Rede von
Dr.
Karl
Mocker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte eingangs meiner Ausführungen für die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE der Genugtuung Ausdruck geben und Dank sagen, daß im Zuge des Moskauer Besuchs der Regierungsdelegation ,die Gefangenenfrage einer Regelung zugeführt werden konnte, von der wir sehnlichst hoffen, daß sie eine loyale und nach menschlichen Prinzipien korrekte Durchführung erfährt.
Wenn ich diese Hoffnung ausspreche, so will ich damit gleichzeitig sagen, nicht glauben zu können, daß — wie verschiedene Nachrichten wissen wollen — seitens der Sowjetunion an eine verschiedene Behandlung der gefangenen bzw. in ihrem Gewahrsam befindlichen Deutschen insbesondere in der Richtung gedacht ist, daß die aus den Austreibungsländern stammenden Volksdeutschen nicht mit zu jenen gezählt würden, welche in die Bundesrepublik zur Entlassung kommen. Man kann doch nicht ,deutsche Menschen, ganze Gruppen des deutschen Volkes, aus ihren Heimatländern austreiben und bei der Entlassung von Gefangenen und Zurückgehaltenen jene, die zu diesen ausgetriebenen Volksgruppen gehören, sozusagen für die Austreibungsstaaten reklamieren und ihnen das endliche Zusammensein mit ihren Angehörigen verwehren. Der Gedanke ist so paradox und ungeheuerlich zugleich, daß die sowjetischen Staatsmänner, die für die Entlassung der gefangenen und zurückgehaltenen Deutschen ihr Ehrenwort gegeben haben, und an deren Ehrenwort wir auch glauben, eine andere Durchführung der Entlassungsaktion als eben eine loyale und nach menschlichen Prinzipien korrekte, sicherlich nicht dulden würden. Die Sowjetregierung sagt, daß sich viele Deutsche jetzt noch in der Sowjetunion aufhalten, weil sie Arbeitsverträge haben. Es würde die von der Sowjetunion gewünschte Zusammenstellung des Materials für die zurückgehaltenen Deutschen durch die Bundesregierung wesentlich erleichtern, wenn die Sowjetunion ihrerseits möglichst genaue Angaben über diese Arbeitsverpflichteten machte. Diesen Wunsch sollte die Bundesregierung an die Sowjetregierung richten.
Die Moskauer Konferenz endete mit der Vereinbarung, diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion herzustellen. Die Aufnahme dieser diplomatischen Beziehungen ist unserer Meinung nach eine politische Notwendigkeit. Die Sowjetunion ist eine der vier Besatzungsmächte und hat einen großen Teil Deutschlands de facto in Besitz. Deutschland ist auf das friedliche Zusammenleben mit der Sowjetunion angewiesen. Diesem friedlichen Zusammenleben und damit dem Frieden überhaupt kann weit mehr gedient werden, wenn diplomatische Beziehungen zwischen beiden Staaten bestehen. Das Vorhandensein diplomatischer Beziehungen gestattet nunmehr
auch eine auf die deutschen Interessen und auf den Frieden in der Welt ausgerichtete Ostpolitik, von der ich im Namen meiner Fraktion bereits in der Debatte vom 27. Mai 1955 über die Vorbereitung von Viermächteverhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands gesprochen habe. Meine Fraktion sagt deshalb zu der in Moskau getroffenen Vereinbarung ja, selbstverständlich unter den aus der derzeitigen Lage Deutschlands sich ergebenden und auch von der Delegation der Bundesregierung bereits vorgebrachten Vorbehalten.
Trotzdem können der Verlauf und das Ergebnis der Moskauer Konferenz nicht befriedigen, da das zweite Anliegen, mit dem die deutsche Delegation nach Moskau fuhr, nämlich die Wiedervereinigung, nicht nur keinen Schritt vorwärts kam, sondern sich hier seit der Moskauer Konferenz Entwicklungsmöglichkeiten auftun, die uns alle nur mit größter Sorge erfüllen können.
