Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich, wenn man am Ende einer so langen Rednerliste steht, schwer, in dem Luftschutzkuchen, von dem Herr Kollege von Buchka sprach, noch Rosinen zu finden, die man herauspicken könnte. Aber lassen Sie mich doch noch auf einige Fragen des uns vorliegenden Gesetzentwurfs eingehen und zunächst noch einmal auf den psychologischen Hintergrund zu sprechen kommen, mit dem wir es bei dem ganzen Unternehmen zu tun haben werden.
Es ist zwar im Interesse der Sache erfreulich, aber eigentlich doch verwunderlich, daß wir hier zu einer wirklichen Kontroverse darüber, ob ein Luftschutz überhaupt noch sinnvoll ist, nicht gekommen sind. Ich möchte diese Kontroverse zwar keines-
wegs heraufbeschwören, aber sie läge doch in der Sache insofern angelegt, als wir, wenn die Stimmung, die wir im Volke draußen, in der öffentlichen Meinung haben, sich hier im Parlament naturgetreu widerspiegelte, zu einer solchen Kontroverse unabweislich hätten kommen müssen, nämlich zur Erörterung der Frage, ob es in der gegebenen Situation und im Hinblick auf die noch möglichen Entwicklungen der atomaren Kriegführung überhaupt noch einen Sinn hat, jetzt, im Jahre 1956, die Aufgabe des Luftschutzes neu anzupacken.
Es wäre sicherlich ganz verkehrt, wenn wir hier die in der Öffentlichkeit weit verbreitete negative Stimmung in dieser Frage nun damit abtun würden, zu sagen: Das sind Leute, die mit allen Dingen, die mit der Aufrüstung zusammenhängen, ohnehin nichts zu tun haben wollen. Das ist keineswegs der Fall. Es gibt durchaus Leute, die auf dem Standpunkt stehen, daß eine Aufrüstung unumgänglich ist, und trotzdem die Frage nach dem Zweck von Luftschutzmaßnahmen stellen. Es wäre auch falsch, das mit Ausdrücken wie „Nihilismus" abzutun; denn es läßt sich nicht verkennen, daß sich hinter einer solchen Auffassung durchaus seriöse und ernstzunehmende Argumente finden. Zu denen, die es grundsätzlich ablehnen, sich an irgendwelchen Luftschutzmaßnahmen zu beteiligen, gehören z. B. die Stadtväter der englischen Stadt Coventry, jener Stadt, die vor 15 Jahren nahezu völlig zerstört worden ist — um nicht das bekannte anmaßende und schauderhafte Wort vom „ausradieren" zu gebrauchen. Sie werden sich doch bei ihrer Ablehnung etwas gedacht haben! Es ist uns bekannt, daß es auch Argumente und Aussagen von Fachleuten und Wissenschaftlern gibt, mit denen ein derartiger Standpunkt untermauert werden kann.
Ich will auch die Seriosität der Motive des Herrn bayerischen Innenministers keineswegs in Frage stellen, die ihn veranlaßt haben, im Bayerischen Landtag zu sagen — ich darf es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Man kann doch nicht Milliarden in den Luftschutzbau stecken und Hunderte von Millionen für einen Warndienst ausgeben, wenn diese Maßnahmen in zwei Jahren bereits völlig veraltet sein können.
Die modernen Massenvernichtungsmittel wie die russische Wasserstoffbombe, die kürzlich hinter dem Ural explodiert ist, sind so furchtbar, daß es dagegen keinen Schutz gibt.
Nun, meine Damen und Herren, wir teilen diesen Standpunkt nicht, und es bedeutet wirklich eine erfreuliche Vereinfachung für unsere Gesetzgebungsarbeit, daß schon am 7. Dezember in der Debatte über das Manöver „Carte blanche" und auch heute von den Sprechern aller Fraktionen dieses Hauses höchste Anstrengungen von Staat und Regierung auf dem Gebiete des Luftschutzes gefordert worden sind. Meine politischen Freunde and ich teilen auch die Kritik, die insofern geübt worden ist, als man bemängelt hat, daß die Vorlage dieses Gesetzes und damit das Anlaufen der praktischen Maßnahmen zur Durchführung des Luftschutzes reichlich spät kommen. Aber ganz einfach wird unsere Arbeit jedenfalls nicht sein, wenn wir uns den vorliegenden Gesetzentwurf und lie vielen damit verbundenen Probleme einmal näher ansehen.
