Rede von
Wilhelm Adam
Lulay
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, daß heute vormittag die Möglichkeit gegeben ist, sich mit dem hier schon wiederholt durch Große Anfragen aufgeworfenen Problem der Beschäftigten bei den Besatzungsmächten bzw. den jetzigen Streitkräften zu befassen. Ich bin allerdings der Meinung, daß man den Leuten, die hier betroffen sind, mehr dient, wenn man die Dinge einer nüchternen Betrachtung unterzieht, als wenn man das Problem in einer Form vorbringt, die wirklich der ganzen Sache wenig dienlich ist.
Wer wie ich selber die Möglichkeit gehabt hat, an der Abfassung des Tarifvertrags für die bei den Streitkräften Beschäftigten von der ersten Stunde an mitzuwirken, der weiß, welche Schwierigkeiten gerade bei der Abfassung dieses Tarifvertrags bestanden haben. Es ist durchaus richtig, daß die Alliierten die Hauptverantwortung dafür tragen, daß die Dinge sich so lange hingezögert haben, weil sie zu Beginn und fast bis zum Schluß dieser Verhandlungen der Meinung waren, daß das deutsche Arbeitsrecht für ihre Bediensteten nicht angewendet werden könne. Erst mit der Zeit ist man dazu übergegangen, Teile des deutschen Arbeitsrechts anzuerkennen, bis dann zum Schluß die Gewerk-
schaften, unterstützt durch den Herrn Bundesfinanzminister, mit Recht die Auffassung vertreten haben, daß der Abschluß eines Tarifvertrags für diese Bediensteten nur unter der Voraussetzung der Anwendung deutschen Arbeitsrechts möglich ist.
Wenn dieser Vertrag und vor allen Dingen diese Abkommen dazu geführt haben, daß das deutsche Arbeitsrecht nun anerkannt worden ist, dann ist das in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung es durch diplomatische Schritte bei den damaligen Hohen Kommissaren erreicht hat, daß diese der Bedingung, an die der Abschluß eines Tarifvertrags geknüpft war, der Einführung deutschen Arbeitsrechts, zugestimmt haben.
Bedauerlich war vor allen Dingen die Tatsache, daß die deutschen Dienstgruppen, die j a im wesentlichen in der Großen Anfrage Drucksache 1713 angesprochen worden sind, nicht in diesen Tarifvertrag aufgenommen wurden, und zwar nur deshalb nicht, weil die Alliierten die Auffassung vertreten haben, daß die besondere Dienststellung und die besonderen Tätigkeiten es nicht zuließen, diese Leute in einen Hauptvertrag einzufügen, daß für sie vielmehr ein Sonderabkommen notwendig sei.
Dazu kam, daß auch die Bediensteten der Alliierten im Berliner Raum in diesen Vertrag nicht einbezogen worden sind, eine Tatsache, die wir angesichts der Berliner Situation nur allzusehr bedauern müssen. Gerade die Berliner Situation macht es notwendig, daß die Bedenken der Alliierten gegenüber diesem Tarifvertrag endlich einmal zurückgestellt werden, damit die Berliner Beschäftigten bei den Alliierten endlich zu diesem Tarifvertrag kommen.
Gerade das Ausschließen der deutschen Dienstorganisationen auch in diesem Tarifvertrag bringt für die dort Beschäftigten sehr große Nachteile mit sich. Sie wurden teilweise schon angeführt. Auf eines darf ich insbesondere hinweisen: Diese Differenzierung der Beschäftigten in zwei Gruppen - in eine, die einen Tarifvertrag hat, und eine andere, die noch keinen hat — bringt es mit sich, daß nach wie vor — ich möchte nicht das Wort „Willkür" gebrauchen, wie es der Herr Kollege Eschmann getan hat — leider die Voraussetzungen einer einheitlichen Regelung — es wäre möglich, sie durch einen Tarifvertrag zu schaffen — nicht gegeben sind. Insbesondere bestehen in der Frage des Weihnachtsgeldes Unterschiede. Die amerikanischen und britischen Stellen haben sich entschlossen, bei den Dienstorganisationen Grundsätze anzuwenden, die bei den unter den Haupttarifvertrag fallenden Personen angewendet werden. In der französischen Zone jedoch gibt man diesen Leuten lediglich 50 DM. Eine Schreibkraft bei den Amerikanern erhält einen Weihnachtsbetrag von 150 bis 200 DM, während sich ein kinderreicher Familienvater, der bei den Dienstorganisationen der Franzosen beschäftigt ist, mit 50 DM zufrieden geben muß.