Gewiß hat die Moskauer Konferenz die bereits erwähnte Regelung in der Gefangenenfrage gebracht, und es ist nicht zu bestreiten, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen schon allein gerechtfertigt ist, wenn damit Tausende unglücklicher Menschen ihre Freiheit erlangen; und ebenso gewiß hat auch die Sowjetregierung unbeugsam erklärt, daß sie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf keinen Fall an irgendwelche Bedingungen geknüpft sehen will. Aber es ist doch so, daß die deutsche Delegation mit anderen Vorstellungen nach Moskau ging, als sie sie dann als Wirklichkeit erkennen mußte. Sie war nicht in der Lage, alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die an und für sich durch das vorgesehene Programm gegeben waren und unserer Meinung nach gute Gelegenheit gegeben hätten, die Wiedervereinigungsfrage, wenn schon nicht zu lösen, so doch ein gutes Stück zu klären.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese große, wichtige Konferenz dem sachlichen Umfang nach nicht so vorbereitet war, wie dies notwendig gewesen wäre. So hat die Sowjetunion außer auf die diplomatischen Beziehungen ungeheuer großen Wert auf die Herstellung wirtschaftlicher Beziehungen gelegt. Es besteht die allgemeine Ansicht, daß die Sowjetunion große innere wirtschaftliche und soziale Probleme zu lösen hat. Alle offiziellen und inoffiziellen Berichte über die Moskauer Konferenz lassen erkennen, wie oft die Sowjetunion das Gespräch auf wirtschaftliche Dinge brachte. Ja ganz offen kam zum Ausdruck, wie sehr der Sowjetunion an wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen mit der Bundesrepublik zur Bewältigung ihrer inneren Aufgaben gelegen sei. Insbesondere war zweifellos zu erkennen, daß die Sowjetunion in der Bundesrepublik eine weitaus höhere und eine ganz andere wirtschaftliche Potenz sieht als in der DDR. Es besteht weiter die allgemeine Ansicht, daß die Führer der Sowjetunion ihre politischen Entscheidungen in kühler und nüchterner, ja berechnender Abwägung nach Zweckmäßigkeitsgründen treffen. Es wäre also doch notwendig gewesen, bei der Moskauer Konferenz zu untersuchen, wieweit die Sowjetunion gegen Einräumung wirtschaftlicher und Handelsbeziehungen, also gegen die Mithilfe bei der Lösung ihrer inneren wirtschaftlichen und sozialen Probleme, geneigt wäre, in der Wiedervereinigungsfrage Konzessionen zu machen.
Darüber hinaus bieten Gespräche über wirtschaftliche Beziehungen seit jeher die beste Gelegenheit zwischen Völkern und Staaten, einander näherzukommen, das heißt sich gegenseitig kennenzulernen, zu überzeugen und Vertrauen zu erhalten. Diese psychologischen Momente spielen doch aber auch gerade in der Wiedervereinigungsfrage eine ungeheure Rolle. Ich mache diese Ausführungen insbesondere auch mit Rücksicht darauf, daß ich in der Besprechung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und den Fraktionsvorsitzenden vor der Abreise nach Moskau auf die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Beziehungen im vorstehenden Sinne hinwies und bat, dieser Seite eine besondere Sorgfalt zu widmen und insbesondere die Bereitschaft von deutscher Seite und die damit gegebenen Möglichkeiten der Sowjetunion gegenüber dadurch zu erkennen zu geben, daß der Bundeswirtschaftsminister Mitglied der Delegation sein sollte. Der Verlauf der Moskauer Konferenz hat mir recht gegeben. Der Moskauer Delegation gehörte der sowjetische Außenhandelsminister Kabanow an. Ein nach Moskau mitfahrender Ministerialdirektor des Bundeswirtschaftsministeriums, dessen besondere Fähigkeiten ich vollauf anerkenne, ist kein Äquivalent dafür und wird auch allein schon protokollmäßig und nach den Gepflogenheiten bei solchen Konferenzen nicht als ein Zeichen dafür gewertet, daß ein geäußertes Anliegen auch dem Verhandlungspartner von Wichtigkeit ist. Die gestrige Regierungserklärung sagt sogar ausdrücklich, daß in wirtschaftlicher Beziehung bei der Moskauer Konferenz deutscherseits große Zurückhaltung geübt wurde. Ich bedaure, daß der Herr Bundeskanzler es nicht auch in diesem Punkt mit Präsident Eisenhower hält, dessen Ausspruch bekannt ist, daß ein Handelsvertrag die beste Waffe in der Politik ist.
