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ID0211800200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 118. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1955 6277 118. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1955. Geschäftliche Mitteilungen 6277 C g Glückwünsche zum Geburtstag des Abg: Bauereisen 6277 B Mitteilungen über Beantwortung der Kleinen Anfrage 207 (Drucksachen 1865, 1925) 6277 C Mitteilung über Vorlage der Denkschrift fiber eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache 1924) 6277 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1956 (Haushaltsgesetz 1956) (Drucksache 1900) 6277 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 6277 C, 6291 D, 6292 A Schoettle (SPD) . . 6286 A, 6291 D, 6292 A Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 6297 A Niederalt (CDU/CSU) 6301 D Dr. Kather (GB/BHE) . . . 6305 C, 6310 A Dr. Schild (Düsseldorf) (DP) . . . . 6312 B Überweisung an den Haushaltsausschuß 6317 C Nächste Sitzung 6317 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6317 A Die Sitzung wird um 9 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 31. März 1956 Mensing 1. März 1956 Dr. Starke 28. Februar 1956 Jahn (Frankfurt) 9. Januar 1956 Moll 1. Januar 1956 Peters 1. Januar 1956 Klingelhöfer 31. Dezember 1955 Neumann 21. Dezember 1955 Feldmann 17. Dezember 1955 Heiland 17. Dezember 1955 Hörauf 17. Dezember 1955 Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 17. Dezember 1955 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 17. Dezember 1955 Welke 17. Dezember 1955 Dr. Luchtenberg 16. Dezember 1955 Dr. Reichstein 16. Dezember 1955 Dr. Graf (München) 15. Dezember 1955 Frau Rudoll 15. Dezember 1955 Schröter (Wilmersdorf) 15. Dezember 1955 Josten 12. Dezember 1955 Dr. Graf Henckel 11. Dezember 1955 Frau Albertz 10. Dezember 1955 Dr. Baade 10. Dezember 1955 Gedat 10. Dezember 1955 Eberhard 10. Dezember 1955 Kiesinger 10. Dezember 1955 Kriedemann 10. Dezember 1955 Kutschera 10. Dezember 1955 Onnen 10. Dezember 1955 Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Op den Orth 10. Dezember 1955 Frau Renger 10. Dezember 1955 Dr. Atzenroth 9. Dezember 1955 Brandt (Berlin) 9. Dezember 1955 Brese 9. Dezember 1955 Frau Dietz 9. Dezember 1955 Dopatka 9. Dezember 1955 Euler 9. Dezember 1955 Dr. Gleissner (München) 9. Dezember 1955 Gockeln 9. Dezember 1955 Glüsing 9. Dezember 1955 Haasler 9. Dezember 1955 Dr. Horlacher 9. Dezember 1955 Huth 9. Dezember 1955 Jacobi 9. Dezember 1955 Keuning 9. Dezember 1955 Kurlbaum 9. Dezember 1955 Kühlthau 9. Dezember 1955 Leibfried 9. Dezember 1955 Lermer 9. Dezember 1955 Dr. Leverkuehn 9. Dezember 1955 Lücker (München) 9. Dezember 1955 Frau Dr. Maxsein 9. Dezember 1955 Dr. Menzel 9. Dezember 1955 Morgenthaler 9. Dezember 1955 Dr. Reif 9. Dezember 1955 Scharnberg 9. Dezember 1955 Dr.-Ing. E. h. Schuberth 9. Dezember 1955 Schulze-Pellengahr 9. Dezember 1955 Frau Dr. Schwarzhaupt 9. Dezember 1955 Stahl 9. Dezember 1955 Unertl 9. Dezember 1955 Frau Vietje 9. Dezember 1955 Wagner (Ludwigshafen) 9. Dezember 1955 Wehking 9. Dezember 1955
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß wenigstens, glaube ich, ein Viertel dieses Hohen Hauses an einem solchen Ehrentag des Parlaments

    (Abg. Dr. Gülich: Übertreiben Sie doch nicht so! — Zuruf rechts: Sind Sie ein Optimist!)

    — sagen wir: 10 °/o des Hohen Hauses —, an einem so wichtigen Tag des Parlaments, geneigt ist, über den Bundeshaushalt, das Kernstück der parlamentarischen Arbeit, zu debattieren. Hat es deswegen eigentlich einen Sinn, an einem solchen Tag all die Klagen zu wiederholen, die alljährlich an dieser Stelle bei der ersten Lesung des Haushalts von fast allen Parteien vorgetragen wurden: Klagen über die physische Unmöglichkeit, sich binnen 24 Stunden mit einer 54 Schreibmaschinenseiten langen Rede des Herrn Bundesfinanzministers geistig auseinanderzusetzen, Klagen aber auch über die noch größere Überforderung, die Allgemeinen Vorbemerkungen zum Entwurf des Haushalts 1956, ein Kompendium von 621 Seiten im DIN-A-4-Format, binnen drei Tagen durchzuarbeiten?
    Lassen Sie mich rasch noch ein Wort zu diesen Vorbemerkungen sagen. Sie sind dieses Jahr noch umfassender als im vergangenen Jahr ausgefallen und liegen ja inzwischen den Mitgliedern dieses Hohen Hauses vor. Welch ein prachtvolles Material zur Abfassung von vielen guten Dissertationen! Eine Unsumme von Arbeit ist da geleistet worden. Den Verfassern gebührt unbestreitbar der ganz besondere Dank dieses Hohen Hauses. Sie haben zum erstenmal eine Reihe von Wünschen dieses Hauses darin erfüllt. Damit meine ich nicht nur den auf Seite 439 in der dritten und vierten Anlage der Drucksache 1900 vorgelegten Funktionsplan, d. h. die Zergliederung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes nach Sachgebieten, sondern auch die in schöner Breite im siebten Teil dargelegte Vermögensaufgliederung des Bundes und die Aufgliederung seiner Schulden. Wie wünschens-


    (Dr. Vogel)

    wert wäre es für uns, eine ähnliche Offenlegung auch von seiten der Länder und Gemeinden zu erhalten! Dann erst wäre der allgemeinen Forderung Genüge getan, einen Gesamtüberblick über das zu erhalten, was sich heute hinter dem Schlagwort „Öffentliche Hand" verbirgt.
    Ein besonderes Kapitel innerhalb der Vorbemerkungen befaßt sich mit einer weiteren Forderung, die, soviel ich mich erinnere, im vergangenen Jahr Herr Kollege Schoettle diesem Hause nachdrücklich ans Herz legte, der Forderung nämlich, eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für die vertiefte Erkenntnis der finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge zu schaffen. Eine solche Gesamtrechnung ist uns in naher Zukunft dank der entschieden in Angriff genommenen Vorarbeiten in Aussicht gestellt worden. Sicherlich wird sie die Berechenbarkeit des Konjunkturablaufs auf Jahre hinaus erleichtern. Ob sie aber die Hoffnungen erfüllen wird, die viele in sie setzen, wage ich ein wenig zu bezweifeln. Schaden kann es jedenfalls in keinem Fall, eine solche Gesamtrechnung einmal aufzustellen.
    Wenn häufig genug in der Presse das geringe Interesse des Hohen Hauses für Haushaltsdinge beklagt wird, kann ich doch nicht umhin, festzustellen, daß auch in der Presse selbst für die immense Bedeutung des Zahlenwerks dieses 32-Milliarden-Haushalts 1956 bislang nur ein mehr als bescheidener Spaltenaufwand zu verzeichnen war. Noch schlechter sieht es beinahe mit der Behandlung dieses gewichtigen Abschnitts des Parlamentarismus in den Zeitschriften und Wochenzeitungen aus. Die wenigen Veröffentlichungen, an die sich Parlamentarier oder insbesondere die Mitglieder des Haushaltsausschusses oder des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen heute halten können, sind an den Fingern beider Hände abzuzählen. Auch hier stellen wir in der deutschen Öffentlichkeit, selbst in der Fachpresse, ein allzu geringes Interesse an dieser Kernfrage unseres staatlichen Lebens fest, sehr im Gegensatz z. B. zur angelsächsischen Welt, wo diese Dinge einen ganz anderen Raum einnehmen und wo sich auch viel mehr Publizisten von Rang und Professoren der undankbaren und zeitraubenden Arbeit unterziehen, sich in diese spröde Materie einzuarbeiten.
    Gestatten Sie mir, in diesem Zusammenhang generell auf eine Frage einzugehen, die nur zu häufig sofort in Verbindung mit dem Haushalt draußen im Volk besprochen wird: das Problem der Verwaltungsaufblähung und der ständigen Kostensteigerung der Verwaltung. Bevor ich mich damit in einigen Sätzen befasse — mein Freund Kollege Niederalt wird später gründlicher darauf eingehen —, möchte ich aus meiner innersten Überzeugung heraus ein Wort herzlichen Dankes an alle diejenigen Beamten, Angestellten und Arbeiter im Bundesdienst sagen, die nur zu oft über die Grenze ihrer physischen Leistungsfähigkeit hinaus in den Aufbaujahren für Volk und Staat hervorragende Dienste geleistet haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der SPD.)

    Ich kenne die, wie ich sie einmal nennen möchte, ehrenvolle Verlustliste mancher Ministerien. Ich kenne aber auch den meiner Überzeugung nach übersteigerten Personenbedarf anderer Ministerien und Bundesbehörden. Alle in einen Topf zu werfen, wäre wohl das Ungerechteste, was wir uns an
    Kritik leisten könnten. Ich habe vor einiger Zeit bereits dem Hohen Hause erklärt, daß der Hauptgrund für das Anwachsen der Verwaltung einmal in der Notwendigkeit, die Not und das Elend nach dem Zusammenbruch von 1945 zu meistern, und in zweiter Linie nicht zuletzt in dem Übermaß an Gesetzgebungswerken von Bund und Ländern liegt.
    Nehmen wir einige Beispiele heraus. Wenn wir — unserer Überzeugung nach zu Recht und aus zwingenden Gründen — allein die Mittel für die Flurbereinigung in der Landwirtschaft innerhalb der letzten zwei Jahre um rund 60 Millionen DM erhöht haben und von den Ländern ein Gleichziehen mit ihren Mitteln verlangen, bedeutet das eine Verdoppelung, ja vielleicht sogar eine Verdreifachung oder eine Vervierfachung der Vermessungsämter und der Flurbereinigungsämter. — Die 18 000 Bediensteten der Kriegsopferversorgung sind eine unvermeidliche und notwendige Folge der Betreuung von über 3 Millionen Kriegsopfern. — Wenn wir von diesem Jahr ab Hunderte von Millionen neu in den Straßenbau investieren — aus einer gleichfalls von diesem Hohen Hause wohl einmütig bejahten Notwendigkeit —, dann muß das zu einer Vermehrung des Personals führen, das diese Summen verplanen, ausgeben und die Ausgaben kontrollieren und überwachen muß.
    Ich will nur am Rande erwähnen, wie sehr alle von mir leidenschaftlich bejahten und geforderten Sparsamkeitsmaßnahmen überschattet werden von dem Aufbau der Bundeswehr, nicht nur den 12 Divisionen, die wir auf die Beine stellen sollen, sondern den vielleicht 200 000 Zivilisten, die zur Verwaltung, Betreuung und für die Bauten dieser Bundeswehr notwendig sein werden. Das alles zu übersehen, wäre grob fahrlässig und leichtfertig. Trotzdem glaube ich an die Möglichkeit sehr erheblicher Einsparungen und an die Möglichkeit der Begrenzung des Verwaltungsapparats.
    Nehmen Sie nur ein Beispiel aus der Fülle dessen heraus, was in den Vorbemerkungen darüber enthalten ist. Dort wird mit Recht z. B. auf die erhebliche Kostenersparnis hingewiesen, die allein durch die rechtzeitige Zurverfügungstellung der Mittel für Straßen- und Hochbauten erzielt werden könnte. Wenn die Straßenbauten, statt wie bisher in Hunderte von kleinen Objekten zersplittert zu werden, nunmehr in größere Baulose aufgeteilt werden — so lesen wir es in den Vorbemerkungen —, lassen sich Großbaumaschinen einsetzen, und damit werden Menschen und Kasten gespart. Ich wünschte nur, es wäre auch so. Wer aber den Einzelplan des Bundesverkehrsministeriums durchsieht, wird merken, daß sich an der Zersplitterung der Bauvorhaben zur Zeit jedenfalls noch nicht Wesentliches geändert hat. Die goldenen Worte der Vorbemerkungen, auf die ich noch später zurückkommen werde, sollten sich auch entsprechend praktisch auswirken.
    Lassen Sie mich jetzt zu dem Problem der Einsparungen abschließend noch etwas vortragen. Ich bedaure, daß die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesfinanzministers nicht gefolgt ist, den § 5 des Haushaltsgesetzes, den mein Freund Brese bei der zweiten Lesung des Haushalts 1955 beantragt hat, wieder hineinzusetzen. Ich kann für meinen Kollegen Brese, der heute leider sein Anliegen nicht selbst hier vortragen kann, bereits ankündigen, daß er seinen Antrag von 1955 auch für den Haushalt 1956 wieder einbringen wird.

