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ID0211500200

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    6. Bundeskanzler.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1955 6155 115. Sitzung Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1955. Geschäftliche Mitteilungen 6155 C Vorlage des Berichts des Bundesministers der Finanzen über Maßnahmen der Bundesregierung betr. Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Hauptstadt Berlin" und Architektenwettbewerb „Wiederherstellung Reichstagsgebäude" (Drucksache 1907) 6155 C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 1. Dezember 1955 betr. Genfer Außenministerkonferenz, europäische Sicherheit, Wiedervereinigung Deutschlands, Ost-West-Kontakte (Entschließungsanträge Drucksachen 1898, 1909) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Genfer Außenministerkonferenz der Vier Mächte (Drucksache 1723) 6155 C Ollenhauer (SPD) . 6155 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 6162 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 6163 B, 6166 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 6165 D, 6166 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 6172 A Dr. Gille (GB/BHE) . 6178 D Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 6185 A Kraft, Bundesminister für besondere Aufgaben . 6185 C Dr. Brühler (DP) 6185 D Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . 6187 D Abstimmungen 6188 A Nächste Sitzung 6188 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6188 Die Sitzung wird um 9 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 31. 3. 1956 Mensing 1. 3. 1956 Dr. Starke 28. 2. 1956 Jahn (Frankfurt) 9. 1. 1956 Moll 1. 1. 1956 Peters 1. 1. 1956 Neumann 31. 12. 1955 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 17. 12. 1955 Dr. Luchtenberg 16. 12. 1955 Dr. Reichstein 16. 12. 1955 Dr. Graf (München) 15. 12. 1955 Schröter (Wilmersdorf) 15. 12. 1955 Frau Rudoll 14. 12. 1955 Eberhard 10. 12. 1955 Stahl 9. 12. 1955 Leukert 5. 12. 1955 Frau Albertz 2. 12. 1955 Dr. Baade 2. 12. 1955 Bauknecht 2. 12. 1955 Bazille 2. 12. 1955 Diekmann 2. 12. 1955 Even 2. 12. 1955 Hansen (Köln) 2. 12. 1955 Dr. Horlacher 2. 12. 1955 Frau Hütter 2. 12. 1955 Jacobi 2. 12. 1955 Dr. Keller 2. 12. 1955 Kramel 2. 12. 1955 Kriedemann 2. 12. 1955 Dr. Maier (Stuttgart) 2. 12. 1955 Menke 2. 12. 1955 Dr. Mocker 2. 12. 1955 Dr. Mommer 2. 12. 1955 Neuburger 2. 12. 1955 Frau Pitz 2. 12. 1955 Dr. Pohle (Düsseldorf) 2. 12. 1955 Rasner 2. 12. 1955 Struve 2. 12. 1955 Wagner (Ludwigshafen) 2. 12. 1955 Dr. Wahl 2. 12. 1955 Welke 2. 12. 1955
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    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister hat seine gestrige Regierungserklärung über die Genfer Konferenz im wesentlichen auf zwei Thesen aufgebaut, erstens auf der These von der Alleinschuld der Sowjetunion am negativen Ausgang der Verhandlungen in Genf über die deutsche Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit und zweitens auf der These von der völligen Übereinstimmung der Interessen des deutschen Volkes mit der Verhandlungstaktik der drei Westmächte auf der Genfer Konferenz. Die Konsequenz einer solchen Beweisführung ist praktisch der Verzicht auf eine selbständige Politik der Bundesregierung in der Frage der Wiedervereinigung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir sind der Auffassung, daß diese Betrachtungsweise weder der tatsächlichen Lage gerecht wird, die nach der Genfer Konferenz gegeben ist, noch daß sie die eigenen Aufgaben des deutschen Volkes in bezug auf die Wiedervereinigung genügend klar herausstellt.
    Die Genfer Konferenz muß vor allem gesehen werden auf dem Hintergrund der internationalen Situation, wie sie sich seit Beginn der Entspannungsversuche vor allem zwischen den beiden entscheidenden Großmächten der Welt, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, entwickelt hat. Der Höhepunkt dieser Politik war die Juli-Konferenz der Regierungschefs. Zweifellos haben sich die Erwartungen der Völker in bezug auf eine fundierte Politik der Entspannung, der internationalen Abrüstung und der Lösung von Teilproblemen, wie z. B. der Überwindung der Spaltung Deutschlands, in der Zeit seit dieser Juli-Konferenz nicht erfüllt. Aber dennoch wird diese Politik weiterhin die Haltung der Großmächte der Welt maßgebend bestimmen.
    Es ist bemerkenswert, daß in der internationalen Öffentlichkeit der negative Ausgang der Außenministerkonferenz im Oktober nicht als das Ende


    (Ollenhauer)

