Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Konferenz der vier Regierungschefs in Genf fand am 23. Juli ihren Abschluß mit der Annahme einer Direktive an die vier Außenminister. Diese Direktive brachte den gemeinsamen Wunsch zum Ausdruck, zur Verminderung der internationalen Spannungen und zur Festigung des Vertrauens zwischen den Staaten beizutragen. Der Auftrag an die Außenminister lautete: wirksame Mittel für die Lösung dieses Fragenkomplexes vorzuschlagen. Die Außenminister sollten dabei auch der engen Verbindung zwischen der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Problem der europäischen Sicherheit sowie der Tatsache Rechnung tragen, daß die erfolgreiche Regelung jedes dieser Probleme der Festigung des Friedens dienen würde.
Es wurden folgende Problemkreise aufgezählt:
1. Europäische Sicherheit und Deutschland,
2. Abrüstung,
3. Entwicklung von Kontakten zwischen Ost und West.
Es ist nötig, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Direktive zu Punkt 1 folgendes ausspricht:
In Anerkennung ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands haben sich die Regierungschefs darüber geeinigt, daß die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands im Wege freier Wahlen im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit erfolgen muß.
Der Regierungschef der Sowjetunion hatte demnach der Wiedervereinigung im Wege freier Wahlen ausdrücklich zugestimmt, und man glaubte wohl mit einer gewissen Berechtigung, daß damit die Sowjetunion der Deutschlandfrage gegenüber eine neue Haltung eingenommen habe, denn noch auf der Berliner Konferenz hatte sie durch ihren Sprecher, den Außenminister Molotow, dieses Zugeständnis verweigert. Und zum Zeitpunkt der Berliner Konferenz hatte die Bundesrepublik dem westlichen Vertrags- und Verteidigungssystem noch nicht angehört, während im Zeitpunkt der ersten Genfer Konferenz dieses Paktsystem bereits bestand.
Die Konferenz der vier Außenminister hatte also eine konkrete, durch die Direktive vom 23. Juli genau umrissene Aufgabe. Es mußte sich nun erweisen, ob der neue Geist von Genf sich bewähren würde. Es mußte klarwerden, ob auf der Seite der Sowjetunion wirklich ein ernsthafter Wille bestand, die Entspannung dadurch herbeizuführen, daß die Tatsachen, durch die die Spannung Ausdruck fand, beseitigt wurden. Allerdings mußte man schon am Tage nach der Annahme der Direktive an diesem Willen zweifeln. Am 24. Juli nämlich hatte der sowjetrussische Ministerpräsident, Herr Bulganin, auf dem Flugplatz in Schönefeld die Direktive ausgehöhlt, der er tags zuvor zugestimmt hatte. Er betonte, daß die beiden deutschen
Staaten eine politische Realität seien und daß ein System der europäischen Sicherheit von dieser Realität ausgehen und ihr durch die getrennte Teilnahme der beiden Teilstaaten Rechnung tragen müsse. Er verwies schon damals auf die besondere wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur der beiden, wie er sagte, souveränen Staaten und erklärte, daß nur eine Annäherung zwischen den beiden Teilen Deutschlands der mögliche Weg zur Wiedervereinigung sei. Es folgte eine Reihe von inhaltlich übereinstimmenden Erklärungen maßgeblicher sowjetrussischer Politiker, die den Willen erkennen ließen, sich von dem klaren Inhalt der Direktive zu distanzieren.
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs haben dem Auftrag der Direktive entsprochen. In monatelanger sorgfältiger Arbeit haben sie die Außenministerkonferenz vorbereitet. Projekte für Sicherheitsgarantien, die die Sowjetunion für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands verlangt hatte, wurden in Washington, London, Paris und Bonn in getrennten und gemeinsamen Beratungen erwogen und durchdacht. Sie waren Gegenstand sorgfältiger Überlegungen in den Arbeitsgruppen, die im September und im Oktober in Washington und in Paris zusammentraten. An allen Beratungen, die das Thema „europäische Sicherheit und Deutschland" betrafen, nahm eine deutsche Delegation unter der Leitung des Direktors der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Herrn Professor Grewe, teil und leistete ihren Beitrag zu allen Entwürfen und Formulierungen.
Der von der Arbeitsgruppe in Washington verfaßte Bericht war Gegenstand einer gemeinsamen Beratung der drei Außenminister mit dem deutschen Außenminister in New York. Mehrere Fragen wurden in dieser Sitzung entschieden, andere der Arbeitsgruppe zur weiteren Prüfung überwiesen. Bei ihrer erneuten Zusammenkunft in Paris am 24. Oktober konnten die drei Außenminister zusammen mit dem Vertreter der Bundesregierung die Entwürfe verabschieden. Es handelte sich insbesondere um den Text eines Memorandums, das weitgehende Sicherheitsangebote an die Sowjetunion enthält. Man einigte sich auch über die Art des Vorgehens bei den kommenden Verhandlungen, wobei die mehrfach erwähnte Direktive vom 23. Juli die unverrückbare Grundlage blieb. Es wurde Übereinstimmung erzielt, daß für die Westmächte ein kollektives europäisches Sicherheitssystem nur unter Teilnahme eines durch freie Wahlen wiedervereinigten Deutschlands in Frage kommen könne.
Das Memorandum sah daher vor, daß die einzelnen Sicherheitsgarantien Zug um Zug mit der fortschreitenden Wiedervereinigung in Kraft treten sollten.
So sind die Auffassungen und Vorstellungen der Bundesregierung von Anfang bis zu Ende in die Planung der Westmächte eingegangen. Ich lege auf diese Feststellung besonderen Wert, weil in der deutschen Öffentlichkeit kritische Stimmen laut wurden, die nach einer selbständigen Initiative der Bundesregierung riefen. Die Bundesregierung hat in keinem Zeitpunkt auf das Recht der Initiative im Rahmen der gemeinsamen Arbeit verzichtet. Die Bundesregierung war sich zu jeder Zeit des Auftrags bewußt, den sie von dem Deutschen
Bundestag als der gewählten und legitimen Vertretung des ganzen deutschen Volkes erhalten hatte. Dieser Auftrag fand in zahlreichen Entschließungen des Deutschen Bundestages seinen Ausdruck. Ich erinnere an die Entschließungen vorn 14. September 1950 und vom 9. März 1951, die eine eindrucksvolle Bestätigung in der Entschließung der Vollversammlung der Vereinten Nationen vorn 20. Dezember 1951 fand. Ich erinnere an die folgenden Entschließungen, so insbesondere an die vom 10. Juni 1953, die folgende grundlegende Forderungen aufstellt:
1. Die Abhaltung freier Wahlen in ganz Deutschland,
2. die Bildung einer freien Regierung für ganz Deutschland,
3. der Abschluß eines mit dieser Regierung frei vereinbarten Friedensvertrages,
4. die Regelung aller noch offenen territorialen Fragen in diesem Friedensvertrag,
5. die Sicherung der Handlungsfreiheit für ein gesamtdeutsches Parlament und eine gesamtdeutsche Regierung im Rahmen der Grundsätze und der Ziele der Vereinten Nationen.
Auch in der Folgezeit hat der Bundestag sich diese Entschließungen wiederholt zu eigen gemacht, so am 19. Dezember 1953 vor Beginn der Berliner Konferenz. Nach Abschluß der Berliner Konferenz hat der Deutsche Bundestag am 25. Februar 1954 eine Entschließung gefaßt, die folgenden Wortlaut hat:
Der Deutsche Bundestag bedauert aufs tiefste, daß die Berliner Konferenz keine Lösung der Deutschlandfrage gebracht hat. Aus den Stellungnahmen des sowjetischen Außenministers
I) geht eindeutig hervor, daß die Sowjetunion heute nicht willens ist, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zuzulassen.
Der Deutsche Bundestag dankt den Außenministern der Westmächte, daß sie sich mit großer Entschiedenheit für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit eingesetzt haben.
Der Deutsche Bundestag verpflichtet sich von neuem, als die einzige in Freiheit gewählte Vertretung des deutschen Volkes alles, was in seiner Macht ist, zu tun, um den in Unfreiheit lebenden Deutschen beizustehen und die Wiedervereinigung mit ihnen in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt es, daß die Berliner Konferenz die Voraussetzungen für weitere Verhandlungen geschaffen hat. Er hofft, daß diese Verhandlungen zu einer allgemeinen Entspannung führen und damit neue Möglichkeiten zur Wiedervereinigung Deutschlands eröffnen.
Der Deutsche Bundestag ist willens, dieses Ziel in der Gemeinschaft der freien Welt und in unverbrüchlicher Solidarität mit den anderen freien Völkern Europas zu verfolgen.