Die Sowjetunion glaubt nun, diesen Mangel bei der Moskauer Konferenz nachträglich in der Weise abstellen zu können, daß sie bereits jetzt Einladungen an deutsche Wirtschaftler ergehen läßt. Sie ist offenbar der Ansicht, daß sich nach Errichtung der gegenseitigen Botschaften die wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen durch Forcierung seitens der Sowjetunion sehr schnell von selbst einstellen würden. Hier muß aber gesagt werden, daß die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwar eine Normalisierung des Geschäftsverkehrs, wie er sich üblicherweise über die diplomatischen Missionen abspielt, aber noch keineswegs auch eine Normalisierung der sachlichen Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten bedeutet. Der Sowjetunion liegt aber in erster Linie an einer Normalisierung der Beziehungen auch in sachlicher Hinsicht.
Ich spreche daher für meine Fraktion die Bitte aus, daß in den allein schon auf Betreiben der Sowjetunion nun in Gang kommenden Wirtschaftsverhandlungen das nachgeholt wird, was bei der Moskauer Konferenz versäumt wurde. Diese Gespräche sind im vollen Umfang in den Dienst der Wiedervereinigung zu stellen. Auch die von Moskau eingeladenen Wirtschaftler haben meiner Ansicht nach die Verpflichtung, ihre Gespräche nur unter diesem politischen Aspekt zu führen. Wünscht die Sowjetunion durch diplomatische Beziehungen nicht nur eine Normalisierung des Geschäftsverkehrs, der sich auf diplomatischer Ebene durch die Errichtung von Botschaften ergibt, sondern darüber hinaus zur Bewältigung ihrer inneren Aufgaben eine Normalisierung der sachlichen, vor allem der wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen, dann ist das eindeutig abhängig zu machen von einer Änderung des von der Sowjetunion in der Wiedervereinigungsfrage nunmehr bezogenen Standpunktes.
Die Sowjetunion hat bei der Moskauer Konferenz an die deutsche Delegation klar und eindeutig die Frage gerichtet, ob sie durch die Herstellung diplomatischer Beziehungen die Sowjetunion anerkennen oder durch eine Ablehnung dieser diplomatischen Beziehungen die Anerkennung versagen wolle. Genau so klar und eindeutig ist auch an die Sowjetunion bei dem Wunsch nach Normalisierung der sachlichen und nach Herstellung wirtschaftlicher Beziehungen die Frage zu richten, ob sie in ihrem eigenen Interesse lieber ein geteiltes und damit zur Befriedung untaugliches Deutschland sehe oder ein wiedervereinigtes Deutschland, das ihr freundnachbarlich gesinnt und mit seiner großen wirtschaftlichen Potenz zur wirtschaftlichen Hilfe bereit ist.
Diese Frage an die Sowjetunion ist um so berechtigter, als bei der Moskauer Konferenz Ministerpräsident Bulganin für die Sowjetunion die Verpflichtung der Vier Mächte, die Wiedervereinigung herzustellen, anerkannt hat. Daraus ergibt sich aber auch, daß die Wiedervereinigungsfrage nicht losgetrennt von dieser Verpflichtung der Vier Mächte gelöst werden kann. Daher kann die Normalisierung der sachlichen Beziehungen, die Herstellung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion nur im engsten Kontakt mit den Viermächteverhandlungen über die Deutschlandfrage erfolgen.
Die jüngsten Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und der DDR haben keinen anderen Zweck als den, die DDR gleichsam als gleichberechtigten deutschen Staat neben der Bundesrepublik in diese Viermächteverhandlungen und überhaupt in alle Wiedervereinigungsverhandlungen einzuschieben. Es wird den Westmächten klar sein, was das bedeutet. Die drei Westmächte müssen daher mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, daß der Schlüssel für die Art der Wiedervereinigung einzig und allein bei ihnen liegt.
Sie werden vor der Geschichte versagt haben, wenn sie bei der kommenden Außenministerkonferenz und überhaupt bei den in der Zukunft stattfindenden Konferenzen in der Deutschlandfrage nicht in der gleichen hartnäckigen Art und Form, wie das *den Verhandlungsführern der Sowjetunion eigen ist, das Junktim zwischen dem Sicherheitssystem und der Wiedervereinigung vertreten, ja auf der Priorität der Wiedervereinigung vor einem Sicherheitspakt bestehen.