    der Entspannungspolitik angesehen worden ist, sondern daß man damit rechnet, daß trotz des unbefriedigenden Verlaufs der Außenministerkonferenz weitere Versuche zu einer Entspannung der internationalen Lage gemacht werden. Tatsächlich werden die Verhandlungen über die internationale Abrüstung im Unterausschuß der Vereinten Nationen weitergeführt, und die Anstrengungen, hier zu einer Lösung zu kommen, werden gerade nach der letzten Versuchsexplosion in Sibirien verstärkt werden.
    In Genf haben außerdem neben den offiziellen Verhandlungen Besprechungen der Außenminister stattgefunden, die eine Vereinbarung zwischen den Westmächten und der Sowjetunion über die Aufnahme von 18 neuen Mitgliedern in die Vereinten Nationen zum Ziel hatten. Es ist damit zu rechnen, daß weitere Verhandlungen auf anderen Gebieten folgen werden und daß vielleicht auch der Versuch gemacht wird, in zweiseitigen Verhandlungen spezielle Probleme der internationalen Politik der Lösung näherzubringen. Jedenfalls kann man heute davon ausgehen, daß die Gefahr einer Verschärfung der internationalen Situation und die Gefahr eines großen bewaffneten Konfliktes heute geringer ist als vor drei Jahren. Der beherrschende Hintergrund für diesen Umstand ist die Tatsache, daß die Entwicklung der atomaren Waffen und anderer noch weit gefährlicherer Massenvernichtungswaffen in beiden Lagern der Weltpolitik die Verantwortlichen dieser beiden Mächtegruppen zwingt, aus Gründen der Selbsterhaltung das Risiko einer gewaltsamen Auseinandersetzung herabzumindern. Auch die sogenannte Entspannungspolitik der Sowjetunion basiert vor allem auf diesem Tatbestand. Sie ist nicht ein Ausdruck der Schwäche, sondern des Bewußtseins der wachsenden Ebenbürtigkeit eben im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung.
    Die Sowjetregierung scheint außerdem von der Auffassung auszugehen, daß eine entscheidende Verschärfung der internationalen Lage in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, weil die amerikanische Außenpolitik mit den Präsidentenwahlen im Jahre 1956 zu rechnen hat und weil so, wie die Dinge heute liegen, vor allem nach dem aktiven Eingreifen des amerikanischen Präsidenten auf der Juli-Konferenz der Regierungschefs in Genf, die Auseinandersetzungen im amerikanischen Wahlkampf, soweit sie sich auf die Außenpolitik beziehen, in erster Linie um die Möglichkeit gehen werden, zu einer dauerhaften und befriedigenden Regelung der internationalen Streitfragen auf dem Verhandlungswege zu kommen und eine neue Verschärfung der internationalen Situation zu vermeiden.
    Die Sowjetregierung betrachtet daher auch die Lösung der Deutschlandfrage zur Zeit nicht als vordringlich, soweit eine solche Lösung das Risiko des Verlustes des von ihr besetzten Teils Deutschlands bedeuten würde.
    Die drei Westmächte haben schon aus den Erklärungen Bulganins am Ende der Juli-Konferenz, die diese veränderte Haltung der Sowjetregierung erkennen ließen, die Konsequenz gezogen, indem sie sich auf der Genfer Konferenz im Oktober so verhalten haben, daß auch ihre Positionen in Deutschland und in Westeuropa nicht geschmälert werden könnten. Ihr Standpunkt, keinem europäischen Sicherheitssystem auf der Basis der Fortdauer der Spaltung Deutschlands zuzustimmen, der sich durchaus mit der einmütigen Auffassung des Deutschen Bundestages deckt, gab ihnen die Möglichkeit, ihren Besitzstand und ihre Interessen in Europa und in Deutschland gegenüber der Sowjetunion zu wahren, solange die Sowjetunion nicht von sich aus erkennen läßt, daß sie bereit ist, Verhandlungen über eine Ablösung der Blockpolitik durch ein neues allumfassendes Sicherheitssystem unter Einschluß eines durch freie Wahlen wiedervereinigten Deutschlands aufzunehmen. Unter diesen Umständen war der negative Abschluß der Diskussion in Genf über die Deutschlandfrage und die europäische Sicherheit mit der Beibehaltung des Status quo nicht nur des geteilten Deutschlands, sondern auch der Interessensphären der beiden entscheidenden Machtgruppen in Europa fast unvermeidlich.
    Man kann davon ausgehen, daß die so entstandene Lage nach der Genfer Konferenz den Sowjets mehr zusagt als den Westmächten. Sie haben Zeit gewonnen und sie glauben, daß dieser Zeitgewinn für sie arbeitet, weil er ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Aktivitäten auf politischem Gebiet, vor allem in der Bundesrepublik und in Westeuropa, fortzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, in eine neue Periode der Zuspitzung und des Wiederauflebens des Kalten Krieges zu kommen.
    Für das deutsche Volk genügt nach unserer Auffassung unter diesen Umständen die Feststellung nicht, daß der Versuch der Wiederherstellung der deutschen Einheit am Widerstand der Sowjetunion gescheitert sei und daß uns nun nichts anderes zu tun bleibe, als die bisher betriebene Außenpolitik der Bundesrepublik mit noch größerer Entschiedenheit fortzusetzen. Ein derartiges Sichabfinden schließt die Gefahr in sich, daß die Frage der Wiedervereidigung Deutschlands für absehbare Zeit von der Tagesordnung internationaler Konferenzen verschwindet und daß sich dann aus dem normalen Ablauf der Dinge ein Zustand entwickelt, in dem die Teilung Deutschlands von vielen Menschen und vielen Völkern als eine zwar bedauerliche, aber unabänderliche Tatsache empfunden wird. Das bedeutet wenigstens, daß jeder Versuch einer Lösung der deutschen Frage in Zukunft immer schwerer und auch immer kostspieliger zu werden droht.
    Dieser Gefahr kann man nur begegnen, wenn die Bundesrepublik nach Genf untersucht, welche Mittel und Wege es gibt, um die Frage der Wiedervereinigung so schnell wie möglich über den jetzt eingetretenen gefährlichen toten Punkt hinwegzubringen. Die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung sollte auf der Hand liegen, und man sollte deshalb über eine solche Überlegung nicht hinweggehen, indem man zurückfällt in die Methoden, die wir hier bei der Auseinandersetzung über die EVG erlebt haben, als man jede andere Überlegung für die Lösung dieses Problems als verantwortungslos, unverantwortlich oder feige bezeichnete.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich bedaure, daß in der gestrigen Rede des Herrn Außenministers wieder in dieser Weise argumentiert worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will hier gar nicht im einzelnen die Politik der Vergangenheit untersuchen. Aber mindestens zwei Feststellungen sind in diesem Zusammenhang und heute unerläßlich:


    (Ollenhauer)

