Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mir eine Vorbemerkung zur Gro-Ben Anfrage zu erlauben. Nach der Herstellung der Souveränität sind an die Stelle der alliierten Besatzungsbehörden nunmehr die Einrichtungen der Stationierungsmächte getreten, und ich glaube, es empfiehlt sich, diesen Sprachgebrauch allgemein beizubehalten.
Der Herr Abgeordnete Eschmann hat soeben eine ausführliche Antwort auf seine mündlichen Darlegungen gewünscht. Ich darf dazu bemerken, daß mir der umfangreiche Inhalt dessen, was er zu sagen beabsichtigte, vorher nicht bekannt war. Mir hat nur die schriftlich formulierte Große Anfrage vorgelegen. Ich bin daher, wenn ich jetzt sofort antworte, auch nur in der Lage, zu den schriftlich formulierten vier Punkten Stellung zu nehmen, was ich gern so ausführlich wie möglich machen werde. Sollten darüber hinaus weitere Ausführungen gewünscht werden, so können sie selbstverständlich gemacht werden; das wäre dann aber erst in einer späteren Sitzung des Hohen Hauses möglich.
Ich komme zu Punkt 1 der Anfrage: Sonderabkommen für die deutschen Dienstgruppen. Das Bundesfinanzministerium hat, wie der Herr Fragesteller erwähnt hat, in der 66. Sitzung des Hohen Hauses mitgeteilt, daß die Verhandlungen für die Dienstgruppen unmittelbar nach Abschluß des Tarifvertrags vom 28. Januar 1955 für die allgemeinen Arbeitnehmer bei den Streitkräften erfolgen würden und nach den Wünschen der deutschen Seite mit der größten Beschleunigung durchgeführt werden sollten. Die Verhandlungen sind zwischen den Vertretern der Bundesregierung, der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr und der Deutschen Angestelltengewerkschaft alsbald aufgenommen worden und haben bereits am 23. und 24. Februar 1955 zum Abschluß eines Vorentwurfs geführt, der dann von den Vertragsparteien gebilligt und am 29. März 1955 den Streitkräften zur Stellungnahme zugeleitet worden ist. Ein Einvernehmen mit den Streitkräften in den Grundsatzfragen war im Hinblick auf Art. 45 Abs. 5 des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte erforderlich. Bei der Abstimmung über die Grundlagen dieser Sondervereinbarungen müssen ja die Besonderheiten der Aufgaben der Dienstgruppen mit den Bedürfnissen der Stationierungsmächte in Einklang gebracht werden.
Nach mehreren zwischenzeitlichen Rückfragen der Streitkräfte beim Bundesministerium der Finanzen einerseits und bei den Regierungen ihrer Heimatstaaten andererseits haben die Streitkräfte Mitte Juli um Vorlage eines neuen Entwurfs gebeten, der die bisher entstandenen Zweifelsfragen klären sollte. Die Vertragspartner auf der deutschen Seite, die ich soeben genannt habe, haben dann am 11. und 12. August 1955 den abschließenden Entwurf einer Sondervereinbarung für die Dienstgruppen fertiggestellt und den Streitkräften bereits am 18. August 1955 mit der Bitte um Zustimmung vorgelegt. Eine Zusatzregelung, die nur die schwimmenden Einheiten der Dienstgruppen der amerikanischen Streitkräfte betrifft, wurde auf deutscher Seite am 31. August 1955 vereinbart und mit Schreiben vom 12. September 1955 den Streitkräften übersandt. Die Streitkräfte sind zur Zeit mit der Prüfung der Sondervereinbarung für die deutschen Dienstgruppen beschäftigt.
