Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mir am Ende dieser Aussprache ein paar Bemerkungen zu den einzelnen Beiträgen erlauben. Ich darf mit Ihren Ausführungen, Herr Staatssekretär Westrick, beginnen, die mir im Gesamtzusammenhang bei weitem als die bedeutsamsten erschienen sind. Ich gebe gern zu, Sie und auch Ihr Ministerium haben sich nicht als Außenseiter erwiesen — aber auch nicht als insider, Herr Westrick, um im Bild zu bleiben —, sondern Ihre Antwort war, wenn ich sie in zwei Sätzen zusammenfassen darf, eine janusköpfige Antwort. Sie lautete erstens: Teils ja, teils nein; und zweitens: Genaueres weiß man nicht. Aber Sie haben nicht gesagt: Genaueres weiß man noch nicht. „Wir haben zwar Zahlen", haben Sie gesagt, aber Sie haben sie hier nicht ausgesprochen. Ich hoffe, daß man das Wort „noch" bei Ihrer Antwort einfügen darf, damit es auf diesem Markt zukünftig doch etwas klarer wird.
Eine Richtigstellung in bezug auf das Verkehrsfinanzgesetz hat Herr Müller-Hermann schon gegeben; ich möchte nicht darauf eingehen. Aber ich möchte hervorheben, daß Sie, Herr Staatssekretär Westrick — und damit der Herr Bundeswirtschaftsminister —, wörtlich zum Ausdruck gebracht haben, man neige in seinem Hause zu der Ansicht, daß bei Benzin preisliche Zugeständnisse gemacht werden sollten. Sie haben „sollten" gesagt, nicht „könnten". Das scheint mir doch ein durchaus bemerkenswertes Ergebnis dieser Debatte zu sein, wenngleich es nun noch erheblicher Anstrengungen bedarf, um aus diesem Soll-Satz nachher einen tatsächlichen Vollzug werden zu lassen.
Sie haben des weiteren geantwortet, daß der Wettbewerb nicht voll wirksam sei; später haben Sie gesagt, es liege kein „echter" Wettbewerb vor. In diesem Zusammenhang war mir sehr interessant, daß Sie gesagt haben: Leider; die paar kleinen Außenseiter verfügen ja in ihrer Vereinzelung nicht über genug Einfluß! Damit war angedeutet und der Gedanke nahegelegt — das ist ein sehr interessanter Vorgang, meine Damen und Herren —, wenn die Außenseiter ein bißchen weniger vereinzelt wären, d. h. ein bißchen mehr Tuchfühlung miteinander hätten, ob sie dann nicht vielleicht etwas mehr Einfluß im Sinne, sagen wir, der allgemeinen Preissenkungstendenzen ausüben könnten. Das ist wirklich erstaunlich. Hier ist auf dem Hintergrund der Ideologie des reinen Wettbewerbs in der konkreten Situation eines Oligopols die Vorstellung, man könne mit einem neuen zusätzlichen Oligopolisten das bisherige Oligopol verändern. Ich glaube nicht, daß das geht. Damit kann man vielleicht einen Augenblickserfolg erzielen, aber auf die Dauer können Sie bei drei oder vier großen Vertriebskonzernen die Sache nicht dadurch besser machen, daß Sie einen fünften großen danebenstellen, Herr Westrick! Das geht nicht. Das mag vielleicht einen kurzfristigen Erfolg erzielen. Aber auf die Dauer können Sie nicht umhin, von hoher Hand aus in diesen Markt einzugreifen und aufzupassen. Auf die Dauer brauchen Sie eben nicht noch einen Außenseiter, sondern Sie brauchen die Sanktionen, die Ihnen hoffentlich das Kartellgesetz gibt. Anders kommen Sie auf dem Mineralöl-Markt nicht zu Rande.