    (Beifall in der Mitte.)



    (Dr. Vogel)

    Ich bin überzeugt, er wird erneut eine Mehrheit in diesem Hohen Hause finden.

    (Abg. Dr. Gülich: Aber es wird erneut keinen Erfolg haben!)

    — Augenblick einmal! Ich werde gleich auch darauf noch eingehen, Herr Gülich. — Es gibt nämlich nicht nur Behörden mit wachsenden Aufgaben, sondern eine ganze Reihe anderer, deren Aufbau beendet ist und deren Aufgabenstellung sich sogar nicht unerheblich gemindert hat. Bei einer vernünftigen Handhabung durch den Haushaltsausschuß stellt die sogenannte Lex Brese eine keinesfalls von der Hand zu weisende Abbaumaßnahme und Bremse dar. Ich habe vom Herrn Bundesfinanzminister eine Erfolgsmeldung über die Durchführung der Lex Brese erbeten, Herr Kollege Gülich.

    (Abg. Dr. Gülich: Aber noch nicht bekommen!)

    — Das stimmt allerdings. — Doch kann ich mir denken, daß so kurze Zeit nach der Inkraftsetzung des Haushaltsgesetzes 1955, das erst im Juli in Kraft gesetzt worden ist — und so viele Beamte sterben Gott sei Dank nicht oder werden in den Ruhestand versetzt —, zwischen Juli und Oktober 1955 noch keine nennenswerten Auswirkungen vorliegen können. Ich erwarte aber in einem späteren Zeitpunkt einen Bericht über die Durchführung dieser Maßnahme, die ich für meine Person keineswegs für undurchführbar halte.
    Wenn ich mich jetzt dem Haushalt 1956 selbst zuwende, bitte ich die Öffentlichkeit, vor allem den durchlaufenden Posten in Höhe von 2,4 Milliarden DM zu beachten, der als Nachwirkung der Pariser Verträge den Haushalt nur äußerlich belastet. Das war ähnlich schon so im Haushalt 1955 der Fall. Der eigentliche Haushalt 1956 umfaßt also nur ein Volumen von rund 30 Milliarden DM. Er beinhaltet allerdings 2,5 Milliarden echter Einnahmen und Ausgaben mehr als der des vergangenen Jahres. Der Bundesfinanzminister nahm die Anregung in dem Amerika-Bericht der Haushaltsexperten, den außerordentlichen Haushalt nach Möglichkeit abzuschaffen und einen Kapital- und Investitionshaushalt zu schaffen, positiv auf. Ich hätte sehr gewünscht, diese Anregung schon im Haushalt 1956 verwirklicht zu sehen. Im letzten Jahr deckte der Bundesfinanzminister den außerordentlichen Haushalt aus Mitteln des ordentlichen Haushalts, d. h. aus Steuermitteln. Er hatte sie infolge des Nichtinkraftsetzens des EVG-Vertrages eingespart. Mein Freund Dr. Dresbach hatte sicher recht, wenn er einmal ironisch meinte: Das Nichtschuldenmachen stellt nicht unbedingt eine Sünde des Bundesfinanzministers dar. Meiner Überzeugung nach war seine Handlungsweise — auch wenn sich hier unsere Ansichten nicht ganz decken, Herr Kollege Schoettle — im vergangenen Jahr durch das geltende Haushaltsrecht gedeckt. Ich hätte an seiner Stelle vielleicht eher an die Abzahlung der seit 1951 mitgeschleppten Defizitreste gedacht;

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!) aber darüber kann man streiten.

    Wer von uns allerdings wollte daran zweifeln, daß der Bundesfinanzminister auch für das laufende Haushaltsjahr 1955 keine Anleihe aufnehmen wird, sondern den gleichen Weg wie 1954 gehen wird? Das ist in einem kleinen Absatz der Vorbemerkungen bereits so gut wie angekündigt worden. Ich wüßte auch nicht, mit welchen Argumenten ihm die Bank deutscher Länder angesichts seiner Kassenfülle noch eine erneute Riesenanleihe freigeben sollte. Vor allem aber wüßte ich nicht, wer angesichts der gegenwärtigen Stagnation auf dem deutschen Kapitalmarkt eine Bundesanleihe in Höhe von über einer Milliarde zeichnen sollte, während selbst die angesehensten Großunternehmungen im Augenblick nicht wagen, neue Aktien zu emittieren

    (Abg. Dr. Gülich: Warum aber? Warum?)

    — das sind die Maßnahmen des Herrn Vocke —, und noch nicht einmal Pfandbriefe unterzubringen sind. Aber darauf komme ich vielleicht noch ein wenig später zurück.
    Wenn also der außerordentliche Haushalt ohnedies nicht im Haushaltsjahr 1956 zu vollziehen ist, hätte man besser daran getan, ihn in den ordentlichen Haushalt einzubauen. Das gesamte Haushaltsbild wäre wahrheitsgetreuer geworden, als es gegenwärtig ist. Trotzdem hat der Herr Bundesfinanzminister unbestreitbar recht — das wird ihm auch von sehr scharfen Kritikern bescheinigt—, daß dieser Haushalt 1956 erheblich konsolidierter und in sich gefestigter ist als seine Vorgänger. Die Steuer-Vorausschätzungen gehen bei der Annahme eines Nettozuwachses des Bruttosozialprodukts um 7 bis 8 % hart an das heran, was auch bekannte Institute geschätzt haben.
    Es bleiben bei den Einnahmen noch einige zweifelhafte Posten. Hoffentlich verschafft u. a. dem Bundesfinanzminister die Annahme des Beschlusses des Vermittlungsausschusses über den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer den von ihm in den Haushalt bereits eingesetzten Betrag. Er wird wohl sicher auch auf die Wirksamkeit des § 96 der Geschäftsordnung vertrauen und hoffen, es mögen ihm bis zum Inkrafttreten des Haushalts 1956 weitere neue Ausgaben bewirkende Beschlüsse des Hohen Hauses erspart bleiben außer denen, die er bereits vorsorglich in sein Kalkül für 1956 aufgenommen hat.
    Zur Zeit befaßt sich aber die deutsche Öffentlichkeit eigentlich weniger mit dem Haushalt 1956 als mit dem laufenden Haushalt 1955 und dessen Ablauf. Der Bundesfinanzminister hat gestern äußerst scharf seinen Standpunkt zu den Vorwürfen präzisiert, er erziele im laufenden Haushaltsjahr Riesenüberschüsse und verweigere trotzdem, die Konsequenzen daraus in Gestalt von Steuersenkungen zu ziehen. Damit ist auf das Problem des — wie es so nett in den grünumrandeten Heften des Instituts „Finanzen und Steuern" gesagt worden ist — „Julius-Turms von Spandau" eingegangen worden. Das Problem der Finanzierung der deutschen Wiederbewaffnung wird von ihm als ein Gesamtproblem gesehen, für das die Gesamtmittel innerhalb von vier oder vielleicht besser fünf Bundeshaushaltsjahren aufgebracht werden müssen. Er fühlt sich durch den Pariser Vertrag verpflichtet, Summen, die in diesem oder auch im nächsten Haushaltsjahr für den Gesamtkomplex der Wiederbewaffnung nicht ausgegeben werden, als Ausgabereste zurückzubehalten, um sie in den darauffolgenden Jahren zur Bewältigung dieser Gesamtaufgabe zur Verfügung zu haben. Er verfährt hier mit den Milliarden nicht anders als z. B. bei der Verteilung der Kosten eines Straßen- oder Brükkenbaus im Verkehrshaushalt auf vier oder fünf Teilbeträge während vier oder fünf Jahre, wobei


    (Dr. Vogel)

    er den Baubeginn erst für den vielleicht vorletzten Teil vorsieht.

    (Abg. Dr. Gülich: Das Bild ist falsch, Herr Vogel!)

    — Nein, das Bild ist in diesem Falle sogar sehr richtig, Herr Kollege.

    (Abg. Dr. Gülich: Nein, die Straßenbauten werden aus den Steuereinnahmen jeden Jahres neu finanziert; nur geplant wird vorher!)

    — Sie werden für ein und dasselbe Objekt vier oder fünf Teilbeträge in den einzelnen Jahren einsetzen, und selbst wenn Sie den Bau im ersten oder zweiten Jahr nicht anfangen, stehen die Mittel für das dritte oder vierte Jahr voll zur Verfügung. In dieser Beziehung stimmt dieses Beispiel, glaube ich, doch.
    Die Folge dieser unbestreitbar konsequenten fiskalischen Methode und in sich logischen Auffassung zeigt sich in dem gegenwärtigen Kassenbestand des Bundes. Dieses Problem verschärft sich noch durch die von dem Bundesfinanzminister nicht zu verantwortende Konservierungspolitik der Finanzminister früherer Besatzungsmächte und unserer heutigen verbündeten Mächte in Gestalt der Hortung der Stationierungskosten. Zwar wird der Überhang aus der Besatzungszeit abgebaut; aber das, was jetzt so langsam abgebaut wird, wird vielleicht auch im nächsten Jahr nicht völlig verschwinden, weil von diesem Jahr an an Stationierungskosten 3,2 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Wir glauben, daß davon nicht alles ausgegeben werden wird und vermutlich 1955 ein kleinerer, neuer Überhang hinzutreten kann. Herr Minister Schäffer hat in seinen Verhandlungen ein Mitbestimmungsrecht über die Ausgabe dieser Beträge erreicht, um sie nicht zu einem allzugroßen Störungsfaktor in der innerdeutschen Wirtschaft werden zu lassen. Mehr konnte er sicherlich nicht erreichen. Wir erkennen dankbar an, daß er sich als ein sehr zäher und erfolgreicher Unterhändler in diesen Verhandlungen bewährt hat.
    Dieser Besatzungs- und Stationierungskostenüberhang steigerte zusammen mit den in diesem Jahr nicht mehr zur Ausgabe gelangenden Verteidigungsausgaben des Bundes die Kassenkonten des Bundes bei der Bank deutscher Länder zu ihrer jetzigen Höhe. Das Bestreben der Finanzminister der uns verbündeten Länder, deren Truppen gegenwärtig den Schutz der Bundesrepublik gewährleisten, die auf sie zukommende spätere Last der völligen Unterhaltung ihrer Truppen auf deutschem Boden so lange wie möglich hinauszuschieben, ist sicherlich verständlich. Den Briten und Franzosen eröffnet sich ab 1955 die für sie unerfreuliche Aussicht, sehr große Beträge in Devisen für den Unterhalt ihrer Truppen in Deutschland bereitstellen zu müssen, ein Problem, das schon von der Devisenseite her ernste Beachtung verdient. Die Fachleute wissen längst, einen wie hohen Beitrag an baren Dollardevisen die Amerikaner jährlich in der Bundesrepublik für die Bedürfnisse ihrer Divisionen in Deutschland ausgeben.
    Aber kehren wir jetzt zu dem Zentralproblem des Bundesfinanzministers zurück. Es lautet folgendermaßen: Kann er es gegenüber den Verbündeten verantworten, daß das in den Haushalten 1955 und 1956 für Verteidigungszwecke angesammelte Geld jetzt für andere Zwecke verwandt wird? Er sagt klipp und klar: Nein! Dieses Problem und seine Stellung dazu wird sicher im Mittelpunkt eingehender Beratungen innerhalb des nächsten Vierteljahres in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses stehen.
    Mit diesem Problem untrennbar verbunden ist aber meiner Überzeugung nach auch die Handhabung des § 96 der Geschäftsordnung. Ich habe es im Haushaltsausschuß erklärt und stehe nach wie vor dazu, daß meine Fraktion entschlossen ist, diesen § 96 auch gegenüber Anträgen aus ihren eigenen Reihen zur Geltung zu verhelfen. Wenn aber der Haushaltsausschuß eine klare Stellungnahme zur Beschaffung einer Deckung für eine neu beantragte Ausgabe beziehen soll, dann muß er in dieser zentralen Frage der nicht verausgabten Verteidigungsmittel in den Jahren 1955 bis 1956 restlos Klarheit haben.

    (Zuruf von der SPD.)

