Rede von
Dr.
Gerhard
Schröder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Dr. Arndt ist in der Begründung der Großen Anfrage über das hinausgegangen, was in Ziffer 1 der Großen Anfrage Drucksache 1712 gesagt war. Ich will deswegen zunächst die Große Anfrage so beantworten, wie sie vorliegt, und werde im Laufe der Debatte auf einzelnes, was er ausgeführt hat, noch zurückkommen.
Die Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt.
In der Großen Anfrage wird die Bundesregierung zunächst gefragt, ob am 22. Mai 1954 in Regensburg eine kirchliche Trauung stattgefunden habe, ohne daß die Ehe zuvor standesamtlich geschlossen wurde. Die uns von dem bayerischen Staatsministerium des Innern zur Verfügung gestellten Unterlagen bestätigen diesen Tatbestand. Es kann ergänzend gesagt werden, daß der seit dem 1. Januar 1955 pensionierte Studienrat 65 Jahre alt ist. Seine Pension soll monatlich rund 800 Mark betragen, während die 42jährige Witwe über eine Witwenrente von angeblich rund 450 DM monatlich verfügt.
Die Witwe hat 5 Kinder im Alter von 15 bis 25 Jahren. Eine Tochter ist verheiratet, eine andere Tochter berufstätig, drei Söhne befinden sich noch in der Berufsausbildung. Der katholische Geistliche, der die Trauung vorgenommen hat, wirkt als katholischer Religionslehrer am Neuen Gymnasium in Regensburg. Er gab als Begründung für sein Verhalten an, daß er mit dem pensionierten Studienrat an der gleichen Lehranstalt tätig sei.
Dadurch sei ihm bekanntgeworden, daß der Kollege mit der Witwe zusammenlebe. Er habe darin ein sittliches Ärgernis erblickt. Auch der Kollege habe unter diesen Verhältnissen gelitten und ihn um Rat gefragt, wie die Angelegenheit bereinigt werden könne, ohne daß die Witwe um den Genuß der Witwenpension komme.
Dabei sei von ihm die Befürchtung geäußert worden, daß die Witwe nach einer standesamtlichen Eheschließung im Falle seines Todes keine Pension erhalten werde und dadurch hilfsbedürftig werden könne. Nach den Angaben des pensionierten Studienrats sei das bischöfliche Ordinariat in Regensburg lediglich wegen der Erteilung der Befreiung vom kirchlichen Aufgebot angefragt worden. Es liegen bisher keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das bischöfliche Ordinariat in Regensburg über die Trauung vor der standesamtlichen Eheschließung unterrichtet war. Die örtlich zuständigen Standesbeamten wurden von der vollzogenen kirchlichen Trauung nicht benachrichtigt. Sie erhielten erst auf Grund der kriminalpolizeilichen Ermittlungen von dem Vorfall Kenntnis. Dieser Vorfall kam der Staatsanwaltschaft durch ein Schreiben der Oberfinanzdirektion München wegen der Ausstellung einer Lebensbescheinigung für die Witwe zur Kenntnis. Das zuständige Landratsamt erfuhr von der Angelegenheit erst durch die Presse.
Angeblich soll die Pfarrkirche in Falkenstein von dem örtlichen Pfarrer für die Trauung zur Verfügung gestellt worden sein, obwohl ihm bekannt war, daß eine standesamtliche Eheschließung nicht beabsichtigt sei. Er soll auch gewußt haben, daß eine Genehmigung des bischöflichen Ordinariats nicht erteilt war. Der örtliche Pfarrer soll
dies bestätigt und seinerseits auch die Vornahme von drei weiteren Trauungen in den Jahren 1953, 1954 und 1955 zugegeben haben. Das bischöfliche Ordinariat ist nach seiner Aussage in keinem dieser Fälle über die fehlende standesamtliche Eheschließung unterrichtet gewesen. In allen diesen Fällen ist Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet worden, die ihrerseits Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.
In dem zweiten Teil der Großen Anfrage wird nach den Schritten gefragt, die die Bundesregierung beim Heiligen Stuhl unternehmen will. Hierzu muß zunächst folgendes festgestellt werden. Soweit dies bisher ermittelt werden konnte, fehlt es im Falle Falkenstein an der gemäß Art. 26 des Reichskonkordats erforderlichen vorherigen Bestätigung des Vorhandenseins eines schweren sittlichen Notstandes durch die zuständige bischöfliche Behörde. Der Geistliche, der die Trauung vorgenommen hat, kann sich also nicht auf diese Konkordatsbestimmung berufen und hat dies, soweit bekannt, bisher auch nicht getan. Der Fall Falkenstein ist deshalb ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des § 67 des Personenstandsgesetzes und der in ihm enthaltenen Strafvorschrift zu beurteilen.