Die deutsche Bundesregierung war verpflichtet, diesem immer wieder geäußerten Wunsch des Parlaments zu entsprechen. Sie hat es getan, indem sie sich in die Vorbereitung der Genfer Konferenz in der schon erwähnten Weise einschaltete. Eine isolierte Initiative der Bundesregierung wäre falsch und gefährlich gewesen.
Ein berechtigter Anlaß dazu hätte dann bestanden, wenn die Bundesregierung etwa die Überzeugung gewonnen hätte, daß die Politik der westlichen Alliierten, der neu gewonnenen Vertragspartner, mit den deutschen Interessen unvereinbar sei. Die deutsche Bundesregierung hätte in einem solchen Falle auch nicht gezögert, eine eigene Initiative zu entfalten, um dem Auftrage des deutschen Volkes zu entsprechen. Die Zusammenarbeit mit den freien Nationen im Rahmen der Verträge, ganz besonders die Zusammenarbeit mit den Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs, hat aber der Bundesregierung die volle Überzeugung vermittelt, daß keine Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und den genannten Regierungen in der Verfolgung des besonderen deutschen Anliegens bestanden. Es entsprach dem Ziel der von der Bundesregierung abgeschlossenen und vom Bundestag ratifizierten Verträge, diese Zusammenarbeit so eng wie nur möglich zu gestalten, eine Zusammenarbeit, die auf der Grundlage des uneingeschränkten gegenseitigen Vertrauens beruht. Diese Zusammenarbeit hat sich bewährt. Während der nun abgelaufenen Genfer Konferenz haben die drei Außenminister, Herr Dulles, Herr MacMillan und Herr Pinay, das deutsche Anliegen mit einer Hingabe und einer Überzeugungskraft vertreten, die die deutsche Bundesregierung berechtigt und verpflichtet, ihnen und den von ihnen vertretenen Nationen hier an dieser Stelle noch einmal den aufrichtigen Dank des ganzen deutschen Volkes auszusprechen.
Mir scheint es nötig, ganz offen eine Feststellung zu treffen: es wäre unklug und vermessen, wollte man diese Haltung unserer Verbündeten etwa als eine Selbstverständlichkeit zur Kenntnis nehmen.
Sie ist der Ausdruck des neu gewonnenen Vertrauens in das deutsche Volk und eine bewegende Anerkennung der Ziele, die wir uns in Deutschland gemeinsam gesetzt haben, als ein freies, auf den Grundlagen rechtsstaatlicher Ordnung und freiheitlicher Demokratie aufgebautes Volk unseren Beitrag zum Frieden in der Welt zu leisten.
Aber es waren nicht nur die drei Staaten, die sich mit diesen Zielen der deutschen Politik solidarisch erklärten. Es waren ebenso die in der großen atlantischen Gemeinschaft zusammengeschlossenen Nationen, die den Bemühungen der drei Außenminister ihre volle Unterstützung zusagten. Und es war nicht zuletzt die Beratende Versammlung des Europarates, die sich den Bericht des französischen Abgeordneten de Menthon zu eigen machte, indem sie ihn einstimmig annahm. In diesem Bericht heißt es u. a.:
Die Versammlung besteht auf der Notwendigkeit, schnellstens die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage freier Wahlen zu erreichen. Sie hebt den ungenügenden und gefährlichen Charakter jedes Abkommens über Europa mit der Sowjetunion hervor, das nicht diese Wiedervereinigung einschließt. Der enge Zusammenhang der Probleme hat zwischen der deutschen Wiedervereinigung und einem europäischen Sicherheitssystem eine innere Abhängigkeit geschaffen, die parallele Fortschritte bei der Lösung beider Probleme erforderlich macht.
So weit die einstimmig angenommene Entschließung des Europarates.
Die Genfer Außenministerkonferenz begann am 27. Oktober und endete am 16. November. Die Bundesregierung war durch eine Beobachterdelegation unter der Leitung von Botschafter Blankenhorn und Professor Grewe vertreten. Sie wurde von den drei Westmächten laufend informiert und konsultiert, so daß auch hier die deutschen Gesichtspunkte und Anregungen vorgetragen, verhandelt und berücksichtigt wurden. Der Bundesminister des Auswärtigen hat im Zeitpunkt der kritischen Zuspitzung der Auseinandersetzungen über die deutsche Frage in einem eingehenden Meinungsaustausch mit den westlichen Außenministern den Standpunkt der Bundesregierung in Genf zur Geltung gebracht. Es ergab sich auch dabei eine völlige Übereinstimmung der Auffassungen.
Der erste, längere Abschnitt der Außenministerkonferenz war dem Problem „Europäische Sicherheit und Deutschland" gewidmet, der zweite, kürzere Abschnitt den beiden restlichen Problemen, der Abrüstung und den Ost-West-Kontakten. Bereits zu Beginn der Verhandlungen haben die drei Außenminister wieder im engsten Einvernehmen mit der Bundesregierung gehandelt und entsprechend der Direktive der Regierungschefs dem sowjetischen Außenminister, Herrn Molotow, Vorschläge für die gleichzeitige Lösung der deutschen Frage und der mit ihr verbundenen Sicherheitsfrage unterbreitet. In diesen Vorschlägen haben die Westmächte der Sowjetunion sehr weitgehende Garantien für den Fall der deutschen Wiedervereinigung durch freie Wahlen angeboten. Die Vorschläge enthielten insbesondere:
1. Eine vertragliche Gewaltverzichterklärung, die der Sowjetunion den rein defensiven Charakter der westlichen Verteidigungspolitik noch einmal bestätigen und in verbindlicher Form festlegen sollte.
2. Eine vertragliche Verpflichtung, einem Angreifer jede Unterstützung zu versagen.
3. Ein System der Begrenzung, der Kontrolle und der Inspektion der Streitkräfte und Rüstungen, das in einer breiten geographischen Zone in der Mitte Europas ein Gleichgewicht der militärischen Kräfte herstellen würde.
4. Ein besonderes Radar-Warnsystem, das allen beteiligten Staaten Schutz gegen Überraschungsangriffe bieten sollte.
5. Ein Verfahren der gegenseitigen Konsultation bei der Anwendung dieses Sicherheitssystems.
Alle diese Sicherheitsgarantien wurden für den Fall der Wiedervereinigung durch freie Wahlen angeboten ohne Rücksicht darauf, ob sich das wiedervereinigte Deutschland dem westlichen Verteidigungssystem oder dem Ostblock anschließen oder ob es sich für die Bündnislosigkeit entscheiden würde.
Diese Tatsache muß besonders hervorgehoben werden, weil Herr Molotow in seinen Reden in Genf den Eindruck zu erwecken versuchte, als seien die westlichen Sicherheitsangebote einzig und allein für den Fall des Beitritts Gesamtdeutschlands zur NATO gemacht worden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Das Memorandum der Westmächte läßt keinen Zweifel daran, daß es von der Entscheidungsfreiheit Gesamtdeutschlands ausgeht. Mit Ausnahme eines einzigen Angebots — nämlich des Angebots gegenseitiger Beistandsleistung im Falle eines Angriffs — sollten alle anderen Sicherheitsgarantien auch dann wirksam werden, wenn Gesamtdeutschland sich für die Bündnislosigkeit, ja sogar dann, wenn es sich für den Anschluß an den Ostblock entscheiden würde. Die drei westlichen Regierungen haben weder für den Fall der Verbindung Gesamtdeutschlands mit dem Ostblock noch für den Fall seiner Bündnislosigkeit besondere zusätzliche Sicherheitsgarantien für sich verlangt, obwohl in beiden Fällen das westliche Verteidigungssystem geschwächt werden würde, und zwar entweder — wie gesagt — durch den Anschluß Deutschlands an ein anderes System oder durch den Ausfall der Bundesrepublik für das westliche Verteidigungssystem. Dagegen haben die Westmächte der Sowjetunion eine sehr weitgehende zusätzliche Sicherung für den Fall angeboten, daß sich das wiedervereinigte Deutschland entschließen sollte, dem westlichen Verteidigungssystem beizutreten, nämlich eine Verpflichtung, der Sowjetunion zu Hilfe zu kommen, falls sie von irgendeinem Mitglied des Nordatlantikpaktes, also auch von Deutschland, angegriffen werden würde. Die einzige Voraussetzung für dieses Angebot eines Sicherheitspaktes war die Zustimmung der Sowjetunion zu einer Wiedervereinigung Deutschlands auf Grund freier gesamtdeutscher Wahlen, wie sie der Eden-Plan vorsieht.
Für die Wiedervereinigung Deutschlands legten die Westmächte ebenfalls in Übereinstimmung mit der Bundesregierung außerdem einen Plan vor, der als ersten Schritt zur Verwirklichung des im Eden-Plan vorgesehenen Verfahrens zur Wiedervereinigung die Abhaltung freier Wahlen im Verlaufe des Jahres 1956 vorsah. Es wurde vorgeschlagen, daß eine Kommission von Vertretern der vier Mächte sofort zusammentreten solle, um in Beratung mit deutschen Sachverständigen das Wahlgesetz für diesen Plan und die Bestimmungen für ihre Sicherung und Überwachung auszuarbeiten.