Durch das Nichtabschließen des Tarifvertrags für die bei den Dienstgruppen Beschäftigten ergibt sich einerseits eine erhebliche Unsicherheit. Ich darf nur daran erinnern, daß die Fragen des Kündigungsschutzes, des Urlaubs, der Strafen, der Gerichtsbarkeit die Betroffenen in dienstrechtlicher und sozialpolitischer Hinsicht in ständiger Unruhe halten. Auf der anderen Seite ist der nicht mehr vertretbare Zustand vorhanden, daß Bürger der souveränen Bundesrepublik im eigenen Lande nach fremdem Recht behandelt werden.
Das Finanzministerium und die beteiligten Gewerkschaften haben bereits frühzeitig — das wurde auch durch die Antwort des Herrn Staatssekretärs bestätigt — an einem Vertragsentwurf gearbeitet, ihn fertiggestellt und den Alliierten zugeleitet. Diese haben leider erst zu spät zu diesem Entwurf Stellung genommen und dann Beanstandungen vorgetragen, die eine Klärung in einem weiteren Entwurf notwendig gemacht haben. So ist hier wirklich eine Verschleppung eingetreten, die keineswegs im Interesse der dort beschäftigten Menschen liegt.
Vor Abschluß des Haupttarifvertrags bestanden sowohl zwischen den einzelnen Zonen — das muß hier einmal gesagt werden, um die Schwierigkeiten darzustellen, die dem Abschluß eines solchen Tarifvertrags entgegenstanden — als auch innerhalb der einzelnen Zonen Unterschiede in den Arbeitsbedingungen und in der Entlohnung. So wurden z. B. in der britischen Zone die TOB, also die Grundsätze der Entlohnung für die gewerblichen Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, Industrietarife, ortsübliche Tarife, die TOA für die Angestellten, ein sogenannter Militärtarif usw. angewendet; insgesamt wurden einige Hundert Tarife zur Entlohnung dieser Leute angewandt. Dieses Durcheinander wurde durch den Abschluß dieses Tarifvertrags in dankenswerter .Weise beseitigt. Herr Kollege Eschmann, Sie haben im besonderen die Eingruppierungsfrage hier ausgeweitet. Bei einem solchen Durcheinander von angewandten Tarifverträgen für die Bezahlung dieser Leute liegt es in der Natur der Sache, daß bei Anwendung des neuen Tarifvertrags Fehleinstufungen und gewisse Härten auftreten.
Dazu kam — und das war in der Angelegenheit mit das Entscheidende —, daß bei Inkrafttreten des Vertrags vor allen Dingen von der britischen Seite, aber auch von der amerikanischen Seite aus ein neuer Stellenplan und neue Eingruppierungsrichtlinien angeordnet worden sind, ohne daß man darüber die Tarifvertragsparteien verständigt hat. Es wäre nach meiner Auffassung viel richtiger gewesen, wenn sich die alliierte Seite über diese Maßnahmen mit den Vertragsparteien verständigt hätte. Dann wären vermutlich manche Härten und, manche Unruhe, die namentlich im Raum von Nordrhein-Westfalen aufgetreten sind, vermieden worden. Mit entscheidend für die Maßnahmen der Alliierten ist gewesen, daß die Bediensteten der Besatzungen, ehe der Tarifvertrag und ehe die Pariser Abkommen mit dem Truppenvertrag und den darin vorgesehenen Folgen in Kraft traten, durch die Besatzungskostenämter aus deutschen Mitteln entlohnt wurden, während sie jetzt mit alliierten Mitteln bezahlt werden müssen. Ich bin überzeugt: wenn dieser Zustand heute noch bestünde, wäre manche Schwierigkeit nicht aufgetaucht. Man hat das Gefühl, daß hier die Sparsamkeit teilweise übertrieben worden ist. Vermutlich ist man von einem Extrem in ein anderes hineingefallen.
