Rede von
Walter
Scheel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich werde mich bemühen und nur den Versuch machen, die Verspätung, mit der ich angetreten bin, einzuhalten. — Wünschenswert wäre es, wenn die Erhebungen ähnlich hoch aus dem Wasser sähen, dem Griff des Herrn Vocke gleichermaßen ausgesetzt, und wenn auch keine reißenden Ströme mehr hin- und herflössen, sondern nur noch eine angenehme Dünung zu spüren wäre.
Ich habe vor einiger Zeit einmal eine Reise nach den Vereinigten Staaten gemacht und gesehen, daß dort die Einlagenpolitik der öffentlichen Hand anders ist als hier. Die Begründung dafür habe ich Ihnen eben gegeben, und diese Politik hat sich hervorragend bewährt.
Es sollen möglichst alle Schwankungen in der Liquidität des Kreditsystems vermieden werden, wie ich sie soeben geschildert habe. Es wäre für den Wirtschaftsminister einmal ganz interessant, zu wissen, wieweit die öffentliche Hand im Bereich des Geldmarkts konjunkturpolitisch denkt. Es könnte doch heute vorkommen, daß ein Länderfinanzminister — contra legem allerdings — seine Kassenmittel aus Steuergeldern bei seiner „Staatsbank" verzinslich anlegt. Wenn die Zinsen dann unter den Diskontsatz von, sagen wir einmal, 3 % sanken, hätte es ihm vielleicht richtiger erscheinen können, seine Millionen nunmehr in kühnem Erinnern an seine Pflicht bei dem Zentralbanksystem einzulegen, gegen Ausgleichsforderungen, versteht sich, wegen der 3 %. Aber vielleicht ist seine Reue überhaupt zu spät gekommen, weil der Landeszentralbankleiter aus Sorge, er könne wegen der vielen Zinsen vielleicht ein Defizit nach Frankfurt melden müssen, seine Millionen gar nicht gewollt hat. Das klingt allerdings wie ein Märchen.
Eine weitere Bereinigung des etwas verschlammten Geldmarktes könnte im Bereich des sozialen Wohnungsbaues vorgenommen werden. Darauf bezieht sich unser Antrag Drucksache 1776, den zu begründen ich mir aus Gründen der Zeitersparnis versage. Meine Fraktion glaubt, daß durch ihre Anträge, soweit sie sich auf den Geldmarkt beziehen, das Instrumentarium für die Währungspolitik erheblich verbessert werden kann.
Schwierig bleibt die Frage der verfassungsmäßigen Zulässigkeit der konjunkturpolitischen Beeinflussung der öffentlichen Hand in allen Stufen. Ich brauche wohl nicht besonders darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung heute erheblich weniger Sorge hätte, wenn sie sich den Überlegungen unseres verstorbenen Parteifreundes Höpker-Aschoff über eine Bundesfinanzverwaltung angeschlossen hätte.
Wir wollen es aber nicht bei diesem Hinweis bewenden lassen und uns im übrigen schadenfroh die Hände reiben, sondern wir möchten durch einen konstruktiven Vorschlag auch hier das Instrumentarium verbessern helfen. Mit unserem Antrag Drucksache 1775 schlagen wir vor, daß die Statistik des Geldvermögens der öffentlichen Hand nach einheitlichen Richtlinien geordnet wird. Man fährt bisher auf diesem Gebiet immer nur mit der Stange im Nebel herum. Wenn die Publizität des Geldvermögens der öffentlichen Hand voll gewährleistet ist, dann müßte es gelingen, den Fiskus, so-
weit er sich konjunkturschädlich verhält, unter den Druck der öffentlichen Meinung zu setzen. Das wäre dann eine dankenswerte Aufgabe des Konjunkturbeirates und auch der Presse.
Es ist der Bundesregierung bis heute noch nicht einmal gelungen, die eigenen Werke in ihr Programm einzuspannen, und das ist eine Schande. Wir haben in unserem Antrag Drucksache 1766 von der Bundesregierung Maßnahmen gefordert, die in einigen wichtigen Bereichen Preissenkungen bringen mußten. Eine Senkung des Volkswagenpreises liegt nicht nur in der Luft, sondern ist das Gebot der Stunde. Darum sehen wir der Erfüllung des Punktes 2 der Regierungserklärung mit besonderem Interesse entgegen.