    — Das aber vornehmlich! — Ich glaube, daß das die zentrale Frage ist. Diese Frage lautet — ich wiederhole es noch einmal —: Ist der Weg des Bundesfinanzministers der einzig mögliche oder nicht?
    Ob diese Frage im Sinne des Bundesfinanzministers oder in einem anderen Sinne von diesem Hohen Hause entschieden wird, — eins, meine Damen und Herren, möchte ich im Namen meiner Fraktion hier völlig klar und deutlich machen. Die Fraktion der CDU/CSU wird entsprechend der bereits vor einem Jahr deutlich abgegebenen Zusicherung die Stabilität unserer Währung und Wirtschaft niemals dem Tempo der Wiederbewaffnung opfern. Wenn es sich also herausstellt, daß die Aufstellung der deutschen Bundeswehr in dem auch von uns angestrebten Zeitraum trotz äußersten Einsatzes nicht zu schaffen ist, dann hat dieses auch von uns voll und ganz angestrebte Ziel hinter der Sicherung der Währung zurückzutreten.
    Ich darf hier im Namen meiner Fraktion gegenüber in der letzten Zeit manchmal zu Unrecht erhobenen Vorwürfen unserer Verbündeten zum Ausdruck bringen, daß wir uns im Rahmen der uns gesetzlich und verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Möglichkeiten nach wie vor mit aller Kraft und Entschiedenheit bemühen werden, die Einhaltung des vereinbarten Termins innerhalb der Pariser Verträge zu fördern. Es hat aber angesichts der unter Mitwirkung der Besatzungsmächte geschaffenen Verfassung und ihrer Bestimmungen, angesichts der furchtbaren Kriegsopfer- und Flüchtlingslasten und der noch immer nicht beseitigten Zerstörungen auf deutschem Boden niemand im Ausland ein Recht, unseren guten Willen und unsere Entschlossenheit zu bezweifeln, das Äußerste für unsere eigene Sicherheit und die Sicherheit der westlichen Welt beizutragen.
    Es ist wohl andererseits bis jetzt keinem Mitglied dieses Hohen Hauses verborgen geblieben, wie sehr von seiten der NATO auf einen höheren deutschen Verteidigungsbeitrag gedrängt wird. Der Bundesfinanzminister steht demnächst in Paris vor sehr schwierigen Verhandlungen. Auch das sollte hier entsprechend gewürdigt werden. Ich bin überzeugt, er fährt, bestens ausgerüstet mit den Unterlagen über die Lasten, die Deutschland bis jetzt aufgebracht hat und die wir künftig noch aufbringen müssen, zu diesen Gesprächen.
    Auf Seite 193 der „Vorbemerkungen" wird in den Erläuterungen zum Kriegsfolgenschlußgesetz wörtlich erklärt:


    (Dr. Vogel)

    Es ist in der Begründung zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen und durch Zahlen im einzelnen belegt, daß die Leistungen, welche die Gesamtheit der Steuerzahler zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft und in Erfüllung sonstiger kriegsbedingter Lasten aufgebracht hat, vermutlich über alles hinausgeht, was jemals in der Geschichte von einem Volk in ähnlicher Lage vollbracht worden ist. Von 1950 bis einschließlich 1955 haben die mit dem Ziel des Wiederaufbaus der Wirtschaft aus öffentlichen Mitteln erbrachten Leistungen über 19 Milliarden DM und die sonstigen Kriegsfolgelasten . . . . über 34 Milliarden DM betragen. Nicht berücksichtigt sind dabei die Verteidigungs- und Besatzungslasten, die bis Ende 1955 46,5 Milliarden DM betragen haben.
    Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat in diesen Jahren also insgesamt den Betrag von rund 100 Milliarden DM an Wiederaufbauleistungen, kriegsbedingten Belastungen und Besatzungskosten aufgebracht. Man sollte auch im Ausland bei der Betrachtung der deutschen finanziellen Leistungsfähigkeit diese gewaltige Summe nicht ganz übersehen. Die Mitglieder der Haushaltsgruppe, die in Washington mit Experten des State Department sprachen, hatten den Eindruck, daß man dort vor allem das neue Problem der Sowjetzonenflüchtlinge überhaupt noch nicht oder noch nicht in seinem vollen Umfang beobachtet hat. Zu den 600 000 Sowjetzonenflüchtlingen der vergangenen Jahre werden sich in diesem Jahr vermutlich 300 000 neu hinzugesellen, für deren Unterbringung und Unterstützung wir Hunderte von Millionen neu aufzubringen haben. Das bedeutet: Zu dem keineswegs völlig gelösten Problem der Inarbeitbringung und Umsiedlung von 9,5 Millionen Heimatvertriebenen aus dem Jahre 1945 bis 1946 tritt das neue Problem von fast 1 Million Sowjetzonenflüchtlingen hinzu.
    Bei der Betrachtung deutscher Steuerlasten wird im Ausland ebenso völlig übersehen, daß das Lastenausgleichsaufkommen im laufenden Haushaltsjahr 1955 rund 4,4 Milliarden DM erreichen wird. So glücklich wir auf der einen Seite sind, mit einem so gewaltigen Betrag den Heimatvertriebenen helfen und unter die Arme, greifen zu können, damit sie sich eine neue Existenz aufbauen können, so sehr drückt auf der andern Seite die Last der Aufbringung dieser 4,4 Milliarden DM auf den Schultern derer, die sie nun einmal zu zahlen haben, und wer hätte 1949/50 überhaupt mit einer solchen Summe zu rechnen gewagt!
    Die Aufbringung dieser gewaltigen Lasten verdanken wir der einzigartigen Arbeitsleistung des deutschen Volkes, dem Glück einer in dieser Höhe und auch in dieser Dauer sicher nicht erwarteten Konjunktur des gegenwärtigen Jahres und der ausgezeichneten Konjunktur der vergangenen Jahre seit der Währungsreform. Die Bundesregierung darf mit Recht für sich in Anspruch nehmen, daß ihre entschlossen und geradlinig verfolgte Politik der freien Marktwirtschaft entscheidend dazu beigetragen hat. Auf der weiteren Steigerung des Bruttosozialprodukts um mindestens 7 bis 8 % baut die Vorschätzung der Steuererträge des Jahres 1956 auf.
    Leider haben wir trotz unbestreitbarer wirtschaftlicher Erfolge und trotz dieser unerhörten Arbeitsleistung — nun komme ich auf einen sehr wichtigen Punkt — noch nicht im entferntesten die
    Vermögensverluste während des Krieges und während der Währungsverfallszeit ersetzen können. Das deutsche Volk lebt gegenwärtig fast allein von seiner Arbeitsleistung, seinem Erfindungsgeist und seiner Organisationsgabe. Gleicht sich aber diese seine Arbeitsleistung der unserer hauptsächlichsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt langsam an, d. h. sollte sie von Jahr zu Jahr sinken, ohne daß durch entsprechend große Rationalisierungsinvestierungen nach amerikanischem Stil dieser Vorgang aufgefangen oder ausgeglichen werden kann, dann entscheidet in der Zukunft bei freiem Wettbewerb auf den Weltmärkten das Kapital der Wettbewerber den Kampf um die Aufträge. Damit aber geraten wir in den Lieferungsbedingungen bei der Finanzierung von Exportaufträgen in eine fatale Unterlegenheit gegenüber den unvergleichlich kapitalstärkeren Wettbewerbern auf dem Weltmarkt. Ich weiß nicht, ob man sich in allen Teilen des deutschen Volkes dieser Entwicklung voll bewußt ist. Es ist wohl an der Zeit, in einem Augenblick daran zu erinnern, wo zum erstenmal seit der stürmischen Exportentwicklung der letzten fünf Jahre die Einfuhren die Ausfuhren — im letzten Vierteljahr 1955 — zu überwiegen beginnen. Wie schnell stolze Devisen- und Goldvorräte schwinden können und welche Konsequenzen sich sofort auf dem Gebiet des Lebensstandards und auch der Steuern daraus ergeben, dafür liefert die Entwicklung Englands im letzten halben Jahr ein eindrucksvolles Beispiel.
    Wir können auch nicht daran vorbeigehen, noch einmal zu unterstreichen, was der Bundesfinanzminister in diesem Zusammenhang auch zu der deutschen Lohn- und Preisentwicklung sagte. Wir wollen es hier von seiten der CDU/CSU völlig klarmachen: Die CDU/CSU ist der Überzeugung, daß Löhne mit wachsenden Gewinnen gleichfalls steigen sollen. Wo Löhne ohne Preissteigerungen aus den Gewinnen heraus verkraftet werden können, wo die Produktivität eines Betriebs entsprechend wächst, sind Lohnerhöhungen durchaus gerechtfertigt. Wir halten dagegen mit der Regierung jede Übersteigerung der Löhne für eine sinnlose Ingangsetzung der Lohn- und Preisspirale.

    (Abg. Dr. Gülich: Bisher war es eine PreisLohn-Spirale!)

    — Das wollen wir nicht unbedingt sagen; denken Sie an den Bauarbeiterstreik von vor zwei Jahren!
    — Darüber hinaus nehmen meine Freunde mit Stolz für sich in Anspruch, nicht nur in dieser Frage, der Forderung nach gerechten Löhnen, sondern auch in den Fragen der Mitbestimmung und der Gewinnbeteiligung hervorragende Beiträge geleistet zu haben.
    In überzeugenden Darlegungen und Statistiken der Vorbemerkungen zum Haushalt wird das Schritthalten der Sozialleistungen in den Haushalten von Bund und Ländern mit dem Wachstum des Bruttosozialprodukts absolut unter Beweis gestellt. Die Sozialleistungen wuchsen von 8,2 Milliarden 1951 auf 11,7 Milliarden 1954 an und sind seitdem weiter gewachsen. Sie machen ziemlich gleichbleibend in diesen Jahren 7 bis 8 % des Bruttosozialprodukts aus. Wir wenden uns aber seitens der CDU/CSU mit Entschiedenheit gegen jede Unterstellung, als ob bis zum heutigen Tage die Aufbringung für Sozialleistungen zugunsten des Verteidigungsbeitrags vernachlässigt worden sei. Wir wenden uns gegen jede Unterstellung, als ob hier in irgendeiner Form der Versuch unternommen worden sei, das Schicksal der Ärmsten


    (Dr. Vogel)

    der Armen dem Tempo der Aufrüstung unterzuordnen. Wir haben das bis jetzt nicht getan, und
    wir gedenken das auch in der Zukunft nicht zu tun.

    (Beifall in der Mitte.)

