Rede:
ID0212100100

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 18
    1. der: 4
    2. Vor: 1
    3. Beantwortung: 1
    4. Großen: 1
    5. Anfrage: 1
    6. durch: 1
    7. den: 1
    8. Herrn: 1
    9. Bundeswirtschaftsminister: 1
    10. hat: 1
    11. nach: 1
    12. §: 1
    13. 47: 1
    14. Geschäftsordnung: 1
    15. Herr: 1
    16. Bundeskanzler: 1
    17. das: 1
    18. Wort.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1955 6449 121. Sitzung Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1955. Nachruf des Präsidenten für den verstorbenen ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten Dr. Otto Braun 6450 A Ergänzung der Tagesordnung . . 6450B, 6482 D, 6484 C Mitteilung über Vorlage der Verordnung M Nr. 3/55 über Preise für Milch 6450 B. Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Gründung eines Mittelstandsinstituts (Drucksache 1871) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfügung eines Art. 12 a in das Grundgesetz (Drucksache 1728), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Titel I, II und III der Gewerbeordnung (Drucksache 1729), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufsausübung im Handel (Drucksache 1872), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel (Drucksache 1873) und mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Förderung der Mittelschichten (Drucksache 1959) 6450 B Schmücker (CDU/CSU), Anfragender 6450 C, 6467 D, 6468 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6452 D D. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 6453 B, 6480 D Dr. Schild (Düsseldorf) (DP), Antragsteller . . . 6453 D, 6456 D, 6480 C Illerhaus (CDU/CSU), Antragsteller . 6458 C Wieninger (CDU/CSU), Antragsteller 6461 B Lange (Essen) (SPD), Antragsteiler 6463 D, 6468 A, 6482 B Stücklen (CDU/CSU) 6468 C, 6469 A, C, 6473 B, C, 6481 C Vizepräsident Dr. Schmid . . 6469 A, C, D Held (FDP) 6471 D, 6473 A, B, C Dr. Dresbach (CDU/CSU) . . 6473 A, 6478 A Dr. Strosche (GB/ BHE) 6474 A Scheel (FDP) 6479 A Regling (SPD) 6479 C, D Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 6479 C Ausschußüberweisungen . . . 6481 A, C, 6482 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Internationalen Übereinkommen vom 25. Oktober 1952 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr (Drucksache 1926) 6482 C Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen 6482 D Beratung des Entwurfs einer Sechsundvierzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Vitamin-A-Acetat und Vitamin-A-Palmitat) (Drucksache 1867) 6482 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 6482 D Beratung des Entwurfs einer Fünfundvierzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Zollkontingent für Schienen) (Drucksache 1857) 6482 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 6482 D (1 Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen — Aluminium-Zollkontingent 1956 — (Drucksache 1792) . . . 6482 D, 6484 C, 6483 A Brand (Remscheid) (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 6484 C Beschlußfassung 6483 A Redaktionelle Berichtigung des Gesetzes zur Aufhebung des Teuerungszulagengesetzes 6483 A Beendigung der Bundestagsarbeit des Jahres 1955, Wünsche für Weihnachten und das neue Jahr: Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 6483 A Nächste Sitzung 6483 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6484 A Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen — Aluminium-Zollkontingent 1956 — (Drucksache 1792) 6484 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlage 2 Drucksache 1972 (Vgl. S. 6482 D) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (23. Ausschuß) über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (AluminiumZollkontingent 1956) (Drucksache 1958) Berichterstatter: Abgeordneter Brand (Remscheid): Der Ausschuß für Außenhandelsfragen hat sich in seiner Sitzung vom 15. Dezember 1955 mit dem Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Aluminium-Zollkontingent 