Ich werde noch auf einzelne Fragen zurückkommen. Was ich jedoch zu Anfang als Auffassung politisch an verantwortlicher Stelle stehender Leute im In- und Ausland angezogen habe, das ist auch symptomatisch für eine gewisse Grundstimmung die in der Bevölkerung herrscht. Die psychologischen Hemmnisse sind sicherlich das größte Hindernis, das bei einem Aufbau eines neuen Luftschutzwesens zu überwinden sein wird. Dieser stimmungsmäßigen Abneigung in der richtiger Weise zu begegnen, wird für die Wirksamkeit des Gesetzes überhaupt eine unabdingbare Voraussetzung sein, und wenn wir es nicht schaffen, diese Abneigung in eine allgemeine Bereitschaft zur Mitarbeit zu verwandeln, dann werden uns auch die perfektesten Gesetze nicht zu dem erwünschten Ziele bringen.
Deshalb begrüßen wir das in dieser Vorlage enthaltene Prinzip der Freiwilligkeit, das so weit wie möglich angewendet werden sollte. Besser eine geringe Zahl von Helfern und Mitarbeitern, die vom Sinn ihrer Tätigkeit überzeugt sind und diese Überzeugung auch weitergeben, als eine Anzahl Gezwungener und Widerwilliger, die sich gegenseitig die Lust an der Sache verderben! Das bedeutet keineswegs die Beschränkung auf einen kleinen Kreis von sachverständigen oder berufsmäßigen Luftschützern; im Gegenteil, wir müssen -- und wir alle werden dabei mitzuhelfen haben — die gesamte Bevölkerung zur freiwilligen Teilnahme an diesen Maßnahmen bringen, aber wir müssen sie dafür gewinnen. Es ist zu hoffen, daß auch von dieser Aussprache eine Anregung an alle Organe der öffentlichen Meinungsbildung ergeht, in Zukunft den Fragen des Luftschutzes noch stärkere Aufmerksamkeit zu widmen, als das bisher geschehen ist. Denn so sehr, wie Sie meinten, Herr Innenminister, hat sich auch die Presse noch nicht mit der Frage befaßt. Sie haben uns, Herr Minister, auf unsere Schreibtische eine Reihe von Heften einer ausgezeichneten Fachzeitschrift in einer äußerst anspruchsvollen Aufmachung legen lassen. Bitte, ich will nicht gegen die Zeitschrift polemisieren, auch nicht gegen die Hofberichterstattung, die darin enthalten ist, sondern ich wollte nur eines sagen: Es ist notwendig, daß solche Fachzeitschriften erscheinen, wobei ich unterstellen darf, daß sie mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, trotz des hohen Bezugspreises von 3 DM pro Heft, durch den der Kauf auf sehr kleine Kreise beschränkt bleiben wird, — aber wie sieht es denn draußen in der Bevölkerung, in den Haushaltungen, bei dem einzelnen Mann aus? Was hat er denn bisher über die geplanten Maßnahmen erfahren, und was hat man getan, um die Maßnahmen, die nun notwendigerweise einzusetzen haben, in einem größeren Umfang populär zu machen? Ich meine, man sollte das eine tun und das andere nicht lassen. Aber man sollte sofort damit beginnen, eine Aufklärungskampagne über die Notwendigkeit des Luftschutzes mit einer möglichsten Breitenwirkung in der Bevölkerung zu unternehmen, ohne dabei wieder wie in vergangenen Zeiten in einen falschen Heroismus zu verfallen.