    Auch die Opposition hat vor diesem Hohen Hause versichert, daß die Bundesrepublik ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen habe. Die Vertragstreue aber schließt Verteidigungsleistungen in der bekannten Höhe in sich. Man kann nicht das eine als unvermeidlich ansehen und das andere ablehnen. Darüber hinaus haben wir uns von seiten der CDU/CSU in den letzen Jahren gradlinig und unverrückbar zu der Überzeugung bekannt, daß ohne die Schaffung äußerer Sicherheit auch die von uns genauso geforderte soziale Sicherheit im Innern eben nicht gewährleistet werden kann.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wir haben unbestreitbar in der Versachlichung der Diskussion über die Außenpolitik und auch über die Wirtschaftspolitik sehr erfreuliche Fortschritte gemacht. Ich denke hier vor allen Dingen an die Konjunkturdebatte, die wir in Berlin miteinander geführt haben. Ich denke auch — mit besonderem Vergnügen — an die letzte außenpolitische Debatte und ihren sachlichen Inhalt, und ich nehme an, daß wir auch die künftigen Beratungen über die sachlichen Notwendigkeiten eines Verteidigungsbeitrags in dem gleichen Sinne eines Versuchs, uns sachlich gegenseitig zu überzeugen, führen können und werden.
    Wer aber das überblickt, was allein im Rahmen der 5,2 Milliarden und der 8,8 Milliarden an Verteidigungsausgaben in diesem Jahr und im nächsten Jahr an neuen Aufgaben auf Bund, Länder und Gemeinden zukommt, wird sich besorgt die Frage nach der Methode der Bewältigung dieses Sonderproblems vorlegen. Die Verwaltung steht hier vor einer unerhört schwierigen Aufgabe. Sie wird sich in den nächsten vier Jahren erst zu bewähren haben. Nicht etwa eine seit Jahren eingespielte und persönlich zusammengeschweißte Verwaltung, sondern eine Verwaltung — nämlich das Bundesverteidigungsministerium —, die sich jetzt erst neu aufbaut und bereits während ihres eigenen Aufbaus Milliardenbeträge sinnvoll und sparsam verausgaben soll, das ist das besondere Problem, vor dem wir im nächsten Haushaltsjahr und in den kommenden Haushaltsjahren stehen werden. Es handelt sich nämlich keineswegs allein um das im Aufbau befindliche Bundesverteidigungsministerium und die ihm nachgeordneten Behörden, sondern auch um die mitbeteiligten Ministerien, z. B. — um nur einige herauszugreifen — das Bundesfinanzministerium und das Bundeswohnungsbauministerium. Eine Reihe ungemein schwieriger organisatorischer Fragen muß in allernächster Zeit hier gelöst werden. Ich spreche nicht nur von dem Aufbau des zivilen und militärischen Teils des Verteidigungsministeriums und seiner Unterorganisationen, sondern von der noch schwierigeren Frage der Organisation des Beschaffungswesens, der Entwicklung der Landbeschaffung, der Aufschließung für die notwendigen Neubauten, von der Umsetzung von Betrieben und von Familien aus Wehrmachtbauten in neu zu schaffende Neubauten, von der Ersatzbeschaffung von Land für Enteignete und von der sinnvollen, der gesamten Wirtschaftskonjunktur angepaßten Errichtung der militärischen Bauten selbst.
    Leider scheinen alle diese Fragen bis vor wenigen Wochen noch ein wenig dilatorisch behandelt worden zu sein. Auch im Bundeswirtschaftsministerium hat man wohl die Schwierigkeiten der reinen Organisation des Beschaffungswesens unterschätzt. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Mit der vielleicht 15 Mann umfassenden Prüfungsabteilung im Bundeswirtschaftsministerium ist überhaupt nicht daran zu denken, die Riesenarbeit der Nachprüfung von Millionen von einzelnen Preisen auf ihre Angemessenheit und Vertretbarkeit hin durchzuführen. Ohne hier einen Maßstab anlegen zu wollen, möchte ich Ihnen einmal das sagen, was wir im Pentagon in Washington vorgefunden haben. Dort arbeitet bei einem völlig eingearbeiteten Beschaffungswesen ein Heer von nicht weniger als 6000 Prüfern an der Kontrolle der Preise, die von den Firmen vorgelegt werden.
    Herr Kollege Schmidt (Hamburg) hat gestern hier an dieser Stelle sehr zutreffend die enormen Schwierigkeiten der Gewinnung von fachkundigen und erfahrenen Personen für die Herstellung und Prüfung von Ausschreibungen zur Beschaffung der vielen Millionen Einzelstücke der Wehrmachtausrüstung geschildert. Wer die bis heute noch unerledigten Tausende von Fällen von Grundstücksenteignungen aus der nationalsozialistischen Ära bei Wehrmacht- und Autobahnbauten vor sich sieht, weiß auch um die mehr als mühevolle und zeitraubende Arbeit, die notwendigen Grundstücke überhaupt zusammenzubekommen. Da wir alle gemeinschaftlich verlangen und fordern, es sollten dabei die Normen unseres Rechtsstaates absolut gewährleistet bleiben und es sollte auch niemand geschädigt werden, müssen diese unvermeidlichen Landbeschaffungen zeitraubender, schwieriger und darum auch kostspieliger werden. Was man deshalb hier an zusätzlichem Personal rechtzeitig braucht, wird von uns sicherlich bewilligt werden.
    Ist aber diese Aufgabe insgesamt — ich spreche hier vor allem die Landbeschaffung und die Bauten selbst an — mit den herkömmlichen Verwaltungsmethoden allein zu meistern? Oder sollten nicht Bundesverteidigungsminister und Bundesfinanzminister gemeinschaftlich überlegen, wie man ihr so unbürokratisch, so praktisch und so sparsam wie möglich zu Leibe rücken könnte? Es ist eine zeitlich zu überschauende Leistung, und sie kann deshalb auch zu einem großen Teil mit Angestellten und braucht nicht unbedingt mit Beamten auf Lebenszeit bewältigt zu werden. Wir wollen hier — ich glaube, das ist wohl auch die einhellige Überzeugung dieses Hauses — unter keinen Umständen im Gefolge der Verteidigungsbauten einen später überflüssigen, zusätzlichen neuen Beamtenapparat schaffen.
    Man wird um so billiger bauen, je rechtzeitiger man plant und je mehr Mittel man auf weite Sicht vergibt. Das, was ich vorher bereits als „goldene Worte" in den „Vorbemerkungen" hinsichtlich des Straßenbaus zitierte, gilt noch in viel stärkerem Maße für die zu bauenden Unterkünfte der Wehrmacht. Manche von uns saßen vor wenigen Tagen mit den Spitzen der deutschen Bauwirtschaft in einem Gespräch zusammen. Wir hörten dort, daß eine noch unausgenutzte Kapazität von ca. 20 %, die uns glaubwürdig nachgewiesen wurde, selbst im Hochbau liege, wenn nur diese Bauten maglichst gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt rechtzeitig geplant würden. Ein Unternehmer aber, der sich nicht bei einer Ausschreibung einen bestimmten Bauauftrag auf Jahre hinaus sichern kann, wird sich niemals die notwendigen, auch Preise und Kosten sparenden Maschinen anschaf-


    (Dr. Vogel)

    fen, die er für eine solche Bauausführung braucht. Wenn diese Kalkulation auch vom Bundesfinanzminister in seinen Vorbemerkungen als richtig anerkannt wird, sollte man sich auch beizeiten über die Form einer Finanzierung solcher Großbauten über ein Haushaltsjahr hinaus einigen.

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!)

    Man kennt den Bedarf. Wir werden ja auch darauf noch sehr ausführlich in der gemeinsamen Sitzung zu sprechen kommen müssen. Denn, Herr Professor Gülich, es ist meine feste Überzeugung, daß wir mit den bisherigen Vorschriften der Haushaltsordnung mit einem solchen Riesenproblem einfach nicht gut fertig werden können.

    (Abg. Dr. Gülich: Vollkommen richtig!)

    Man kennt also den Bedarf. Es handelt sich darum, ihn sinnvoll und unter Vermeidung neuer Engpässe beim Baumaterial und bei den Bauarbeiten auf Jahre hinaus zu verteilen, unter Vermeidung eben von Engpässen, die wir ja bereits auch in diesem Jahr schon zu spüren bekommen haben, obwohl wir jetzt noch keineswegs irgendwelche Ausgaben für diesen Zweck geleistet haben.
    Die öffentliche Hand ist hier in einer unvergleichlich viel besseren Lage als der Privatunternehmer, weil sie hier besser planen kann. Der Bundesfinanzminister kann hier viel Geld sparen, wenn er über seinen eigenen Schatten springt und durch eine rechtzeitige Vorlage seiner Pläne und derjenigen des Bundesverteidigungsministeriums vor dem Haushalts- und dem Sicherheitsausschuß Zweckbindungen oder Vorbescheide über ein Haushaltsjahr hinaus ermöglicht.

    (Abg. Dr. Gülich: Ein so guter Springer ist er nicht!)

    — Nun, über seinen eigenen Schatten wird er es vielleicht fertigbringen.
    Wir sind mit dem Bundesfinanzminister völlig darin einig, daß eine Überhitzung der Baukonjunktur mit allen ihren Wirkungen auf andere Zweige der Wirtschaft durchaus vermieden werden kann. Was die Verwaltung dafür braucht, soll ihr nicht verweigert werden. Der Bundesfinanzminister sollte sich als ein weitschauender Koordinator, aber nicht als ein Diktator der beteiligten Ressorts fühlen. Ich sehe hier vor allem auch eine große und überragende Aufgabe des Verteidigungskabinetts im Rahmen der Bundesregierung. Wir lieben keine Ressortstreitigkeiten vor den Ausschüssen dieses Hohen Hauses. Gerade in den letzten Monaten aber schien es uns manchmal an der notwendigen — ich will mich vorsichtig ausdrücken — rechtzeitigen Abstimmung zwischen den an der Verteidigungsaufgabe hauptbeteiligten Ressorts zu fehlen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich hoffe, es bedarf nur dieses Hinweises und der dahinter stehenden Mahnung meiner Freunde, um hier den von uns gewünschten Wandel zu schaffen.
    Damit bin ich aber auch zugleich, meine Damen und Herren, bei einer der Fragen angelangt, die breiteste Schichten unseres Volkes heute im Zusammenhang mit der Verteidigung am meisten interessieren. Es wird zum Teil, manchmal auch ein wenig geflissentlich, mit der Unterstellung gearbeitet, die Unterkünfte der Wehrmacht würden auf Kosten des Wohnungsbaus gebaut. Wer sich die für den Wohnungsbau im Haushalt 1956 angesetzten
    Mittel dagegen anschaut, weiß, daß das unwahr ist. Es sind alle Vorkehrungen getroffen, und der Wohnungsbauminister hat die notwendigen Vorwegbewilligungen zugesichert erhalten, um das Rekordvolumen von rund 550 000 neuen Wohnungen des vergangenen Jahres und des Jahres 1954 auch für 1956 zu sichern. Wie ich gerade gestern abend noch im Radio hörte, hat inzwischen der Wohnungsbauminister Dr. Preusker den Ländern bereits mitgeteilt, was sie 1956 von ihm angewiesen erhalten.
    Meine Freunde sind aber keineswegs länger gewillt, Jahr für Jahr weitere Milliardenbeträge an Steuergeldern für Wohnungsbauten im Kollektiveigentum zu bewilligen.

    (Beifall bei den. Regierungsparteien.)

    Rund 80 % von den bisher dafür ausgegebenen
    15 Milliarden DM sind an rund 2000 Wohnungsbaugesellschaften geflossen. Wir wollen an Stelle
    eines unkontrollierbaren Kollektivwohnungsvermögens eine möglichst breite Schicht von Eigenheimbesitzern und Wohnungseigentümern schaffen.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Im Besitz von Eigenheimen und Eigenwohnungen sehen wir einen der Schutzwälle gegen den das Eigentum verneinenden Kommunismus.
    Wir sind aus dem gleichen Grunde erfreut über die Zusicherung einer Entschuldungsaktion für die neu aufgebauten Wirtschaftsbetriebe von Heimatvertriebenen und die Zinsverbilligungs- und Bürgschaftsaktionen für den gewerblichen Mittelstand. Gerade beim Durchlesen der Vorbemerkungen — ich konnte dabei in drei Nächten allerdings nur etwa 200 Seiten DIN A 4 von 620 Seiten überfliegen — fand ich die sehr interessanten Statistiken über Investitionen und Vermögensbildungen der öffentlichen Hand. Man muß sie in die richtige Relation setzen zu den Investitionen der Industrie, um die Entwicklung des mittelständischen Vermögens nach der Währungsreform zutreffend beurteilen zu können. Danach kann aber kein Zweifel an dem Zurückbleiben des mittelständischen Vermögens gegenüber dem kräftig mit der Konjunktur fortschreitenden Vermögen der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherungsgesellschaften auf der einen Seite und der Industrie auf der anderen Seite, von Banken und Versicherungsgesellschaften ganz zu schweigen, bestehen. Wir werden also von unserer Seite aus sehr nachdrücklich weitere Maßnahmen der öffentlichen Hand, vorab des Bundes, zugunsten der Eigentumsbildung des Mittelstandes und seiner Existenzerhaltung zu fordern haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sehen nach wie vor in der größtmöglichen Zahl selbständiger Existenzen des Mittelstandes die gesündeste Basis unseres Staates.
    Wenn schon — um nur ein Beispiel herauszugreifen — angesichts des sich abzeichnenden Finanzverfassungsgesetzes dem Bundesfinanzminister bei der Umsatzsteuer kein allzu großer Spielraum mehr bleibt, dann wird man von seiten des Bundes das in seinem Rahmen Mögliche zugunsten einer Senkung der Gewerbesteuer, vor allem durch Heraufsetzung der Freigrenzen, eben tun müssen; denn heute spielt das Gewerbesteueraufkommen bereits eine nicht zu unterschätzende Rolle neben den Einkommensteuern und den Verbrauchsteuern.
    Ich bin mir mit dem Bundesfinanzminister durchaus der sehr unterschiedlichen Lage der Gemein-


    (Dr. Vogel)

    den und Städte hinsichtlich ihres Gewerbesteueraufkommens bewußt. Selbst zwischen den Großstädten ergeben sich erstaunlich große Divergenzen, z. B. zwischen den Ruhrgroßstädten und solchen Gewerbezentren wie Stuttgart und Frankfurt. Allein dieser Umstand scheint doch die Forderung nach genaueren, einheitlicheren und übersichtlicheren Haushaltsvergleichen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu rechtfertigen.

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!)

    Ich für meine Person hätte nichts gegen eine Beteiligung der Gemeinden auch an den Einkommensteuern,

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!)

    wenn dies verfassungsrechtlich mit den Ländern auszuhandeln wäre. Dies würde dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit weitaus mehr entsprechen als das bisherige System des Kommunalausgleichs innerhalb der Länder, bei dem die finanzschwachen ihrerseits wiederum von den finanzstarken Ländern und dem Bund abhängen. Es ist bei uns so manches wunderschön kompliziert, auch da, wo es im besten demokratischen Sinne wahrhaftig nicht kompliziert zu sein brauchte.

    (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.)

    Darf ich hier eine Bemerkung über das Verhältnis von Bund und Ländern überhaupt einschieben. Das Bestreben der Länder an sich, ihre Investitionsvorhaben an öffentlichen Bauten finanziell möglichst ungestört und auch in den nächsten Jahren reibungslos durchzuführen, finde ich durchaus verständlich. Daß uns als Bundestagsabgeordneten die einseitige Regelung innerhalb unserer Verfassung nicht gefällt, wonach die Länder über den Haushalt des Bundes mitzubestimmen haben, ohne daß der Bund auch nur die geringste Einsicht in die Haushalte der Länder, geschweige denn ein Mitspracherecht besäße,

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!)

    das sollte umgekehrt auch den Ländern verständlich sein.

    (Sehr gut! Sehr richtig! bei der CDU/ CSU. — Abg. Niederalt: Der Bundesrat ist ja auch Bundesorgan!)