1956) befaßt; er hat sich der Begründung der Bundesregierung angeschlossen und einstimmig dem Verordnungsentwurf der Bundesregierung zugestimmt. Bonn, den 15. Dezember 1955 Brand (Remscheid) Berichterstatter Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Luchtenberg 16. Dezember 1955 Mauk 16. Dezember 1955 Morgenthaler 16. Dezember 1955 Oetzel 16. Dezember 1955 Dr. Orth 16. Dezember 1955 Pelster 16. Dezember 1955 Dr. Pohle (Düsseldorf) 16. Dezember 1955 Dr. Preiss 16. Dezember 1955 Dr. Reichstein 16. Dezember 1955 Reitzner 16. Dezember 1955 Schmitt (Vockenhausen) 16. Dezember 1955 Dr. Schöne 16. Dezember 1955 Srock 16. Dezember 1955 Stauch 16. Dezember 1955 Wagner (Ludwigshafen) 16. Dezember 1955 Walz 16. Dezember 1955 Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 31. März 1956 Mensing 1. März1956 Dr. Starke 28. Februar 1956 Kiesinger 31. Januar 1956 Gemein 15. Januar 1956 Dr. Hammer 15. Januar 1956 Jahn (Frankfurt) 9. Januar 1956 Dr. Bergmeyer 5. Januar 1956 Moll 1. Januar 1956 Peters 1. Januar 1956 Klingelhöfer 31. Dezember 1955 Kriedemann 31. Dezember 1955 Neumann 21. Dezember 1955 Feldmann 17. Dezember 1955 Heiland 17. Dezember 1955 Hörauf 17. Dezember 1955 Dr. Horlacher 17. Dezember 1955 Kutschera 17. Dezember 1955 Dr. Lenz (Godesberg) 17. Dezember 1955 Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 17. Dezember 1955 Dr. Maier (Stuttgart) 17. Dezember 1955 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 17. Dezember 1955 Putzig 17. Dezember 1955 Rademacher 17. Dezember 1955 Frau Vietje 17. Dezember 1955 Welke 17. Dezember 1955 Berendsen 16. Dezember 1955 Dr. Conring 16. Dezember 1955 Jacobi 16. Dezember 1955 Klausner 16. Dezember 1955 Knobloch 16. Dezember 1955 Könen (Düsseldorf) 16. Dezember 1955 Koops 16. Dezember 1955 Dr. Kreyssig 16. Dezember 1955 Lenz (Brühl) 16. Dezember 1955 Lenz (Trossirgen) 16. Dezember 1955
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Die Sitzung ist eröffnet.


    (Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

    Meine Damen und Herren, in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember

    (die Abgeordneten erheben sich)

    starb in Locarno der letzte frei gewählte preußische Ministerpräsident, Dr. Otto Braun, im beinahe vollendeten 84. Lebensjahr.
    Otto Braun wurde am 28. Januar 1872 in Königsberg geboren. Vom Jahre 1913 an gehörte er dem Preußischen, Landtag an. 1919 war er Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, und von 1920 bis 1933 war er Mitglied des Deutschen Reichstages. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches gehörte Otto Braun in Preußen zu den führenden Kräften, die es sich zur Aufgabe gesetzt hatten, Preußen und Deutschland als sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat zu festigen. Im Jahre 1918 wurde Otto Braun als Minister für Landwirtschaft in die preußische Regierung berufen. 1920 bis 1932 war er preußischer Ministerpräsident. Im Juni 1932 wurde die Regierung Braun in Preußen durch das Zusammenspiel der extremen Flügel des Parlaments gestürzt und damit der Weg für die Machtübernahme Hitlers frei gemacht. Seit 1933 lebte Otto Braun im Exil in der Schweiz.
    Mit Otto Braun ging ein Mann von uns, der sich als Abgeordneter des Preußischen Landtages, als Mitglied des Deutschen Reichstages, als Minister und Ministerpräsident von Preußen große Verdienste nicht nur um sein Land, sondern um das ganze deutsche Volk erworben hat. Es wäre Sache des Preußischen Landtages, dieses Mannes heute zu gedenken. Nun, da die Stimme Preußens verstummt ist, gereicht es dem Deutschen Bundestag zur Ehre, Otto Brauns als eines mannhaften Dieners des preußischen Staates dankbar zu gedenken. Sie haben sich zu Ehren des Toten erhoben. Ich danke Ihnen.
    Meine Damen und Herren, ich darf noch darauf aufmerksam machen, daß durch Beschluß des Hauses in der gestrigen Plenarsitzung die heutige Tagesordnung erweitert ist um den Punkt: Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen, Drucksache 1972.
    Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
    Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 15. Dezember 1955 gemäß § 20 Abs. 5 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz) in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 811) die Verordnung M Nr. 3/55 über Preise für Milch zur Bekanntgabe im Bundestag übersandt. Die Verordnung liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
    Damit sind wir bei der Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1:
    a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Gründung eines Mittelstandsinstituts (Drucksache 1871);
    b) Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfügung eines Art. 12 a in das Grundgesetz (Drucksache 1728);
    c) Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Titel I, II und III der Gewerbeordnung (Drucksache 1729);
    d) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufsausübung im Handel (Drucksache 1872);
    e) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel (Drucksache 1873);
    f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Förderung der Mittelschichten (Drucksache 1959).
    Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Gründung eines Mittelstandsinstituts hat das Wort der Abgeordnete Schmücker.
    Schmücker (CDU/CSU), Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich einmal das Vergnügen macht, all die lobenden Prädikate zu sammeln, die in den vielen Versammlungen über den Mittelstand ausgeschüttet werden, der wird neidlos zugeben müssen, daß es geradezu eine Pracht ist, ein Mittelständler zu sein. Und wenn man dann noch anfängt, den Lebensstandard der Handwerker, der Kaufleute nach ihren Autos statistisch zu erfassen, dann muß man wohl zu der Ansicht gelangen, daß für diese Menschen das goldene Zeitalter angebrochen ist. Und wenn man in der gleichen Übertreibung die lange Liste der manchmal zu lauten Beschwerden aufschlägt, dann mag man sich am Ende wundern, daß es überhaupt noch Mittelständler gibt. Sie alle kennen den reichen Schatz der Worte, und ich möchte hoffen, daß den meisten von uns es langsam genug ist mit den vielfältigen Lob- und auch den vielfältigen Klageliedern. Was den Mittelstand selber betrifft, meine ich, hat er es gar nicht nötig, sein Schicksal auf Allgemeinplätzen zerreden zu lassen oder seine berechtigten Forderungen durch übertriebene Darstellungen unglaubwürdig zu machen. Der Mittelstand kann sich mit seinen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Leistungen durchaus sehen lassen. Er ist nicht nur kein Restbestand einer vergangenen Welt, sondern beruht auf einem soziologischen Prinzip, das in die Zukunft weist. Die hohe soziologische Aufgabe des Mittelstandes ist es, in einer gesund gegliederten Wirtschaft das verbindende Element zu sein. Ein Volk, das starke Mittelschichten besitzt, kann nicht in Klassen auseinanderfallen, es ist widerstandsfähiger gegen Erschütterungen als Völker mit einer unausgeglichenen Struktur. Nicht daß unsere Mittelständler sich einbildeten, sie seien besser oder wichtiger als die Menschen anderer Gruppen! Nein, sie sind nur genau so wichtig! Und das mittelständische Prinzip zu wahren bedeutet, die Vielgestaltigkeit unserer Wirtschaft zu garantieren, und das, meine Damen und Herren, dient dem Nutzen aller Staatsbürger.
    Das heißt für dieses Parlament, daß es in seine Arbeit alle die selbständigen Existenzen in landwirtschaftlichen, handwerklichen, kaufmännischen und sonstigen gewerblichen Unternehmen einbeziehen muß und deren Besonderheiten zu berücksichtigen hat. Es muß für den Bundestag und die Bundesregierung ein wichtiges und, ich meine, ein wichtiges soziales Anliegen sein, auch die freiberuflich Tätigen in ihre Arbeit einzubeziehen. Die breite Schicht der Beamten und Angestellten, die sich zum Mittelstand zählen, hat ebenfalls ein Anrecht darauf, bei uns Verständnis und Stütze zu finden, ich wiederhole es noch einmal: nicht weil sie etwas Besonderes oder Besseres wären, sondern weil sie lebenswichtige Teile des Ganzen sind. Ich möchte darum sagen: Unser Mittelstand ist nicht nur soziologisch wichtig, er ist geradezu unentbehrlich.