Nun noch einige Worte zu dem Gesetz selbst. Wäre es nicht gerade unter dem Gesichtspunkt, den ich eben berührt habe, bei diesem reichlich umfänglichen und komplizierten Komplex mit den 36 oft seitenlangen Paragraphen gescheiter gewesen — ich möchte diese Anregung von mir aus
geben —, die organisatorischen Fragen — und was ist da nicht alles hineingepackt: Luftschutzverband, Luftschutzanstalt, Finanzierung im Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden usw. — in einem Gesetz zu regeln und die Fragen, die den einzelnen Mitarbeiter oder Helfer, der im Luftschutz tätig ist, angehen, d. h. die Rechtsverhältnisse des einzelnen usw., in ein anderes Gesetz zu bringen? Das wäre' dann ein Gesetz, das einem jeden in die Hand gegeben und von jedem gelesen und verstanden werden könnte. Und das sollte man sich bei der Beratung auch noch aus einem anderen Grunde überlegen. Bei der gesetzlichen Regelung der Rechtsverhältnisse, die sich für den einzelnen ergeben, werden keine großen Probleme auftauchen. Das ist eine Sache, die in wenigen Wochen erledigt sein kann und dann die Voraussetzung für den Beginn der Ausbildungsmaßnahmen und auch der Aufbaumaßnahmen, soweit es sich nicht um konkrete sachliche Dinge handelt, bildet, während auf der andern Seite bei den schon von meinem Vorredner eingehend behandelten Fragen, insbesondere der Finanzierung, eine Reihe von Komplikationen auftreten werden, die erhebliche Auseinandersetzungen erwarten lassen, vor allen Dingen Auseinandersetzungen mit dem Bundesrat, d. h. den Ländern. Nichts würde aber einem schnellen Anlaufen hinderlicher sein, als daß hier nun ein endloses Tauziehen in den Finanzierungsfragen begänne. Ich bin der Auffassung, und mit mir meine politischen Freunde, daß der Bund — das richtet sich an den Herrn Innenminister, der sicher mit mir darin einer Meinung ist — unter allen Umständen daran festhalten sollte, die für einen einheitlichen Vollzug des ganzen Luftschutzes erforderlichen Bestimmungen uneingeschränkt, so wie sie vorgesehen sind, durchzusetzen, während andererseits — das richtet sich an den Herrn Bundesfinanzminister, der nicht da ist, aber sicherlich nicht damit einverstanden wäre —
— ja, drückend! —
der Bund zu einer sehr großzügigen Regelung, wie sie hier schon vorgeschlagen worden ist, in den Fragen der Verteilung der finanziellen Lasten kommen müßte.
Ich sprach vorhin von den psychologischen Hemmungen, die in der Bevölkerung und nicht nur in der Bevölkerung, sondern sicherlich auch in den Rathäusern und Verwaltungen vorhanden sein werden.
— Sicherlich, Herr Kollege Schoettle, aber wir sind uns wenigstens darin einig, daß wir sagen: es ist notwendig und unumgänglich, daß schnellstens etwas geschieht. Hingegen könnten die Menschen draußen, meinetwegen in den Rathäusern, wenn sie ihre Vorbehalte in finanzielle Fragen einwickeln, natürlich erst recht das Anlaufen der Maßnahmen auf den unteren Ebenen damit doch erheblich verzögern. Nichts wäre schlimmer, als wenn hier ein Gesetz auf dem Papier geschaffen würde, das doch nicht rasch und völlig durchgeführt würde.
