren Möglichkeiten, die sie dem einzelnen bietet, eine sehr viel größere Attraktivität entfalten wird. Wenn der Bundesgrenzschutz mit, sagen wir einmal, nicht immer erstklassig geeigneten Menschen wiederaufgefüllt wird, wird es auch nicht mehr möglich sein, sein Niveau so hoch zu schrauben, daß er attraktiv für alle bleibt. Vor allen Dingen wird auch denjenigen, die sich unter Umständen nicht für die Überführung in die Wehrmacht entscheiden, das Verbleiben im Bundesgrenzschutz keine allzu große Freude mehr bereiten, wenn der Bundesgrenzschutz als eine im öffentlichen Ansehen etwas zweitrangige Truppe neben der Wehrmacht steht.
Um aber auf das Verfahren zurückzukommen, von dem ich vorhin gesprochen habe: Mir scheint die Haltung der Bundesregierung in der ganzen Sache so zu sein — ich darf einmal auf eine schwäbische Redewendung Bezug nehmen; der Herr Kollege Horlacher hat ja vorhin die Süddeutschen als gutmütig bezeichnet; infolgedessen bitte ich sie auch als gutmütig aufzufassen —: Was geht mich mein dummes Geschätz von vorgestern an?!
Ich glaube, die Bundesregierung ist in eine Situation gekommen, in der sie uns das offen zugestehen muß. Herr Kollege Eschmann hat schon darauf hingewiesen, daß der Herr Bundesverteidigungsminister vor einem Jahr — nicht gerade vorgestern — dem Ausschuß nachdrücklichst erklärt hat, daß eine solche Überführung des Bundesgrenzschutzes in die neuen Streitkräfte gar nicht beabsichtigt sei und niemals in Frage komme.
Nun hat Herr Kollege Schneider zwar gesagt, die Verhältnisse hätten sich geändert, es lägen andere politische Gesichtspunkte vor. Man brauche ja nicht immer unbedingt bei dem „Geschwätz von vorgestern" stehenzubleiben, — —
— So haben Sie nicht gesagt, aber Sie haben etwa so Ihre Zustimmung zu begründen versucht.
So einfach ist die Sache nicht. Soweit es sich um innenpolitische Dinge handelt, z. B. um Koalitionsabsprachen, die zwar nur für ein gewisses politisches Ziel Bedeutung haben und die dann, wenn das Ziel erreicht ist, nicht mehr gelten sollen,
mag dieses Verfahren hingehen. Aber in militärischen Fragen pflegt man auch vom Ausland her sehr scharf zu beobachten, was eigentlich vorgeht. Ich meine, es muß doch einen schlechten Eindruck machen, wenn man gestern so und heute so argumentiert. Die Öffentlichkeit des In- und Auslandes könnte doch zu der Überzeugung kommen, daß die Auslassungen der Bundesregierung nur einen recht situationsbedingten Wert haben.
Wenn man sich noch einmal rückdenkend überlegt, wie es mit dem Bundesgrenzschutz war, der ursprünglich also nur rein polizeiliche Aufgaben haben sollte, der keinerlei militärähnlichen Charakter haben sollte und von dem jetzt in der Begründung wunderbar steht, daß die Kenntnisse und Erfahrungen, die er in den letzten Jahren gesammelt habe, unbedingt für den Aufbau unserer Streitkräfte im Rahmen der NATO gebraucht würden,
dann muß man aber unwillkürlich daran denken, daß es ähnliche Argumentationen um die Volkspolizei drüben jenseits der Zonengrenze gibt und daß wir hier mit diesem Verhalten denen drüben geradezu Argumente liefern, mit denen sie ihre Propagandamaschine auf Touren halten können.
