Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn uns heute der Antrag der DP Drucksache 1728 zur ersten Beratung in diesem Hohen Hause vorgelegt wird, dann ist das ein weiterer Versuch, den mittelständischen Kreisen der Landwirtschaft, des Handwerks, des Handels und Gewerbes, den kleinen und mittleren Betrieben der Industrie und den freien Berufen zu helfen. Dieser Antrag läuft darauf hinaus, im Grundgesetz der Bundesrepublik durch einen Zusatzartikel etwas zu verankern, was für viele Kollegen dieses Parlamentes eine Selbstverständlichkeit sein wird. Ich glaube, daß die Kollegen, die diese Ansicht vertreten, sich mehr oder weniger auf alle Fraktionen verteilen.
Es kommt meines Erachtens nicht so sehr darauf an, daß dieser Wille ausdrücklich im Grundgesetz festgelegt wird. Damit ist den Kreisen des Mittelstandes sehr wenig gedient,
weil in diesem Antrag keine präzisen und bestimmten Angaben enthalten sind, welche Verpflichtungen die Bundesregierung oder das Parlament dem Mittelstand gegenüber zu erfüllen hat. Mit anderen Worten, es ist in diesem Antrag nichts davon gesagt, wie und durch welche Maßnahmen die Bundesregierung dieser Verpflichtung gerecht werden soll in bezug auf Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen und vor Überforderungen durch öffentliche Lasten. Es ist auch kein Wort darüber gesagt, wie diese mittelständischen Kreise gefördert werden sollen oder wie z. B. die Altersvorsorge gesetzlich geregelt werden soll.
Etwas Festes und Greifbares, wie man so zu sagen pflegt, ist in diesem Antrag also nicht enthalten, auch nichts, worauf sich der einzelne Mittelständler berufen oder einen Rechtsanspruch geltend machen könnte. Es ist nicht gesagt, welchen Schutz des Staates er in Anspruch nehmen kann.
Das soll zwar kein Vorwurf gegen die Antragsteller sein; aber mir und meinen politischen Freunden wäre es lieber gewesen, wenn man uns nicht dieses gummiartige Gebilde mit allgemeinen, schönen Worten, die im einzelnen wenig oder nichts bedeuten, vorgelegt, sondern wohlfundierte und berechtigte Forderungen zum Ausdruck gebracht hätte, mit denen die einzelnen Kreise des Mittelstandes etwas anfangen könnten. Schöne und gute Worte haben wir lange Jahre gehört, besonders vor den Wahlen. Wir sollten nun endlich einmal Taten zeigen.
Wenn ich anfangs von einem weiteren Versuch gesprochen habe, den dieser Antrag bedeute, den mittelständischen Kreisen zu helfen, so wissen wir alle, daß derartige Versuche in diesem Hause schon sehr oft gemacht worden sind, aber leider nur allzuwenig an Schutz und staatlicher Hilfe für die betroffenen Kreise gebracht haben. Das mag ein ausgesprochenes Pech sein, um nicht gerade zu sagen, daß bei vielen von uns der gute Wille fehlt, die mittelständischen Belange mehr zu beachten.
Es erhebt sich die Frage: hat dieses Haus in seiner Mehrheit überhaupt erkannt, daß es notwendig ist, ja sogar staatspolitisch und wirtschaftspolitisch erforderlich ist, daß dieser seit Jahren zum Teil kranke und notleidende deutsche Mittelstand die besondere Aufmerksamkeit, die besondere Pflege und Hilfe des Staates erfährt? Bei dieser Gelegenheit habe ich von einem „kranken und notleidenden" Teil des Mittelstands gesprochen. Das mögen für manche von Ihnen Worte sein, die sie mir nicht so ohne weiteres abnehmen werden. Ich nehme Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, das durchaus nicht übel, auch dann nicht, wenn Sie mir zunächst antworten, das sei übertrieben oder entspreche nicht den Tatsachen. Darum gestatten Sie mir einige Ausführungen über die Erfahrungen, die ich als Handwerker und Einzelhändler in den letzten Jahren nach der Währungsreform hierbei gemacht habe. Ich habe mich bei einer amtlichen Stelle danach erkundigt, wieviel Betriebe der Landwirtschaft, des Einzelhandels und des Handwerks wir nach der letzten amtlichen Zählung insgesamt in der Bundesrepublik haben. Das ist die Zahl von 3 229 255. Ferner habe ich mich erkundigt, wie viele Betriebe davon in der Größenklasse mit einem bis vier Beschäftigten liegen. Das ist die Zahl von 2 711 503, oder 84 % aller Betriebe, die bis zu vier Mitarbeiter beschäftigen. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß in vielen dieser Betriebe auch die eigene Frau, der Sohn oder die Tochter darunter fällt, hat man erst ein rechtes Bild von der Bedeutung dieser Betriebe.