Was die Eingruppierungen selbst betrifft, so ist es folgendermaßen. In § 10 Ziffer 3 des Tarifvertrags ist ein paritätisch zusammengesetzter Eingruppierungsausschuß festgelegt, und es ist jedem einzelnen möglich, vor diesem im Beschwerdeverfahren eine Änderung seiner Eingruppierung zu
erwirken. Man wollte durch die Aufnahme dieser Bestimmung im Tarifvertrag Schwierigkeiten, die bei der Eingruppierung auftreten, möglichst weitgehend im eigenen Hause beseitigen, ohne die Arbeitsgerichte oder sonstige Rechtseinrichtungen zu behelligen. Daß von dieser Beschwerdemöglichkeit weitgehend Gebrauch gemacht worden ist, liegt in der Natur der Sache. Ein großer Teil hatte nämlich Gründe dazu. Allerdings sind die Beschwerden zum weitaus größten Teil abgeschlossen. Der Tarifvertrag bestimmt nichts darüber, daß damit etwa die Sache erledigt sei; vielmehr kann jeder, der sich nach Abschluß des Beschwerdeverfahrens noch irgendwie beschwert fühlt, das Arbeitsgericht in Anspruch nehmen. Von dieser Möglichkeit ist in der Vergangenheit ebenfalls Gebrauch gemacht worden.
Zur Vermeidung besonderer Härten wurde in einem weiteren Paragraphen des Tarifvertrags eine sogenannte Besitzstandsklausel aufgenommen, die vor allen Dingen dort von Bedeutung ist, wo die Beschäftigten nach den Grundsätzen der TOA und der TOB entlohnt wurden und Kinderzuschläge erhielten, die nach dem Inkrafttreten des Tarifvertrags nicht mehr gewährt werden. In der Zwischenzeit sind durch die Bestimmung, daß auch den Bediensteten bei den Alliierten die Kinderzuschläge zugute kommen, die durch das Familienausgleichskassengesetz festgelegt worden sind, in dieser Richtung bereits gewisse Ausgleiche erfolgt. Die Besitzstandsklausel läuft bis zum 31. Januar des nächsten Jahres. Es besteht aber die Absicht, eine neue Besitzstandsklausel zu vereinbaren, die über diesen Termin hinaus in besonderen Härtefällen zur Anwendung kommen soll. Dahingehende Besprechungen mit den Sozialattachés und den Personalsachbearbeitern der Streitkräfte haben dieser Tage bereits stattgefunden und scheinen auch einen Erfolg zu bringen.
Daß sich die Bundesregierung, vertreten durch den Herrn Bundesfinanzminister, alle erdenkliche Mühe gegeben hat, in Verbindung mit den Gewerkschaften die aufgetretenen Schwierigkeiten rasch zu beseitigen, muß unter allen Umständen hier einmal lobend erwähnt werden. Ich möchte nur dem Herrn Staatssekretär gegenüber — der Herr Bundesfinanzminister ist leider nicht da — die Bitte aussprechen, einmal zu überprüfen, ob das beim Bundesfinanzministerium eingerichtete Sachgebiet personell ausreichend besetzt ist, um den gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Mir jedenfalls scheint die Besetzung nicht ausreichend, wenn ich mir überlege, welche Aufgaben dieser Stelle zugeordnet sind. Eine der Aufgaben dieses Sachgebietes ist es, die alliierten Stellen in allen arbeitsrechtlichen, tarifrechtlichen und sozialpolitischen Fragen zu beraten. Wenn das Sachgebiet in der Vergangenheit, mindestens in den ersten Monaten nach Inkrafttreten des Tarifvertrags, entsprechend besetzt gewesen wäre, hätte bei der Anwendung des neuen Vertrags manche Härte vermieden werden können. Statt dessen haben sich die alliierten Stellen Mitarbeiter bedient, die, obwohl Deutsche, leider nicht allzusehr an einem harmonischen Ablauf der Dinge interessiert waren und denen es oft nur darauf ankam, selbst alle Möglichkeiten des Tarifvertrags für sich auszuschöpfen, ohne daß sie zu einer Befriedung ihre Mitarbeit geboten hätten.
