Nun, ich befinde mich ja in voller Übereinstimmung mit dem Herrn Präsidenten; ich habe Herrn Ehren gebeten, still zu sein.
Meine Damen und Herren, was soll man aber sagen, wenn es sich um ein Ministerium handelt, dem die Beseitigung oder Linderung der Not von 20 Millionen Menschen anvertraut ist, denen durch den Krieg und seine Folgen ein besonders schweres Los zugefallen ist! Wie ist es möglich, daß der Herr Bundeskanzler bei diesem Ministerium für diese Zeitdauer einen solchen Zustand für vereinbar mit der ordnungsmäßigen Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte hält? Wäre so etwas auch beim Bundesfinanzministerium oder beim Bundeswirtschaftsministerium nur denkbar? Die Frage stellen heißt sie verneinen, und deshalb muß ich namens meiner Fraktion schärfsten Protest gegen die Aufrechterhaltung dieses Zustandes anbringen.
Ich kann darauf hinweisen, daß die größte Oppositionspartei offenbar derselben Auffassung ist; denn sonst hätte sie nicht einen Antrag eingebracht, der den Herrn Bundeskanzler ersucht, nun endlich eine funktionsfähige Besetzung des Bundesvertriebenenministeriums herbeizuführen.
Die Sache hat aber noch eine andere, eine sehr ernste Seite. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß sich Bundesminister nebenher auch für eine Partei — für ihre Partei — einsetzen, die sie ja im Regelfall ins Kabinett geschickt hat. Aber hier liegt noch ein ganz anderer Tatbestand vor. Wir haben doch z. B. alle gelesen, was in den letzten Tagen in Ratzeburg vor sich gegangen ist. Dort werden Keimzellen der Gruppe Kraft-Oberländer gebildet, die nach eigenen Erklärungen von Herrn Kraft
nur den einen Zweck haben, nicht eine neue Partei aufzubauen, sondern eine bestehende Partei zu zerschlagen.
Ich frage das Parlament, ob es geduldet werden kann, daß Bundesminister die Möglichkeiten, die ihnen ihr Amt gibt, dazu ausnützen, nur gegen eine andere Partei zu arbeiten und sie zu unterminieren.
Der Herr Bundeskanzler hat sehr hohe Anforderungen an die Haltung seiner Koalitionspartner von der FDP gestellt. Aber uns gegenüber als Koalitionspartner hat er es mit seinen Pflichten für vereinbar gehalten, bei bestehender Koalition mit unseren Ministern wegen Austritts und Übertritts zu verhandeln oder verhandeln zu lassen.
Das möchte ich einmal mit aller Deutlichkeit klargestellt haben.
Meine Damen und Herren, das Schlimmste von allem ist die Haltung, die Sie, die Mehrheit des Hauses, in der vergangenen Woche eingenommen haben. Sie haben es abgelehnt, mit uns über diesen Sachverhalt, den man doch wohl nicht gerade als normal oder selbstverständlich bezeichnen kann, auch nur zu diskutieren. Herr Dehler hat neulich irgendwo geschrieben — er hatte auch guten Anlaß dazu —: Wenn man die parlamentarischen Spielregeln verletzt, dann ist der Rubikon überschritten. Meine Damen und Herren, hier wurde der Rubikon überschritten; daran kann es gar keinen Zweifel geben.
Was ich Ihnen hier vorgetragen habe, ist alles in allem ein Sachverhalt, der an die Grundfesten unseres demokratischen Lebens rührt.
Ich muß es beklagen, daß die deutsche Öffentlichkeit darauf so wenig reagiert hat, und ich möchte der Überzeugung Ausdruck geben, daß solche Dinge gar nicht passieren könnten, wenn die Öffentlichkeit schneller und energischer reagierte.
Meine Damen und Herren, Sie haben uns in der vergangenen Woche behandelt wie im 1. Deutschen Bundestag die Kommunisten bei Stellung von propagandistischen Anträgen.
Es kann gar keine Rede sein, daß es hier um verfassungsrechtliche Dinge ging.
— Herr Kollege, Sie waren nicht im 1. Deutschen Bundestag. Sonst wüßten Sie, daß über genau denselben Antrag gegen Herrn Professor Erhard verhandelt, diskutiert und sachlich abgestimmt worden ist.
Es bestand bei uns gar kein Zweifel, daß der Bundeskanzler, auch wenn der Bundestag zugestimmt
hätte, in seiner Entscheidung immer noch frei gewesen wäre. Aber wir wollten ihm doch wenigstens sagen und hatten den Wunsch, daß die Mehrheit des Hauses ihm sagte, was unser Wunsch war und wie wir diese Dinge beurteilen.
Sie haben uns wie Kommunisten behandelt.
Wir werden darauf nicht unsachlich reagieren. Wir wissen nun aber, wie sich der Herr Bundeskanzler und seine Partei das Verhältnins zum Gesamtdeutschen Block vorstellen. Wir nehmen das zur Kenntnis, und wir werden uns danach zu richten wissen. Wir werden eine klare, entschiedene und sachliche Opposition treiben. Wir sind allerdings der Auffassung — ich spreche damit die Meinung der Fraktion aus —, daß unsere Freunde draußen im Lande sich darüber klarwerden müssen, ob sie noch eine Regierungsgemeinschaft mit einer Partei aufrechterhalten können, die uns im Bundestag so behandelt, wie wir in der vergangenen Woche behandelt wurden.
— Herr von Kessel sitzt außerhalb des Treibens.
Wir werden uns an der weiteren Beratung dieses Haushalts in dieser Haltung einer sachlichen und entschiedenen Opposition beteiligen.