    Erstens. Es kann wohl heute niemand mehr ernsthaft bestreiten, daß es ein schwerer Fehler der Politik der Westmächte und der Bundesregierung gewesen ist, daß sie im Jahre 1952 nicht den Versuch unternommen haben, die Möglichkeiten einer für uns tragbaren Lösung der Frage der deutschen Einheit auf der Basis der Note der Sowjetunion vom März 1952 zu untersuchen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das war zu einem Zeitpunkt, als über die Einbeziehung der Bundesrepublik in NATO noch nicht entschieden war, und auch zu einem Zeitpunkt, als die Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen die Lage noch nicht so entscheidend verändert hatte, wie es heute der Fall ist. Niemand kann mit Sicherheit den Erfolg einer solchen Verhandlung behaupten wollen. Aber ebensowenig kann bezweifelt werden, daß die Chancen für einen solchen Erfolg damals größer waren, als sie sich jetzt in. Genf gezeigt haben.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Zweitens hat sich die grundlegende These der bisherigen Außenpolitik der Bundesregierung als absolut irrig erwiesen, nämlich die These, die in der Einbeziehung der Bundesrepublik in NATO das wirksamste Mittel sah, die Sowjetunion zur Preisgabe der von ihr besetzten Zone Deutschlands zu zwingen.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Diese Erwartung und Vorstellung hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, diese Aufrüstungspolitik hat mindestens der Sowjetunion einen willkommenen Vorwand gegeben, ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung zu verweigern. Damit ist genau die Lage eingetreten, die wir Sozialdemokraten befürchtet haben und vor der wir hier in diesem Hause unablässig gewarnt haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Auch die Frage nach der richtigen Taktik während der jetzigen Außenministerkonferenz in Genf bedarf der Untersuchung. Es war richtig, daß dieses Mal die westlichen Außenminister darauf bestanden haben, die europäische Sicherheit und die deutsche Einheit als ein Ganzes zu behandeln. Wir sind ihnen dankbar, daß sie diese Position bezogen haben; denn wir Sozialdemokraten haben dieses Junktim: Wiedervereinigung und Sicherheit bereits während der Verhandlungen auf der Berliner Konferenz im Jahre 1954 verlangt, ohne damals mit dieser Forderung bei der Bundesregierung und bei den westlichen Außenministern durchzukommen. Das war jedenfalls ein Fortschritt gegenüber der Berliner Situation. Aber in der seit Berlin veränderten internationalen Situation konnte die Sowjetunion zu einer ernsten Verhandlung über diesen gemeinsamen Problemkomplex nur gezwungen werden, wenn die sowjetische Delegation in Genf ganz konkret vor die Frage gestellt worden wäre, was ihre konkreten Vorstellungen und Bedingungen für den militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems sein würden.
    Selbstverständlich hätte eine solche Fragestellung die prinzipielle Bereitschaft der Westmächte und der Bundesrepublik einschließen müssen, auch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO und die Pariser Verträge in die Verhandlungen einzubeziehen. Jeder Sicherheitsvorschlag, der diese Konsequenzen zu vermeiden sucht, ist angesichts der gegebenen Lage und der Haltung der Sowjetunion aussichtslos.
    Die Westmächte haben sich leider nicht dazu entschließen können, diese Frage gegenüber ihrem sowjetischen Verhandlungspartner aufzuwerfen, und die Bundesregierung hat sich ausdrücklich geweigert, einen solchen Wunsch an die Westmächte heranzubringen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir bedauern, daß die Bundesregierung vor und
    während Genf diese Initiative nicht ergriffen hat.
    Die Bundesregierung behauptet, es sei von vornherein klar gewesen, daß die Sowjetregierung entschlossen gewesen sei, auch einer solchen Lösung ihre Zustimmung zu verweigern. Dabei bezieht sie sich auf die Erklärung von Herrn Molotow, daß die Sowjetunion niemals der Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschlands in einem Militärblock oder der Schaffung eines wiedervereinigten, selbständig aufgerüsteten Deutschlands zustimmen würde.
    Hier ging es nicht um die Zugehörigkeit eines wiedervereinigten Deutschlands zu einem dieser Militärblöcke, nicht um die. Aufrüstung eines selbständig für sich stehenden Deutschlands, hier ging es um die dritte Lösung, nämlich um die Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in einem von Ost und West akzeptierten europäischen Sicherheitssystem.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Weigerung der Westmächte, diesen Vorschlag aufzubringen, hat Molotow in Wirklichkeit einer Antwort auf diese Frage enthoben. Das ist eine sehr angenehme Position für die russische Politik; denn damit ist ihr die Notwendigkeit einer Klarstellung über ihr wirkliches Interesse an einer umfassenden Entspannung in Europa durch die Lösung der deutschen Frage und des Sicherheitsproblems erspart geblieben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist durchaus möglich, daß die Antwort der Sowjetregierung negativ gewesen wäre, mindestens in diesem Augenblick; aber für die Klärung der Positionen auch in den kommenden Entwicklungen und Verhandlungen wäre sehr vieles gewonnen worden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Jedenfalls hätte die deutsche Regierung, die Bundesregierung, auf die Behandlung dieses Punktes nicht verzichten dürfen, weil ja vor allem für das deutsche Volk die größtmögliche Klarheit über die Positionen der für die Einheit Deutschlands verantwortlichen Mächte dringend erwünscht ist.
    Ich will nicht im einzelnen auf die Frage eingehen, die der Herr Außenminister gestern hier auch angeschnitten hat, nämlich, ob er nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Moskau nicht gut daran getan hätte, in Genf auch eine Unterhaltung mit dem russischen Außenminister zu führen. Selbstverständlich hätte es sich dabei nicht um zweiseitige Verhandlungen handeln können; aber eine solche persönliche Aussprache hätte vielleicht auch für die Außenminister der Westmächte über einige Punkte der sowjetischen Auffassung größere Klarheit schaffen können.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)



    (Ollenhauer)