    — Lieber Kollege Niederalt, nun komme ich noch zu einem viel schwierigeren Kapitel. Wenn ich das jüngste Ergebnis des Vermittlungsausschusses, der gestern getagt hat, bereits als durch den Bundesrat angenommen einmal annehme, dann will es mir scheinen, daß hier ein Kompromiß auf dem Rücken des Steuerzahlers geschlossen worden ist.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Die Länder sichern sich ein Höchstmaß an Einkommen- und Körperschaftsteuern. Der Bund wird sozusagen direkt darauf gestoßen, bei seinen später wachsenden Bedürfnissen eine Ergänzungsabgabe zu erheben, d. h. eine neue Steuer einzuführen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich für meine Person möchte hier gern einmal die voraussichtliche Reaktion des normalen Steuerzahlers vorwegnehmen. Ihm ist es wohl in der großen Masse völlig gleichgültig, ob er dem Bund oder dem Land Steuern zu zahlen hat. Für ihn ist mit Recht allein die Höhe seiner Steuern ausschlaggebend.

    (Abg. Frau Rösch: Sehr richtig!)

    Es wird ihm nun auch in der Rede des Bundesfinanzministers mit eindrucksvollen Zahlen ein Investitionsspielraum der Länder von rund 2,9 Milliarden DM vorgerechnet. Es wird weiter ein Schuldenzuwachs von 11 Milliarden DM einem Vermögenszuwachs der Länder von 23,4 Milliarden DM gegenübergestellt. Der deutsche Steuerzahler liebt an sich schon gar nicht derartige Vermögenszusammenballungen in der öffentlichen Hand. Noch weniger Verständnis aber hat er meinem Empfinden nach dafür, daß ihm in Aussicht gestellt wird, künftig an den Bund eine neue Steuer abzuführen, nur damit die Steuererträge der Länder und Gemeinden weiter steigen können. Läge es nicht vielmehr bei anerkannt wachsenden Ausgaben des Bundes und gleichbleibenden der Länder statt dessen nahe, den Bundesanteil in sinnvoller Weise entsprechend zu erhöhen? Ich wiederhole, daß ich hier für meine Person spreche. Vielleicht erinnert man sich aber beim Inkrafttreten der in diesem Vermittlungsvorschlag vorgesehenen Revisionsklausel an derartig einfache Überlegungen einmal im Jahre 1958. Nebenbei bemerkt hat es auch innerhalb der Weimarer Zeit keinen Dauerfrieden zwischen Reich und Länder auf finanziellem Gebiet gegeben, sondern, wenn ich mich nicht täusche, nicht weniger als 15 mehr oder weniger mangelhafte Kompromisse auf Zeit. Nichts scheint in dieser Welt so schwierig zu sein wie eine Einigung zwischen Finanzministern.

    (Abg. Dr. Gülich: Reden Sie mit Tapolski!)

    — Herr Kollege Gülich, waren Sie nicht auch einmal bei dieser Zunft?
    Lassen Sie mich jetzt nach dieser Anmerkung noch einiges aus dem Haushalt 1956 hervorheben. Ich gebe meiner ganz besonderen Freude über die für den Straßenbau zu erwartenden Leistungen Ausdruck. Wenn es die Offa schaffen sollte, die für 1956 bestimmten 115 Millionen DM der Autobahnen entsprechend aufzustocken, werden für Bundesstraßen und Autobahnen rund 800 Millionen DM zur Verfügung stehen. Das ist endlich einmal ein Betrag, der der Größe des Notstandes auch annähernd entspricht. Vielleicht gelingt es, mit der vorgesehenen organisatorischen Zusammenfassung der Bauabschnitte sogar noch zu einer wesentlichen Beschleunigung der Bauten selbst zu gelangen, damit nicht gerade in den Sommermonaten der Reiseverkehr am meisten gehemmt wird. Der Haushaltsausschuß hat vor wenigen Tagen dem Antrag meiner Freunde entsprochen, im Vorgriff auf den Haushalt 1956 eine Bindung von rund 301 Millionen DM dieser Straßenbauansätze bereits ab 1. Januar 1956 zuzulassen. Damit wird praktisch die Planung und Ausschreibung für einen sehr großen Teil der Bundesstraßen und Umbauten in das entscheidende Vierteljahr im Winter 1956 vorverlegt. Dadurch wird nicht nur eine sinnvollere Ausnutzung der Arbeitskraft und Maschinen bewirkt, sondern auch eine bessere Jahresdurchschnittsleistung bei den Stein- und Schotterwerken sowie den anderen Hauptlieferanten ermöglicht.
    Beinahe ebenso erfreulich ist, was uns bereits vorher über die diesjährige Entwicklung der Bundesbahn mitgeteilt werden konnte. Wir kennen die sehr vorsichtige Beurteilung der Bundesbahnfinanzen durch ihre eigenen Finanzexperten. Angesichts dieser Entwicklung aber ist auch die Frage der vielfachen Zuschüsse, Zuwendungen und Steuerverzichte im Haushalt 1956 zugunsten der Bundesbahn in ein völlig neues Licht gerückt. Wir werden


    (Dr. Vogel)

    diese Frage noch sehr ernsthaft zu prüfen haben. Immerhin rückt jetzt das Problem der von uns seit langem geforderten Konsolidierung der Bundesbahn in eine greifbarere Nähe. Wir werden uns, glaube ich, schon im Jahre 1956 oder 1957 damit befassen können. Selbst wenn im nächsten Jahr die Massentransportkonjunktur weiter anhält — und die Maßnahmen zur Beschränkung der Gütertransporte werden sich ja erst nach fünf Jahren auswirken —, teile ich nicht ganz den Optimismus des Bundesfinanzministers und erst recht nicht den meines sonst sehr verehrten Kollegen Dr. Wellhausen hinsichtlich der Erreichung eines ausgeglichenen Bundesbahnhaushalts schon in diesem oder vielleicht im nächsten Haushaltsjahr. An eine Ablieferung der Beförderungsteuer an den Bund wagen ja wohl auch kühne Träumer kaum zu denken. Mir scheint das Problem der Eisenbahn heute nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches, ja vielleicht sogar ein internationales Sorgenproblem zu sein. Wir werden wohl froh sein müssen, die Hunderte von Millionen für Bundesbahnzuschüsse in Zukunft zur Lösung anderer Aufgaben verwenden zu können. Ich denke hier voller Sorge an das Problem des deutschen Wasserhaushalts und die völlig unzulänglichen Mittel, die wir bislang dafür in den Haushalt einstellen konnten. Ich halte energische Maßnahmen zur Erhaltung des deutschen Wasservorrates — auf weite Sicht gesehen — für mindestens ebenso wichtig für eine weitere Entwicklung unserer Wirtschaft wie z. B. die Steigerung der Kohlenproduktion oder das vom Bundesfinanzministerium mit gutem Recht hervorgehobene Problem der kernphysikalischen Forschung und des künftigen Baues von Atommeilern und -kraftwerken. Niemand wird die hier genannten Mittel im kommenden Haushaltsjahr als üppig bezeichnen. Da uns aber ein ausgewachsenes neues Atomministerium angekündigt wurde, werden wir dort wohl die entsprechenden Summen für die unbedingt notwendige Einholung der Fortschritte anderer Nationen vorfinden. Wir sind da auf einiges gefaßt, werden aber über den Notwendigkeiten der heute uns so sehr auf die Haut gerückten kernphysikalischen Forschung nicht die ebenso notwendige, vielleicht in manchen Bezirken noch notwendigere Grundlagenforschung und Forschung auf anderen Gebieten der Wissenschaft vernachlässigen. Der Haushaltsausschuß hat ja von jeher eine verständliche Schwäche für die Archäologie gezeigt

    (Abg. Schoettle: Sie blicken dabei zu mir herüber, Herr Kollege!)

    — ich glaube, diese Schwäche teilen Sie mit anderen, Herr Kollege Schoettle! —, aber er hat sich, glaube ich — das kann er mit Recht von sich sagen —, in den letzten Jahren niemals auch den anderen Anliegen der Wissenschaft versagt, und er wird das auch in Zukunft nicht tun, auch wenn ihm manchmal bei den Anforderungen der Vielzahl von nicht immer bedeutungsvollen Forschungsinstituten im Bereich des Bundesernährungsministeriums und des Bundesinnenministeriums diese Sache ein wenig schwer gemacht wird.
    Lassen Sie mich nun gegen Schluß noch ein Wort über die Vermögenslage des Bundes und über die vielleicht noch wichtigere Frage der Bundesschuldensituation sagen, bevor ich mich am Ende mit noch einigen Kernproblemen der Investitionen befasse. Es kommt uns vielleicht erst jetzt beim Haushalt 1956 die wachsende Schuldenlast des Bundes recht zum Bewußtsein. Sie drückte sich bislang nur in einem im Vergleich zu anderen Ländern verschwindenden Prozentsatz an Zins- und Amortisationsleistungen im Haushalt aus. Das wird in Zukunft wesentlich anders werden, wenn das Kriegsfolgenschlußgesetz, das Rückerstattungsgesetz und die vom Bundesfinanzminister bereits angekündigten Gesetze über die Tilgung von Ausgleichsforderungen in Kraft gesetzt werden. Die bis jetzt 20 Milliarden Bundesschulden, die in den Vorbemerkungen auf Seite 610 in einer zusammengefaßten Statistik uns aufgeführt werden, dürften sich in den nächsten Jahren sehr rasch verdoppeln. Um so größere Aufmerksamkeit sollten wir deswegen auf der anderen Seite den Erträgen des Bundesvermögens zuwenden. Wir glauben, daß diese Erträge auch im kommenden Haushaltsjahr immer noch unverständlich gering ausfallen. Wir wollen hier deswegen den Herrn Bundesfinanzminister mit allem Nachdruck an die nunmehr schon seit zwei Jahren erhobene Forderung erinnern, doch mehr als bisher um angemessene Erträge aus diesem Bundesvermögen besorgt zu sein.
    Wir wiederholen auch noch einmal nachdrücklich eine zweite Forderung. Der Bundesfinanzminister möge sich gerade im kommenden und im folgenden Haushaltsjahr verpflichten, neu zu erwerbende Liegenschaften soviel wie möglich durch Abstoßung anderer Liegenschaften oder Teile des Bundesvermögens zu finanzieren. Die öffentliche Hand wird durch die unvermeidlichen Neubauten an Unterkünften usw. ohnehin automatisch einen erheblichen Vermögenszuwachs erfahren. Wir sind nicht daran interessiert, das Staatsvermögen auf Kosten der Steuerzahler sich noch weiter ausdehnen zu lassen, nachdem die Folgen des ersten derartigen Prozesses von 1935 bis 1945 noch nicht rückgängig gemacht worden sind.
    Noch ein weiteres Wort an den Bundesfinanzminister. Wenn sich der Bundesfinanzminister in seiner Rede und in den Vorbemerkungen auf Seite 10 nachdrücklich gegen eine neue Expansion und Investition der Wirtschaft wendet, so übersieht er den Widerspruch zu dem, was er auf Seite 15 zu Recht angeführt hat, indem er die bevorstehende weitere Anspannung des Arbeitsmarktes ankündigt und dann wörtlich sagt: „Damit gewinnt die Produktivitätssteigerung entscheidende Bedeutung für die weitere Hebung des Lebensstandards." Er sprach hier nämlich von der mit Sicherheit zu erwartenden Verknappung auf dem Arbeitsmarkt. Wie man sich eine weitere Produktivitätssteigerung ohne neue Investitionen vorstellt, möchte ich einmal ganz naiv fragen. Wer z. B. den NovemberBericht der Bank deutscher Länder aufmerksam liest, findet dort sehr beachtliche Angaben über das seit einem halben Jahr stetige Übergreifen der Konjunktur auch auf die Konsumgüterindustrie. Das ist angesichts der wachsenden Zahl der Erwerbstätigen, der Erhöhung der Leistungen für die Rentner und Unterstützungsberechtigten, eines Betrages von 852 Millionen DM allein an Hausratshilfe in einem Etatjahr durchaus natürlich. Die Bank deutscher Länder sagt aber eine eigenständige neue Investitionswelle der Konsumgüterindustrie voraus. Man braucht kein Prophet zu sein, um das gleiche für die Bauwirtschaft voraussagen zu können. Das alles wird uns zwingen, der Frage der Beschaffung von Arbeitskräften im kommenden Jahr eine weitaus größere Aufmerksamkeit zu widmen, als das bislang der Fall war.
    In diesen Wochen vor dem Weihnachtsfest hat sich unverkennbar eine ruhigere Beurteilung der


    (Dr. Vogel)

    Gesamtkonjunktur durchgesetzt. Die Bundesregierung sollte diese kühleren Monate zu einer Überprüfung ihrer organisatorischen Möglichkeiten für eine bessere Koordination der konjunkturpolitischen Lenkungsmöglichkeiten in ihrer Hand nutzen. Es ist leider nicht so, daß bei unserem Volk mit der unleugbar steigenden Sättigung der materiellen Bedürfnisse auch jene innere und so nützliche Gelassenheit gegenüber der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung gewachsen wäre. Wir leben in einem sehr jungen Staate und sind ängstlich alle miteinander bemüht, uns selbst und das deutsche Volk mit diesem neuen Haus, in dem es wohnt, vertraut und es darin heimisch zu machen. Daß dieses Haus auf der einen Seite offen und noch nicht zugebaut ist, erschwert unser Bemühen unendlich. Aber wir wollen gerade diese Stunde der Konzentration auf unsere innerstaatliche Aufgabe im Rahmen des Haushalts nicht ungenutzt lassen, unsere Hand all denen entgegenzustrecken, die mit uns bereit sind, an der Sicherung und an der Wohlfahrt unseres jungen Staates mitzuarbeiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Präsidenten eigentlich dankbar, daß er meine Wortmeldung übersehen und dem Sprecher der größten Regierungsfraktion zuerst das Wort gegeben hat. So ist eine Situation vermieden worden, wie sie in den vergangenen Jahren gelegentlich eintrat, daß nämlich der erste Sprecher der Regierungskoalition in dem Bemühen, die Argumente der Opposition abzuwehren, in erster Linie zum Apologeten des Herrn Bundesfinanzministers und der Bundesregierung wurde. Heute hat man wenigstens auch einige andere Töne gehört, und das war zur Bereicherung der Debatte durchaus angemessen. Denn Gesprächspartner in diesem besonderen Falle einer Haushaltsdebatte sind ja nicht Opposition und Regierungskoalition, Gesprächspartner sind Parlament und Bundesfinanzminister.
    Der Herr Bundesfinanzminister begann gestern seine Rede mit einem Lob für die vielen, die dabei mitgewirkt haben, daß der Haushaltsplan 1956 auch in diesem Jahr einen Monat vor der bestimmungsgemäß vorgeschriebenen Zeit dem Parlament vorgelegt werden kann. Ich möchte dieses Lob nicht im geringsten einschränken, ja, ich möchte noch eine anerkennende Bemerkung hinzufügen, die die Form des Haushalts, die Aufmachung, die Begleitpapiere betrifft, die ja einen wesentlichen Schritt nach vorne in der Durchleuchtung und in der Möglichkeit der Beurteilung des Haushaltsplans bedeuten.