    Da wir heute vorwiegend über die Probleme des gewerblichen Mittelstandes sprechen, lassen Sie


    (Schmücker)

    mich die beweisenden Beispiele auch aus diesem Bereich nehmen: Wir bilden uns nicht ein, daß man etwa Autos oder Dampfmaschinen in Handwerksstuben fabrizieren könnte. Aber ebensowenig ist es möglich, die mannigfaltigen Dienstleistungen und Spezialherstellungen etwa nur großwirtschaftlich zu betreiben. Die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung des Mittelstandes geht besonders deutlich aus der von ihm geleisteten Ausbildung des Nachwuchses hervor. In mittelständischen Betrieben und Büros werden gegenwärtig über 800 000 Lehrlinge ausgebildet. Schließlich beweist der seit 80 Jahren stabil gebliebene Anteil von über 99 % an den Betriebsstätten die volkswirtschaftliche Unentbehrlichkeit des Mittelstandes.
    Jeder, der diese Zahlen erstmals hört, wird unwillkürlich die Frage stellen: Wenn das so ist, warum seid ihr dann so pessimistisch, und warum seid ihr dann so unzufrieden?
    Nun, meine Damen und Herren, wir sind ja gar nicht pessimistisch. Die selbständige Arbeit in Handel, Handwerk und Gewerbe, in Landwirtschaft und freien Berufen hat gute Aussichten für die Zukunft. Wenn diese Aussichten sich nicht erfüllen sollten, dann nimmt die Geschichte durch unsere Schuld einen Lauf, der den Arbeiter wie den Funktionär wie den Wirtschaftsführer genau so erniedrigt wie den kleinen selbständigen Unternehmer. In unserer Freiheit sind wir alle aufeinander angewiesen.
    Und unzufrieden, meine Damen und Herren? Ich habe neulich einmal gehört, daß der alte Metternich gesagt haben soll, das Höchste, was man in der Politik erreichen könne, sei eine mäßige Unzufriedenheit. Zugegeben, die Unzufriedenheit I wird manchmal überlaut betont. Derjenige tut Unrecht, der dabei jeden wirtschaftlichen Wiederaufstieg der letzten Jahre bestreitet. Aber es ist seit einiger Zeit — und nicht ganz ohne unsere Schuld, meine ich — modern geworden, mit lautstarken Methoden die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Ich halte diese Methoden für schlecht, egal wer sie gerade anwendet. Erfunden haben diese Methoden nicht die Mittelständler, nur haben sie häufig das Empfinden, daß die Offentlichkeit, bevor nicht demonstriert wird, auch gar keine Notiz nimmt. Aber erheben wir keine Vorwürfe, keine gegenseitigen Anklagen, sondern bemühen wir uns, durch gemeinsame Arbeit zum Ausgleich zu kommen! Wir haben niemals ein Hehl daraus gemacht, daß beim Wiederaufbau die Grundindustrie bevorzugt werden mußte. Der Großwirtschaft mußte ermöglicht werden, den internationalen Wettbewerb anzutreten. Aber wir meinen, daß es nun dringend an der Zeit ist, etwas für diejenigen zu tun, die bis jetzt warten mußten.
    Wir sind in der CDU/CSU-Fraktion nicht untätig gewesen, auch wenn der Herr Kollege Dr. Schild in seinem Nachrichtendienst etwas Gegenteiliges andeutet. Wir haben überlegt, wir haben diskutiert mit allen Berufsgruppen, nicht nur mit unseren eigenen, und wir kommen heute mit konkreten Vorschlägen.