    Der Verzicht auf eine solche Unterhaltung ist um so bedauerlicher, als feststand, daß die drei westlichen Außenminister gegen eine solche Unterhaltung keinerlei Bedenken hatten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Diese Taktik der Bundesregierung in Genf hat dazu geführt, daß die Bundesregierung die Vertretung der deutschen Interessen und die Klärung der Lage völlig den drei westlichen Außenministern überlassen hat, ohne eine eigene Initiative zu entwickeln. Das ist ein Verzicht auf eigene Initiative, der mir vor allem für eine Regierung, die so stolz auf die wiedererlangte Souveränität ist, zu weit zu gehen scheint.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was mich veranlaßt, diese kritische Bemerkung zu machen, ist noch ein anderer Umstand. Die Bundesregierung war in Genf durch eine offizielle Delegation vertreten, von der uns gestern der Herr Außenminister wieder berichtet hat, daß sie laufend und vollständig von den drei Westmächten informiert und auch konsultiert worden sei. Wir kennen die Ratschläge nicht, die die deutsche Delegation bei diesen Konsultationen den westlichen Außenministern gegeben hat. Aber es war mehr als befremdend, daß der Leiter der deutschen Delegation bereits nach dem ersten Drittel der Konferenz öffentlich in einem Presseinterview erklärte, daß von dieser Konferenz in der deutschen Frage nichts zu erwarten sei und daß sie völlig ergebnislos ausgehen werde.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wenn das die Einstellung der Leitung der deutschen Delegation ist, kann man doch nicht erwarten, daß sie ihre Aufgabe erfüllt, auch in schwierigen Situationen immer noch zu versuchen, vom deutschen Interesse her die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir halten es für absolut unmöglich, daß sich solche Praktiken beamteter Mitglieder einer deutschen Beobachterdelegation in Zukunft wiederholen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Was das Sicherheitsproblem angeht, so kann ich zu diesem Punkt abschließend nur feststellen, daß es eine gemeinsame Lösung der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands und der Frage der europäischen Sicherheit auch in Zukunft nicht geben wird, wenn nicht alle Beteiligten bereit sind, einer Lösung zuzustimmen, die die beiden Teile Deutschlands aus den jeweiligen Militärallianzen entläßt und die das wiedervereinigte Deutschland in ein umfassenderes kollektives Sicherheitssystem einordnet, mit allen notwendigen Verpflichtungen für unsere eigene Sicherheit und für die Sicherheit unserer Partner.
    Der negative Ausgang der Genfer Verhandlungen über Punkt eins der Tagesordnung ist selbstverständlich auch maßgebend dadurch bestimmt worden, daß Herr Molotow dieses Mal mit noch größerem Nachdruck als früher die Wiedervereinigung an die Bedingung geknüpft hat, den jetzigen Zustand in der sowjetisch besetzten Zone zu erhalten, und daß er seine Zustimmung zu freien Wahlen davon abhängig gemacht hat, daß Garantien für die Erhaltung dieses Zustandes gegeben werden. Für die Bundesregierung ist nach der gestrigen Erklärung des Herrn Außenministers nunmehr diese Forderung der Sowjetunion zum Kardinalpunkt der Rechtfertigung ihrer Politik geworden. Zweifellos war die Rede Molotows vom 8. November auch von einer Schroffheit und Eindeutigkeit, wie er sie seit langem nicht zu erkennen gegeben hat.
    Aber ich meine, wir haben uns hier zu fragen, was diese Haltung Molotows tatsächlich bedeutet, um die richtige Antwort darauf zu finden. Vom Standpunkt der jetzigen sowjetischen Politik in der Deutschlandfrage ist sie durchaus logisch. Will man die Wiedervereinigung jetzt nicht, erklärt man, daß die Politik der Sowjetunion von der Existenz zweier deutscher Staaten ausgeht, so mußte selbstverständlich die sogenannte DDR in Genf und in der öffentlichen Meinung der Welt, vor allem auch im östlichen Machtbereich, so weit aufgewertet werden wie nur möglich. Wenn man darauf besteht — und das ist die gegenwärtige Linie der Politik der Sowjetunion —, daß die beiden deutschen Regierungen miteinander verhandeln sollen, dann muß man den eigenen Verhandlungspartner so attraktiv und so stark wie möglich erscheinen lassen. Das heißt nicht, daß das immer so bleibt; denn die DDR ist noch mehr als die Satellitenstaaten in Osteuropa nur ein Objekt der russischen Außenpolitik und kein Partner.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Aber, meine Damen und Herren, der eigentliche Zweck dieser Lobesreden auf die DDR war zweifellos, deutlich zu machen, daß der Preis für die Wiedervereinigung Deutschlands jetzt höher ist als früher.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Damit mußten wir nach all den Ankündigungen, die wir vor der Eingliederung der Bundesrepublik in NATO von der sowjetischen Seite gehört haben, rechnen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Was nun uns Sozialdemokraten angeht, so können wir uns weder mit dem Status quo der Teilung Deutschlands, noch mit einer Lösung des Problems der Wiedervereinigung Deutschlands auf volksdemokratischer Grundlage abfinden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn in der Sowjetpolitik die Vorstellung bestünde, daß ein solcher Preis zu erreichen sei, sollte die Sowjetunion in allem Ernst zur Kenntnis nehmen und mit dem Tatbestand rechnen, daß wir Sozialdemokraten in dieser Frage übereinstimmen mit allen, die ein wiedervereinigtes Deutschland auf der Basis der Freiheit und des Rechts anstreben.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Außerdem muß man sich darüber klar sein, daß dieser Teil der Argumentation des russischen Außenministers in Genf ja auch gedacht ist als ein wesentliches Mittel der politischen Aktivitäten, die die Kommunisten in der nächsten Zeit in der Bundesrepublik in verstärktem Maße entfalten werden, um vor allem die Sozialdemokratie und die deutschen Gewerkschaften zu infiltrieren und aufzuweichen. Vielleicht steckt sogar mehr dahinter, nämlich — wie so oft in Diktaturstaaten — eine illusionäre Beurteilung der politischen Kräfte, auf die man zur Unterstützung der eigenen Politik einzuwirken versucht. Die Politik der kommunisti-


    (Ollenhauer)

    schen Parteien und der Sowjetunion in der Vergangenheit ist gekennzeichnet durch eine Kette
    derartiger Fehleinschätzungen und Fehlleistungen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist Sache der Sowjetregierung, sich damit auseinanderzusetzen. Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit gegenüber der Sowjetregierung mit aller Eindeutigkeit erklären: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Moskau zugestimmt, vor allem aus dem Grunde, weil wir auch mit der Sowjetunion in ein normales Verhältnis zu kommen wünschen, das sachliche Gespräche und Verhandlungen über gemeinsame Angelegenheiten der beiden Völker ermöglicht, um so mehr als ohne die Zustimmung der Sowjetunion eine Wiederherstellung der deutschen Einheit niemals möglich sein wird. Wir stehen zu diesem Beschluß, und wir wünschen, daß die Bundesregierung die Abmachungen von Moskau loyal und ohne nachträgliche Abwertung und ohne unnötige Verzögerung durchführt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich erkläre aber, daß die Sozialdemokratische Partei niemals einer Regelung der Wiederherstellung der deutschen Einheit zustimmen wird, die die völlige oder auch nur teilweise Übernahme oder Eingliederung des heute in der Sowjetzone herrschenden kommunistischen Diktatursystems vorsieht.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Zwischen den Vorstellungen und Praktiken dieser SED-Diktatur in der Zone und den Vorstellungen des freiheitlichen und demokratischen Sozialismus gibt es keinen Kompromiß.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt in der Mitte und rechts.)