Wir haben immer und immer wieder um alsbaldige Stellungnahme zu den vorliegenden Entwürfen gebeten und haben nunmehr die Mitteilung erhalten, daß am 1. Dezember 1955 um 16 Uhr, also heute nachmittag, dem Bundesministerium der Finanzen die Stellungnahme der Streitkräfte bekanntgegeben wird. Dem Vernehmen nach war es den Streitkräften bisher nicht möglich, eine Rückäußerung der Regierungen ihrer Heimatstaaten zu einem früheren Zeitpunkt einzuholen. Das Bundesfinanzministerium hätte es sehr begrüßt, wenn den Streitkräften die Übermittlung ihrer Stellungnahme wenigstens einige Tage vor der heutigen Bundestagssitzung möglich gewesen wäre, damit wir heute in die Lage versetzt worden wären, dem Hohen Hause schon den Inhalt der Antwort der Streitkräfte bekanntzugeben. Wir hoffen, daß der Inhalt dieser Antwort nunmehr einen alsbaldigen Abschluß der Verträge ermöglicht. Andernfalls würden wir unverzüglich das Hohe Haus über den Fortgang dieser Besprechungen informieren.
Zur Frage 2, der Frage der Fehleinstufungen nach dem Tarifvertrag für die Angestellten bei den Streitkräften. Ich sagte schon, daß ich die hier vorgebrachten Einzelheiten nicht erörtern kann. Ich darf aber auf die Regelung verweisen, die in dem Tarifvertrag vorgesehen ist. Wir haben laufend Besprechungen einerseits mit den Gewerkschaften, andererseits mit den Streitkräften und schließlich mit den Vertretern der Länder wegen einer einheitlichen Anwendung des Tarifvertrags für die angestellten Bediensteten gehabt. In § 17 Ziffer 3 des Tarifvertrags ist ja eine Besitzstandsklausel enthalten. Diese Besitzstandregelung stellt sicher, daß die Arbeitnehmer bei gleichbleibender Arbeitszeit und bei gleichen Tätigkeitsmerkmalen ihre bisherigen Gesamtbezüge einschließlich der Kinderzuschläge für ein Jahr unverändert weiterbeziehen. Sofern nach Ansicht der Arbeitnehmer die Einstufungen den für sie zutreffenden Tätigkeitsmerkmalen nicht entsprechen sollten, haben die Lohnstellen der Länder diese zu überprüfen und im Benehmen mit den Streitkräften auf den Tarifvertrag abzustimmen. Außerdem sieht § 10 Ziffer 5 des Tarifvertrags einen paritätisch besetzten Ausschuß für die Überprüfung der Eingruppierungen vor, der vom Arbeitnehmer jederzeit angerufen werden kann. Diese Ausschüsse sind inzwischen in Tätigkeit getreten. Nach den Mitteilungen der Länder ist uns nicht bekanntgeworden, daß Fehleinstufungen größeren Umfanges vorgenommen wurden, die nicht im Wege der Überprüfung beseitigt werden könnten. Es ist angesichts der großen Zahl der Bediensteten bei den Streitkräften unvermeidlich, daß die Umgruppierungen eine längere Zeit in Anspruch nehmen.
Die örtlichen Arbeitsämter mußten bei der großen Anzahl von gleichzeitig eingegangenen Umgruppierungsvorschlägen seitens der Streitkräfte vielfach rein vorsorglich Einsprüche einlegen, um die vereinbarte Widerspruchsfrist von vier Wochen nicht zu versäumen. Dabei kann es vorgekommen sein, daß bei dem einen oder anderen örtlichen Arbeitsamt einmal die Zahl der Widersprüche 80% der vorgelegten gesammelten Umgruppierungsvorschläge betragen hat. Nach Mitteilung des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen kann aber dieser hohe Hundertsatz keineswegs auf die Gesamtzahl der durchgeführten Umgruppie-
rungen auch nur annähernd übertragen werden. Nach Auskunft aller Länderfinanzministerien sind die Umgruppierungen Ende November nahezu abgeschlossen. Für einige Hundert Einsprüche, die aber im Verhältnis zur Gesamtzahl für die Beurteilung wohl nicht von entscheidender Bedeutung sind, fehlt noch eine abschließende Stellungnahme der Streitkräfte. Vereinzelt sind in einigen Ländern Prozesse wegen zu niedriger Eingruppierung bei den Arbeitsgerichten anhängig.
