Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich zu dem Negativen, das zu dieser Großen Anfrage geführt hat, nicht mehr äußern; ich möchte nur positiv einige Lehren daraus ziehen. Wir freuen uns, daß wir diese Anfrage zum Anlaß nehmen können, einmal zu den Fragen der öffentlichen Aufträge, die im Rahmen der Wiederbewaffnung und der Wiedererrichtung einer Wehrmacht anfallen, aus der mittelständischen Sicht heraus Stellung zu nehmen. Die im Haushalt festgelegten 9 Milliarden DM jährlich für Verteidigungszwecke haben seit Monaten in der Öffentlichkeit eine erhebliche Diskussion ausgelöst; denn es ist für weite Kreise unseres deutschen Volkes nicht uninteressant, in welche Kanäle diese Milliarden fließen, an wen diese öffentlichen Aufträge gehen und welche wirtschaftlichen Sektoren dadurch befruchtet werden. Die große Gruppe des gewerblichen Mittelstandes, in der über 70 % der Gesamtbevölkerung ihre Existenz finden, ist sehr stark daran interessiert, daß sie an diesen Aufträgen angemessen beteiligt wird.
Es besteht wohl in diesem Hause Einmütigkeit darüber, daß die wirtschaftlichen Aufgaben, die sich aus der Aufstellung einer neuen Wehrmacht ergeben, von der Gesamtvolkswirtschaft gelöst werden können und müssen,
ohne eine neue Rüstungswirtschaft aufzubauen. Es
müßte auch ohne große Schwierigkeiten möglich
sein, die vorhandenen nicht ausgenutzten Kapazitäten der Klein- und Mittelbetriebe sinnvoll für diesen Zweck einzusetzen. Erst dann wäre auch eine echte Wettbewerbswirtschaft möglich. Eine mittlere Schreinerei beispielsweise, mechanisch ausgerüstet, hat vielleicht fünf, sechs oder sieben Maschinen; Sie werden aber immer feststellen, daß nur ein oder höchstens zwei Maschinenschreiner daran beschäftigt sind, ein Beweis dafür, daß diese Maschinen in keiner Weise ausgelastet sind und daß sie noch ausgelastet werden können.
Ich will mich bei meinen Ausführungen nicht mit den „harten" Rüstungsgütern befassen; sie unterliegen besonderen Gesetzen und sind schließlich auch nur von einer bestimmten Industrie zu produzieren. Im Zusammenhang mit dieser Debatte interessieren uns im wesentlichen die Dinge, die mit dem Ausstattungsbedarf der Wehrmacht zusammenhängen.
Es dürfte für uns alle kein Geheimnis mehr sein, daß sich in einzelnen Wirtschaftszweigen, insonderheit in den Ballungsgebieten, eine Hochkonjunktur mit den damit zusammenhängenden Gefahren abgezeichnet hat, wogegen andererseits andere Sektoren unserer Wirtschaft, andere Gebiete, insbesondere die Grenz- und Notstandsgebiete, noch längst nicht ausgelastet sind. Es muß daher eine der. vordringlichsten Aufgaben der Bundesregierung sein, zu versuchen, durch diese Mittel, die erstmalig in die Wirtschaft hineinfließen, diese Diskrepanz auszugleichen, was auch ohne weiteres im Rahmen der Marktwirtschaft möglich ist.
Ohne einem zukünftigen Organisationsgesetz, in dem die wirtschaftlichen Institutionen ihre Verankerung finden sollen — wir sind der Ansicht, daß die wirtschaftlichen Dinge, die nun einmal mit der Wiederaufrüstung verbunden sind, in einer besonderen Ordnung zu regeln sind —, vorgreifen zu wollen — wir werden anläßlich der Beratung darauf noch zurückkommen —, bleibt uns zunächst nur übrig, zu untersuchen, inwieweit die VOL und die VOB, die bisher bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zwingend angewandt wurden und wahrscheinlich auch bis zur Einführung einer anderen Regelung noch angewandt werden, Möglichkeiten bieten, diesen von mir vorgetragenen mittelständischen Anliegen gerecht zu werden. Bei einsichtiger Handhabung dieser Vorschriften und bei gutem Willen der auftraggebenden Stellen sind die Möglichkeiten dafür absolut gegeben.