    Die wesentlichste Erkenntnis aus unseren Beratungen scheint uns die zu sein, daß die Benachteiligungen der mittelständischen Wirtschaft keineswegs unvermeidbar sind. So wie in der Landwirtschaft die mittelständische Betriebsform ganz klar und für jeden sichtbar ihre Überlegenheit bewiesen hat, so wird nach unserer Überzeugung
    die mittlere und kleinere Wirtschaft im gewerblichen Betrieb ebenfalls weiter vordringen, wenn ihr nur die gleichen Startbedingungen gegeben werden. Ein fairer Wettbewerb sollte das erste und wichtigste und, wenn er vorhanden ist, meinetwegen sogar das einzige Ordnungsprinzip unserer Wirtschaft sein.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Viele unterstellen, daß die Entwicklung, so wie sie gelaufen ist, natürliche Wege gegangen sei. Das ist falsch. Vor allem der Staat selber, und er noch mehr als die großwirtschaftliche Konkurrenz, hat aus seinem Schematismus heraus, ,den er nie wird ablegen können, den kleinen und mittleren Betrieb Jahrzehnt um Jahrzehnt schlechter gestellt. Ich darf an dieser Stelle und gerade unseren Mittelständlern einmal sagen: Was wir heute an Benachteiligungen unseres Mittelstandes aufzählen, ist nicht etwa das Ergebnis der Tätigkeit dieses Parlaments oder dieser Regierung, sondern das ist das Ergebnis vieler Jahrzehnte. Die berüchtigten, hin und wieder auch in den Protesten angezogenen „tausend Jahre" von 1933 bis 1945 haben einen nicht geringen Anteil an diesen Zurücksetzungen. Immerhin, in den meisten Fällen sind die Schlechterstellungen die Summe der sogenannten Nebensächlichkeiten und kleineren Übel, die bei den durchaus notwendigen Kompromissen bekanntlich immer wieder in Kauf genommen werden müssen. Die Summe gerade dieser Kleinigkeiten macht die Not des Mittelstandes aus. Wir müssen also jetzt darangehen, die vielen Fehler einer langen Vergangenheit zu beseitigen. Ich darf einmal ganz kurz einige dieser Fehler nennen.
    Ich bin der Auffassung, daß unsere Verwaltung zwangsläufig, so wie sie aufgebaut ist, den Mittelstand immer wieder überspielen muß, weil sie nach Sach- und Fachtiteln aufgegliedert ist. Der Mittelstand muß überall sein, in jedem Ressort, und weil er überall ist, gerät er überall in die Minderheit. Und dann, meine Damen und Herren, sollten wir uns doch nichts vormachen! Erfahrung und Wissen hängen in der Regel mit dem Beruf zusammen. Beruf und Interesse sind aber nicht voneinander zu trennen. Wir tun immer so, als gebe es eine wirklich restlos objektive Betrachtung. Ich meine, es so etwas gar nicht geben kann. Wenn die Verwaltung gar direkte Förderungsleistungen für die Wirtschaft übernimmt, wird die Benachteiligung meistens noch krasser. Die meisten von Ihnen werden das Beispiel von Professor Röpke kennen, der einmal gesagt hat, die soziale Tarifgestaltung der Bundesbahn habe sehr viel dazu beigetragen, die Zusammenballungen der Großwirtschaft zu fördern, Zusammenballungen, deren Kosten praktisch die Allgemeinheit tragen muß.
    Bei der Sozialgesetzgebung ist es leider nicht viel anders. Das Beispiel der 30er Jahre beweist es: die Arbeitslosigkeit erstreckte sich damals zum überwiegenden Teil auf die Großbetriebe. Das bedeutet, daß die kleinen Betriebe ihre Beschäftigten durchgehalten und damit praktisch die durch die Arbeitslosigkeit in den Großbetrieben entstandenen Kosten mitfinanziert haben. Ich betone ausdrücklich, daß das, was ich sage, natürlich nicht in vollem Umfange zutrifft. Aber das ist es ja gerade, daß bei den einzelnen Problemen immer wieder, ich möchte sagen, die Randerscheinungen, die Nebensächlichkeiten oder wie man es sonst im einzelnen nennen mag, übersehen werden und daß aus ihrer Summe sich die Benachteiligung für den Mittelstand ergibt.