Soeben ist übrigens die Antwort des Heiligen Stuhls im Falle Tann eingegangen, die auch auf den vorliegenden Fall nicht ohne Rückwirkung sein dürfte. In ergänzender Beantwortung der Kleinen Anfragen 151, 156 und 183, Drucksachen 1179, 1206 und 1477 kann heute mitgeteilt werden, daß die im Falle Tann beim Heiligen Stuhl erhobenen Vorstellungen dazu geführt haben, daß die katholische Geistlichkeit des Bistums Passau auf die Anzeigepflicht gegenüber dem Standesamt in Fällen einer vorzeitigen kirchlichen Trauung be-
') sonders hingewiesen worden ist. Der Päpstliche Nuntius hat die Bundesregierung von einem Schreiben in Kenntnis gesetzt, das er am 31. Oktober 1955 im Auftrag des Heiligen Stuhls an den Bischof von Passau gerichtet hat. In diesem Schreiben wird festgestellt, daß im Falle Tann eine Verletzung der in Art. 26 des Reichskonkordats vorgeschriebenen Anzeigepflicht stattgefunden habe. Der Bischof wird ersucht, dem Klerus seines Bistums die Beobachtung der Vorschrift des Art. 26 letzter Satz des Reichskonkordats in Erinnerung zu rufen. Die Antwort des Heiligen Stuhls im Falle Tann behandelt die Frage der Auslegung des Begriffs „schwerer sittlicher Notstand" in Art. 26 Satz 1 des Reichskonkordats nicht. Die Auffassung des Heiligen Stuhls kann jedoch aus den bisherigen Verhandlungen entnommen werden.
Nach Ansicht der Bundesregierung war im Falle Tann rechtlich kein Anlaß gegeben, das Vorliegen eines schweren sittlichen Notstandes im Sinne des Art. 26 des Reichskonkordats anzunehmen. Das Schlußprotokoll zum Reichskonkordat kennt nach Auffassung der Bundesregierung nur einen einzigen Fall des schweren sittlichen Notstandes, in dem unter Beachtung bestimmter Formvorschriften die kirchliche Eheschließung vor der standesamtlichen Eheschließung zugelassen ist. Dieser Fall ist dann gegeben, wenn die rechtzeitige Beibringung der zur Eheschließung erforderlichen Urkunden auf unüberwindliche oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beseitigende Schwierigkeiten stößt. Ein solcher Tatbestand war im Falle Tann nicht gegeben. Der Wortlaut des Reichskonkordats läßt nach Ansicht der Bundesregierung nicht die Auslegung zu, daß das Schlußprotokoll zu Art. 26 des Reichskonkordats nur als ein Beispiel für einen Fall des schweren sittlichen Notstandes aufzufassen sei und daß es im übrigen im Ermessen der zuständigen bischöflichen Behörde stehe, auch in anderen Fällen das Bestehen eines schweren sittlichen Notstandes zu bestätigen. Aus der Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats ergibt sich zwar, daß der Art. 26 nach besonders eingehenden Verhandlungen eine redaktionelle Änderung erfahren hat; es liegen aber nach unserer Meinung keine Anzeichen dafür vor, daß das Schlußprotokoll nur ein Beispiel für den Fall eines schweren sittlichen Notstands bringen wollte.
Es erscheint in diesem Zusammenhang wesentlich, auf den Sinn der Bestimmung des Art. 26 des Reichskonkordats hinzuweisen. Sowohl der lebensgefährlich Erkrankte als auch der Verlobte, der die erforderlichen Urkunden nicht beibringen kann, haben die Absicht, die Ehe vor dem Standesbeamten zu schließen. Sie sind nur durch die Verhältnisse daran gehindert, die nötigen Formalitäten rechtzeitig zu erfüllen.
Dieser Zweck der Regelung des Art. 26 des Reichskonkordats ist bei der Bestätigung eines schweren sittlichen Notstandes durch das bischöfliche Ordinariat im Falle Tann übersehen worden. Die Verlobten wollten im Falle Tann trotz der Möglichkeit rechtzeitiger Beibringung der -Urkunden die Ehe vor dem Standesbeamten überhaupt nicht schließen. Sie wollten vielmem bürgerliche Eheschließung umgehen, um nicht die Witwenrente oder die Witwenpension der Frau zu verlieren.
Die hier dargelegte deutsche Auslegung des Reichskonkordats ist dem Heiligen Stuhl gegenüber mehrfach zum Ausdruck gebracht worden. Nach dem bisher gewonnenen Eindruck sieht jedoch der Heilige Stuhl das Schlußprotokoll zu Art. 10 des Reichskonkordats lediglich als ein Beispiel für die Fälle an, in denen die zuständige bischöfliche Behörde das Vorliegen eines schweren sittlichen Notstandes anerkennen kann.
Die Auffassung der Bundesregierung über Bedeutung und Auswirkung des Art. 26 des Reichskonkordats hat sich der Heilige Stuhl bisher nicht zu eigen gemacht. Es ist also noch nicht gelungen, die unterschiedliche Auffassung der beiden Vertragspartner in dieser Frage zu beseitigen. Art. 33 Abs. 2 des Reichskonkordats sieht für solche Fälle vor, daß die beiden Vertragspartner im gemeinsamen Einvernehmen eine freundschaftliche Lösung herbeiführen.
Soweit der Text der Antwort. Ich darf mir erlauben, im Laufe der Debatte ergänzende Ausführungen zu machen.