Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist aus vielen Debatten hier im Hause bekannt, daß sich meine Fraktion aus Gründen der sozialpolitischen Gerechtigkeit immer wieder für die unbedingte Witwenrente aller Witwen — auch in der Invalidenversicherung — eingesetzt und die Streichung des Stichtages vom 31. Mai 1949 beantragt hat, der die Einschränkung mit sich brachte, daß die unbedingte Witwenrente nur dann gegeben wird, wenn der Versicherte vor dem 1. Juni 1949 verstorben war.
Unsere Anträge in dieser Hinsicht fanden leider nie die Zustimmung der Mehrheit des Hauses, da Sie sich, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, wegen der finanziellen Auswirkungen niemals zu einer völligen Gleichstellung entschließen konnten. Auch Ihr letzter Antrag wollte die ungerechte Einschränkung durch diesen Stichtag nur mit der Maßgabe aufheben, daß die Witwe des Versicherten, sobald sie das 45. Lebensjahr vollendet hat, in den Genuß der Witwenrente kommen sollte.
Ein während der Beratung im Plenum von uns eingebrachter Antrag, ohne Rücksicht auf das
Lebensalter den Frauen die Witwenrente zu geben, die vorschul-, schulpflichtige oder in Berufsausbildung befindliche Kinder haben, wurde von der Mehrheit des Hauses in namentlicher Abstimmung angenommen. Das war für uns und auch für Sie, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, außerordentlich überraschend, allerdings mit dem Unterschied, daß wir uns im Interesse der Frauen über unseren Erfolg gefreut haben, während Sie weniger glücklich darüber zu sein schienen.
Lassen Sie mich noch einmal sagen, daß wir bei Stellung des Antrages von dem Gesichtspunkt ausgingen, daß Witwen, die eine Erziehungsaufgabe zu erfüllen haben, soweit wie möglich materiell sichergestellt sein müssen. Wir sollten uns alle darüber klar sein, daß eine wichtige Aufgabe nicht erfüllt ist, wenn etwa beim Tode des Vaters die Frau nun auch noch gezwungen wird zu arbeiten und das Existenzminimum durch Erwerbsarbeit sichern muß. Keine Gesellchaft kann ein solches Aufgabengebiet brachliegen lassen, ohne Schaden daran zu nehmen, weil die Kinder sowohl seelisch als auch körperlich verkümmern müssen.
Aber schon sehr bald nach Annahme des Gesetzes hörte man hier im Hause Gerüchte über Erwägungen, den in namentlicher Abstimmung angenommenen Antrag der SPD einzuschränken. Ja, man hörte auch das Gerücht, daß die Bundesregierung das Gesetz überhaupt nicht verkünden wolle, und zwar — so hieß es — weniger wegen der finanziellen Auswirkungen als von der Vorstellung aus, etwaige uneheliche Kinder der Frau, die in keiner Beziehung zum verstorbenen Versicherten standen, dabei nicht berücksichtigt zu sehen. Nun, wir alle, die wir uns mit dieser Sache beschäftigt haben, wissen, daß es sich nicht ausschließlich um uneheliche Kinder handelte. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einmal die Stellungnahme des Herrn niedersächsischen Sozialministers bekanntgeben, die er als Berichterstatter im Bundesrat zu diesem Gesetz abgab. Er führte aus:
Es ist nicht einzusehen, weshalb Kinder, die von seiten der Ehefrau in die Ehe eingebracht und in der Familie erzogen worden sind, nicht auch die Besserstellung in bezug auf den Witwenrentenanspruch erwirken sollen wie die leiblichen Kinder des verstorbenen Ehemannes. Man denke sich einen praktischen Fall: Ein Mann heiratet vor dem 1. Juni 1949 eine Frau mit einem Kind, das nicht versorgt ist, und übernimmt während der ganzen Ehe die Fürsorge für dieses Kind. Wenn dieser Mann nun vor dem 1. Juni 1949 verstorben ist, so würde nach dem bisherigen Recht und nach dem Vorschlag des Finanzausschusses die Frau keinen Anspruch auf Witwenrente haben. Wir glauben, daß dies nicht nur allein die Witwe träfe, sondern in erheblichem Umfange auch das Kind, weil unter Umständen die Ehefrau ihren Lebensunterhalt durch Arbeit sicherstellen müßte und das Kind mangelhafter versorgt wäre.