Das wäre alles zu vermeiden gewesen, wenn man sich jetzt nicht in dieser überstürzten Weise plötzlich im Gegensatz zu dem, was man vorher vertreten hat, entschlossen hätte, raschestmöglich ein Gesetz einzubringen, in dem gesagt wird, daß der Bundesgrenzschutz als Grundstock für den Aufbau der Wehrmacht verwendet wird. Man hätte, wenn das schon aus irgendwelchen Überlegungen zweckmäßig erschienen wäre, zu gegebener Zeit den Bundesgrenzschutz in die Wehrmacht eingliedern können, aber dann in umgekehrter Weise, als es jetzt beabsichtigt ist. Man hätte nämlich nicht so verfahren sollen, daß die Polizei die Kaders für die Wehrmacht liefert, sondern so, daß Kräfte aus dem Bundesgrenzschutz, die dazu gewillt und geeignet gewesen wären, in
die neu aufgestellten Wehrmachtskader als Gleichberechtigte — versteht sich — eingegliedert werden.
Nun wird man sagen: Ja, das ist nicht der Zweck der Übung; der ist doch die Beschleunigung bei der Aufstellung der Streitkräfte wegen Unmuts irgendwelcher höherer Befehlsstellen über die bisher eingetretene Verlangsamung der Aufstellung. Dazu muß ich doch sagen: Hier gibt man einfach zu, daß man ein schlecht organisiertes Unternehmen dadurch zu sanieren versucht, daß man es mit einem besser funktionierenden fusioniert,
auch wenn die Unternehmen nicht genau denselben Charakter haben: So etwas bringt immer Nachteile mit sich. Man beseitigt sie nur dadurch, daß man ganz offen darüber spricht und versucht, sie in gemeinsamem Bemühen abzuwenden. Deshalb werden wir auch bei der Beratung dieses Gesetzes — zwar nicht hier, aber in den zuständigen Ausschüssen — noch einige sehr offene Worte dazu sagen.
Nichts gegen die Männer des Bundesgrenzschutzes! Sie sind ja an den Labyrinthwegen, die man sie in den vergangenen Jahren geführt hat, im einzelnen völlig unschuldig. Verantwortlich ist dafür jemand anders. Für manche von diesen Männern des Bundesgrenzschutzes mag die Endstation, vor der sie jetzt angelangt sind, wirklich das Ziel ihrer Sehnsucht gewesen sein. Es sei ihnen durchaus vergönnt, auch die bessere Besoldung, die man ihnen bisher — und in diesem Zusammenhang: völlig unverständlicherweise — vorenthalten hat. Aber es gibt wohl auch solche unter ihnen, die das, was man ihnen ursprünglich gesagt hat, für bare Münze genommen haben, daß sie nämlich Polizeibeamte und nicht Soldaten werden sollten, und die vielleicht jetzt an der klingenden Münze gar nicht so sehr interessiert sind.
Es wird gesagt, sie könnten nach dem Gesetzentwurf innerhalb Monatsfrist optieren. Herr Kollege Eschmann hat auf die Problematik dieses Verfahrens hingewiesen. Ich möchte dazu nur eines sagen. Es muß unter allen Umständen dafür Sorge getragen werden, daß es nicht heißt: Wer nicht mit hinübergehen will, links raus, die elenden Zivilisten! Das muß im Interesse der Männer, die bei dem bleiben wollen, was sie ursprünglich einmal werden sollten, unter allen Umständen vermieden werden. Es muß eben entsprechende Vorsorge getroffen werden. Aber dies wird sehr schwierig sein, weil es sehr schwer fällt, daran zu glauben, daß aus dem erst einmal dezimierten und seiner besten Leute beraubten Bundesgrenzschutz wieder etwas Attraktives aufgebaut werden kann.
Hier erhebt sich auch die Frage: Wie wird es denn mit dem Material? Soll das Material zunächst ohne Besatzung stehenbleiben, oder wird es in die Streitkräfte übergeführt? Und wenn das Material übergeführt wird: hat der Bundesgrenzschutz dann noch welches, oder wann bekommt er wieder welches? Das wird ja alles nicht so einfach sein.
Sehr viel einfacher wäre es bei der Frage der Uniform. Da hätte ich gewünscht, man hätte die Bundesgrenzschutzuniform für die neuen Streitkräfte übernommen.
Ich habe den Eindruck, der Bundesgrenzschutz wird
auf diese Weise ein Unternehmen ohne Masse in
einem in die Länge gezogenen Liquidationszustand.
Das ist wirklich bedauerlich.