    Es handelt sich bei der Gegnerschaft zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten nicht um einen Bruderstreit oder um eine familiäre Auseinandersetzung. Es geht auch nicht um taktische Meinungsverschiedenheiten über den Weg zum Ziel, sondern es geht um einen nicht zu überbrückenden prinzipiellen Grundsatz. Der Kommunismus basiert auf der Politik der reinen Macht und der Verachtung des Menschen, der demokratische und freiheitliche Sozialismus wird getragen von der Anerkennung der Freiheit und der Würde des Menschen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort sagen. In der Rede von Herrn Molotow und in der kommunistischen Agitation, vor allem auch in den letzten Deklarationen der kommunistischen SED, wird immer wieder besonders der Versuch gemacht, die Erhaltung der sogenannten sozialen Errungenschaften in der DDR zum Kernstück der kommunistischen Wiedervereinigungspolitik zu erheben und dabei besonders an die Gefühle und Überzeugungen der Menschen in der Bundesrepublik zu appellieren, die sich den Kampf für eine gerechtere ökonomische und soziale Ordnung in Deutschland zum Ziel gesetzt haben.
    Im Augenblick der tatsächlichen Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands wird es eine schwere Aufgabe sein, Mittel und Wege zu finden, um diese beiden Teile wieder zu einer Einheit werden zu lassen. Diese Einheit herbeizuführen etwa durch die Übertragung des heutigen kommunistischen Systems in der Zone auf ganz Deutschland ist unmöglich.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)

    Sie wird mit dem Willen der großen Mehrheit des deutschen Volkes niemals erfolgen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite ist auch die Lösung dieser Frage durch den einfachen Anschluß der Sowjetzone an die Bundesrepublik nicht möglich.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es gibt nur einen vertretbaren und gangbaren Weg: die Entscheidung über die zukünftige politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung wird allein bei den gesetzgebenden Beschlüssen eines aus freien Wahlen hervorgegangenen gesamtdeutschen Parlaments liegen.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)

    Jede Beschränkung dieser Entscheidungsfreiheit des deutschen Volkes über seine innerstaatliche und gesellschaftliche Ordnung von außen her ist unannehmbar;

    (erneuter Beifall bei der SPD und in der Mitte)

    und jeder Versuch der russischen Politik und der kommunistischen Propaganda, an der hier skizzierten Haltung der Sozialdemokratie etwas zu ändern oder sie abzuschwächen, ist zum Scheitern verurteilt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es wäre gut, wenn die Sowjetregierung diese Feststellungen als einen wesentlichen Beitrag zur Beurteilung der tatsächlichen innerdeutschen Situation zur Kenntnis nehmen wollte.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Frage, vor der wir in der Bundesrepublik und auch die Westmächte jetzt nach dem unbefriedigenden Verlauf der Genfer Konferenz stehen, ist die: Welche Position muß das Problem der deutschen Einheit und der europäischen Sicherheit in Zukunft in der internationalen Politik einnehmen? Das deutsche Interesse verlangt gebieterisch, daß gerade jetzt die Frage der Wiedervereinigung als die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik behandelt wird. und zwar und vor allem auch in allen Gesprächen und Verhandlungen, zu denen unsere Regierung die Möglichkeit hat. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Wort hinzufügen, und zwar ein Wort, das auch die demokratischen Kräfte in der Welt. außerhalb der Bundesrepublik, angeht: Jede Politik, die sich praktisch mit dem Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz abfindet und bereit ist. die Frage der deutschen Wiedervereinigung zunächst einmal auf Eis zu legen, verletzt nicht nur ein berechtigtes nationales Interesse des deutschen Volkes. dessen Anspruch auf seine staatliche und nationale Einheit nicht bestritten werden kann. Eine solche Ausklammerung der deutschen Frage würde auf lange Sicht auch neue und ernste Gefahren für die Demokratie überhaupt hervorrufen können.
    Bis heute ist glücklicherweise das Verlangen des deutschen Volkes nach der Wiederherstellung sei-


    (Ollenhauer)

    ner staatlichen Einheit getragen von den entscheidenden demokratischen Kräften in unserem Volke. Das heißt, bisher konnte diese nationale Grundforderung frei gehalten werden von jedem nationalistischen und aggressiven Einschlag. Man wird vielleicht erst später die volle Bedeutung dieses Tatbestandes für die relative Stabilität der Demokratie im Herzen Europas in den letzten Jahren voll ermessen können.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU/CSU.)

    Wenn aber im Volk der Eindruck entsteht, daß die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik und im Westen in der deutschen Frage resignieren, dann wird die sich daraus ergebende Enttäuschung sehr leicht eine Entwicklung fördern können, in welcher in der deutschen Politik die Frage der Wiedervereinigung unter sehr gefährlichen nationalistischen Vorzeichen wieder auf die Tagesordnung gebracht wird.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich will mit derselben Offenheit und mit demselben Ernst hinzufügen: ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß eine solche Entwicklung auch in den sowjetischen Vorstellungen über ihre Deutschland- und Europa-Politik in den nächsten Jahren eine gewisse Rolle spielt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es wäre ja nicht das erstemal in der Geschichte, daß die Sowjetunion in ihrem politischen Kampf durchaus bereit ist, sich auch mit nationalistischen Kräften und mit von ihnen sonst so heftig bekämpften Interessengruppen zu verbinden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dieser Gefahr zu begegnen, wird allerdings auch eine innenpolitische Aufgabe der demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik in der nächsten Zukunft sein müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie bedauert auf das tiefste den unbefriedigenden Ausgang der Genfer Konferenz. Sie zieht daraus den Schluß, daß es gerade jetzt besonderer Anstrengungen der Deutschen selbst bedarf, um das Gespräch über die Wiedervereinigung so weit als möglich wieder in Gang zu bringen. Es darf keine Möglichkeit ungenutzt bleiben, um den toten Punkt zu überwinden.
    Nach Lage der Sache ist die Forderung nach der sofortigen Einberufung einer neuen Viermächtekonferenz nicht realistisch; aber wir erwarten von der Regierung, daß sie auf diplomatischem Wege unverzüglich alle Möglichkeiten benutzt, um eine solche neue Viermächtekonferenz in absehbarer Zeit mit größerer Aussicht auf Erfolg vorzubereiten. Diese diplomatischen Verhandlungen sollen nach unserer Auffassung allseitig, d. h. mit den Regierungen aller vier Länder, die für das Schicksal Deutschlands entscheidend sind, geführt werden. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Moskau hat doch nur dann einen politisch vertretbaren Sinn, wenn diese neue Möglichkeit des direkten Gesprächs mit der sowjetischen Regierung in den Dienst der Vorbereitung erfolgreicher neuer Viermächteverhandlungen über die deutsche Einheit gestellt wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler selbst hat gerade diese Aufgabe als eine wesentliche Begründung für seine Zustimmung zu den Moskauer Abkommen gegeben; und der Herr Außenminister hat sich gestern mit Recht auf diese Erklärung des Bundeskanzlers berufen. Beiden Erklärungen müssen Taten folgen.