Die Vorschläge der Westmächte zur Sicherheit und Wiedervereinigung befanden sich in voller Übereinstimmung mit der Direktive der Regierungschefs. Die Westmächte forderten den für ein freies Volk einzig möglichen Weg zur Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit und rechtsstaatlicher Verhältnisse in allen seinen Gebietsteilen, nämlich den über freie Wahlen. Sie boten der Sowjetunion weitgehende Garantien für ihre Sicherheit während und nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Sie ließen darüber hinaus erkennen, daß sie im Zusammenhang mit einigen dieser Garantien wie Begrenzung, Kontrolle und Inspektion der Streitkräfte und Rüstungen in einer besonderen Zone in der Mitte Europas zu Verhandlungen über besondere Maßnahmen bereit seien. Es verdient unterstrichen zu werden, daß mit dieser Formulierung eine Verhandlungsbereitschaft der Westmächte über die wichtige Frage erklärt wurde, welche Vorkehrungen zu treffen seien, damit die von der Roten Armee geräumten Gebiete nicht zu einer militärischen Basis der NATO gemacht würden. Es ist sehr bemerkenswert, daß die Sowjets für diese Erklärung keinerlei Interesse bekundet haben.
Hier wie in der ganzen sowjetischen Verhandlungsführung in Genf zeigte sich ganz unmißverständ-
lich, welcher Art das sowjetische Interesse an dem Problem der europäischen Sicherheit ist. Es ist nicht die angeblich durch die Wiedervereinigung Deutschlands bewirkte Gefährdung ihrer Sicherheit, die die Sowjetunion bewegt; woran sie vielmehr ausschließlich interessiert zu sein scheint, das sind Sicherheitspläne, die dazu geeignet sind, die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen des Westens aufzulösen oder unwirksam zu machen.
An der unlösbaren Verbindung zwischen der europäischen Sicherheit und der Wiedervereinigung hielten die drei Außenminister auch während der Genfer Konferenz unbeirrbar fest. Jeden Versuch, diese beiden Fragen voneinander zu trennen und die Wiedervereinigung damit beiseite zu schieben, erst recht jeden Versuch, das Sicherheitssystem auf der Basis des geteilten Deutschlands und auf der Grundlage der Teilnahme zweier deutscher Staaten zu errichten oder auch nur provisorisch zu errichten, haben die drei Außenminister zurückgewiesen.
Ihre der Bundesregierung notifizierte Erklärung an das gesamte deutsche Volk vom 16. November 1955 bestätigt, daß sie auch in Zukunft an dieser Überzeugung festhalten werden. Es erscheint mir richtig, aus dieser Erklärung zu zitieren:
„Die Außenminister Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika sind sich bewußt, daß dieses Ergebnis bittere Enttäuschung im deutschen Volke — östlich und westlich der Zonengrenze, durch die es jetzt zu Unrecht geteilt wird — auslösen muß. Die drei Außenminister glauben jedoch, daß die Sowjetregierung zu der Erkenntnis gelangen wird, daß ihren eigenen
Interessen dadurch gedient werden wird, daß man der Ungerechtigkeit eines geteilten Deutschlands ein Ende bereitet. Sie glauben, daß die Sowjetregierung erkennen wird, daß keine dauerhafte Sicherheit in Europa — oder überhaupt in der Welt — herrschen kann, solange sie darauf beharrt, dem deutschen Volke die Einheit vorzuenthalten und so die Teilung Europas zu verewigen.
Die drei Mächte werden ihrerseits in ihren Bemühungen nicht nachlassen, der Ungerechtigkeit und dem Unrecht, die jetzt durch die Teilung des deutschen Volkes angerichtet werden, ein Ende zu bereiten, und sie werden weiterhin ihre Bereitschaft aufrechterhalten, ihren Beitrag zur Sicherheit zu leisten, die allen nur dann zuteil werden kann, wenn Deutschland wiedervereinigt ist."
So weit die Abschlußerklärung der westlichen Außenminister.
Meine Damen und Herren, es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn der Westen in seinen Angeboten an die Sowjetunion bis zur Gefährdung seiner eigenen Sicherheit gegangen wäre. Denn in diese Sicherheit ist auch die Sicherheit Deutschlands eingeschlossen.
Man konnte ebensowenig wünschen, daß er einen Weg zur Wiedervereinigung vorschlug oder ihm zustimmte, an dessen Ende die Unfreiheit nicht nur der 17 Millionen Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone, sondern dazu noch die der 50 Millionen bisher freien Deutschen der Bundesrepublik
und Berlins stehen müßte. Die westlichen Außenminister durften auch keine Lösung vorschlagen, die die Entscheidungsfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung außen- und innenpolitisch so weit aufgehoben hätte, daß von Demokratie und von Souveränität eines wiedervereinigten Deutschlands nicht mehr die Rede hätte sein können.
Die wichtigste Bedingung, in die die Sowjetunion hätte einwilligen müssen — die Gewährung eines selbstverständlichen Menschenrechts, nämlich des Rechtes auf Selbstbestimmung durch freie Wahlen —, lag letztlich im wohlverstandenen Eigeninteresse der Sowjetunion. Sie hätte jener Unsicherheit, Spannung und Erbitterung ein Ende gesetzt, die eine Folge ihrer fortgesetzten Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Volkes sind. Sie hätte 17 Millionen Menschen das höchste irdische Gut, die Freiheit, wiedergeschenkt. Sie hätte sich damit auch jener verächtlichen Kreaturen in Pankow entledigt, für die sie gewiß selbst weder Achtung noch Vertrauen empfinden kann. Sie hätte schließlich die Garantie erhalten, mit einem in Wahrheit demokratischen und friedliebenden gesamtdeutschen Staat von nahezu 70 Millionen freien Menschen in ein normales und vielleicht sogar gutes Verhältnis zu kommen, mit einem Staat, dessen Regierung getragen wäre vom Willen und vom Vertrauen des ganzen deutschen Volkes. Sie hätte endlich und vor allem den Weg zu einer allgemeinen internationalen Verständigung und Entspannung eröffnet, woran sie selbst so lebhaft interessiert zu sein schien.
Der weitere Verlauf der Genfer Konferenz der vier Außenminister hat gezeigt, daß die Sowjetregierung nicht bereit war, die Frage „Europäische Sicherheit und Deutschland" so zu lösen, wie es die Regierungschefs im Juli vereinbart hatten. Der sowjetische Außenminister hat zunächst gezögert, auf die deutsche Frage überhaupt einzugehen. Er hat dann zwar wiederholt von der grundsätzlichen Zustimmung der Sowjetunion zu freien gesamtdeutschen Wahlen gesprochen, sie aber praktisch als Weg zur Wiedervereinigung abgelehnt und sich bemüht, darzulegen, welches Übel aus freien Wahlen schon oft erwachsen sei und im gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf die angebliche Beherrschung der Bundesrepublik durch Militaristen, Junker, Monopolherren usw. notwendigerweise entstehen müsse. Er wies darauf hin, daß man in der Sowjetunion mit einem Wahlsystem, das allen demokratischen Vorstellungen widerspricht, nämlich dem System von Einheitslisten, die besten Erfolge erzielt habe.
Die beiden Vorschläge für ein europäisches Sicherheitssystem, die der sowjetische Außenminister dann zunächst der Konferenz unterbreitete und deren erster nur eine wörtliche Wiederholung des von Ministerpräsident Bulganin im Juli vorgelegten Plans war, sahen beide die Beteiligung von zwei deutschen Staaten, d. h. die Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands vor. Beide Vorschläge verfolgten das Ziel, Deutschland aus seiner Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der freien Völker des Westens herauszubrechen und darüber hinaus die zur Verteidigung dieser Völker aufgebauten Organisationen aufzulösen. Sie unterscheiden sich in dieser Hinsicht nur dadurch voneinander, daß der eine Vorschlag dieses Ziel deut-
lich und der andere es etwas weniger deutlich ausspricht. Die zwei weiteren Vorschläge, die der sowjetische Außenminister erst am vorletzten Tage der Konferenz auf den Tisch legte, stellen nur eine Wiederholung bereits früher gemachter Vorschläge dar und basieren ebenfalls — und das ist entscheidend — auf der Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands.
Zur deutschen Frage hat der sowjetische Außenminister lediglich einen Vorschlag zur Bildung eines „Gesamtdeutschen Rates" gemacht, der zwar dazu geeignet gewesen wäre, die Teilung Deutschlands durch eine Anerkennung der sogenannten „DDR" zu sanktionieren, nicht aber sie zu beseitigen. Die frei gewählten Vertreter von 50 Millionen Deutschen sollten in diesem Rat den Vertretern eines Regimes gleichgestellt werden, das nicht einmal von den 17 Millionen Deutschen anerkannt Wird, die es mit Gewalt beherrscht.