Wenn die Sowjetunion darauf hinweist, daß die Wiedervereinigungsfrage doch in erster Linie eine Angelegenheit der Deutschen, also eine Angelegenheit der von ihr anerkannten beiden deutschen Staaten sei, so muß demgegenüber klargestellt werden, daß es der einheitliche Wille aller Deutschen ist, diese Verhandlungen zu führen, sobald garantiert ist, daß die für diese Verhandlungen herausgestellte Delegation der Sowjetzone sich auf die Legitimation des frei bekundeten Willens der Bevölkerung berufen kann. Der Vorschlag, gesamtdeutsche Wahlen durchzuführen, konnte bisher nicht vorwärts gebracht werden. Obwohl wir
an diesen gesamtdeutschen Wahlen festhalten, ist es wohl berechtigt, weitere Überlegungen anzustellen. Wir aus der Bundesrepublik behaupten mit gutem Recht, daß die Sowjetzonenregierung nicht die Willensträgerin der Bevölkerung der Sowjetzone ist. Dasselbe wird von den Sowjetzonenmachthabern über uns behauptet. Machen wir doch diesem Streit ein Ende, indem sowohl in der Sowjetzone wie in der Bundesrepublik zur Errichtung von Verhandlungsdelegationen freie, geheime, direkte Wahlen, und zwar nach dem gleichen Wahlsystem unter internationaler Kontrolle durchgeführt werden! Wir sind jederzeit bereit, dies zu tun bzw. uns dafür einzusetzen, falls auch die DDR sich dazu bereit erklärt.
In einzelnen Zeitungen des In- und Auslandes werden mit bedauerlichem Übereifer auch Überlegungen dahingehend angestellt, den bei der Wiedervereinigung Deutschlands von der Sowjetunion befürchteten Rückwirkungen auf die Satellitenstaaten durch ein Sicherheitssystem zu begegnen, das gewissermaßen die Anerkennung der jetzigen Machtverhältnisse in Osteuropa durch die Westmächte mit beinhaltet. Solchen Spekulationen kann nicht rechtzeitig genug mit aller Entschiedenheit widersprochen werden, soweit sie eine Schmälerung des Rechts auf die Heimat bzw. des Selbstbestimmungsrechts mit sich bringen würden.
Die Wiedervereinigung von Bundesrepublik und Sowjetzone darf nie — und da befinden sich die Vertriebenen wohl in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Bundesregierung und des Parlaments — auf Kosten dieser Grund- und Menschenrechte gehen.
Um diese Einheitlichkeit der vorstehenden Auffassung des deutschen Volkes bei den Vorbehalten anläßlich der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion erneut zu bekräftigen, waren alle Fraktionen von Anfang an einig, einheitliche Entschließungsanträge einzubringen, was nach gemeinsamen Beratungen nunmehr auch erfolgt ist. Den gemachten Vorbehalten über die Ostgebiete bzw. Ostgrenzen muß jedoch vorausgeschickt werden, daß nach bestehendem Völkerrecht und einhelliger Auffassung aller Völkerrechtler die Errichtung diplomatischer Beziehungen nicht die geringste rechtliche Bedeutung für Grenzfragen hat. Die Errichtung diplomatischer Beziehungen ist eine organisatorische Maßnahme und hat lediglich die gegenseitige Anerkennung der beteiligten Staaten als souveräne Mächte sowie deren Regierungen als legale Repräsentanten ihres Staates zur Folge. Die Frage, zu welchem Staat ein Gebiet gehört, entscheidet sich nach besonderen Regeln des Völkerrechts. Hier ist der Völkerrechtssatz entscheidend, daß Annexionen völkerrechtswidrig und damit nichtig sind, überhaupt dann, wenn dabei das Selbstbestimmungsrecht der Völker verletzt wird. Dies trifft auf die deutschen Vertreibungsgebiete zu. Es ist gut, wenn diese Rechtsauffassung nochmals herausgestellt und gesagt wird, daß die von deutscher Seite gemachten Vorbehalte nicht die Aufgabe dieser Rechtsauffassung bedeuten.
Die Erfahrungen, die uns die Moskauer Konferenz vermittelt hat, verpflichten uns, die Wiedervereinigung noch mehr als bisher zum Mittelpunkt der deutschen Politik zu machen. Diese Erfahrungen zeigen uns aber nur zu deutlich, welche Schwierigkeiten sich auf dem Wege zur Erreichung der Wiedervereinigung auftun. Mit Ausnahme eines Opfers auf Kosten der Freiheit oder des Rechts auf die Heimat bzw. des Selbstbestimmungsrechts sind wir vom Gesamtdeutschen Block/ BHE bereit, jedes Opfer zur Überwindung der bestehenden Schwierigkeiten und endgültigen Erringung der Einheit des deutschen Volkes und des deutschen Staates zu bringen.