    (Abg. Matzner: Sehr richtig!)

    Allerdings setzt die Aufnahme solcher Gespräche voraus, daß die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen nun auch ohne Verzug und ohne eine neue nachträgliche Abwertung der politischen Bedeutung dieser Abmachungen erfolgt. Denn nur so kann das Mindestmaß von Vertrauen auf beiden Seiten geschaffen werden, ohne das jedes fruchtbare Gespräch unmöglich ist.
    Wenn wir hier die Notwendigkeit der Ausnutzung unserer diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion so nachdrücklich unterstreichen, so möchte ich ausdrücklich hinzufügen, daß nach unserer Auffassung zweiseitige Verhandlungen zwischen Bonn und Moskau mit dem Ziel, zu zweiseitigen Vereinbarungen zu kommen, nicht möglich sind. Wir sprechen ausdrücklich von allseitigen Vereinbarungen, das heißt, in unseren Gesprächen oder Verhandlungen mit der Sowjetunion darf nichts geschehen, ohne daß die drei Westmächte darüber in vollem Umfange informiert sind. Allerdings, dasselbe gilt auch für Gespräche über die Wiedervereinigung mit den Westmächten und unsere Verpflichtung der Information in dieser Frage gegenüber der Sowjetunion. Die direkten Unterhaltungen mit Moskau können und dürfen und sollen unser enges und freundschaftliches Verhältnis zu den Westmächten nicht aufheben, ja nicht einmal schmälern, denn es beruht auf einer ganz anderen Basis.
    Hinzu kommt, das wissen wir alle, daß es über diese freundschaftlichen Beziehungen hinaus für die Bundesrepublik ja auch noch die vertraglichen Verpflichtungen gibt, deren loyale Einhaltung eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Soweit neue Verhandlungen mit den vier Regierungen über die Wiedervereinigung auch diese vertraglichen Verpflichtungen berühren, müssen sie in jedem Fall zum Gegenstand unserer Verhandlungen mit unseren Gesprächspartnern werden, damit keine berechtigten Zweifel an unserer Vertragstreue aufkommen können.

    (Sehr gut! rechts.)

    Aber im Hinblick auf manche Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit in der letzten Zeit möchte ich hinzufügen, daß Erörterungen über Vertragsänderungen oder über die Anpassung der Verträge an eine veränderte Situation, die ja im Vertrag selbst ausdrücklich vorgesehen sind, überhaupt nichts zu tun haben mit der Loyalität gegenüber den Verträgen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Das zweite Problem, mit dem wir uns neu auseinandersetzen müssen, betrifft das Verhältnis der Bundesrepublik zu der Bevölkerung in der Sowjetzone. Diese Menschen sind durch den negativen Ausgang der Genfer Konferenz besonders hart getroffen. Die Gefahr der Mutlosigkeit und des Resignieren ist groß. Wir können ihnen nicht mit einem Wunder helfen, aber wir müssen verstärkte Anstrengungen machen, um die technischen Voraussetzungen für


    (Ollenhauer)