    (Bravo! in der Mitte.)

    In dieser Hinsicht hat sich vieles gebessert, und man muß denen, die dafür viel Mühe und Arbeit aufgewandt haben, Dank wissen.

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr richtig!)

    Allerdings muß ich sagen, meine Damen und Herren, daß ich die Schlußfolgerung des Herrn Bundesfinanzministers aus seiner lobenden Bemerkung, daß die Verabschiedung des Haushalts zu dem im Grundgesetz vorgeschriebenen Termin möglich sein sollte, nicht akzeptieren kann, und zwar ganz einfach aus diesem Grunde: Auch der Herr Bundesfinanzminister muß ja schließlich die umständliche Gesetzgebungsmaschine kennen, die uns das Grundgesetz beschert hat. Er wird wohl selbst kaum glauben, daß wir in der uns noch verbleibenden Woche vor den Weihnachtsferien einen wesentlichen Teil des Haushalts beraten können. Und dann bleiben uns praktisch im ganzen noch drei Monate bis zum 1. April 1956, dem Termin, an dem nach den Erfordernissen des Grundgesetzes der neue Haushalt in Kraft treten sollte. Diese drei Monate reichen nach allen Erfahrungen nicht aus, um Bundestag und Bundesrat, die ja beide an der Verabschiedung des Haushalts beteiligt sind, unter Wahrung aller Fristen Gelegenheit zu einer gründlichen und verantwortlichen Beratung zu geben. Meine Freunde und ich müssen Wert darauf legen, daß insbesondere die gründliche Beratung dieses Haushalts möglich ist. Ich würde es übrigens für entschieden zweckmäßiger halten, wenn der Herr Bundesfinanzminister durch eine solche Bemerkung — ich möchte sie im Rahmen des Ganzen nicht überbewerten —, von der er wissen muß, daß sie eine technische Unmöglichkeit fordert, die parlamentarischen Beratungen nicht unter einen ungewöhnlichen Zeitdruck stellen wollte. Wir haben schließlich in diesem Hause Tote und schwer Angeschlagene genug, und ich glaube, wir brauchen nicht auch noch einige aus dem Haushaltsausschuß hinzuzufügen.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern hier versucht, die Kritik vorwegzunehmen, die gegenüber seiner Publikationspraxis laut geworden ist. Ich glaube nicht, daß dieser Versuch ganz gelungen ist. Natürlich weiß auch ich, daß die Voraussetzungen für die Übertragung der englischen Praxis des Budget-day, d. h. der Konzentration der Veröffentlichung des Budgets auf einen einzigen Tag, in der Bundesrepublik schon infolge der Doppelgleisigkeit der gesetzgeberischen Arbeit nicht gegeben sind. Die Art aber, wie der Herr Bundesfinanzminister nach der Verabschiedung des Haushaltsentwurfs im Kabinett an die Öffentlichkeit gegangen ist, muß doch kritisiert werden.
    Ich möchte nicht den Eindruck aufkommen lassen, daß meine Freunde und ich — ich besonders habe gar keine Veranlassung dazu — etwa die Information der Presse und damit der Öffentlichkeit unterbinden wollen. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß diese Information rechtzeitig und vollständig sein soll, damit die Öffentlichkeit auch Anteil an den politischen Entscheidungen nehmen kann, die in diesem Hause getroffen werden. Es kommt aber auf das Wie der Information und auf die politische Wirkung an, die damit erzielt wird. Der Herr Bundesfinanzminister legt ja schließlich den Entwurf eines Haushalts vor, einen Entwurf, der prinzipiell in allen seinen Teilen der Veränderung durch parlamentarische Beschlüsse zugänglich sein muß. Wir wissen, wie eng leider die Grenzen der parlamentarischen Beeinflussungsmöglichkeiten gegenüber den Einzelheiten des Haushaltsplans sind. Die Gründe dafür brauche ich hier nicht auseinandersetzen; sie sind oft genug hier ausgesprochen worden. Es heißt aber das Parlament zu einer zweitrangigen Verfassungsfigur degradieren, wenn in der Berichterstattung über die Pressekonferenz des Herrn Bundesfinanzministers über den Haushaltsplanentwurf landauf, landab zu lesen stand: Die Bundesregierung stellt für diesen oder jenen Zweck im Haushalt 1956 diese oder jene Summe zur . Verfügung, — gerade so, als ob mit der Verabschiedung im Kabinett bereits die Entscheidungen in allen Fragen getroffen sind. Das


    (Schoettle)

    mag ein Mißverständnis bei den Journalisten sein. Aber ich glaube, dieses Mißverständnis ist nicht zum geringsten durch die Art der Publikation und der Information der Öffentlichkeit erzeugt worden. Es geht hier gar nicht um eine Prestigefrage, sondern es geht um die prinzipielle Frage, wer in diesem Stadium der Haushaltsentwicklung den Vorrang hat, das Parlament oder die Regierung. Wir sollten auf die Klarstellung dieser Dinge einen gewissen Wert legen, weil das Parlament im Bewußtsein der Öffentlichkeit sowieso noch einiges an Prestige zuzugewinnen hat.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    In England ist ja schließlich ein Finanzminister gegangen worden, weil ihm nachgewiesen wurde, daß er eine Stunde vor seiner Haushaltsrede einem befreundeten Journalisten Mitteilungen über den Inhalt seines Budgets gemacht hatte. Bei uns in der Bundesrepublik tritt ein Finanzminister nicht einmal zurück, wenn er von seiner eigenen Mehrheit in entscheidenden Finanzfragen im Stich gelassen wird. Dafür haben wir ja ein Grundgesetz.
    Das kennzeichnet aber doch wohl den Unterschied am besten, und ich muß sagen, ich habe es nicht gerade als besonders taktvoll empfunden, wenn der Herr Bundesfinanzminister über ein Gespräch mit einer englischen Wirtschaftsjournalistin so berichtet hat, als ob wir hier in der Bundesrepublik auf allen Gebieten sozusagen eine Nasenlänge vor den Engländern wären.
    Wir sollten darauf bestehen, daß bei aller Anerkennung des Bedürfnisses nach korrekter Unterrichtung der Öffentlichkeit die staatsrechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Positionen der gesetzgebenden und der administrativen Gewalt nicht immer mehr zuungunsten des Parlaments verschoben werden. In der modernen Massengesellschaft, im modernen Industriestaat liegt die Gefahr ja so sehr nahe, daß eine solche Verschiebung zugunsten der Administration oder, genauer gesagt, zugunsten der Bürokratie eintritt und das Parlament immer mehr zu einem Schattendasein verdammt wird.

    (Abg. Dr. Gülich: Die Koalitionsparteien unterstützen das ja!)

    Uns genügt es schon — und das muß in diesem Zusammenhang auch gesagt werden —, daß das böse Wort von der „Kanzlerdemokratie" in der öffentlichen Diskussion herumgeistert, und eine „Finanzministerdemokratie" kann ich mir noch als viel weniger wünschenswert vorstellen als die Diktatur — entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, die Demokratie, die unter dem Vorzeichen der absoluten Unantastbarkeit des Regierungschefs steht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesfinanzminister präjudiziert nach unserer Meinung wichtige Parlamentsentscheidungen, wenn er vor jeder parlamentarischen Beratung detaillierte Angaben über den Umfang seiner Bereitschaft zu Steuersenkungen oder zu sonstigen finanzpolitischen Maßnahmen macht und damit von vornherein schon die Grenze absteckt, innerhalb deren er überhaupt bereit ist, über bestimmte Maßnahmen zu verhandeln. Das scheint uns eine Methode zu sein, die auf die Dauer nicht tragbar ist.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Daß der Herr Bundesfinanzminister auch sonst eine Neigung zeigt, die Information des Parlaments hinter die der Presse zu setzen — wobei ich nichts gegen die Presse gesagt haben will —, hat er schließlich damit gezeigt, daß er die vom Bundestag am 23. Februar 1955 gewünschten Denkschriften zur Frage der Ehegattenbesteuerung und der steuerlichen Entlastung der Arbeitseinkünfte der Presse übergeben hat, ehe ein Abgeordneter sie überhaupt zu Gesicht bekommen hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das scheint uns nicht die richtige Methode zu sein, auf Beschlüsse des Parlaments zu reagieren.
    Bei der Gelegenheit übrigens eine Bemerkung zur Frage der Ehegattenbesteuerung selbst, die zwar unmittelbar nichts mit dem sachlichen Inhalt der Vorschläge des Herrn Bundesfinanzministers zu tun hat, wohl aber mit der Behandlung dieser Dinge durch ihn. Der Deutsche Bundestag hat es mehrmals mit eindrucksvollen Mehrheiten abgelehnt, dem Herrn Bundesfinanzminister auf seinem Wege zur gemeinsamen Veranlagung im Arbeitsprozeß stehender Ehegatten zu folgen. Es ist zwar ein Zeichen der Beharrlichkeit des Herrn Bundesfinanzministers, daß er immer wieder mit derselben Idee kommt; aber wäre es nicht ein Zeichen für einen gewissen Respekt vor der Meinung des Parlaments, das mehrmals entschieden hat, wenn er diese Meinung endlich zur Kenntnis nehmen wollte?

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, es ist bei dieser ersten Beratung nicht möglich, den Haushaltsentwurf in allen Einzelheiten zu untersuchen, ganz abgesehen davon, daß wir uns in diesem Stadium mit den Grundsätzen auseinanderzusetzen haben, die in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers zum Ausdruck kamen und die auch in dem Entwurf ihren Niederschlag finden. Trotzdem gestatten Sie mir einige allgemeine Bemerkungen zu Form und Struktur des Haushaltsentwurfs.
    Leider sind die Allgemeinen Vorbemerkungen — und ich muß diese Klage hier wiederholen, obwohl der Herr Kollege Vogel sie schon zu einem Teil selber vorgebracht, zu einem Teil abgeschwächt hat — zu einem Zeitpunkt in die Hand der Abgeordneten gekommen — nämlich vor zwei Tagen —, wo es völlig ausgeschlossen ist, sie in dieser kurzen Zeit auch nur annähernd gründlich zu studieren. Ich bedaure das außerordentlich. Denn in diesen Allgemeinen Vorbemerkungen stekken die Ansatzpunkte — aber auch nur die Ansatzpunkte — zu einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die wir Sozialdemokraten bei vergangenen Haushaltsdebatten mit Nachdruck gefordert haben.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat dem Hohen Hause einen Antrag unterbreitet, der wohl bei der dritten Beratung des Haushalts zur Entscheidung kommen wird, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß des Bundestages den Jahresbericht der Bundesregierung an die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit — abgekürzt: OEEC — v o r dessen Absendung rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen und die Stellungnahme des Ausschusses dazu einzuholen. In einem anderen Antrag fordern wir, daß dem Bundestag die Berechnungen und Schätzungen des Sozialprodukts und die statistischen Unterlagen für die Errechnung des Steueraufkommens, die dem Haushalt 1956 zugrunde gelegt worden sind, bekannt-


