Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte Herrn Kollegen Ollenhauer ausdrücklich danken für die klare und unzweideutige Erklärung, daß für uns alle eine Wiedervereinigung nur auf der Basis der Freiheit und des Rechtes möglich ist.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß eine derartige klare Feststellung, wie sie der Verlauf der heutigen Sitzung noch weiter ergeben wird, für die deutsche Außenpolitik auch gegenüber Sowjetrußland von sehr wesentlicher Bedeutung ist.
Ich möchte aber bitten, meine Damen und Herren, nicht mehr vom „toten Punkt" zu sprechen. Es gibt in der Politik überhaupt keinen toten Punkt. Und, Herr Kollege Ollenhauer, verlassen Sie sich darauf: auch in der Frage der Wiedervereinigung gibt es für die deutsche Bundesregierung keinen toten Punkt.
Herr Ollenhauer hat ein sehr wahres und sehr ernstes Wort gesprochen, als er gesagt hat, es bestehe die große Gefahr, daß sich die übrige Welt an den jetzigen Tatbestand der Teilung Deutschlands gewöhn e. Ein sehr wahres Wort. Aber, meine Damen und Herren, dieses Wort bedarf noch einer Ergänzung: es ist auch eine große Gefahr, daß die übrige Welt der ständigen Befassung mit dem deutschen Problem überdrüssig wird. Zwischen diesen großen Gefahren für uns Deutsche, zwischen Skylla und Charybdis, müssen wir miteinander — soweit es eben geht — die deutsche Politik richtig führen.
Ich glaube nicht, daß jemals von einem Vertreter der Bundesregierung erklärt worden ist, der Eintritt der Bundesrepublik in NATO sei das beste Mittel, die Sowjetunion zu zwingen, der Wiedervereinigung zuzustimmen.
- Nein, meine Damen und Herren, das ist dieses große Mißverständnis von der Politik der Stärke, das mich zwingt, das Wort zu ergreifen. Meine Damen und Herren, es gibt auch eine Politik der Schwäche,
und die Politik der Schwäche ist gegenüber der Sowjetunion unendlich viel schlimmer als die Politik der Stärke.
Dabei möchte ich doch nachdrücklich betonen, daß, wenn von einer Politik der Stärke gesprochen wird, gar nicht gedacht ist ausschließlich oder auch nur in der Hauptsache an militärische Stärke.
Die Politik der Stärke muß darin bestehen, daß man seinen Standpunkt in wichtigen politischen Fragen sehr klar und sehr entschieden auch dem Gegner gegenüber vertritt. Das ist die Politik der Stärke!
Ich verstehe die Trauer und die Sorge in der Sowjetzone, und ich glaube in der Tat, wir alle miteinander müssen alles tun, was in unseren Kräften steht, um in der Sowjetzone die Überzeugung wachzuhalten, daß das freie Deutschland immer zu ihrer Verfügung steht und immer für sie eintreten wird.
Nun möchte ich noch einige Sätze sagen über die Überzeugung, die ich aus den Verhandlungen in Moskau mitgenommen habe und die sich in der Zwischenzeit durch den Verlauf der Verhandlungen in Genf verstärkt und gefestigt hat. Zunächst: Herr Kollege Ollenhauer kennt Herrn Molotow nicht, wenn er glaubt, daß eine Besprechung von Herrn von Brentano mit Molotow irgendwie auch nur im entferntesten den Gang der Dinge hätte beeinflussen können.
Ich wiederhole nochmals: Wer Herrn Molotow ungefähr eine Woche lang erlebt hat, der weiß, daß das ein Irrtum ist.
Aber meine Überzeugung ist von neuem bestärkt worden, daß auch das Problem der deutschen Wiedervereinigung ein Teilproblem ist in der großen Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Freiheit.
Die Sowjets sind überzeugt davon, daß es dem Kommunismus gelingen wird, die ganze Welt zu erobern. Sie sind weiter überzeugt davon, daß Sowjetrußland die neue kommunistische Welt führen oder beherrschen wird — das kommt darauf an. Aber, meine Damen und Herren, gegenüber diesen weltanschaulichen Überzeugungen der Russen muß es für uns nur eines geben: die Überzeugung — und das Handeln entsprechend dieser Überzeugung —, die auf der weltanschaulichen Basis steht, daß die Freiheit stärker ist als die Sklaverei.