Was die Funktion dieses Rates betrifft, so wurde jetzt im Unterschied zu früheren Vorschlägen dieser Art die Vorbereitung gesamtdeutscher freier Wahlen nicht einmal erwähnt. Dagegen wurde dem Rat die Aufgabe zugewiesen, eine Abmachung über Stärke, Bewaffnung und Verteilung der zur Sicherheit der deutschen Grenzen nötigen Streitkräfte herbeizuführen, eine Aufgabe, die angesichts der völlig verschiedenen ideologischen Grundlagen und politischen Ziele, die das unfreie System in der Sowjetzone von der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik trennen, gar nicht ernst gemeint sein konnte.
Abgesehen von diesen Bedenken läuft der Vorschlag zur Bildung eines „Gesamtdeutschen Rates" auf die Errichtung eines deutschen Staatenbundes hinaus, einer Staatsform, die die Entwicklung der staatlichen Einheit Deutschlands um über hundert Jahre zurückwerfen würde.
Die Sowjetunion hat durch die summarische Art, mit der Herr Molototw die Sicherheitsvorschläge des Westens abgetan hat, erkennen lassen, daß es in Wahrheit keine Besorgnisse für ihre Sicherheit sind, die sie veranlassen, der Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen ihre Zustimmung zu verweigern. Sie hat sich vielmehr die von den kommunistischen Führern der Sowjetzone in aller Deutlichkeit erhobene Forderung zu eigen gemacht, daß die dort zur Zeit herrschende gesellschaftliche Ordnung und jene politischen, wirtschaftlichen und sozialen „Errungenschaften", vor denen jeden Tag Hunderte von Menschen, meist junge Werktätige, nach dem Westen fliehen, in einem wiedervereinigten Deutschland erhalten bleiben sollen. Noch mehr: aus den Angriffen auf die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Struktur der Bundesrepublik sowie aus der Forderng nach einer Annäherung zwischen Bundesrepublik und sogenannter „DDR" läßt sich erkennen, daß die Sowjetunion nicht einmal mit einer Neutralisierung Deutschlands und darüber hinaus mit einer Beibehaltung der sogenannten „Errungenschaften" in der sowjetischen Besatzungszone zufrieden wäre; sie stellte die weitergehenden innenpolitischen Vorbedingungen, von denen ich schon sprach und auf die ich zurückkommen werde.
Dies ist eine wichtige Erkenntnis aus den Verhandlungen der Genfer Außenministerkonferenz.
Hinsichtlich der beiden anderen Themen, der Abrüstung und der Entwicklung der Ost-West-Kontakte, die beide unvermeidlicherweise in einem gewissen inneren Zusammenhang mit dem ersten Punkt stehen, ist das Ergebnis der zweiten Genfer Konferenz ebenfalls negativ. Die Westmächte haben nach dem letzten Krieg in größtem Ausmaß abgerüstet. Erst durch die Aggressionsakte des Bolschewismus, vor allem in Korea, sind sie zur Wiederaufrüstung gezwungen worden.
Sie sind nach wie vor bereit, an einer allgemeinen Abrüstung teilzunehmen — ebenso wie das deutsche Volk —, jedoch unter der selbstverständlichen Voraussetzung einer wirksamen Kontrolle darüber, daß jeder Staat solche Abrüstungsverpflichtungen auch wirklich durchführt. Die Forderung der Sowjets, angesichts der wissenschaftlichen Unmöglichkeit einer Kontrolle der Kernwaffenproduktion sowie überhaupt der Langwierigkeit einer Errichtung von Abrüstungskontrollen die Kontrollfrage zugunsten einer sofortigen Abrüstung, insbesondere der Atomwaffen, zunächst zurückzustellen, erscheint darum auch unaufrichtig. Die Außenminister der Westmächte haben dann auch keinen Zweifel daran gelassen, daß es hierzu einfach an dem nötigen Vertrauen fehlt; und dieses Vertrauen ist gerade in Genf durch die negative Haltung der Sowjets in der Deutschlandfrage und in der Sicherheitsfrage aufs neue schwer erschüttert worden. Der Gedanke des amerikanischen Präsidenten Eisenhower, durch Austausch von Rüstungsplänen und durch Luftinspektionen zumindest Sicherheit gegen einen Überraschungsangriff zu erreichen, hat von sowjetischer Seite ebenfalls keine Zustimmung erfahren.
Unter diesen Umständen konnte eine Einigung nicht erzielt werden. Es wird weiterhin Aufgabe der hierfür bei den Vereinten Nationen gebildeten Ausschüsse bleiben, Lösungsmöglichkeiten auf diesem Gebiete und für alle der Organisation der Vereinten Nationen angehörenden Staaten zu finden.
Entgegen vielfach gehegten Erwartungen ist es auch hinsichtlich der Ost-West-Kontakte zu keiner Einigung gekommen. Die Westmächte gingen davon aus, daß durch einen freien Austausch der Meinungen und Ideen und durch einen freien Personenverkehr die wahren Gründe der internationalen Spannung beseitigt werden müßten; nur durch diesen freien Austausch und Verkehr könne ein besseres gegenseitiges Verständnis der Völker West- und Osteuropas zustande kommen. Gleichzeitig solle der friedensmäßige, nichtstrategische Handel entwickelt werden. Die sowjetischen Vorschläge stellten dagegen das Materielle in den Vordergrund. Sie fordern zunächst die Entwicklung des Handels und der Schiffahrt, danach die Förderung der wissenschaftlich-technischen und kulturellen Verbindungen, und zwar auf offiziellen Wegen, und schließlich die Förderung des Personenverkehrs.
Im Verlauf der Verhandlungen hat sich ergeben, daß die Sowjetunion lediglich an einer Aufhebung des Embargos für strategische Güter und nicht an einem friedlichen Handel, noch weniger aber an einem Austausch der Gedanken und an einem freien Verkehr der Menschen interessiert ist. Die Sowjetunion hat in Genf nicht die geringste Absicht bekundet, den Eisernen Vorhang zu lüften. Sie will oder sie kann offenbar das Risiko der Freiheit nicht eingehen, und der sowjetische Außenminister hat mit geradezu brutaler Offenheit zugegeben, daß es im sowjetischen Machtbereich eine
Freiheit des Gedankenaustauschs nicht gibt noch geben wird.
Eine Bilanz der Genfer Außenministerkonferenz und der Gründe ihres Scheiterns kann demnach nur zu dem Ergebnis kommen, daß die Sowjet- union vor der Weltöffentlichkeit die Verantwortung für die Fortdauer der internationalen Spannung und für das Scheitern einer Lösung in der Frage der deutschen Wiedervereinigung und der europäischen Sicherheit auf sich geladen hat.
Da und dort sind Stimmen lautgeworden, die Westmächte und die Bundesregierung hätten es versäumt, die Sowjetunion zu einer klaren Auskunft über ihre Bedingungen zur Wiedervereinigung Deutschlands zu veranlassen; auch habe der deutsche Außenminister die Gelegenheit eines Gesprächs mit dem sowjetischen Außenminister nicht benutzt.
Zum zweiten Punkt kann nur gesagt werden, daß Herr Molotow es offenbar nicht für zweckdienlich erachtet hat, die Anwesenheit des deutschen Außenministers — der einem Gespräch nicht ausgewichen wäre — zu einer Aussprache zu nutzen.
Die anderen Außenminister haben die Bundesregierung zu einem solchen Gespräch offiziell eingeladen.
Was aber die Auskunft über die sowjetischen Bedingungen für die Wiedervereinigung betrifft, so ist diese von Herrn Molotow in Genf in seinen Reden sehr klar erteilt worden. Aus diesen ergibt sich zunächst, daß die Sowjetunion die Zeit für eine Wiedervereinigung „noch nicht für reif" hält. Sie zieht eine Wiedervereinigung im Augenblick ernsthaft überhaupt nicht in Betracht, und Herr Molotow hat trotz des ständigen Drängens des Westens einen konkreten Plan zur Wiedervereinigung in Genf nicht entwickelt. Fest steht für die Sowjetunion nur, daß freie Wahlen weder am Beginn noch im Verlaufe der Wiedervereinigung stattfinden dürfen.
Die Beobachterdelegation der sogenannten DDR hat hierzu in einer offiziellen Verlautbarung am 5. November 1955 bemerkt, freie Wahlen könnten in Deutschland nur durchgeführt werden, ,,nachdem ... die gegenwärtig die Bundesrepublik beherrschenden antidemokratischen und faschistischen Kräfte ihre Machtposition verloren haben".