Ich kann mich mit der Auffassung des Herrn Staatssekretärs durchaus einverstanden erklären, daß durch die Aufnahme der deutschen Kündigungsschutzbestimmungen und aller anderen arbeitsrechtlichen Bestimmungen in den Tarifvertrag eine Sicherung des Arbeitsplatzes gewährt worden ist, zumal da — das ist dabei noch entscheidend — durch die Artikel 44 und 45 des Truppenvertrages weitere Sicherheiten gegeben worden sind. Der Herr Staatssekretär hat auch angeführt, daß im Zusammenhang mit der Ablösung des Truppenvertrages durch entsprechende Abmachungen mit der NATO gewisse Absichten bestehen, die deutschen Dienstorganisationen über den in dem Truppenvertrag vorgesehenen Zeitraum von 24 Monaten hinaus zu beschäftigen. Ich bin dagegen der Meinung, daß wir dem Wunsche, der da und dort vorhanden ist, nicht Rechnung tragen sollten. Wenn die 24 Monate abgelaufen und die Voraussetzungen gegeben sind, könnten die Leute in diesen Organisationen, in denen wir nach wie vor, soweit die Wachleute in Frage kommen, immer etwas Militärisches erblickt haben und erblicken, vielmehr von den inzwischen aufgestellten deutschen Streitkräften ohne weiteres übernommen werden.
Die Alliierten haben im letzten Jahr rund 200 000 Bedienstete infolge Wegfallens von Aufgaben und infolge von Einschränkungen entlassen. Die zur Entlassung Gekommenen haben zum allergrößten Teil in der Wirtschaft ein Unterkommen gefunden. Wenn in der Unterbringung irgendwelche Schwierigkeiten aufgetreten sind, dann ist es auch hier wieder das Problem der älteren Angestellten, das auch bei anderen Gelegenheiten immer eine besondere Rolle spielt. Es wäre wichtig und wertvoll, daß man bei den Möglichkeiten, die sich neuerdings bei den deutschen Streitkräften ergeben, insbesondere an die Unterbringung der älteren Angestellten denkt. Nach meiner Auffassung und meinem Überblick über die Dinge, den ich nun einmal habe, ist kaum zu erwarten, daß in der nächsten Zukunft bei den alliierten Dienststellen und bei den Streitkräften größere Entlassungen von Zivilbeschäftigten vorkommen werden; denn die rund 300 000 Beschäftigten, die heute noch dort sind, sind das Minimum dessen, was erforderlich ist, um den Aufgaben, die in den Verwaltungen, den Kasernen usw. gestellt sind, gerecht zu werden. Bei der Lage des deutschen Arbeitsmarktes ist es auch ohne weiteres möglich, einzelne zur Entlassung kommende Arbeitskräfte unterzubringen.
Auf eines darf ich allerdings in diesem Zusammenhang hinweisen. Leider besteht in weiten Kreisen der Wirtschaft, auch in gewissen Verwaltungen, die Meinung, daß es sich bei diesen Menschen um minderwertige Arbeitskräfte handelt. Gegen diese Art von Diskriminierung möchte ich mich mit aller Schärfe wenden. Bei diesen Menschen handelt es sich zum weitaus größten Teil um hochwertige Arbeitskräfte, von denen die meisten schon acht bis zehn Jahre bei den Alliierten beschäftigt sind und nur deshalb eine Beschäftigung bei den Alliierten gesucht und gefunden haben, weil sie zu jener Zeit, 1945/46, in der deutschen Wirtschaft infolge ihres Darniederliegens eine Unterkunftsmöglichkeit nicht gefunden haben. Ich erinnere dabei daran, daß sich unter diesen Beschäftigten ein sehr großer Teil von Heimatvertriebenen befindet, die erst durch die Aufnahme einer Beschäftigung bei den Alliierten wieder eine Existenzgrundlage erhalten haben. Dabei gibt es unter diesen Menschen eine ganze Anzahl hervorragender Fachleute und Spezialisten; ich denke hier vor allem an die Radar-Spezialisten, an hochwertige Facharbeiter für Baugerät, Spezialmaschinen, an Flugpersonal
usw. Diese Menschen sind langgeschultes Fachpernal, zum Teil noch geschult in der ehemaligen deutschen Wehrmacht. Sie haben ihre Kenntnisse bei den Alliierten nur erweitern können, und ich möchte meinen, daß sich der Bundesminister für Verteidigung die Kenntnisse und Fähigkeiten dieses Personals zunutze machen sollte, wenn sich etwa die Notwendigkeit ergibt, solches Fachpersonal bei den neuen deutschen Streitkräften zu beschäftigen.
Allerdings möchte ich mich ebenfalls dagegen wenden, daß man diese Dienstorganisationen korporativ in die neuen deutschen Streitkräfte übernimmt. Man sollte vielmehr diese Leute je nach Notwendigkeit und je nach Charakter und Fähigkeiten einstellen.