Die drei Vergabemöglichkeiten, die die VOL und die VOB vorschreiben und die auch hier schon mehrfach angesprochen worden sind, sind einmal die öffentliche Ausschreibung, die Vergabe an den wirtschaftlichsten Anbieter, zweitens die beschränkte Ausschreibung, wiederum die Vergabe an den wirtschaftlichsten Anbieter, und drittens die freie Vergabe. Jede dieser Vergabeformen hat in besonders gelagerten Fällen ihre Berechtigung und Zweckmäßigkeit. Welche von ihnen im Einzelfall angewendet werden muß, ist Sache der wirtschaftlichen Einsicht und könnte in einem Organisationsgesetz festgelegt werden.
Eins ist festzuhalten. Wenn weite Kreise der kleinen und mittleren Gewerbebetriebe, der Industrie, des Handwerks oder des Handels an diesen Aufträgen beteiligt werden sollen, dann muß bei einer öffentlichen Ausschreibung der Vergabewille frühzeitig an die Interessenten herangebracht werden. Es genügt vielleicht nicht, daß die Ausschreibung nur im Bundesanzeiger erfolgt. Vielleicht müssen wir uns darüber auseinandersetzen, ob nicht die Organisationen vorher benachrichtigt werden können, damit sich die Interessenten beteiligen können.
Aber auch bei der beschränkten Ausschreibung, bei der die Beschaffungsstelle die Anbieter aus den Lieferantenlisten auswählt, muß ausreichend Zeit für die Abgabe eines Angebots gegeben werden. Es geht nicht, wie es leider Gottes schon vorgekommen sein soll, daß die Anbieter für die Abgabe des Angebots nur einen Tag zur Verfügung haben. Man könnte dann sehr leicht auf den Gedanken kommen, daß man einige Konkurrenten ausschließen will. Immerhin halte ich diese Art der Ausschreibung für sehr gut, weil man damit die Möglichkeit der Streuung, vor allem in regionaler Beziehung, hat.
Um die kleinen Betriebe wirksam zum Zuge kommen zu lassen, muß von den Möglichkeiten, die die VOL und die VOB bieten, weitestgehend Gebrauch gemacht werden. So ist in § 9 Nr. 3 der VOL ausdrücklich bestimmt, daß zur Erhaltung eines selbständigen, leistungsfähigen Handwerks diesem Gelegenheit zu geben ist, sich um die in Betracht kommenden Leistungen zu bewerben, wenn die Art und Größe des Auftrags den Betrieben entspricht. Auch der Bundesminister für Wirtschaft hat in einem besonderen Erlaß über die Beteiligung des Handwerks an öffentlichen Aufträgen alle Bundesminister und die Wirtschaftsminister der Länder noch einmal ganz besonders darauf hingewiesen, daß das Handwerk in dieser Form in die öffentlichen Aufträge eingeschaltet werden soll.
Um die Beteiligung der kleinen Betriebe sicherzustellen, sieht § 5 der VOL vor, daß umfangreiche Leistungen, wenn es zweckmäßiger ist, schon bei der Ausschreibung nach Menge und Art in Lose aufzuteilen sind. Nehmen wir als Beispiel an, wir brauchen 5000 Schränke. Wenn diese 5000 Schränke en bloc ausgeschrieben werden, ist es selbstverständlich, daß sich die kleinen und kleinsten Betriebe darum nicht bewerben können. Wenn man sie aber in 25 Lose zu 200 Schränken aufteilt, kann sich eine ganze Reihe von Kleinbetrieben bewerben. Dann besteht die Möglichkeit, dem wirtschaftlich günstigsten Anbieter den Auftrag vielleicht nicht nur für ein Los, sondern für fünf Lose zu erteilen, und man kann, wenn man wiederum von der VOL Gebrauch macht, die nachfolgenden Anbieter in das wirtschaftlichste Angebot eintreten lassen. Dazu bieten auch § 25 der VOL und § 26 der VOB eine Handhabe. Dadurch könnte ebenfalls eine gesunde Streuung erreicht werden.