Und im Beschluß des 25. Plenums des Zentralkomitees der SED heißt es dann:
Wer unter diesen Bedingungen von freien Wahlen spricht, der will die Versklavung des deutschen Volkes durch die imperialistischen Bourgeoisie, die gegenwärtig in Westdeutschland herrscht.
Der sowjetische Außenminister hält eine lange Periode der Vorbereitung für nötig, in der seiner Auffassung nach zahlreiche Vorbedingungen erfüllt werden müssen, wodurch erst eine Situation geschaffen würde, die die Regelung der deutschen Frage erlaubt.
Lassen Sie mich diese Bedingungen im einzelnen erwähnen:
1. Die Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems auf der Basis des Status quo. Das bedeutet, daß die Teilung Deutschlands aufrechterhalten werden soll und daß damit das Sicherheitssystem seinen Zweck nicht erfüllen und wertlos bleiben würde. Die Bundesregierung begrüßt und fördert die Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems, da die Schaffung von wirksamen Voraussetzungen für die Sicherheit in Europa und die Vermeidung eines Krieges von lebenswichtiger Bedeutung für das deutsche Volk sind. Aber sie muß — wie es auch die Westmächte getan haben und weiter tun werden — ein Sicherheitssystem als in der Anlage verfehlt und unwirksam ansehen, das auf der Teilung Deutschlands aufbaut.
2. Allmähliche Auflösung der militärischen Gruppierungen in Europa. Dies bedeutet, daß zwar der Nordatlantikpakt, die Westeuropäische Union und der Warschauer Pakt aufgelöst werden sollen, daß aber die zweiseitigen Bündnisse und Abhängigkeiten zwischen der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten unverändert bestehenblieben. Die Bundesregierung würde in einer solchen Entwicklung eine schwere Gefährdung der Sicherheit Europas und damit auch Deutschlands erblicken.
3. Ein Abkommen über eine Verpflichtung Gesamtdeutschlands, keinen Koalitionen und militärischen Bündnissen anzugehören. Dies bedeutet, daß Gesamtdeutschland in den wesentlichen Punkten keine außenpolitische Entscheidungsfreiheit mehr hätte, sondern daß ihm die Neutralisierung aufgezwungen würde. Auch in der sowjetzonalen Regierungserklärung wird seltsamerweise gefordert:
Ein vereinigtes Deutschland muß im Besitz der vollen staatlichen Souveränität sein.
Aber wie diese Souveränität aussehen soll, offenbart der nächste Satz:
Es muß frei sein . . . von allen Bindungen an Militärbündnisse.
Die Bundesregierung kann, abgesehen von den Gefahren, die in der Neutralisierung Deutschlands an sich liegen, einer solchen Beschränkung der außenpolitischen Entscheidungsfreiheit einer zukünftigen gesamtdeutschen Regierung nicht zustimmen.
4. Die Räumung Gesamtdeutschlands von alliierten Truppen. Dies bedeutet praktisch, daß sich die britischen und amerikanischen Truppen über den Kanal und den Ozean zurückziehen sollen, während die sowjetischen Truppen in einer Entfernung von der Ostgrenze Deutschlands stationiert blieben, die von einer motorisierten Armee in wenigen Stunden durchschritten werden könnte. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß die Rückführung der alliierten Truppen in naher Zukunft nach wie vor die Sicherheit der Bundesrepublik und Berlins aufs stärkste gefährden würde.
5. Die Entmilitarisierung Deutschlands. Dies bedeutet, daß im Herzen Europas ein militärisches Vakuum geschaffen würde, das die Intervention von kommunistischer Seite begünstigen, ja gerade-
zu provozieren würde. Die Bundesregierung verabscheut Nationalismus und Militarismus in jeder Form, aber sie ist der Auffassung, daß kein Staat auf das Recht und die Pflicht zur Sicherung der Freiheit verzichten kann.
6. Die Normalisierung der Beziehungen der Vier Mächte zu den beiden Teilen Deutschlands. Dies bedeutet, daß die Westmächte das Pankow-Regime anerkennen sollen, das nicht über einen echten Auftrag des Volkes verfügt und auf Willkür und Terror gegründet ist. Die gesamte übrige freie Welt soll dadurch beeinflußt werden, diese Anerkennung ebenfalls zu vollziehen.
7. Die Errichtung eines Gesamtdeutschen Rates aus Vertretern des Bundestags und der sowjetzonalen Volkskammer. Dies bedeutet, daß unter Vermeidung freier Wahlen dem Pankow-Regime eine gleichberechtigte Teilnahme an einer gesamtdeutschen Regierung gesichert werden soll. Die frei gewählten Vertreter des Bundestags haben es stets abgelehnt, sich mit den Helfershelfern der Unterdrückung in der sowjetisch besetzten Zone an einen Tisch zu setzen.
In den Vorbedingungen des Außenministers Molotow heißt es weiter: Garantierung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften der werktätigen Bevölkerung der sogenannten „DDR" in einem wiedervereinigten Deutschland. Dies bedeutet, daß eine gesamtdeutsche Regierung gebunden sein soll, auf die Einführung einer freiheitlichen Ordnung in der sowjetisch besetzten Zone zu verzichten. Die zu garantierenden Errungenschaften stellen sich u. a. dar in der Zerstörung der rechtsstaatlichen Ordnung, in überfüllten Gefängnissen und Zuchthäusern, in der Unterdrückung der Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, in der Verweigerung sozialer Sicherheit, in der Unterdrückung des Streikrechts und in der Verneinung des Eigentums.
Die in steigender Zahl flüchtenden verzweifelten Menschen sind ein beredtes Zeugnis für die Bewertung dieser sowjetzonalen „Errungenschaften".
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß nach der Wiedervereinigung dem deutschen Volk selbst Gelegenheit gegeben werden muß, auf dem Weg der freien Wahlen über die Beibehaltung oder Verwerfung dieser sogenannten „Errungenschaften" zu entscheiden.
Eine von außen auferlegte innenpolitische Beschränkung der Entscheidungsfreiheit wäre mit den Prinzipien der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechtes unvereinbar.
Weitere sowjetische Vorbedingungen sind:
9. Die Ausschaltung der „Junker, Monopolkapitalisten, Militaristen" usw. aus ihren „beherrschenden Stellungen in der Bundesrepublik".
In der Regierungserklärung der sogenannten „DDR" vom 1. November 1955 heißt es dazu: In der DDR haben die Arbeiter und Bauern die politische Macht, und sie nutzen sie, um den Frieden und den sozialen Fortschritt zu sichern. In der Bundesrepublik diktieren 150 Multimillionäre, gestützt auf ihre wirtschaftliche Macht, die Politik des Staates in eigennützigem Interesse. . . .
In der DDR wird die Außenpolitik von den Werktätigen bestimmt, die auf der Grundlage der Gleichberechtigung, der gegenseitigen Achtung und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten freundschaftliche Beziehungen zu allen Völkern wünschen. In der Bundesrepublik dient die Außenpolitik dem Streben der deutschen Imperialisten nach erneuter Unterdrückung und Ausbeutung fremder Völker. . . ." Und im Beschluß des Zentralkomitees der SED heißt es: Es „müssen die politischen Vertrauensleute der Militaristen und Imperialisten aus dem Staatsapparat entfernt werden . . ." Das bedeutet: Der Bundesrepublik soll ein politischer, wirtschaftlicher und sozialer Aufbau aufgezwungen werden, der dem in freien Wahlen zum Ausdruck gekommenen Selbstbestimmungswillen des Volkes nicht entspräche. Mit demagogischen Schlagworten wird hier versucht, die Kaltstellung aller Personen durchzusetzen, die den Kommunisten mißliebig sind und daher willkürlich in eine der genannten Rubriken eingereiht werden.
Wir sollten uns über die Folgen einer solchen Entwicklung klar sein. Wir alle, meine Damen und Herren, die wir unser Mandat dem deutschen Volk verdanken, gleichgültig. welcher Partei wir angehören, ja schlechthin alle, die in Deutschland politische Verantwortung tragen, fallen unter diese Kategorie.
Wir alle, die wir aus politischer Überzeugung und politischer Verantwortung den Kommunismus als Form der staatlichen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung ablehnen, würden diesem unerbittlichen Säuberungsprozeß zum Opfer fallen. Wenn ich das feststelle, dann nicht, um die eigene Existenz, wohl aber, um die eigene Verantwortung zu verteidigen.
Die Bundesregierung hat es nicht nötig, sich gegen solche Angriffe aus Pankow zu verwahren; ein Vergleich mit den dortigen Verhältnissen genügt.
Die letzte Bedingung der Sowjetunion war
10. die Annäherung zwischen der Bundesrepublik und der sogenannten „DDR", Einigung auf eine „gemeinsame Sprache" und Ausarbeitung gemeinsamer Vorschläge zur Wiedervereinigung.