Einkommensminderungen von 100 DM und mehr, wie sie soeben erwähnt wurden, können nur dann eintreten, wenn sich die Tätigkeitsmerkmale eines Arbeitnehmers nach dem Inkrafttreten des Tarifvertrags geändert haben sollten oder wenn z. B. kürzere Arbeitszeiten festgesetzt worden sind. Durch organisatorische Maßnahmen bei den Dienststellen haben sich für einzelne Arbeitnehmer Veränderungen der Tätigkeitsmerkmale ergeben. Die Auswirkungen dieser Veränderungen stehen jedoch mit der Einführung des Tarifvertrags in keinem Zusammenhang, sondern hätten ebensogut vorher wie nachher vorkommen können.
Zur Frage 3: In der seinerzeitigen Beantwortung ist bereits ausgeführt worden, daß im Tarifvertrag sehr lange Kündigungsfristen vorgesehen sind und daß notfalls Sondermaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Herrn Bundesminister für Arbeit erfolgen sollen. Die Streitkräfte haben sich auf Antrag der Bundesregierung bereit erklärt, Entlassungsmaßnahmen frühzeitig den örtlichen Arbeitsämtern und den Landesarbeitsämtern anzuzeigen, und zwar möglichst schon vor dem Aussprechen der Kündigung. Bei eventuell auftretenden Massenentlassungen ist von den Streitkräften zugesagt worden, zusätzlich die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und das Bundesarbeitsministerium davon in Kenntnis zu setzen. Auch die von mir erwähnten Sondermaßnahmen, die sich im Bereich der Streitkräfte durchführen lassen, sind mit diesen bereits besprochen worden. Dabei wurde vereinbart, bei der Vermittlung von Arbeitnehmern für Dienststellen der Streitkräfte insbesondere älteren Arbeitnehmern mit längerer Dienstzeit bei den Stationierungsmächten den Vorzug bei der Wiedereinstellung zu geben.
Im übrigen ist doch wohl bei der gegenwärtigen Lage am Arbeitsmarkt nicht damit zu rechnen, daß die Arbeitsvermittlung größere Schwierigkeiten bereitet. Die Streitkräfte haben übrigens mitgeteilt, daß Entlassungen größeren Umfangs kurzfristig nicht zu erwarten seien.
Zur Frage 4: Gesamtsituation. Nach Wiedererlangung der Souveränität sind für die Beurteilung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer die Bestimmungen der Artikel 44 und 45 des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte maßgebend. Danach sind grundsätzlich die für die deutschen Bundesbehörden geltenden arbeitsrechtlichen Vorschriften anzuwenden mit Ausnahme der tarifvertraglichen Regelungen, soweit nicht eine gemischte Kommission, die in Art. 44 vorgesehen ist, im Hinblick auf besondere militärische Erfordernisse eine abweichende Entschließung fassen sollte.
Ich muß bemerken, daß nach unseren Mitteilungen die Gesamtsituation der Arbeitnehmer bei den Streitkräften sich nach der Erlangung der Souveränität verbessert hat. Es ist auch nicht anzunehmen, daß sich nach Ablösung des Truppenvertrages durch neue Vereinbarungen auf der Grundlage des NATO-Stationierungsabkommens eine Situation entwickeln wird, die irgendwie zu ernsten Besorgnissen Anlaß geben könnte.
Zusammenfassend darf ich nochmals darauf hinweisen, daß das Bundesfinanzministerium sich die Wahrung der Interessen der deutschen Arbeitnehmer bei den Einrichtungen der Stationierungsmächte bisher nachdrücklichst hat angelegen sein lassen und daß das Bundesfinanzministerium sich mit derselben Härte — so sagte wohl der Herr Fragesteller —, die es sonst bei Wahrnehmung der ihm anvertrauten Interessen anzuwenden pflegt, für die Interessen der deutschen Arbeitnehmer einsetzen ,und, falls die Vorschläge, insbesondere bezüglich der Dienstgruppen, nicht befriedigend sein werden, nachdrückliche Vorstellungen auf hoher Ebene ins Auge fassen wird.