    (Schoettle)

    gegeben werden. Ich weiß, daß diese Anträge heute nicht entschieden werden können; das ist auch nicht der Sinn der ersten Beratung. Aber die Absicht dieser sozialdemokratischen Anträge ist es — und darum erwähne ich sie —, daß dieses Haus über die fragmentarischen Allgemeinen Vorbemerkungen hinaus, die wir als eine erfreuliche Verbesserung der bisherigen Praxis betrachten, detailliertere Unterlagen für seine eigenen Entscheidungen in finanz-, steuer- und wirtschaftspolitischen Fragen bekommt, als es sie bisher zur Verfügung hatte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist nicht einzusehen, daß die Bundesregierung in umfangreichen Vorarbeiten Materialien für eine supranationale Organisation wie die OEEC erstellt, deren Nützlichkeit und Bedeutung wir durchaus anerkennen, daß aber dieselben Unterlagen dem eigenen Parlament nur in einem beschränkten Umfang zur Verfügung stehen sollen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir müssen schließlich Entscheidungen treffen, die unmittelbar in das Schicksal jedes einzelnen Staatsbürgers eingreifen, und haben deshalb ein Recht darauf, ausreichend, vollständig und gründlich informiert zu sein. Wir meinen, daß wir durch die Annahme der von uns gestellten Anträge dem Ziel näherkommen können, das uns mit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorschwebt, ohne daß wir damit etwa die Illusion verbinden, daß diese volkswirtschaftliche Gesamtrechnung uns nun auf lange Zeit Aufschluß über alle, auch die subtilsten Bewegungen im volkswirtschaftlichen Prozeß geben könnte. Das glauben wir auch nicht, und deshalb haben wir immer erklärt, diese volkswirtschaftliche Gesamtrechnung solle ein Orientierungsmittel, nicht aber ein gesetzlich bindendes Instrument sein.
    Inwieweit der Funktionenhaushalt, der erstmalig dem Gesamtplan des Bundeshaushalts angeschlossen ist, einen wesentlichen Fortschritt bedeutet und eine klarere Übersicht über die Verwendungszwecke der Haushaltsmittel gibt, wird sich im Laufe der Beratungen im Haushaltsausschuß zeigen müssen. Daß der Versuch gemacht wurde, ist begrüßenswert. Damit hat wohl zum erstenmal die weitgestreute internationale Diskussion über das Problem des sogenannten Leistungsbudgets in unserer Haushaltspraxis einen Niederschlag gefunden.
    Die Reform unseres Haushaltsrechts steht allerdings immer noch aus. Meine anläßlich der letzten Haushaltsberatung erhobene Forderung, daß sich das Parlament rechtzeitig in die Behandlung dieses sein ureigenstes Recht berührenden Problems einschalten soll, bleibt nach wie vor bestehen. Was der Herr Bundesfinanzminister aus dem Reisebericht einiger Mitglieder des Haushaltsausschusses und der Verwaltung über ihre Beobachtungen im Bereich des amerikanischen Haushaltswesens gestern thesenmäßig herausgegriffen hat, akzeptieren wir auch, freilich nur als gute Vorsätze; das muß ich ausdrücklich hinzufügen. Denn entscheidend ist, daß die guten Vorsätze auch verwirklicht werden.
    Ich habe schon von der Haushaltsordnung gesprochen, deren Reform dringend notwendig ist. Aber daß der Herr Bundesfinanzminister gestern in der Frage der Umstellung des Haushaltsjahrs auf das Kalenderjahr eine so zögernde Haltung eingenommen hat und so sehr betont hat, daß die Länder bisher nicht mittun, das muß ich, offengestanden, bedauern. Es will mir scheinen, daß dieser Schritt längst überfällig wäre.

    (Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)

    Wir haben in diesen Tagen im Haushaltsausschuß — Herr Kollege Vogel hat schon in einem anderen Zusammenhang davon gesprochen — den hoffentlich von Erfolg begleiteten Versuch gemacht, eine der unangenehmsten Begleiterscheinungen unserer jetzigen Haushaltspraxis zu mildern oder zu beseitigen.
    Das Haus wird sich demnächst mit einem Vorschlag zu beschäftigen haben, der aus den Reihen der Regierungskoalition kommt und den der Haushaltsausschuß modifiziert hat, einem Vorschlag, der es möglich macht, die Mittel für den Straßenbau, die in diesem Entwurf für das Haushaltsjahr 1956 vorgesehen sind, im Wege der Bindungsermächtigungen an den Beginn des Haushaltsjahrs vorzuziehen. Das ist ein bescheidener erster Schritt und ein Notbehelf, der den berechtigten Klagen der Bauwirtschaft über das späte Fließen der Haushaltsmittel für Bauzwecke vielleicht ein Ende bereiten mag. Aber es muß eine Lösung für das Gesamtproblem gefunden werden.
    Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundesfinanzminister die Überlegungen, die vor einiger Zeit angestellt wurden, daß man nämlich die Haushaltsperiode einmal nur auf neun Monate beschränken solle, um damit den Anschluß an das Kalenderjahr zu finden, nicht zu Ende geführt hat. Einmal müssen wir den Sprung machen, und ich glaube, je eher je besser.

    (Zustimmung bei der SPD und Beifall in der Mitte.)

    Allerdings hat der Herr Bundesfinanzminister mit seinem Hinweis nicht Unrecht, daß die Länder — und vor allem die Länder! — zögern. Aber wäre es nicht gut, wenn wir einmal durch einen kühnen Entschluß einen sanften Zwang auf die zögernden Länder ausübten?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich bin überzeugt, daß sie nachkommen würden.
    Als ich in meiner letzten Haushaltsrede hier im Hause davon sprach, daß die Post zum Kalenderjahr als ihrem Wirtschaftsjahr übergegangen sei, bekam ich einen leise vorwurfsvollen Brief des Finanzchefs der Deutschen Bundesbahn, in dem er mich armen Parlamentarier darauf hinwies, daß nicht nur die Deutsche Bundespost, sondern schon seit 30 Jahren das größte Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft, nämlich die Deutsche Bundesbahn, das Kalenderjahr als Wirtschaftsjahr habe. Nun, meine Damen und Herren, wenn zwei so gewaltige Faktoren der öffentlichen Wirtschaft das Kalenderjahr als Wirtschaftsjahr haben, dann müßte es doch nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn uns unüberwindliche Schwierigkeiten den Entschluß erschweren oder gar unmöglich machen sollten, dasselbe zu tun.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Strukturproblem dieses Haushaltsplans herausgreifen, auf das wir Sozialdemokraten unsere nachdrückliche Kritik richten müssen. Wir haben immer gefordert, daß das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin zweckgebunden werde und in vollem Umfang zur Stützung des Haushalts des Landes Berlin


    (Schoettle)

    Verwendung finde. Deshalb haben wir stets beantragt, daß im Einzelplan 45, dem Einzelplan, in dem die Hilfsmaßnahmen für Berlin auf der Ausgabenseite ausgewiesen wurden, nicht nur die Aufwendungen für Berlin als Ausgaben, sondern auch das Aufkommen aus dem Notopfer als Einnahme eingestellt werden. Was ist statt dessen geschehen? Der Herr Bundesfinanzminister hat den Einzelplan 45 einfach verschwinden lassen, die Einnahmen aus dem Notopfer Berlin in den Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — übergeführt und dazu gesagt: Nun stehen ja Einnahmen und' Ausgaben in e in e m Einzelplan.

    (Abg. Dr. Gülich: Der Bundesfinanzminister ignoriert die Anträge, die dem Parlament zur Beschlußfassung vorliegen!)

    Mir scheint das ein Verfahren zu sein, das allen politischen Überlegungen widerspricht und unter gar keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.) Schließlich, meine Damen und Herren, ist es ja nicht einfach eine haushaltstechnische Angelegenheit, sondern eine eminent politische Frage, die sich in den Hilfsmaßnahmen für Berlin widerspiegelt.

    Wir freuen uns darüber, daß der Herr Bundesfinanzminister Erleichterungen für einen bestimmten Kreis von Steuerzahlern angekündigt hat, indem er auf die Erhebung des Berliner Notopfers insoweit verzichten will, als es bisher bis zu 30 DM betragen hat. Das kann aber doch nicht irgendwie die Hilfe für Berlin einschränken. Wir sind der Meinung, daß die Hilfe für das Land Berlin im Gegenteil ausschließlich unter den allgemeinen politischen Gesichtspunkten und Erfordernissen gesehen werden muß, und zwar ohne Rücksicht auf die fiskalischen Überlegungen im Bundesfinanzministerium.
    Ich möchte mich nun vor allem der Einführungsrede des Herrn Bundesfinanzministers selbst zuwenden. Freilich kann ich ihm dort nicht folgen, wo er den Versuch gemacht hat, bestimmte Züge seiner Finanzpolitik sozusagen ideologisch zu untermauern. Daß die Finanzpolitik zu dienen hat, ist — Herr Bundesfinanzminister, entschuldigen Sie das etwas harte Wort — ein Gemeinplatz. Das wissen wir alle. Die Frage ist, wem sie zu dienen hat, in wessen Diensten sie steht. Sie haben gesagt, die Finanzpolitik, die Haushaltspolitik müsse dazu dienen, die Politik der Regierung durchzuführen. Das ist der Grund, warum wir auch Ihre Finanzpolitik kritisiert haben; denn wir stehen ja in einer Reihe von Fragen im Widerspruch zu der Politik der Regierung. Wir haben es immer richtig verstanden, daß Sie als Minister dieser Regierung eine bestimmte Finanzpolitik und keine andere treiben. Wir haben Ihnen daraus keinen Vorwurf machen können. Unsere Kritik richtet sich gegen die Grundlagen der Politik. Ich möchte gleich hinzufügen — was leider in der Bundesrepublik gelegentlich einmal notwendig ist, weil es manche Leute gern übersehen oder vielleicht nicht begreifen können —, daß Gegnerschaft gegen eine temporäre Regierung — und jede Regierung ist temporär und nicht definitiv — nicht mit Gegnerschaft gegen den Staat und seine Rechtsgrundlagen gleichbedeutend ist. In diesem letzteren Punkte können wir Sozialdemokraten absolut keiner Mißinterpretation unserer eigenen Absichten und Ansichten ausgesetzt sein.
    Meine Damen und Herren, einen großen Teil seiner Rede hat der Minister der Abwehr bestimmter Forderungen gewidmet, die im Parlament und in der Öffentlichkeit gegenüber seiner Finanzpolitik erhoben worden sind. Diese Forderungen und Wünsche an den Bundesfinanzminister gehen von der unbestreitbaren Tatsache aus, daß infolge der Hochkonjunktur das Aufkommen aus Steuern und Abgaben weit über die Schätzungen hinausgeht und daß deshalb die Bundeskasse wie manche andere öffentliche Kasse über einen hohen Bestand an liquiden Mitteln verfügt. Die Forderung nach Steuersenkungen auf der einen und nach Verbesserung der sozialen Leistungen auf der anderen Seite mögen in ihren Motiven und Absichten verschiedener Art sein. Sie beruhen aber im letzten Grund auf der These, daß der Staat von seinen Bürgern nicht mehr fordern soll, als er zur Bestreitung seiner aktuellen Ausgaben braucht.

    (Beifall bei der SPD und Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Demgegenüber hat der Bundesfinanzminister eine andere These aufgestellt, die meine Freunde und ich für höchst bedenklich und auf die Dauer für unerträglich halten, die These nämlich, daß er als Finanzminister mit seiner Finanzpolitik jetzt schon Reserven für künftige Jahre ansammeln müsse. Im Zusammenhang damit hat er ein Argument gebraucht, das in einem geradezu grotesken Widerspruch zu allen haushaltsrechtlichen Vorstellungen steht, die wir bisher für gültig gehalten haben. Er hat nämlich, um seine Politik der Aufspeicherung von Mitteln, die mit einem schönen deutschen Wort auch Thesaurierungspolitik genannt wird, zu rechtfertigen, den Grundsatz der Einheit des Haushalts kühn über Bord geworfen und den Verteidigungshaushalt mit seinen 9000 Millionen als eine Art „Blümlein Rührmichnichtan" dem übrigen Haushalt gegenübergestellt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Hier, wo die entscheidenden Positionen des Sozialhaushalts, der Wirtschafts-, der Agrar- und Finanzpolitik zu Buche stehen, sollen alle Kompromisse zwischen drängenden Forderungen der Zeit und der Menschen und den fiskalischen Bedürfnissen des Herrn Bundesfinanzministers im engen Raum ausgetragen werden, während in der „guten Stube" der Verteidigung überhaupt nicht abgestaubt werden darf.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Mir scheint das eine unmögliche These zu sein, die man auf die Dauer einfach nicht durchhalten kann, wenn man nicht zu absolut unmöglichen Proportionen bei der Aufbringung der Mittel für allgemeine Aufgaben kommen will.
    Mit einer eleganten Handbewegung hat der Herr Bundesfinanzminister alle Einwände gegen diese seine Thesaurierungspolitik abgetan. Aber die Beispiele, die er aus der Zeit der reinen Besatzungskostenwirtschaft herangezogen hat, sind nicht schlüssig. Wir bewegen uns ja jetzt in einem Raum, in dem wir, da wir ja souverän sind, allein zu bestimmen haben, wenngleich ich natürlich zugebe, daß vertragliche oder Rechtsverpflichtungen nicht einfach beiseite geschoben werden können. Aber der Bundeshaushalt ist ein Ganzes und muß es bleiben.