Wie ist nun die wirtschaftliche Lage in diesen Betrieben des Handwerks, der Landwirtschaft und des Einzelhandels? Sie hatten bisher keine Möglichkeit, die notwendigen Investitionen vorzunehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, da ihnen nicht die steuerlichen Möglichkeiten oder geeignete Kredite, wie sie anderen Teilen der Wirtschaft geboten waren, zur Verfügung standen, ihnen, die von morgens bis abends ihre Pflicht tun und sich bemühen, auch allen Anforderungen der öffentlichen Hand gerecht zu werden, wo der Inhaber sich noch nach Feierabend oder sonntags hinsetzt, um seine Bücher in Ordnung zu bringen, und wo in vielen Fällen noch die alten Eltern mit versorgt werden müssen, die bei der Währungsreform all ihren Lebensverdienst verloren haben. Dazu gehören auch die vielen jungen Anfänger, die sich bemühen, für sich und ihre Familie eine eigene Existenz aufzubauen. Diese alle zähle ich zu denen, die seit Jahren darauf warten, daß wir endlich einmal Maßnahmen treffen, die diese Kreise lebensfähig erhalten.
Wenn wir das erkannt haben, sollte es nicht allzu schwer sein, in derselben Schnelligkeit wie beim Soldatengesetz diesem dringenden Wunsch nachzukommen. Was hilft es, daß von Zeit zu Zeit in diesem Hohen Hause derartige Anträge vorgelegt werden und angesichts der Tatsache, daß es sich dabei um eine bedeutende Stimmenzahl handelt, die sich keine Partei verscherzen möchte, sich bei allen Parteien wohlwollende Redner finden? Man ist sich oft interfraktionell einig, diese Anträge ohne Aussprache möglichst vielen Ausschüssen zu überweisen, manchmal mit dem Ergebnis, daß man entweder gar nichts oder zumindest lange Zeit nichts wieder davon hört und sieht. Diese Feststellung habe ich in der Zeit gemacht, in der ich diesem Hause als Abgeordneter angehöre.
Ich denke dabei — wenn ich die Ausschüsse erwähnt habe — an den Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes, dem ich angehöre. Es ist fast ein Jahr her, daß diesem Ausschuß als allein zuständigem der Antrag betreffend Bildung eines Mittelstandsministeriums überwiesen wurde. Dabei war meiner Ansicht nach daran gedacht, einmal gründlich zu überlegen und zu beraten, ob es zur intensiven Förderung aller mittelständischen Belange zweckmäßig ist, ein eigenes Ministerium zu haben. Der Ausschuß konnte aber bisher diese Angelegenheit nicht behandeln, da der Herr Bundeswirtschaftsminister, der daran teilnehmen möchte, bisher noch keine Zeit dafür gefunden hat. Obwohl der Herr Minister bei anderen Gelegenheiten zum Ausdruck bringt, er sei der wirkliche Mittelstandsminister, hat er — und das kann ich nicht verstehen — für den einzigen Ausschuß, in dem dieser Antrag beraten werden soll, bisher keine Zeit gefunden. Seine Liebe und sein Gefühl der Zugehörigkeit zum Mittelstand scheinen mir auch deshalb nicht besonders groß zu sein, weil man in dem Nachrichtendienst „Mittelschicht" vom 7. September 1955 lesen kann, daß er auf einer Jubiläumsfeier einer größeren Industriefirma sich in geradezu ironischer Weise über die bestehende Handwerksordnung ausgelassen hat.
Lassen Sie mich nun eine kurze Betrachtung zu den sechs Anträgen anstellen, die auf der heutigen Tagesordnung stehen.
Wenn man diese insgesamt ganz objektiv betrachtet, muß man offen zugeben, daß in allen diesen Anträgen keine direkte Hilfe, besonders keine finanzielle Hilfe für den einzelnen erkennbar ist.