Die Regierungserklärung hat eine Analyse der augenblicklichen Lage versucht und einen groben Richtungsweiser für die nahe Zukunft aufgestellt. Wir wissen uns in vielen Punkten mit der Regierung einig. Die Situation ist gekennzeichnet durch eine verzerrte Entwicklung verschiedener Wirtschaftsbereiche untereinander. Eine automatische Normalisierung dieser Situation durch den Automatismus des Marktes scheint nicht zu erfolgen. Deswegen soll die Bundesregierung in der Form der aktiven Konjunkturbeeinflussung Maßnahmen ergreifen, die die entstandenen oder in der Entstehung begriffenen Disproportionalitäten beseitigen. Zu diesen Maßnahmen gehört in erster Linie auch eine aktive Agrar- und Mittelstandspolitik.
Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung mit unserer vollen Zustimmung festgestellt, daß sie das Gleichgewicht der Wachstumsraten zwischen Investitionen und Verbrauch im Auge behält. Es ist in der Tat die Grundlage einer stetigen Expansion unseres Volkseinkommens. Bei alledem wissen wir, daß eine konjunkturpolitische Prophylaxe immer billiger ist als etwa eine Konjunkturtherapie. Restriktionsmittel der Notenbank sollten daher nur zuletzt angewandt werden. Das Zusammenwirken von Bundesregierung und Notenbank, die absolute Stabilität unserer Währung zu garantieren, muß im Interesse des ganzen deutschen Volkes die einhellige Zustimmung des ganzen Hauses finden.
Die Bundesregierung hat, um entstandene Sprachverwirrungen — wie sie sagt — zu beseitigen, erklärt, daß sie den stetigen Anstieg der Konjunkturkurve zu stabilisieren trachte. Wir haben eine Verbesserung des wirtschafts- und währungspolitischen Instrumentariums vorgeschlagen, das dieser Verpflichtung nützen könnte.
Ein Punkt der Erklärung kann unsere Zustimmung naturgemäß nicht finden, nämlich der Punkt 7. Ich habe persönlich den Eindruck, daß die Zwangskoalition der beiden Herren Minister Erhard und Schäffer gegen Herrn Berg den Bundeswirtschaftsminister vom rechten Wege abgedrängt hat. Er war doch sonst nicht so! Wir sind der Auffassung, daß sich unsere Steuersenkungsvorschläge durchaus in der Möglichkeit des Etats bewegen.
Herr Finanzminister, Sie werden mir entgegenhalten, daß meine Schätzungen falsch seien. Erstens
gestatte ich mir dazu zu sagen, daß er — ich sehe ihn im Augenblick hier nicht — nicht gerade ein besonders bewährter Prophet ist. Wenn aber meine Schätzungen tatsächlich Fehlschätzungen sind, so haben sie den konjunkturpolitisch wohltuenden Effekt, daß sie sich zu den Fehlschätzungen des Finanzministers antizyklisch verhalten.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eins sagen, gerade hier in Berlin! Als ich während der Berliner Blockade hier in der Stadt war und in einem Hotelbett schlief, dessen Bettwäsche im kalten Winter noch nicht ganz trocken war, weil es damals nicht möglich war, sie trocken zu bekommen, da habe ich noch nicht davon geträumt, hier eines Tages zu stehen und mich mit meinen Kollegen darum zu sorgen, wie wir den Gipfelpunkt einer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung weiter behaupten können. Sollte uns das nicht mit etwas Dankbarkeit erfüllen gegenüber denen, die ihre ganze Kraft dafür eingesetzt haben, diesen erfolgreichen Weg für unser Volk zu gehen?
Ich bin als FDP-Angehöriger stolz darauf, daß prominente Mitglieder meiner Fraktion bedeutenden Anteil an dieser Arbeit gehabt haben. Nachdem ich heute den Sprecher der Oppositionspartei gehört habe, bin ich — vielleicht im Gegensatz zu dem Eindruck, der hier und da entstanden ist — zu der Auffassung gelangt, daß die Opposition im Kern ganz nahe bei den Regierungsparteien steht. Ich habe keine Sorge, daß wir gemeinsam auch die schwere Aufgabe meistern werden, die uns erwartet, wenn der Tag der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes endlich herbeikommt.
Von hier aus möchte ich den Brüdern und Schwestern in Berlin und in der Zone um Berlin herum die Zuversicht geben, daß sie uns für diesen Tag auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik gerüstet finden und daß wir darauf warten, diese Aufgabe auch für sie zu übernehmen.