Trotz des Versuchs der Bundesregierung, den Bundesrat zu bewegen, in dieser Sache den Vermittlungsausschuß anzurufen, nahm der Bundesrat das Gesetz am 22. Juli 1955 an, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß das Gesetz praktikabel sei und daß keine Schwierigkeiten zu erwarten seien.
Jeder von uns erinnert sich aber der Unruhe, die dann in der Bevölkerung entstand, weil das Gesetz von der Bundesregierung nicht verkündet wurde, obwohl dieser Verkündung parlamentarisch nichts mehr im Wege stand. 300 000 Arbeiterwitwen, von denen ein großer Teil Kriegerwitwen sind, sollten von diesem Gesetz erfaßt werden, und sie sollten als Witwen ihrer verstorbenen oder gefallenen Männer auch in den Genuß der Witwenrente kommen. Diese Witwen und wir alle warteten aber vergeblich auf die Verkündung des Gesetzes. Jeder von uns und jede von den Witwen draußen fragte nach dem Wenn und Aber der Bundesregierung. Es blieb selbstverständlich nicht aus, daß mit Recht von einer Brüskierung des Parlamentes durch die Bundesregierung gesprochen wurde. Erst am 3. Oktober erschien das Gesetz endlich im Bundesgesetzblatt. Sie finden uns hoffentlich nicht unbescheiden, wenn wir annehmen, daß unser Antrag vom 27. September, der eine sofortige Verkündung dieses Gesetzes forderte, sicher einen gewissen Einfluß darauf gehabt hat.
Aber fast gleichzeitig erschien ein Änderungsantrag der Regierungskoalition zu diesem gerade erst verkündeten Gesetz,
der nun doch die Einschränkung brachte, die Witwenrente ohne Rücksicht auf das Lebensalter der Witwe nur zu geben, solange die Witwe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen habe. Wir bedauern diese Einschränkung sehr, weil sie — ich möchte es noch einmal mit den Worten von Herrn Minister Rudolph sagen — nicht allein die Witwe trifft, sondern in erheblichem Umfange auch das Kind.
Trotzdem, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, stimmen wir diesem Gesetz zu. Wir haben es durch unseren damaligen Antrag — der nun zwar von Ihnen wieder eingeschränkt wird — doch erreicht, daß ungefähr hunderttausend Witwen mehr mit einbezogen werden, als Sie ursprünglich gewollt haben. Außerdem haben Sie bei den Beratungen im Ausschuß unserem Wunsche stattgegeben, den Witwen die Witwenrente auch dann nicht zu entziehen, wenn die Kinder aus dem Alter, in dem sie waisenrentenberechtigt waren, herausgewachsen sind. Hinzu kommt ferner, daß wir in diesem Gesetz auch noch die Ausweitung auf die Knappschaftsversicherung vorgenommen haben, die wir allerdings schon in einem früheren Gesetzentwurf gefordert hatten.
Zum Schluß noch drei Bemerkungen. Wir halten es im Hinblick auf die Selbstachtung des Parlamentes für außerordentlich schlecht, daß Gesetze, die von uns, in diesem Falle sogar in namentlicher Abstimmung, verabschiedet worden sind, von der Regierung erst Monate später — und hier handelt es sich um drei Monate — verkündet werden. Wir halten es weiter nicht für gut, daß man zu einem eben erst verkündeten Gesetz sofort wieder Änderungsgesetze einbringt, so daß wir heute über den Entwurf eines Gesetzes über die Änderung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes beraten müssen.
Wie können wir mit solchen Methoden den Staatsbürger von einer guten Gesetzesarbeit in Bonn überzeugen?
Weiterhin möchten wir der Hoffnung Ausdruck geben, daß diese Regelung nur als ein Schritt auf dem Wege zu einer völligen Gleichstellung aller Witwen anzusehen ist.
Abschließend darf ich Ihnen noch eines sagen, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, und nehmen Sie mir das bitte nicht übel: Ich finde, daß man auch einmal ein guter Verlierer sein muß, aber ganz besoders dann, wenn es sich um Verbesserungen zum Wohle der Allgemeinheit handelt!