Rede von
Dr.
Alfred
Gille
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident. Ich wurde aber auf diese — ich will es einmal so nennen - Unhöflichkeit aufmerksam gemacht und habe etwas heftig darauf reagiert, was ich zu verstehen bitte. Es wäre gut gewesen, wenn wenigstens einer der beiden Herren dagewesen wäre.
Ich fahre fort. Ich hatte der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß hinsichtlich des völkerrechtlichen Status einschließlich der Grenzziehung niemals in irgendeiner Form der echten, vollen Entscheidungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung und des gesamtdeutschen Parlaments vorgegriffen wird.
In diesem Zusammenhang eine ganz kurze Randbemerkung zu einem der vielen Pläne, die immer auftauchen werden, verehrter Herr Kiesinger, ob Sie das wollen und für richtig halten oder nicht. Ich meine den neuen Friedlaender-Plan, der sehr beachtlich ist und der immerhin auf der Tagung der Europa-Union Deutschland in Berlin von einer Tribüne verkündet wurde, die eine sehr beachtliche Schallwirkung hat. Nur ganz wenige Worte dazu. Wenn ich Herrn Friedlaender recht verstanden habe, schlägt er einen gesamtdeutschen Rat aus freien Wahlen vor, der zwei Aufgaben haben soll, einmal, mit der Verfassungsarbeit zu beginnen, und zweitens, nicht nur mit den Verhandlungen über den Friedensvertrag zu beginnen, sondern auch hinsichtlich des Friedensvertrages zu einem Abschluß zu kommen. Dann sagt Herr Friedlaender: Das ist ein echtes Zwischenstadium, das für die Sowetunion noch keine Gefahr zu bedeuten braucht; denn zum Friedensvertrag müßtet ihr — die Sowjetunion — ja sagen; sagt ihr nicht ja, dann ist damit dieser Versuch der Wiedervereinigung gescheitert, alles geht nach Haus, und es bleibt alles beim alten.
Meine Damen und Herren, bei aller Würdigung der Gedanken, die in diesem Plan enthalten sind, und der Form, in der er der deutschen Öffentlichkeit und der Öffentlichkeit des Auslandes vorgetragen wurde, möchte ich doch von unserer Seite ein sehr ernstes Bedenken anmelden. Die Aushandlung des Friedensvertrages und damit die Herstellung des
völkerrechtlichen Status Gesamtdeutschlands sollte erst in Angriff genommen werden, wenn die Wiedervereinigung der vier Besatzungszonen Wirklichkeit geworden ist und ein stabiles staatliches Instrument auf deutscher Seite für diese unerhört schweren Verhandlungen zur Verfügung steht.
Wir möchten — und das glaube ich gerade als Heimatvertriebener aussprechen zu dürfen — bitten, diesen Einwand einmal sehr sorgfältig zu überlegen. Ansonsten freuen wir uns über die Entschließungen, die die Europa-Union in Berlin und die neulich der Europarat zur Deutschlandfrage gefaßt haben. Wir können das nur mit Dankbarkeit feststellen.
Zum innerpolitischen Status brauche ich nach dem, was dazu heute von allen Rednern ausgeführt worden ist, nicht viel zu sagen. Wir haben heute im Bundestag erfreulicherweise völlige Einmütigkeit darüber herstellen können, daß die freiheitliche Zukunftsgestaltung unseres Gemeinschaftslebens vorher unter keinen Umständen von irgendwelchen Wünschen unserer Nachbarn beschränkt oder beeinträchtigt werden darf. Es besteht wohl auch begründete Hoffnung, daß dieser Versuch einer Einmischung in die innerpolitischen Verhältnisse des zukünftigen Gesamtdeutschlands von der ganzen freien Welt nicht nur heute, sondern ständig zäh zurückgewiesen werden wird. Der Grundsatz, daß ein Staat sich nicht in die inneren Verhältnisse eines anderen einzumischen hat, scheint uns im Bewußtsein der freien Welt heute doch so verankert zu sein, daß man das, was die Sowjetunion mit ihrer Forderung erstrebt, in der vollen Auswirkung wirklich erkennt.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns keiner Täuschung darüber hingeben, daß in der Stunde der Wiedervereinigung eine Aufgabe vor das gesamte deutsche Volk tritt, die man nicht schwer und ernst genug nehmen kann. Niemand und kein Konferenzbeschluß wird uns davor bewahren, niemand wird uns die Aufgabe abnehmen, in hartem politischem Ringen auch das letzte Gift auszuscheiden, das durch zehn Jahre kommunistischer Beeinflussung in unseren Volkskörper eingedrungen ist. Ich wundere mich, daß sich diese Einsicht offenbar noch nicht überall durchgesetzt hat. Erst vor wenigen Tagen äußerte ein Politiker — es war sogar ein Bundesminister — schriftlich die Meinung, man werde das System in der Sowjetzone mittels freier Wahlen „hinwegfegen". Meine Damen und Herren, wenn solche Auffassungen schon am grünen Holze sprießen, wie soll es dann am trockenen sein?! Vielleicht könnte Herr Bundesminister Jakob Kaiser einmal Gelegenheit nehmen, aus dem sicherlich sehr, sehr reichhaltigen Fundus seiner Erfahrungen seinem Ministerkollegen einiges von dem mitzuteilen, was an echter Problematik vor uns stehen wird, wenn wir mit den 17 Millionen deutschen Brüdern und Schwestern einmal an den Neubau eines gemeinsamen deutschen Staates herangehen können. Von Hinwegfegen ist da nicht viel zu reden, sondern da wird ernst und sorgfältig diskutiert und, notfalls im politischen Kampf, das Richtige gefunden werden müssen.
Nun einige wenige Worte zum militärischen Status, und da möchte ich gern vermeiden, daß mich der politische Bannstrahl Bonns trifft.
— Ich will einmal annehmen, daß der Herr Bundeskanzler vielleicht doch erfährt, was der Sprecher des Gesamtdeutschen Blocks dazu zu sagen hat.