Wenn hier nun Herr Westrick und nachher auch Herr Schloß, — das an dessen Bemerkungen mir Sympathischste gewesen ist, daß er von Anfang an bekannte, nicht aus der Branche zu kommen, was allerdings entschuldigt, daß er nachher mit einer gewissen Branchen- und Betriebsblindheit gesprochen hat, eine Reihe von Argumenten vorgetragen haben, weshalb die Preise in Deutschland so hoch sind — höhere Oktanzahl, geringerer Tankstellenumsatz usw. —, dann muß man doch sagen: das alles sind zwar sachlich zutreffende Hinweise, aber die Tatsachen, die hier mit Recht behauptet werden, daß z. B. die Oktanzahl in Deutschland höher ist als in sämtlichen anderen westeuropä-
ischen Ländern, sind doch Folgen des ungleichgewichtigen Marktes. Wenn Sie nicht diese Marktform hätten, in der die Konzerne in einem erbitterten Quotenkampf, in einem erbitterten Kampf um den Marktanteil sich befinden, dann würde man den Unfug mit der künstlich überzüchteten deutschen Oktanzahl nicht gemacht haben. Sämtliche europäische Motoren laufen mit wesentlich niedrigerer Oktanzahl. Herr Westrick hat Beispiele genannt: Frankreich, England. Eine Folge des Ungleichgewichts auf dem Markt ist, daß man den Wettbewerb auf solche Gebiete wie Überzüchtung der Oktanzahl verlagert hat. Da hat auch die deutsche Automobilindustrie einen Teil schuld. Es ist eine Folge dieses Ungleichgewichts, daß man nun die Überinvestitionen auf dem Tankstellensektor hat: an jeder Ecke gleich drei Tankstellen, die infolgedessen nicht leben können! Jede Mineralölgesellschaft hat Tankstellen noch und noch und noch geschaffen. Sicher, die können jetzt mit Recht sagen: Die Tankstellenleute müssen höhere Provisionen haben als im Ausland, sonst können die Kerls nicht leben! Aber die Ursache ist, daß man so viele Tankstellen geschaffen hat, und die Ursache dafür ist das Ungleichgewicht auf dem Markt, die Tatsache des Oligopols, die auch Herr Westrick hervorgehoben hat.
Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß man in dieses Oligopol eingreifen muß mit den Möglichkeiten, die einem das Wettbewerbsgesetz gibt — oder geben sollte.
Herrn S c h l o ß darf ich sagen: wenn wir uns hier gerade an den Preisen aufgehängt haben, so sicherlich deshalb, weil man an den Preisen die ganze Geschichte am besten darstellen kann. Aber ich verkenne nicht, Herr Schloß — ich habe mich wirklich sehr lange und eingehend mit den Dingen beschäftigt, auch wenn ich von Haus aus nicht Mineralölverkäufer bin —, daß das ein sehr vielschichtiges Problem ist und sehr viele sachliche Fragen dahinter stehen. Das muß man einmal im Ausschuß behandeln; man kann ja auf diese ganzen Dinge nicht im Plenum eingehen. Wir werden einen Weg finden müssen, um die Mineralölfrage dem zuständigen Ausschuß, d. h. dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zuzuweisen. Vielleicht muß man dazu formell noch einen Antrag nachreichen.
Aber eins hat mich an der Antwort von Herrn Staatssekretär Westrick enttäuscht. Er hat gesagt: Wir hoffen erstens auf das Kartellgesetz, und zwei- tens werden wir unsere Gespräche fortsetzen. — Es ist also die Methode Coué: freundlich zureden, und dann werden sie schon! Also hoffentlich, ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Westrick! Wir werden ja in vier oder sechs Wochen diese Debatte wieder führen müssen, wenn es Ihnen bis dahin nicht gelungen sein sollte.
Zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Müller-Hermann möchte ich nicht sehr viel bemerken. Auch. er hat einige sachliche Einzelheiten mit Recht hervorgehoben. Ich würde glauben, daß auch sie im Ausschuß behandelt werden sollten. Es hat keinen Sinn, eine Detaildebatte hier im Plenum zu führen.