Das Kapitel über die baulichen Luftschutzmaßnahmen ist schon ausführlich behandelt worden. Ich kann nicht im einzelnen darauf eingehen, denn ich gehöre nicht zu den Bauexperten. Aber Herr Kollege Lücke hatte mich vorhin schon gebeten — deshalb wiederhole ich es —, hier zu beantragen, auch in seinem Namen, daß das Gesetz, wenigstens hinsichtlich des Abschnittes, der die baulichen Luftschutzmaßnahmen berührt, auch an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen zur Mitberatung überwiesen wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich doch einmal die grundsätzliche Überlegung anstellen, ob es angesichts der gegenüber dem letzten Krieg völlig veränderten Art des Luftkrieges noch zweckvoll ist, für jedes einzelne Haus, für jeden einzelnen Neubau einen Luftschutzraum zu fordern. Denn wenn wir es so machen, werden diese Räume — wenn die finanzielle Belastung nicht allzu hoch werden soll — notwendigerweise recht primitiv und schwach sein und dem Zweck sicherlich nicht immer in vollem Umfange entsprechen. Es wäre zu überlegen, ob man beim Bau von Luftschutzräumen das Schwergewicht nicht auf den Bau von größeren Gemeinschaftsräumen legen sollte, die doch einen sehr viel stärkeren Schutz bieten würden, bessere Versorgungs- und sanitäre Anlagen und auch sicherere Verbindungen nach außen haben könnten. Gewiß läßt sich der Einwand erheben, daß damit eine größere Belastung der öffentlichen Hand verbunden sei, als wenn man die Mehrkosten einfach auf die Einzelbauherren abwälzt. Aber der Bau öffentlicher Schutzräume wäre auch im Hinblick auf die Belastung des ohnehin gefährdeten Wohnungsbaus und die eintretenden Mieterhöhungen vorzuziehen, von denen hier gesprochen worden ist. Die Regierung bemüht sich wohl, sie als ungefährlich hinzustellen; aber ganz werden sie sich auf keinen Fall vermeiden lassen.
— Natürlich, dafür haben wir auch Verständnis, Herr Schmitt! — Man würde, glaube ich, bei einer Bevorzugung des Baues von Gemeinschaftsräumen letzten Endes, volkswirtschaftlich gesehen, sogar billiger wegkommen.
— Herr Kollege, wenn es so schnell geht, dann kommen Sie auch nicht mehr in den Keller.
Man gewinnt überhaupt aus dem ganzen Gesetzentwurf den Eindruck, daß er sehr stark auf dem aufbaut, was bis 1945 an Erfahrungen und Bestimmungen vorhanden war. Im nächsten Krieg, wenn er einmal kommen sollte, wird jedenfalls kaum Zeit sein, nach Kriegsbeginn und im weiteren Verlauf — wie es das letzte Mal der Fall war — noch weitere Erfahrungen zu sammeln. Die Entwicklung auf dem Gebiet der Luftkriegführung ist
— hier muß man sagen: „leider" — seit 1945 ein erhebliches Stück vorangeschritten. Darüber ist heute und am 7. Dezember ausführlich gesprochen worden. Dabei ist so viel Unerfreuliches zum Ausdruck gekommen, daß ich es mir ersparen kann, noch weitere Einzelheiten hinzuzufügen.
Aber noch das: Alle Luftschutzmaßnahmen und die dafür notwendigen gesetzlichen Bestimmungen haben nur dann einen Sinn, wenn sie alle Erfordernisse der atomaren Luftkriegführung berücksichtigen. Tun sie es nicht, dann wäre es unverant-
wortlich, die Bevölkerung zu den hier in dem Gesetzentwurf geforderten Anstrengungen zu veranlassen und sie im Glauben an eine nicht vorhandene Sicherung von Leben und Gesundheit zu wiegen.
Wenn wir Anstrengungen unternehmen, die sich in einigen Jahren als überflüssig erweisen sollten, da wir davon keinen Gebrauch zu machen brauchen, weil die Menschheit ihre Vernunft bewahrt und auf das Kriegführen verzichtet hat, dann werden wir das gerne in Kauf nehmen. Wenn wir jedoch Maßnahmen durchführen, die sich im Ernstfall als falsch oder unzulänglich herausstellen, dann werden wir alle hier mit der Verantwortung dafür belastet werden. Sorgen wir also bei der Beratung des Gesetzes dafür, daß, was auf diesem Gebiet geschieht, auch sinnvoll und zweckmäßig geschieht! Vergessen wir aber dabei nicht, daß der allerbeste Luftschutz darin besteht, einen Krieg zu verhüten!