    (Schmücker)

    Am deutlichsten zeigt sich die Benachteiligung des Mittelstandes in der Steuergesetzgebung. Wir haben es uns schon lange abgewöhnt, von direkten und indirekten Steuern zu sprechen, da alle Steuern irgendwie in die Preise einkalkuliert werden. Am deutlichsten zeigt sich die Benachteiligung bei der Umsatzsteuer. Ich meine hier nicht den Prozentsatz, der eine wichtige, aber nicht die allein entscheidende Rolle spielt. Ich meine vielmehr die kumulative Wirkung der Umsatzsteuer, durch die seit Jahrzehnten die Zusammenballungen und Konzentrierungen gefördert worden sind. Diese Wirkung kann, je nach der Wirtschaftsgruppe, zu einem Kalkulationsnachteil bis zu 15 '°/o führen. Dadurch ist eine Abwälzbarkeit gar nicht mehr gegeben. Die Entwicklung führt zu betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Konzentrationen, die jeder Vernunft widersprechen. Benachteiligt werden die Kleineren; sie haben praktisch die finanziellen Lasten zu tragen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung. Wir haben einer Statistik, die in der letzten Woche veröffentlicht wurde, entnehmen können, daß der Kaffeeimporthandel den größeren Teil des Innenmarktes an sich gerissen hat. Das liegt daran, daß seine Kalkulation im Schnitt durch die Gestaltung der Umsatzsteuer um 4 bis 5 °/o günstiger ist. Das bedeutet auf das Kilo Kaffee immerhin 1 bis 1,20 DM, und was das heute ausmacht, wissen Sie genausogut wie ich. Sie kennen den Wechsel von selbständigen Kaufleuten zu Handelsvertretern. Auch das ist eine Folge unserer Umsatzsteuer. Ich könnte die Reihe der Beispiele erweitern; aber ich glaube, es genügt zur Begründung der Anfrage, wenn ich nur einmal die Stichpunkte anspreche. Man könnte auch auf die durch die Art der Vergabe der öffentlichen Aufträge bewirkte Zusammenballung und auf die, ich möchte sagen, etwas sture getrennte Behandlung des Gesellschaftsrechtes nach gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Gesichtspunkten hinweisen; man kann beides nur zusammen betrachten, wenn man der Wirklichkeit gerecht werden will.
    Was ist nun gegen diese Dinge zu tun? Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung und vielleicht auch die Landesregierungen die institutionelle Verankerung des Mittelstandes erwägen sollten und daß eine Reihe wichtiger gesetzgeberischer Maßnahmen erfolgen müssen. Aber das Wesentlichste wird sein, daß man zunächst einmal an die Lösung der Grundsatzfragen herangeht. Darum haben wir uns darum bemüht, daß der Mittelstand in die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschung einbezogen wird. Die Wissenschaft ist heute unbestritten die Grundlage der Wirtschaft und auch der Wirtschaftspolitik. Wir müssen diese Wissenschaft finanziell und materiell in die Lage versetzen, den Mittelstand verstärkt in ihre Arbeit einzubeziehen. Dazu haben wir uns drei Möglichkeiten überlegt.
    Da ist zunächst die sich anpreisende Möglichkeit eines Interesseninstituts, meinetwegen ein Institut wie das Gewerkschaftsinstitut oder das Industrieinstitut. Ich sage nichts gegen die Objektivität und den Wert dieser Institute, die auch von uns anerkannt werden. Aber ich glaube, daß man nicht so beginnen kann, sondern man muß vorher einmal ein von allen Seiten als wirklich objektiv anerkanntes Institut begründen.
    Die zweite Möglichkeit wäre, eine Bundesanstalt einzurichten. Aber auch das scheint uns nicht der richtige Anfang zu sein.
    Wir ziehen ein unabhängiges Universitätsinstitut vor. Wir erklären ausdrücklich, daß uns an der Freiheit der Forschung und Lehre gelegen ist. Der Resultate wegen, aber auch des Respektes wegen, den diese Resultate in der Öffentlichkeit haben müssen! Aber auch des Respektes wegen, dem diese Resultate im Mittelstand selbst begegnen müssen! Denn auch dem Mittelstand — das bekenne ich ganz offen — werden einige unangenehme Dinge gesagt werden müssen. Er ist keineswegs so homogen, wie der eine oder andere annehmen mag. Häufig ist es so, daß sich in ihm die Interessen gegenseitig sperren. Das möchten wir durch die Autorität eines unabhängigen Universitätsinstituts überwinden.