    (Abg. Dr. Conring: Ebenso Vertragsverpflichtungen, die man noch nicht übersehen kann!)

    — Es kommt darauf an, welche finanziellen Volumina man in diese Vertragsverpflichtungen hin-


    (Schoettle)

    eingeheimnist oder hineininterpretiert, und da gehen die Meinungen auch auseinander, Herr Kollege Conring!

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat übrigens diesmal im Gegensatz zu früheren Jahren mit entwaffnender Offenheit von seinen Gründen für seine Aufspeicherungspolitik gesprochen. Ich habe selten so klar gesehen oder mindestens aus den Worten des Herrn Ministers herausgehört, warum er das tut. Ich zitiere ihn. Er sagte:
    Vielmehr ist damit zu rechnen, daß in der Anlaufzeit die Ausgaben geringer sind, um in den späteren Jahren Spitzen zu erreichen, die für das einzelne Jahr zu überhöhten Belastungen führen würden, wenn nicht vorausschauend auch finanzpolitisch für diese Jahre vorgesorgt würde.
    Ich muß offen sagen, ich bedaure zutiefst, daß der Herr Bundesfinanzminister in unserer allgemeinen verfassungsrechtlichen Konstruktion ein so bequemes Bett für diese Methode bekommen hat. Das englische Beispiel, das er gelegentlich einmal, mit einem gewissen Anflug von Wunschträumen, heranzieht, ist da viel überzeugender. Da muß der Finanzminister nämlich jedes Jahr den Belastungssatz des Steuerzahlers dem Parlament neu vorschlagen und kann sich nicht darauf verlassen, daß die Steuerquellen ja so lange in der angenehmen Höhe fließen, als nicht durch Parlamentsentscheidungen andere Sätze festgelegt werden. Es wäre gut, wenn wir diese Methode erreichen würden. Ich fürchte leider, daß vorher eine Reihe von verfassungsrechtlichen Konsequenzen geklärt werden müssen. Aber wenn man das, was der Herr Bundesfinanzminister in seinem vorhin zitierten Satz sagte, auf eine einfache deutsche Formel bringen will, dann müßte man sagen: die Medizin soll dem Kinde löffelweise beigebracht werden. Oder man kann auch anders sagen: man hält das Niveau der steuerlichen Belastung jetzt höher, als es auf Grund der aktuellen Aufgaben sein müßte, damit man nicht später steuerliche Belastungen vornehmen muß, die politisch unangenehm sein würden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es bleibt zu untersuchen, wie sich die Dinge in Wirklichkeit verhalten. Ich wage da zunächst einmal zu behaupten, daß die Manövriermasse in der Bundeskasse — ich rede jetzt von der Kasse, nicht vom Haushalt — größer ist, als es der Herr Bundesfinanzminister zugeben will. Er bewertet, jedenfalls nach unserer Meinung, die Rückzahlungsforderungen von seiten der Besatzungsmächte — ich muß mich korrigieren: der Herr Bundesfinanzminister hat gestern das interessante Wort „Stationierungsmächte" gebraucht, das mir bisher noch nicht begegnet ist — zu hoch. Die „Stationierungsmächte" werden nicht dieselben hohen Forderungen stellen und vermutlich auch nicht stellen können, wie sie der Herr Bundesfinanzminister immer annimmt. Das ist das eine.
    Zum andern hat vor einigen Wochen der Deutsche Bundestag in Berlin eine konjunkturpolitische Debatte durchgeführt. Als Resultat dieser Debatte und vermutlich auch unter dem Eindruck der Diskussion über den Unterschied zwischen den Haushaltsansätzen 1955 und dem tatsächlichen Aufkommen hat sich auch der Herr Bundesfinanzminister entschließen müssen, Steuersenkungen für möglich zu halten. Vorsorglich hat er gleich den Betrag genannt, den er — nicht etwa das Parlament, sondern er — zur Verfügung stellen wolle. Er hat es auch gestern wiederholt. Daraus geht hervor, daß er sich nur in einem sehr mäßigen Umfang auf eine Herabsetzung der Steuerlast einlassen möchte. Er fürchtet vermutlich, daß seine Methode des Rufspeicherns von Mitteln im Wege der Ansammlung von Ausgaberesten bei einer Anpassung der Steuerlast an den aktuellen Bedarf nicht mehr möglich ist, und vielleicht spielt dabei auch die Überlegung eine Rolle, daß, wenn jetzt die Steuern so gesenkt würden, wie sie gesenkt werden könnten, man möglicherweise im Wahljahr 1957 die Steuern erhöhen müßte. Und das wäre doch höchst unangenehm, höchst unpopulär;. denn dann würde einiges sichtbar, was man bisher bestritten hat.

    (Abg. Dr. Gülich: Aber im Jahr 1957 werden einige Steuerbonbons fällig!)

    — Das halte ich für sehr wahrscheinlich.

    (Abg. Dr. Willeke zum Abg. Dr. Gülich: Ihre Prophezeiungen waren aber nicht immer richtig!)

    — Herr Kollege Dr. Willeke, ich glaube, wir unterhalten uns am besten in dieser Richtung und nicht quer durch das Haus.
    Ich muß nochmals sagen, der allgemeine Eindruck ist: Man hält das Niveau der Steuerlast jetzt höher als nötig, um zu einem politisch ungünstigen Zeitpunkt dem Wähler nicht die Wahrheit über die wirklichen Verteidigungslasten sagen zu müssen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Frage der Steuersenkung überhaupt. Ihre Notwendigkeit und ihre Möglichkeit werden heute kaum mehr bestritten. Meinungsverschiedenheiten bestehen über Umfang und Richtung. Die konjunkturpolitische Situation würde dringend in die Richtung einer Senkung der Verbrauchsteuern weisen, so wie die Sozialdemokratie es in ihren Anträgen zur Konjunkturpolitik gefordert hat. Aus den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages wissen wir allerdings, daß ein großer Teil der Regierungsmehrheit Verbrauchsteuersenkungen überhaupt nicht mehr will und sich um so nachdrücklicher für eine Senkung der Einkommensteuer einsetzt. Hier klafft ein Widerspruch nicht nur zwischen den offenkundigen konjunkturpolitischen Notwendigkeiten, sondern auch zwischen den Absichten der Regierung, soweit sie erkennbar waren, und den Wünschen bestimmter Wirtschaftskreise, die ihre Sprecher bei der Mehrheit dieses Hauses haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wäre — ich kann das erklären — durchaus bereit, einer weiteren Senkung von Steuersätzen zuzustimmen, wenn die vordringlichen Forderungen auf Senkung der Verbrauchsteuern befriedigt worden sind. Das Übergewicht der Verbrauchsteuern lastet in erster Linie nicht auf den Leuten mit steuerpflichtigem Einkommen, sondern auf der ganzen Masse der Bevölkerung. Wenn sich die Absicht jener Kreise durchsetzte, die aus sehr eigennützigen Gründen die Ertragsteuern senken und die Verbrauchsteuern in ihrer jetzigen Höhe belassen möchten, dann würde der groteske Zustand eintreten, daß die Rüstungsausgaben fast ausschließlich aus Verbrauchsteuern finanziert werden.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Conring: Übertreibung!)



    (Schoettle)

    Wir Sozialdemokraten müssen einer derartigen Politik, wie sie auch in der gestrigen Rede des Herrn Bundesfinanzministers zum Teil spürbar wurde, entschiedene Gegnerschaft ansagen.
    Es war übrigens bemerkenswert und sicher nicht ganz zufällig, daß der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede immer dann, wenn er die Gefahren für die Währung schilderte, die Lohn- und Gehaltsforderungen der Arbeitnehmerschaft unter den Gefahrenquellen an erster Stelle nannte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Warum eigentlich immer diese Warnungen an die Arbeitnehmer, wenn von Gefahren für die Währung die Rede ist?

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Gibt es nicht andere Gefahren, meine Damen und Herren? Haben die Wünsche der Arbeitnehmerschaft nach einem besseren Anteil am Sozialprodukt in der Geschichte Deutschlands jemals dieselbe währungszerstörende Rolle gespielt wie die zwei Kriege, die unnötigerweise geführt worden sind und die zur Zerstörung der Währungsgrundlagen geführt haben?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Man soll uns doch nicht immer mit solchen Dingen kommen!

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch billig!)

    — Mein lieber Herr Kollege, die Warnungen an die Arbeitnehmer bei jeder Lohn- und Gehaltsforderung sind billig, weil sie nämlich nicht kompensiert werden durch gleichartige und gleichgewichtige Warnungen an Leute, deren Aktionen I die Währung viel eher gefährden als die bescheidenen Wünsche der breiten Masse der Arbeitnehmer.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich sage nochmals: unsere nationale Substanz ist zweimal vernichtet worden durch Kriege, aber nicht durch Lohn- und Gehaltsbewegungen oder gar Rentenerhöhungen.

    (Abg. Dr. Pelster: Daran sind wir doch nicht schuld!)

    — Herr Kollege Pelster, ich polemisiere doch nicht gegen Sie. Ich weiß doch auch, wo Sie im Herzen stehen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. Abg. Pelster: Sie könnten sich irren! — Abg. Frau Kalinke: Wo steht er denn?)

    — Vielleicht fragen Sie ihn selber, Frau Kalinke!

    (Abg. Frau Kalinke: Ich bin so schüchtern! — Heiterkeit.)

    — So schüchtern? Das traue ich Ihnen gar nicht zu!

    (Erneute Heiterkeit.)

    Besonders interessant fanden wir die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers über die Verteilung des Sozialprodukts. Seine Behauptung, daß jeder Bevölkerungsteil an dem größer gewordenen Volkseinkommen seinen Anteil erhalten habe, verlangt nach unserer Meinung eine kleine Ergänzung, nämlich die, daß die Anteile für die verschiedenen Schichten der Bevölkerung leider verschieden groß waren, auch ihrem Gewicht nach verschieden groß. Der Kampf geht ja schließlich darum,
    den Anteil derjenigen Schichten unseres Volkes am gestiegenen Sozialprodukt zu erhöhen, die bisher zu kurz gekommen sind. Ich hätte es eigentlich nicht für möglich gehalten, daß sich ausgerechnet der Herr Bundesfinanzminister zu der Behauptung versteigen würde, die Forderung nach einem größeren Anteil am Volkseinkommen würde mit Sicherheit dazu führen — ich muß ihn hier zitieren —, daß der Kuchen „Bruttosozialprodukt" nicht mehr aus 100 Hundertteilen, sondern aus 150 oder mehr bestehen sollte. Ich weiß, daß der Herr Bundesfinanzminister sich zu verschiedenen Malen in Additionskünsten versucht hat, wobei er ungleichartige und nicht addierbare Dinge zusammenrechnete.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Aber ich bin doch nach wie vor der Meinung, daß Herr Finanzminister Schäffer nicht die Absicht hat, in die Geschichte der Bundesrepublik als Bundesmilchmädchen einzugehen,

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    und ich finde, die Geschichte mit den 150 Hundertteilen war eigentlich nicht sein Stil. Auch wir haben in der Schule rechnen gelernt.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Auch wir Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, sind aus unserer Verpflichtung gegenüber den Interessen des Volksganzen für ein gesundes Maß. Die Frage ist nur, wo dieses gesunde Maß liegt; und da darf ich doch darauf hinweisen, daß im Maßhalten manche Leute in der Bundesrepublik in den letzten Jahren sich viel geringere Zurückhaltung auferlegt haben als die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung.

    (Beifall beider SPD.)

    Das dürfte wohl eine Feststellung sein, der man nicht widersprechen kann, wenn man durchs Land geht und um sich blickt.
    Wir wehren uns dagegen, daß jeder Versuch, die Konsumkraft der breiten Massen durch Erhöhung ihres Einkommens oder durch Senkung der Verbrauchsteuern zu steigern, damit beantwortet wird, daß man den Teufel des Währungsverfalls an die Wand malt. Die Stabilität der Währung ist für uns eine genauso wichtige Sache wie dem Herrn Bundesfinanzminister und hoffentlich allen in diesem Hause.
    Aber ich habe mich eigentlich etwas gewundert über eine Bemerkung des Herrn Kollegen Vogel, deren Bedeutung mir noch nicht ganz klargeworden ist. Ich polemisiere sonst nicht gegen Sie; ich habe es heute nicht nötig, da Sie ja vor mir sprachen. Sie sagten, Herr Kollege Vogel — und ich überlege mir immer noch, worauf Sie hinauswollten —, daß in dem Augenblick, in dem die Sicherheit der Währung etwa durch die übersteigerten Forderungen aus dem Sicherheitskomplex in Gefahr geraten würde, Sie zugunsten der Sicherung der Währung auf Elemente der Sicherheit lieber verzichten würden. Habe ich Sie richtig verstanden?