Aber eins fand ich nicht ganz nett und auch nicht ganz geschickt von Ihnen, Herr Müller-Hermann: wieso haben meine Ausführungen vorhin die Absicht gehabt, mir die Gunst der Mineralölkonzerne zu erhalten? Ich glaube gar nicht, daß Sie das im
Ernst gesagt haben. Glauben Sie wirklich, daß die Konzerne freudig erregt gewesen sind über die Ausführungen am Anfang dieser Diskussion? Das glaube ich wirklich nicht. Ich glaube vielmehr, sie waren doch peinlich berührt, oder ich hoffe das. Es geht hier nicht um die Gunst der Mineralölgesellschaften, es geht um den Respekt vor einer sachlich begründeten Meinung, den wir verlangen können. Denn ich habe das Gefühl, auch einschließlich des Herrn Schloß hat hier niemand gesprochen und es hat auch niemand Zwischenrufe gemacht, der etwa in der Tendenz gegenteiliger Ansicht gewesen wäre als die Fragesteller. Die Tendenz war in abgeschwächtem Grade bei Herrn Westrick und bei allen Rednern die gleiche wie bei den Fragestellern. Diese Tendenz ist bei dem einen sachlich etwas stärker nach dieser Richtung begründet, bei dem andern mehr nach jener Richtung. Im Ausschuß wird sich herausstellen, daß man über die sachlichen Fragen zu verhältnismäßig weitgehender Einmütigkeit in der Auffassung kommen kann. Aber die Tendenz insgesamt ist sachlich begründet. — Herr Schloß nickt mit dem Kopf, ich bin dafür dankbar. — Vor dieser sachlich begründeten Meinung des Parlaments, daß auf dem Mineralölsektor die Preise nicht in Ordnung sind und daß sie herunter müssen, erwarten wir Respekt. Und ich glaube, daß Sie mit dem Respekt allein nicht auskommen, sondern auch einen Knüppel hinter der Tür brauchen, Herr Westrick; schaffen Sie sich den Knüppel an!
Ich möchte nun aber noch eine Einzelbemerkung machen dürfen, Herr Schloß, zu Ihren Ausführungen, es liege kein Kartell vor. Zunächst einmal, soweit wir von unserer Seite Ausführungen gemacht haben, haben wir nur behauptet, es liege eine kartellähnliche Situation vor. Aber was ist denn z. B. die AEV, die jedes Jahr im vorhinein festsetzt, welche Raffinerie wieviel hunderttausend Tonnen durchsetzt und ob diese hunderttausend Tonnen aus Venezuela oder Nahost kommen? Ist das nicht etwas, was wirklich den Ausdruck „kartellähnliche Organisation" verdient? Sagen Sie bloß nicht, dás seien nachträgliche Feststellungen, die sich aus der statistischen Zusammentragung der Einzelentscheidungen der verschiedenen Raffinerien und Verkaufsgesellschaften ergäben! Das ist nur ein Beispiel für viele. Es lassen sich wirklich sehr viele Beispiele anführen. Ich glaube, es wäre besser, diese Debatte nicht zu vertiefen.
Ich möchte zum Schluß auch auf ein anderes Argument eingehen, das Herr Schloß gebracht hat. Er meinte, es sei doch unfair, nun eine einzelne Branche zu diskriminieren. Mir hat ferngelegen, diese Herren zu diskriminieren. Ich habe ausdrücklich gesagt, sie handeln im Rahmen der gegebenen Rechts- und Wirtschaftsordnung. Es kann sie niemand anklagen, gegen irgendein Gesetz zu verstoßen. Wenn wir das nicht wollen, was die Auswirkungen davon sind, müssen wir eben das Gesetz, die Rechtsordnung und die Wirtschaftsordnung ändern. Ich habe sie nicht diskriminiert. Aber ich wehre mich auch dagegen, daß Sie sagen, wir hätten eine einzelne Branche herausgenommen. Wir werden vielleicht demnächst eine andere Branche, die möglicherweise noch viel interessanter ist, was die Preise angeht, nämlich die Automobilbranche, unter die Lupe nehmen. Man
kann nicht alles auf einmal, man muß nach und nach der Katze den Schwanz in Scheiben abschneiden!