    Wir haben vor etwa einem Jahr den Herrn Bundeswirtschaftsminister gebeten, sich dieser Pläne anzunehmen, und er hat das mit Begeisterung und viel Liebe — das darf ich hier ausdrücklich anerkennen und betonen — getan.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir wissen, seine Verhandlungen mit dem Lande Nordrhein-Westfalen sind so weit gediehen, daß es heute möglich sein sollte, der deutschen Offentlichkeit einen Bericht zu geben. Diesen Bericht zu erbitten, ist der Sinn unserer Großen Anfrage, wie sie Ihnen auf Drucksache 1871 vorliegt.
    Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn gesagt, daß mit allgemeinen Reden dem Mittelstand nicht geholfen werden kann. Nach der Aufzählung konkreter Beispiele und realer Vorschläge glaube ich aber nicht in Gegensatz zu dem Beginn meiner Ausführungen zu kommen, wenn ich zum Schluß noch einmal darauf hinweise, daß Mittelstandspolitik, so wie wir sie auffassen, keine Interessenvertretung ist, sondern dem Vorteil des gan- f zen Volkes dient.
    Wir sind fest davon überzeugt, daß die Möglichkeit der freien unternehmerischen Betätigung ein unverzichtbares Stück einer unteilbaren Freiheit ist. Freiheit existiert nur, wenn jeder tüchtige Mensch die Chance behält, sich wirtschaftlich selbständig zu machen. Nicht daß er persönlich diese Chance ergreift, sondern daß er sie ergreifen kann, macht jeden von uns, auch den in abhängiger Stellung tätigen Menschen, frei. Gibt es keinen wirtschaftlichen Aufstieg mehr von kleineren zu großen Aufgaben, dann verschwindet auch in unserer Gesellschaft der fließende Übergang, dann wird die gegen alle Spaltungen sichernde Klammer geschwächt. Im wohlverstandenen Interesse der eigenen Freiheit sollten daher alle Menschen, gleichgültig ob sie arm oder reich sind, einen Mittelstand wollen. Unsere Vorschläge, die wir Ihnen heute vorlegen, sind aus dieser Erkenntnis geformt. Wir bitten alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hohen Hause um ihre Unterstützung.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Vor der Beantwortung der Großen Anfrage durch den Herrn Bundeswirtschaftsminister hat nach § 47 der Geschäftsordnung der Herr Bundeskanzler das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Den sehr klugen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schmücker , die ich namentlich deswegen als klug bezeichnen möchte, weil er die Zusammenhänge der Wünsche und der Nöte des Mittelstandes mit der gesamten Wirtschaft nicht außer acht läßt, sowie den Ausführungen in der Denkschrift,


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    die wahrscheinlich den meisten von Ihnen bekannt ist, kann man, glaube ich, in vielen Punkten durchaus beipflichten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird Ihnen im einzelnen antworten und wird auch darlegen, was im Bundeswirtschaftsministerium auf diesem Gebiete bis jetzt geschehen ist.
    Ich möchte, meine verehrten Damen und Herren, einige Worte zu den einleitenden Ausführungen des Herrn Schmücker sagen, in denen er auf die sozialpolitische und die staatspolitische Notwendigkeit, den Mittelstand gesund zu erhalten, hinwies.
    Den Begriff des gewerblichen Mittelstandes genau zu umreißen ist an sich schon schwer. Man wird da versuchen müssen, so gut es eben möglich ist, eine Abgrenzung zu finden. Zum Mittelstand
    — ich glaube, da befinde ich mich in voller Obereinstimmung mit dem Herrn Kollegen Schmücker
    — gehört nicht nur der gewerbliche Mittelstand, sondern gehört auch der bäuerliche Mittelstand und gehören die freien Berufe.
    Ich möchte sehr nachdrücklich sagen, daß es auch mir als eine absolute Notwendigkeit erscheint, für eine gesunde Weiterentwicklung unseres Staates in dieser besonders kritischen Zeit — ich meine jetzt nicht außenpolitisch kritisch, sondern wirtschaftlich kritisch und kritisch auf dem Wege der technischen Entwicklung —, dafür zu sorgen, daß der Mittelstand, d. h. die Schicht unseres Volkes, die sich unter eigener Verantwortung selbständig das Leben aufbaut, erhalten und ihr die Möglichkeit gegeben wird, auch wirklich mitzuarbeiten.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)