Der sowjetische Außenminister hat zwar versichert, daß durch den von ihm vorgeschlagenen Gesamtdeutschen Rat die Interessen keines der beiden deutschen Staaten verletzt und ihre sozialen Systeme nicht beeinträchtigt werden sollen. Er hat aber gleichzeitig der Auffassung Ausdruck gegeben, daß „die Werktätigen Deutschlands" — von denen 80 % in der Bundesrepublik leben — „zum ersten Male in der Gestalt der DDR ihr wahres Vaterland gefunden" hätten. Er hat ferner behauptet, mit der sogenannten DDR sei „zum ersten Male ein wirklich friedliebender deutscher Staat geschaffen worden", und schließlich hat er die Bundesrepublik bezichtigt, ein Staat zu sein, „in dem die großen Monopole und Junker ihre Herrschaft aufrechterhalten". Er kann also logischerweise nur meinen, daß sich die Bundesrepublik in ihren wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen der sogenannten „DDR" angleichen soll.
Daß eine gesamtdeutsche Nationalversammlung oder ein gesamtdeutsches Parlament hinsichtlich der inneren Gestaltung des wiedervereinigten
Deutschlands keinerlei Befugnis mehr hätte, wenn ihr solche Verpflichtungen auferlegt würden, bedarf keiner Begründung. Um es klarzumachen, hat es die SED in ihrer letzten Zentralkomiteesitzung wiederholt:
Die Fragen der Gestaltung des wiedervereinigten Deutschlands sind nicht Fragen, die erst später in einer gesamtdeutschen Nationalversammlung zur Entscheidung stehen, sondern Fragen, über die bereits heute im Kampf gegen die Militarisierung Westdeutschlands für die Interessen der friedliebenden Mehrheit des deutschen Volkes wichtige Entscheidungen gefällt werden.
Meine Damen und Herren, welcher Art sollen diese Entscheidungen sein? Es geht um die Beseitigung des selbstverantwortlichen Eigentums in Industrie, Handel und Gewerbe; schamhaft nennt man das „Sozialisierung". Es geht um die Enteignung des landwirtschaftlichen Besitzes und seine Überführung in die Anonymität des Kollektivs; man nennt dies „Bodenreform". Während wir unter Bodenreform die Ansässigmachung selbständiger Bauern und Landwirte verstehen, will man drüben ihre Entwurzelung.
Man will die sogenannte politische Säuberung des Staatsapparats und seine Besetzung mit „Volksdemokraten". Dem Rundfunk und der Presse will man die eigentliche und ursprüngliche Aufgabe der objektiven Berichterstattung und der Diskussion nehmen, um sie zu Instrumenten der staatlichen Allmacht zu machen. Man spricht von der Schulreform, nicht um die Schulen zu verbessern, sondern um sie zu Einrichtungen umzugestalten, in denen die Menschen schon in frühester Jugend dem grausamen Prozeß der Entpersönlichung und Entmenschlichung ausgesetzt werden.
Das alles, um in einer pervertierten Umkehrung des Begriffs Demokratie dem Menschen im Staat Einfluß und Verantwortung zu nehmen und ihn von dem handelnden Subjekt zum leidenden Objekt umzuformen.
Man übertreibt darum wohl nicht, wenn man sagt, daß die . von der Sowjetunion bis zur Stunde geforderten Voraussetzungen zur Wiedervereinigung sich nicht etwa auf die Neutralisierung beschränken, sondern darüber hinaus innenpolitische Forderungen enthalten, die darauf hinauslaufen würden, Gesamtdeutschland zu einer „Volksdemokratie" zu machen.
Die Sowjetunion ist gegenwärtig offensichtlich noch nicht entschlossen, die Teilung Deutschlands aufzuheben, da sie keine erfolgversprechende Möglichkeit zur Erreichung dieses Zieles sieht.
Der Ausgang der Genfer Konferenz, meine Damen und Herren, bedeutet eine tiefe und bittere Enttäuschung für alle Deutschen, gleichgültig in welchem Teile Deutschlands sie leben. Sicherlich gab es nur wenige, die bei Beginn dieser Konferenz zu hoffen wagten, daß die Direktive vom 23. Juli alsbald verwirklicht werde. Die zahlreichen Erklärungen sowjetischer Politiker, die dieser Konferenz vorausgingen oder sie begleiteten, und die Kommentare, die von ihren willfährigen Funktionären in den Satellitenstaaten und der Sowjetzone dazu gegeben wurden, waren geeignet, jeden Optimismus zu dämpfen. Trotzdem gab es wohl niemanden, der nicht die Hoffnung hatte, daß in Genf ein ernstes Gespräch geführt werde, um die Ziele der Direktive zu verwirklichen. Auch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Den klaren Vorschlägen der drei westlichen Außenminister hat der sowjetische Außenminister nur ein Nein entgegengesetzt. Er hat nicht einmal den Versuch unternommen, dieses Nein in eine Form zu kleiden, die dem so viel zitierten Geist von Genf entsprochen hätte. Als er nach einer Verhandlungspause von wenigen Tagen aus Moskau nach Genf zurückkehrte, war seine Haltung noch um vieles schroffer und ablehnender geworden. In Form und Inhalt waren seine Rede vom 8. November und die nachfolgenden Erklärungen so hart und abweisend wie in den Tagen der Berliner Konferenz.
Aber es wäre falsch und unverantwortlich, wenn das deutsche Volk nun mutlos resignieren wollte. Es wird nicht resignieren, und es wird sich mit der ihm aufgezwungenen Spaltung niemals abfinden.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, weiterhin Mittel und Wege zu suchen, um diese großen und unverrückbaren Ziele der deutschen Politik, die im vollen Einklang stehen mit den Zielen der mit Deutschland verbündeten Welt, weiter zu verfolgen. Die Bundesregierung wird sich in diesem Bemühen nicht beirren lassen, und sie rechnet mit der Unterstützung des ganzen deutschen Volkes hier im Westen und in der Sowjetzone. Sie ist der Überzeugung, daß der Ruf von nahezu 70 Millionen Menschen nach Wiederherstellung ihrer staatlichen Einheit in Frieden und Freiheit nicht ungehört verhallen wird.
Niemand kann vernünftigerweise der Ansicht sein, daß sich die poltischen Verhältnisse in Europa beruhigen und konsolidieren werden, solange ein großes Volk, seine Wirtschaft und sein Verkehrssystem im Zustand einer künstlichen Trennung und Absperrung gehalten wird, solange seine Hauptstadt selbst in sich geteilt und von der Verbindung mit dem größeren Teil seines Gebietes abgeschnitten ist. Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht- die besondere, widernatürliche Lage Berlins zu irgendwelchen Reibungen und Verwicklungen führt. Soeben sind Äußerungen des sowjetischen Stadtkommandanten bekanntgeworden, die den unter den Vier Mächten vertraglich vereinbarten Viermächte -Status von Berlin in Frage stellen. Wir wissen, daß die Westmächte an diesen Vereinbarungen festhalten und sie verteidigen werden. Wir können nicht glauben, daß die Sowjetunion diese Vereinbarungen zerreißen will. Aber auch dieser Vorgang zeigt erneut, daß die gegenwärtige Situation Berlins zwangsläufig immer wieder zu Konflikten führen muß, die eine wirkliche internationale Entspannung nicht eintreten lassen. Ich möchte es hier aussprechen: Die Bundesregierung nimmt diesen Vorgang sehr ernst. Ich glaube, wir können in dieser Sache volles Vertrauen in unsere Verbündeten haben. Wenn sich bewahrheiten sollte, daß es sich bei dem Vorgang um die offizielle russische Stellungnahme handelt, so habe ich Grund, anzunehmen, daß die Drei Mächte ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen werden. Wir können es nicht oft genug wiederholen: die Beseitigung solcher Gefahrenherde durch die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist und bleibt der erste Schritt zu einer dauerhaften internationalen Entspannung und Befriedung.
Die Bundesregierung ist sich darum auch ihrer besonderen Verpflichtung bewußt, die sie gegenüber der Stadt Berlin hat. Der Mut und die Entschlossenheit, mit denen Berlin sich in den vergangenen schweren Jahren behauptet hat, hat entscheidend dazu beigetragen, das Verständnis und die Unterstützung der freien Welt für den Freiheitskampf des ganzen deutschen Volkes zu wekken und zu stärken.
Nicht geringer ist die Verantwortung der Bundesregierung für alle Deutschen in der Sowjetzone. Sie mögen überzeugt sein, daß wir in der Bundesrepublik ebenso wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft keine Entscheidungen treffen werden, die mit den Lebensinteressen der Deutschen in der Sowjetzone unvereinbar sind.
Unsere gemeinsame politische Arbeit im Bundestag und in der Bundesregierung gilt der Zukunft a 11 er Deutschen, gleichgültig, ob sie hier, in Berlin oder in der Sowjetzone leben.