    die Normalisierung der Beziehungen zwischen uns und diesem Teil des deutschen Volkes so weit wie nur möglich auszubauen. Dazu bedarf es Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen bundesrepublikanischen und sowjetzonalen Behördenstellen. Die Durchführung solcher Verhandlungen auf dieser Ebene wird sicher in Zukunft erschwert werden durch die Forderung der Pankower Regierung, sie als souveräne Regierung anzuerkennen und mit ihr zu verhandeln.
    Wir Sozialdemokraten haben vor Genf den Versuch gemacht, dieser Schwierigkeit zu begegnen, indem wir in unseren Vorschlägen für die Genfer Konferenz die konkrete Anregung gegeben haben, die Westmächte sollten eine Rahmenvereinbarung der Vier vorschlagen, durch die deutsche Stellen ermächtigt werden, in Ausübung des Mandates der Vier für die Wiedervereinigung bestimmte technische Fragen in den Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu regeln. Dieser Vorschlag war der überlegte Gegenzug gegen den sogenannten Staatsvertrag, den die Moskauer Regierung mit Pankow Ende Juni abgeschlossen hat. Das Ziel war, der Forderung Pankows nach Anerkennung durch Bonn entgegenzuwirken und dennoch eine weitgehende Erleichterung der psychologischen und materiellen Situation der Bevölkerung in der Zone durchzusetzen.
    Meine Damen und Herren! Wir bedauern es außerordentlich, daß die Bundesregierung diesem Vorschlag in aller Form widersprochen hat und daß er so in Genf nicht zur Verhandlung gekommen ist, und wir erwarten nunmehr von der Bundesregierung, daß sie ihrerseits Vorschläge macht, wie sie sich ohne eine solche Rahmenvereinbarung die notwendigen konkreten Maßnahmen vorstellt, die durchgeführt werden müssen, wenn wir die Bevölkerung in der Sowjetzone nicht dem Gefühl überlassen wollen, wir hätten sie abgeschrieben.
    Ich möchte noch hinzufügen, daß wir selbstverständlich in dem von Herrn Molotow vorgeschlagenen Gesamtdeutschen Rat kein geeignetes Instrument sehen, diese Fragen zu behandeln. Außerdem will man ja auch diesem Gesamtdeutschen Rat in erster Linie politische Aufgaben zuweisen, die darauf hinauslaufen, eine Wiedervereinigungspolitik der SED zu fördern, die ihr System in der Zone auf alle Fälle schützt und sichert. Das ist ja nur ein neuer Vorschlag in der Kette der vielen Versuche der Kommunisten, mit der Parole „Deutsche an einen Tisch!" die Frage der Wiedervereinigung auf die innerdeutsche Ebene zu verlagern in der Hoffnung, hier eine gute Ausgangsposition für die Durchsetzung ihrer Vorstellungen von einem wiedervereinigten Deutschland zu schaffen und sozusagen die politischen Konsequenzen von freien Wahlen in ganz Deutschland von vornherein zu ihren Gunsten zu verfälschen und abzuwerten.
    Die Ablehnung solcher Versuche ergibt aber die Verpflichtung der Bundesregierung, nach anderen Mitteln und Wegen zu suchen, der Bevölkerung in der Zone zu helfen. Wie schwierig die Lage ist, zeigen die letzten Vorgänge in Berlin. Wir unterstützen die dringende Forderung, die die Bundesregierung an die Westmächte gerichtet hat, um von der Sowjetregierung die Einhaltung des Viermächtestatus von Berlin nachdrücklichst zu fordern, und wir freuen uns, daß die drei Botschafter ihrem sowjetischen Kollegen in Berlin ihren Standpunkt in einer Note dargelegt haben. Aber ich möchte doch auch hier hinzufügen: Es ist durchaus denkbar, daß ein solcher Notenwechsel mit dem sowjetischen Botschafter nicht ausreicht, sondern daß auch die westlichen Regierungen bereit sein müssen, auf der Ebene der Verhandlungen von Regierung zu Regierung diese Frage des Status von Berlin unmittelbar in Moskau zur Sprache zu bringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wir kennen die Kompliziertheit des Problems, nämlich der Beziehungen der Sicherheit von Berlin, der Beziehungen zur Bevölkerung der Sowjetzone, und ich möchte deshalb sagen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion durchaus bereit ist, intern in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages mit der Bundesregierung die praktischen Möglichkeiten zu erörtern. Aber die Dringlichkeit des Problems, die Notwendigkeit, daß die Regierung hier initiativ wird, möchte ich in aller Öffentlichkeit und mit allem Nachdruck unterstreichen, und ich möchte eine Bitte hinzufügen: Wir sollten gerade diese Diskussion nicht, wie es hier und da in der Öffentlichkeit geschehen ist, mit der törichten Behauptung belasten, auf diese Weise, nämlich der Aufnahme technischer Kontakte, fördere die Sozialdemokratie — gewollt oder ungewollt — die Absichten von Pankow.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das genaue Gegenteil ist der Sinn unserer Vorschläge gewesen. Wir können nur hoffen, daß es der Regierung gelingt, uns neue und bessere Lösungen vorzulegen im Interesse der Menschen in der Zone, deren Schicksal uns allen so sehr am Herzen liegt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich komme zum Schluß. Ich habe bei der gestrigen Erklärung des Herrn Außenministers den Eindruck gehabt, daß bei der Regierung das Gefühl vorherrscht, daß für absehbare Zeit die Frage der Wiedervereinigung nicht gelöst werden kann und daß von deutscher Seite auch nicht viel zur Veränderung dieser Lage unternommen werden kann. In diesem Eindruck bin ich vor allem auch durch die sehr knappen und allgemeinen Bemerkungen des Herrn Außenministers über die weiteren Absichten der Regierung in bezug auf eine aktive Wiedervereinigungspolitik bestärkt worden. Ich habe in der Rede des Herrn Außenministers ein Wort darüber vermißt, daß die Regierung Überlegungen anstellen wird, welche neuen Notwendigkeiten und Aufgaben sich aus der Lage nach Genf ergeben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Niemand verlangt, daß so unmittelbar nach einem solchen wichtigen Ereignis die Regierung hier in allen Details die Konsequenzen aus einer solchen Lage darstellt und die notwendigen praktischen Aufgaben entwickelt. Aber die Ankündigung daß eine solche Untersuchung und die Ausarbeitung derartiger neuer Überlegungen beginnen und durchgeführt werden wird, hätten wir wenigstens in der gestrigen Rede des Herrn Außenministers erwartet.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Ich möchte jedenfalls für meine Fraktion davor warnen, daß man aus dem Verlauf der Genfer Konferenz in erster Linie den Schluß zieht, sich nun lediglich darauf zu konzentrieren, die vertraglichen Verpflichtungen über die Aufrüstung der Bundes-


    (Ollenhauer)

    republik beschleunigt durchzuführen, um damit einen erneuten Beweis für die absolute Vertragstreue der Bundesregierung zu erbringen. Ich verstehe das Bedürfnis der Bundesregierung, hier gewisses Mißtrauen und Unsicherheiten auf der westlichen Seite zu beseitigen, die nach den Abmachungen des Bundeskanzlers in Moskau entstanden sind,

    (Zustimmung bei der SPD)

    aber eine solche Politik der Durchführung der Pariser Verträge ist keine Antwort auf die durch Genf gegebene Situation.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die im Vertrag vorgesehene Aufrüstung der Bundesrepublik ist außerdem in ihrem militärischen Wert für die Sicherheit Deutschlands heute noch fragwürdiger, als sie es schon früher war.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Und noch fragwürdiger sind die Methoden, mit denen man jetzt die beschleunigte Aufrüstung durchzuführen versucht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben schon einmal die forcierte Behandlung des Freiwilligengesetzes vor den Sommerferien gehabt, und wir warnen Sie davor, diesen Weg noch einmal zu gehen, nicht nur aus innerpolitischen Gründen, sondern weil Sie überzeugt sein dürfen, daß Sie durch solche Methoden das Vertrauen in den demokratischen Geist der Mehrheit dieses Hauses nicht verstärken, sondern nur noch mehr abschwächen können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE.)