Auch umfangreiche Bauleistungen sollen möglichst in Lose aufgeteilt und nach Losen vergeben werden. § 4 Nr. 2 und 3 der VOB weist ausdrücklich darauf hin. Hier ist ferner die Bildung von Liefergenossenschaften und Arbeitsgemeinschaften vorgesehen. Leider fehlen in diesem Fall noch klare Bestimmungen im Umsatzsteuerrecht. Für diese Arbeitsgemeinschaften und Lieferungsgenossenschaften dürfen aber keine steuerlichen Nachteile entstehen. Das ist bis jetzt nicht klar.
§§ 25 der VOB bestimmt sogar, daß bei annähernd gleichwertigen Angeboten Meister und Lehrberechtigte, die Lehrlinge ausbilden, vorzuziehen sind. Man will damit den handwerklichen Nachwuchs fördern. Ebenso hat sich die Bundesregierung mehrfach dahingehend ausgesprochen, die Mittelständler, die einen Betrieb haben und als Flüchtlinge oder Sowjetzonenflüchtlinge hierher gekommen sind, besonders zu berücksichtigen. Sie sollen bei öffentlicher Vergabe selbst dann berücksichtigt werden, wenn sie geringfügig teurer sind als die anderen Anbieter. Wir halten es an sich für richtig, daß sie bevorzugt behandelt werden; es muß allerdings sichergestellt sein, daß die Bevorzugungslage von Zeit zu Zeit überprüft wird, damit der Wettbewerb wiederhergestellt wird.
Eine andere bessere Möglichkeit, die Aufträge zu streuen und vorwiegend der mittelständischen Wirtschaft zufließen zu lassen, besteht in der Dezentralisation der auftraggebenden Stellen. Man sollte den Standortverwaltungen in der Beschaffung von Lebensmitteln und kleinen Bedarfsgegenständen für ihre Einheiten weitgehend freie Hand lassen. Herr Kollege Wieninger hat vorhin das Beispiel des Kleidergeldes angeführt. Das ist schon in der Praxis bei der Polizei eines Bundeslandes durchgeführt worden und hat sich anscheinend ganz gut bewährt.
Der Mittelstand muß, solange kein Organisationsgesetz besteht, das diese Fragen besonders regelt, erwarten. daß die Regierung alles tut. um den Wünschen der mittelständischen Wirtschaft in dieser Frage entgegenzukommen. Mit Deklamationen über die Förderung des Mittelstandes ist uns nicht gedient. Hier ist eine echte Hilfe durch gerechte Verteilung der Aufträge möglich.
Auf einen Punkt muß ich bei dieser Gelegenheit noch hinweisen. Ich wende mich damit mehr an die Adresse des Bundesfinanzministers. Der Herr Minister würde der kleinen und mittelständischen
Wirtschaft einen großen Gefallen tun, wenn er seine Verwaltungen anwiese, die Abrechnungen so schnell wie möglich durchzuführen.
Unzureichende Vorleistungen, Abschlagszahlungen sowie verzögerte Abrechnungen tragen dazu bei, den kleinsten Unternehmer zum unfreiwilligen Kreditgeber des Staates zu machen.
Leider ist das in der privaten Wirtschaft sehr oft der Fall. Es sind mir auch eine Reihe von Fällen bekannt, in denen die Finanzbauämter Anlaß zu Klagen gegeben haben.
Unsere Forderung, die mittelständische Wirtschaft an den öffentlichen Aufträgen angemessen zu beteiligen, ist kein Wunsch nach Bevorzugung eines Interessentenhaufens.
Sie entspricht vielmehr einer volkswirtschaftlichen Notwendigkeit und ist der Wunsch und Wille der Mehrheit aller schaffenden deutschen Menschen.