Wir wissen es alle, meine Damen und Herren, daß das große Ziel deutscher Politik sich nur verwirklichen läßt, wenn es zu einer übereinstimmenden Entscheidung der vier Mächte kommt, die über die Zukunft Deutschlands zu bestimmen haben und die sich zu dieser gemeinsamen Verantwortung auch auf der ersten Genfer Konferenz bekannt haben. Bis zur Stunde sind nur drei von diesen Mächten bereit und entschlossen, dieses Ziel mit uns zu verwirklichen. Diese drei haben sich zu diesem gemeinsamen Ziel aus voller innerer Überzeugung bekannt, weil sie zu dem Deutschland von heute und zu dem wiedervereinigten freien Deutschland von morgen Vertrauen haben. In jahrelangen Bemühungen haben wir um dieses Vertrauen gerungen. Wir haben es erworben durch eine von Vorbehalten und von Zweideutigkeiten freie Politik. Wir wissen, daß wir es nur erhalten können, wenn wir diese Politik unbeirrbar und konsequent fortsetzen.
Diese Erkenntnis verpflichtet uns. Die Bundesregierung wird die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands weiterhin in engster und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit ihren Bündnispartnern fortsetzen. Sie denkt nicht daran, diese so unendlich wertvolle Freundschaft und die aus dieser Freundschaft fließende Unterstützung durch Unentschlossenheit, Wankelmut oder Unaufrichtigkeit zu gefährden.
Sie weiß sehr wohl, daß das Schicksal des ganzen deutschen Volkes gefährdet wäre, wenn sie das Vertrauen und die Freundschaft der Bundesgenossen eintauschen wollte gegen das Wohlwollen der Sowjetnion, die zumindest für den Augenblick hat erkennen lassen, daß sie dem deutschen Volk eine friedliche und freiheitliche Zukunft verweigern will. Auch durch Drohungen und Lockungen wird sich das deutsche Volk, davon bin ich überzeugt, nicht dazu verleiten lassen, diese gerade Linie zu verlassen. Deutschland muß sich dabei auch der großen Verantwortung bewußt sein, die
ihm für die zukünftige Gestaltung der Ordnung in Europa und in der Welt auferlegt ist. Es gibt keinen Handel mit dem deutschen Volk über seine Freiheit.
Wenn Deutschland über diese Frage mit sich handeln lassen wollte, dann würde es nicht nur seine eigene Zukunft verraten, es würde sich auch an der Freiheit anderer Völker versündigen, indem es sie tödlich gefährden würde. Ein unfreies Deutschland wäre nicht mehr in der Lage, die historische Aufgabe zu erfüllen, die auch ihm gestellt ist: auf dem europäischen Kontinent die Grundlagen einer freiheitlichen Ordnung durch eine immer engere Zusammenarbeit mit allen europäischen Nationen gegen die Bedrohung durch ein art- und wesensfremdes System zu sichern.
Dieses Wissen verpflichtet aber auch diejenigen, die auf unserer Seite stehen. Sie dürfen es daher auch um ihrer selbst willen nicht zulassen, daß das deutsche Volk seine Freiheit verliert und in den sowjetrussischen Machtblock einbezogen wird. Ihre eigenen Lebensinteressen stimmen darum mit den unseren überein. Das sollten auch die nicht außer acht lassen, die in den anderen Ländern Ungeduld zeigen und etwa mit dem Gedanken spielen, daß man Deutschland aufgeben könnte. Eine solche Entscheidung wäre vielleicht der erste Schritt zur Selbstaufgabe.
Ebensowenig kann und darf das deutsche Volk in eine ernsthafte Diskussion darüber eintreten, ob es zulassen will, daß seine Sicherheit gefährdet wird. Wir wollen und werden aus aller Kraft an einem Sicherheitssystem mitarbeiten, in dem jedem Volk und jedem Staat die Sicherheit garantiert wird, auf die sie Anspruch haben. Den anderen Sicherheit vermitteln heißt aber nicht, auf die eigene Sicherheit zu verzichten.
Darum wird es auch kein Gespräch über die Festlegung eines militärischen und politischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands geben, der dem deutschen Volke das Maß von Sicherheit versagen würde, ohne das eine freiheitliche Entwicklung undenkbar ist. In seiner überwältigenden Mehrheit bekennt sich das deutsche Volk zu den unverzichtbaren Werten, die gemeinsamer Besitz aller freien Nationen der Welt sind. Über den politischen Standort des wiedervereinigten Deutschlands wird es darum ebensowenig eine Diskussion geben wie über den der Bundesrepublik. Sie gehören beide untrennbar zur freien Welt, und sie werden sich aus dieser Gemeinschaft nicht verdrängen lassen, noch gar freiwillig darauf verzichten.
Wenn ich das für die Bundesregierung sage, dann hoffe ich, daß diese Erklärung in der ganzen Welt, also auch in der Sowjetunion, richtig verstanden und richtig gewürdigt wird. Alle Völker, die ebenso wie das deutsche Volk dem Frieden dienen wollen, sollten sich darüber klar sein, daß Deutschland die ihm zugewiesene Aufgabe nur erfüllen kann, wenn es in die Lage versetzt wird, seine Entscheidungen frei zu fällen. Eine erzwungene Neutralisierung oder Bündnislosigkeit wäre der schlechteste Weg, den wir wählen könnten oder zu dem man uns zwingen könnte. Das deutsche
Volk würde durch eine solche Entscheidung mit einer unerträglichen Hypothek belastet. Es müßte seine freundschaftlichen Bindungen zur freien Welt aufkündigen. Es würde ungesichert zwischen dem Osten und dem Westen stehen. Die Vorstellung, daß die ganze Welt sich dahin verständigen könnte, auf Kosten der eigenen Sicherheit diesem Deutschland die Sicherheit zu gewähren, ist utopisch und unrealistisch. Die Wirklichkeit würde anders aussehen: Dieses Deutschland würde zum Spielball widerstreitender Interessen. Jeder würde versuchen, seine politische und wirtschaftliche Kraft zu stärken, solange er damit rechnen könnte, es in seinen Bereich zu ziehen, und jeder müßte versuchen, es zu schwächen, wenn er die Furcht haben müßte, daß es seinem potentiellen Gegner zufallen könnte. Um das deutsche Volk am Leben zu erhalten, müßte Deutschland eine in sich unaufrichtige Politik treiben. Wir wollen das nicht, weil wir damit unser Volk und die anderen Völker in einer unverantwortlichen Weise gefährden würden.
Gerade diejenigen, die angeblich in der Wiedervereinigung Deutschlands eine Gefahr erblicken, also besonders die Sowjetunion, sollten erkennen, daß sie auf dem falschen Wege sind. Ein Deutschland, das durch ein Bündnissystem in seiner politischen und seiner wirtschaftlichen Existenz gesichert sein wird, wird auch im Rahmen dieses Bündnissystems der Entspannung dienen. Die feste und unauflösliche Verankerung des wiedervereinigten Deutschlands in der Gemeinschaft der europäischen Völker und der freien Welt bietet die sicherste Gewähr dafür, daß es niemals mit seinen politischen und wirtschaftlichen Kräften Mißbrauch treiben wird. Wenn man diesem Deutschland tatsächlich zutrauen wollte, daß es auf die wahnwitzige Idee kommen könnte, einen neuen Weltbrand zu entfachen, dann kann man es nicht wirksamer daran hindern, als daß man es in ein Bündnissystem einbaut, in dem es freiwillig auf die Möglichkeit verzichtet, mit seinen Kräften Mißbrauch zu treiben. Es ist keine Halsstarrigkeit und noch weniger der Ausdruck der Phantasielosigkeit, wenn sich die Bundesrepublik heute erneut und gerade angesichts des unbefriedigenden Ausgangs der Genfer Konferenz laut und eindeutig zur bisherigen Politik bekennt.
Sicherlich gibt es andere Wege; sie zu finden bedarf es keiner weitschweifenden Phantasie. Sie zu gehen bedarf es aber, wie ich meine, entweder eines Maßes von Unentschlossenheit und Feigheit, die wir uns angesichts der weltpolitischen Lage nicht leisten dürfen, oder einer vielleicht unbewußten Verantwortungslosigkeit, geboren aus der Verkennung der Tatsache, daß Freiheit und Sicherheit eines Volkes nur ganz — oder gar nicht bestehen können.