Ich habe vorhin schon gesagt: ich bin nicht der Auffassung, daß er überflüssig geworden sei. Einen Teil der Gründe hat mir der Herr Kollege Dr. Mende schon vorweggenommen. Wir teilen diese Überzeugung, nicht etwa deshalb, weil wir der Auffassung wären, daß nun jeder Minister seine Ressortarmee erhalten müsse. Der Bundesinnenminister hat ja auch gar nicht so sehr darum gekämpft, obwohl es sich in diesem Falle um die einzige Polizeitruppe handelt, über die der Bund wirklich verfügen kann. Sie wäre eines gewissen Kampfes wert, zumal er in diesem Falle nicht einmal gegen die Länder geführt zu werden braucht; denn die Länder kämpfen sogar für den Herrn Bundesinnenminister, wie uns hier deutlich gesagt worden ist, indem sie der Überführung des Bundesgrenzschutzes verfassungsmäßige Bedenken entgegenhalten. Wir teilen sie insofern, als wir ebenfalls der Ansicht sind, daß vor dem Wirksamwerden dieses Gesetzes allerdings einige Verfassungsfragen geklärt werden müssen. Der Bund sollte darauf bedacht sein — das hat Herr Kollege Dr. Mende schon ausgeführt —, für gewisse Aktionen an der Zonengrenze eine schlagkräftige Truppe zur Verfügung zu behalten, ohne den umständlichen Weg über die Länderpolizeien oder den noch umständlicheren über die NATO gehen zu müssen, denn ein Einsatz von NATO-Verbänden bedeutet in jedem Falle Krieg, und das werden sich auch die anderen eingehend überlegen.
Der Gesetzentwurf hat also, zunächst in dieser Form, noch soviel Bedenkliches, daß wir heute noch nicht sagen können, ob wir ihm unsere Zustimmung werden erteilen können. Vielleicht können die Bedenken, die ich hier zum Teil vorgetragen habe, bei den Ausschußberatungen ausgeräumt werden. Wir werden uns guten Gründen dabei nicht verschließen. Sie müssen aber sehr gründlich geprüft werden; denn man kann durch Versäumnisse entstandene Lücken jedenfalls nicht dadurch schließen, daß man schnell irgend etwas hineinstopft, sondern man muß sich das Was und Wie sehr gründlich überlegen.
Lassen Sie mich das in einem anderen Vergleich ausdrücken! Stellen Sie sich vor, daß ein Mann ein kleines, aber solides Holzhaus bewohnt und daß er plötzlich zu Geld gekommen ist. — Das Geld braucht nicht im sagenhaften Juliusturm zu liegen. — Der Mann will sich ein größeres Haus bauen; es braucht ja nicht gleich ein Pentagon für 50 oder 60 Millionen zu sein. Der Mann wird doch nicht sehr klug daran tun, sein Holzhäuschen erst einmal abzureißen und die Bretter und Balken als Baumaterial für den Neubau zu verwenden, sondern er wird erst einmal im Holzhaus wohnen bleiben, bis der Neubau steht, und erst dann wird er umziehen. Er wird noch weniger klug daran tun, aller Welt zu verkünden und allen Leuten zu erzählen, er beabsichtige gar nicht, in den Neubau umzuziehen, wenn er das dann eines Tages bei Nacht und Nebel doch tut. Die Öffentlichkeit wird über die Zuverlässigkeit seiner Erklärungen dann doch ihre eigene Meinung haben, sie wird jedenfalls nicht sehr günstig von ihm denken. Wenn sie den Mann schonend behandelte, würde sie vielleicht von Bewußtseinsspaltung sprechen und sich sagen:
Dem Manne muß irgendwie geholfen werden. Über das Wie möchte ich hier keine weiteren Betrachtungen anstellen, sie gingen dann allzusehr ins Politische. Dazu wird vielleicht an anderer Stelle noch Gelegenheit sein.
Beim Bundesgrenzschutz und bei der Entscheidung über den vorliegenden Gesetzentwurf sollten wir uns ausschließlich von sachlichen Überlegungen leiten lassen. Wir sind bereit, sie bei den Ausschußberatungen mit anzustellen.