    Im übrigen, meine Damen und Herren, werden wir über diesen Komplex bei anderer Gelegenheit noch zu reden haben. Aber ich frage mich, ob es angesichts des Standes der Rüstung, vor allen Dingen in den entscheidenden modernen Waffenarten, und angesichts der gegebenen internationalen Situation vom Standpunkt des deutschen Interesses nicht etwas ganz anderes geben könnte. um in dieser Sache ein Wort mitzusprechen, als die forcierte Aufrüstung der Bundesrepublik. Es wäre z. B. eine sehr wesentliche Leistung, wenn die Regierung in der gegenwärtigen internationalen Lage und im Interesse der Sicherheit des deutschen Volkes gerade letzt ein Wort sprechen oder einen Schritt unternehmen wollte, um durch einen Annell an die Großen der Welt sie aufzufordern, Schluß zu machen mit der wahnwitzigen Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen

    (Beifall bei der SPD)

    und nach Wegen zu suchen, die eine effektive,
    international kontrollierte Abrüstung als das beste
    Fundament einer friedlichen Politik ermöglichen.
    Meine Damen und Herren, der beste und wirksamste Beitrag, den die Bundesrepublik aus eigenem für die Entspannung in der Welt leisten kann, ist eine aktive deutsche Politik für die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Darum ist es unsere Forderung an die Bundesregierung, alle Möglichkeiten und alle Unternehmungen in ihrer Außenpolitik der unverändert vordringlichen und großen Aufgabe dienstbar zu machen, die uns gestellt ist, nämlich der baldigen Wiederherstellung der Einheit des deutschen Volkes in Freiheit und der Eingliederung des geeinten Deutschlands in ein Sicherheitssystem, das unsere eigene und die Sicherheit aller anderen Völker gewährleisten kann.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte Herrn Kollegen Ollenhauer ausdrücklich danken für die klare und unzweideutige Erklärung, daß für uns alle eine Wiedervereinigung nur auf der Basis der Freiheit und des Rechtes möglich ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, meine Damen und Herren, daß eine derartige klare Feststellung, wie sie der Verlauf der heutigen Sitzung noch weiter ergeben wird, für die deutsche Außenpolitik auch gegenüber Sowjetrußland von sehr wesentlicher Bedeutung ist.
    Ich möchte aber bitten, meine Damen und Herren, nicht mehr vom „toten Punkt" zu sprechen. Es gibt in der Politik überhaupt keinen toten Punkt. Und, Herr Kollege Ollenhauer, verlassen Sie sich darauf: auch in der Frage der Wiedervereinigung gibt es für die deutsche Bundesregierung keinen toten Punkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Ollenhauer hat ein sehr wahres und sehr ernstes Wort gesprochen, als er gesagt hat, es bestehe die große Gefahr, daß sich die übrige Welt an den jetzigen Tatbestand der Teilung Deutschlands gewöhn e. Ein sehr wahres Wort. Aber, meine Damen und Herren, dieses Wort bedarf noch einer Ergänzung: es ist auch eine große Gefahr, daß die übrige Welt der ständigen Befassung mit dem deutschen Problem überdrüssig wird. Zwischen diesen großen Gefahren für uns Deutsche, zwischen Skylla und Charybdis, müssen wir miteinander — soweit es eben geht — die deutsche Politik richtig führen.
    Ich glaube nicht, daß jemals von einem Vertreter der Bundesregierung erklärt worden ist, der Eintritt der Bundesrepublik in NATO sei das beste Mittel, die Sowjetunion zu zwingen, der Wiedervereinigung zuzustimmen.

    (Zurufe von der SPD.)

    - Nein, meine Damen und Herren, das ist dieses große Mißverständnis von der Politik der Stärke, das mich zwingt, das Wort zu ergreifen. Meine Damen und Herren, es gibt auch eine Politik der Schwäche,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Das ist keine Politik mehr!)

    und die Politik der Schwäche ist gegenüber der Sowjetunion unendlich viel schlimmer als die Politik der Stärke.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dabei möchte ich doch nachdrücklich betonen, daß, wenn von einer Politik der Stärke gesprochen wird, gar nicht gedacht ist ausschließlich oder auch nur in der Hauptsache an militärische Stärke.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)



    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Die Politik der Stärke muß darin bestehen, daß man seinen Standpunkt in wichtigen politischen Fragen sehr klar und sehr entschieden auch dem Gegner gegenüber vertritt. Das ist die Politik der Stärke!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP. — Abg. Dr. Mommer: Früher las man's anders! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich verstehe die Trauer und die Sorge in der Sowjetzone, und ich glaube in der Tat, wir alle miteinander müssen alles tun, was in unseren Kräften steht, um in der Sowjetzone die Überzeugung wachzuhalten, daß das freie Deutschland immer zu ihrer Verfügung steht und immer für sie eintreten wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun möchte ich noch einige Sätze sagen über die Überzeugung, die ich aus den Verhandlungen in Moskau mitgenommen habe und die sich in der Zwischenzeit durch den Verlauf der Verhandlungen in Genf verstärkt und gefestigt hat. Zunächst: Herr Kollege Ollenhauer kennt Herrn Molotow nicht, wenn er glaubt, daß eine Besprechung von Herrn von Brentano mit Molotow irgendwie auch nur im entferntesten den Gang der Dinge hätte beeinflussen können.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Ich wiederhole nochmals: Wer Herrn Molotow ungefähr eine Woche lang erlebt hat, der weiß, daß das ein Irrtum ist.
    Aber meine Überzeugung ist von neuem bestärkt worden, daß auch das Problem der deutschen Wiedervereinigung ein Teilproblem ist in der großen Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Freiheit.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Sowjets sind überzeugt davon, daß es dem Kommunismus gelingen wird, die ganze Welt zu erobern. Sie sind weiter überzeugt davon, daß Sowjetrußland die neue kommunistische Welt führen oder beherrschen wird — das kommt darauf an. Aber, meine Damen und Herren, gegenüber diesen weltanschaulichen Überzeugungen der Russen muß es für uns nur eines geben: die Überzeugung — und das Handeln entsprechend dieser Überzeugung —, die auf der weltanschaulichen Basis steht, daß die Freiheit stärker ist als die Sklaverei.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)