Die Bundesregierung wird in loyaler Erfüllung der von der Bundesrepublik freiwillig eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen ihre Bemühungen fortsetzen, an der Verteidigung der freien Welt und damit an der Verteidigung der eigenen Freiheit mitzuwirken. Sie ist der festen Überzeugung, daß dies der einzige Weg ist, der ihr vorgeschrieben ist, wenn sie in wirksamer Weise die Interessen des ganzen deutschen Volkes wahrnehmen will. Vielleicht haben gewisse Spekulationen die Sowjetunion in Genf dazu bestimmt, so unversönlich aufzutreten. Es mag sein, daß die Sowjetunion damit rechnet, daß die freie Welt angesichts ihrer Friedensbeteuerungen in ihren Anstrengungen nachlassen wird, sich wirksam zu schützen. Vielleicht hat die Sowjetunion auch damit gerechnet, daß es ihr gelingen könnte, Mißtrauen zwischen den freien Völkern zu säen. Sie hat es unternommen, als sie in Genf die drei Außenminister darauf ansprach, daß es doch nicht in ihrem eigenen Interesse liegen könne, dem deutschen Volk zu vertrauen, und einige Tatsachen aus der vergangenen Zeit mögen ihr dazu den äußeren Anlaß gegeben haben. Aber Herr Molotow mag sicher sein: Wenn es ihm einmal gelungen ist, einen Vertrag mit Herrn Hitler und Herrn von Ribbentrop zu unterschreiben und das Bündnis zweier totalitärer Systeme zu bekräftigen, — einen solchen Vertrag wird Herr Molotow weder heute mit der Bundesrepublik noch morgen mit dem wiedervereinigten Deutschland zustande bringen.
Ich bin mir klar darüber, meine Damen und Herren, daß diese Politik vielleicht von dem einen oder anderen in der Welt wieder als eine „Politik der Stärke" angeprangert wird. Nichts liegt der Bundesregierung ferner, als auf die Stärke zu pochen. Es liegt ihr ebenso fern, in das Gegenteil zu verfallen und dem Nimbus der Unüberwindlichkeit der Sowjetunion durch Feigheit, Unentschlossenheit und Schwäche Tribut zu zollen.
Wir sind überzeugt, daß nur diese Politik die Sowjetunion veranlassen kann, aber auch veranlassen wird, an einer neuen Konferenz teilzunehmen, auf der nach dem Willen der Bundesregierung die Frage Deutschland und europäisches Sicherheitssystem wieder den ersten Punkt der Tagesordnung einnehmen wird.
Die Völker der ganzen Welt sehnen sich nach Frieden. Es wäre aber verhängnisvoll, wenn man glaubte, das unaufrichtige Bekenntnis zur Entspannung bedeute bereits den Frieden. Entspannung kann man nicht dadurch herbeiführen, daß man feststellt, sie sei vorhanden. Die Entspannung herbeiführen wollen bedeutet, daß man die Tatbestände ausräumt, die Ausdruck und Folge der Spannung sind, die so unerträglich auf den Völkern der Welt lastet.
Diese Politik, von der ich eben sprach, wird die Bundesregierung nicht hindern, alles zu tun, was wir als Deutsche zu tun vermögen, um das brennende Problem der deutschen Spaltung zu lösen. Auch von uns aus werden wir alles tun, um die Sowjetunion davon zu überzeugen, daß der von uns beschrittene Weg der einzige ist, den wir gehen können und gehen dürfen, aber auch der einzige, der zum Frieden in der Welt führt. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion uns die Gelegenheit geben wird, die Sowjetunion zu überzeugen. Ich zitiere aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die er nach der Konferenz von Moskau abgegeben hat:
Das Fehlen von Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten, die sich daraus für uns ergebende Unmöglichkeit, unsere nationalen Anliegen auch selbst in Moskau zu vertreten, ist eine Anomalie. . . . Ich glaube daher, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion in Verbindung mit der gerad-
linigen Weiterführung unserer Bündnispolitik mit dem Westen in der Frage der Wiedervereinigung fördernd wirken wird.
Das bedeutet nicht, daß wir mehrgleisige Verhandlungen führen werden. Zu keiner Zeit und durch keine Handlung werden wir das Vertrauen und die Freundschaft aufs Spiel setzen, die uns mit denen verbinden, die das deutsche Anliegen bedingungslos zu ihrem eigenen gemacht haben.
Überhaupt kann von uns die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion zunächst nur als ein technischer Vorgang gewertet werden. Es liegt in der Hand der Sowjetunion, die Normalisierung der Beziehungen zwischen dem deutschen und dem russischen Volk zu verwirklichen. Solange die Sowjetunion von der Teilung Deutschlands und der Existenz zweier deutscher Staaten ausgeht, bestehen keine normalen Beziehungen zwischen den beiden Staaten.
Erst mit dem Tage, an dem das gesamte deutsche Volk in Moskau durch einen Botschafter vertreten ist und die Sowjetunion ein en Botschafter bei der gesamtdeutschen Regierung in der deutschen Hauptstadt bestellt, beginnt eine neue Etappe in den Beziehungen zwischen unseren Völkern. Erst von diesem Tage an werden wir von normalen Beziehungen sprechen können.
Aber noch anderes in diesem Zusammenhang auszusprechen fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet. Die Regierung der Sowjetunion hat in Moskau die feierliche Erklärung abgegeben, die 9626 Kriegsgefangenen, die nach ihren Angaben bei ihr registriert sind, in die Heimat zu entlassen. Sie hat sich darüber hinaus verpflichtet, auch allen anderen Deutschen, die gegen ihren Willen in der Sowjetunion zurückgehalten werden, die Heimkehr zu ermöglichen. Mit Sorge hat die Bundesregierung und hat die deutsche Öffentlichkeit festgestellt, daß seit Wochen die Heimkehrertransporte ausgeblieben sind. Die Bundesregierung appelliert heute in ernster Form an die Regierung der Sowjetunion, dieses Versprechen, das an keinerlei Vorbedingungen geknüpft war, einzulösen. Tausende und aber Tausende von Menschen warten in Deutschland auf ihre nächsten Angehörigen. Es wäre unmenschlich, sie weiter in banger Sorge um ihr Schicksal warten zu lassen.
Wir werden auch nichts unterlassen, um die menschlichen Beziehungen zu stärken, die die Deutschen untereinander verbinden, gleichgültig in welcher Zone sie leben.
Es bestehen technische Kontakte, die wir nicht abreißen lassen wollen. Wir wollen sie sorgsam pflegen, soweit sie den 17 Millionen Menschen in der Sowjetzone helfen und nutzen können. Wer neue und zusätzliche Beziehungen zu errichten wünscht, sollte in einer Weise, die jeden Zweifel ausschließt, sagen, was er damit meint.
Die Bundesregierung weiß sich mit dem ganzen Bundestag einig in der Feststellung, daß es keine Form, auch keine verdeckte oder indirekte Form der Anerkennung eines Systems gibt, das nach unserer Auffassung von menschlicher Würde und Freiheit einem Zustand der Sklaverei nahekommt, in dem bis zur Stunde noch 17 Millionen Menschen leben müssen.
Es gibt eine, aber auch nur eine echte und überzeugende Form des gesamtdeutschen Gesprächs: die freie Wahl!
Es mag sein, daß die Sowjetunion zur Zeit noch diese freie Wahl fürchtet, weil sie einem für sie schwer erträglichen Urteil von Millionen von Menschen gleichkommen wird, die sich leidenschaftlich zur Freiheit bekennen. Aber das ist kein ausreichender Grund, um freie Wahlen zu verweigern. Die ganze Welt würde an dem Ergebnis der freien Wahlen erkennen, daß das deutsche Volk in allen Teilen sich zur Demokratie, zur Freiheit und zur Zusammenarbeit mit allen bekennt, für die die Freiheit ein unverzichtbares Gut menschlicher Lebensordnung darstellt.
Und es bedarf auch keiner Sorge um die Erhaltung der sozialen und politischen Errungenschaften in diesem oder jenem Teil Gesamtdeutschlands. Seine politische, ökonomische und soziale Ordnung wird sich das deutsche Volk selbst geben, und niemand wird es daran hindern. Wir werden dabei sorgfältig darauf Rücksicht nehmen, daß die Entwicklung in den getrennten Teilen unseres Vaterlandes einen verschiedenen Weg genommen hat. Das deutsche Volk wird an dem Tage, an dem es seine Freiheit zurückerhält, sich versöhnen, aber sich nicht entzweien. Es wird alle Kräfte anrufen, sich an dem gemeinsamen Aufbau eines sozialen Rechtsstaates zu beteiligen. Es wird nicht vergelten, sondern verzeihen.
Wir können uns nur auf diese große Aufgabe vorbereiten, indem wir im Bereich der Bundesrepublik fortfahren, die politische und soziale und ökonomische Ordnung zu festigen. Wir können es nur, indem wir uns zu den Grundsätzen der Freiheit und der Demokratie bekennen und sie verwirklichen, um den letzten Zweifelnden zu überzeugen, daß das deutsche Volk in allen seinen Teilen nur den einen Wunsch hat, dem Frieden und der Freiheit zu dienen.