Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage Drucksache 1476 habe ich wie folgt zu beantworten:
Schon die Große Anfrage selbst stellt heraus, daß die materiellen und ideellen Werte der Fahrgastschiffahrt nicht bestritten werden können. Die Intensität, mit der ausländische Reedereien das Passagegeschäft betreiben, aufbauen und sogar neu aufnehmen, ist dafür eine Bestätigung. Im Nordatlantik z. B., auf der Hauptstraße des überseeischen Fahrgastverkehrs, boten im vergangenen Jahr 187 Schiffe unter den Flaggen Großbritanniens, Panamas, Italiens, der Niederlande, der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Norwegens, Liberias und Schwedens — ich habe die Länder nach der Größe ihrer Anteile aufgezählt — rund 56 500 Schiffsplätze mit einer Beförderungskapazität für etwa 1,3 Millionen Fahrgäste an. 135 Schiffe sind allerdings Frachtschiffe, die nur mit Einrichtungen für eine geringere Zahl von Passagieren ausgestattet sind. Aber 52 sind ausschließlich oder überwiegend Fahrgastschiffe, und davon sind 18 seit 1945 neu in Dienst gestellt worden.
Die Betriebsergebnisse der ausländischen Fahrgastreedereien sind natürlich nicht genau zu ermitteln. Wohl weisen die uns zugänglichen Bilan) zen gute Erfolge aus; jedoch bleibt meistens unbekannt, in welchem Umfange das Fahrgastgeschäft vom Frachtgeschäft mitgetragen oder vom Staat gefördert wird. Immerhin werden eine Reihe von Fahrgastschiffen, davon auch Neubauten, von Reedereien betrieben, die sich zweifellos weder auf staatliche Hilfe noch auf ein größeres Frachtgeschäft stützen können.
Nach Ansicht der Bundesregierung muß zwar der Nutzen einer deutschen Fahrgastschiffahrt im wesentlichen nach dem kommerziellen Erfolg des Passagegeschäfts selbst — auf den ich noch eingehen werde — beurteilt werden. Daneben sind jedoch die Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft zu überlegen. Die Werbekraft, die von großen Fahrgastschiffen erfahrungsgemäß ausgeht, schafft echte, vom Rechenstift allerdings schwer erfaßbare Aktivposten für die eigene Frachtschifffahrt, für die Werften, die Zulieferindustrie und für zahlreiche andere Wirtschaftszweige. Fahrgastschiffe, ihre Einrichtungen und die Betreuung der Passagiere repräsentieren in besonderem Maße die Leistungsfähigkeit des Landes, die Zuverlässigkeit und Qualität seiner Arbeit und legen nicht zuletzt Zeugnis ab von seiner Geisteshaltung und von seiner Kultur. Auch das innerdeutsche Verkehrsgewerbe würde aus einer Wiederaufnahme der deutschen Fahrgastschiffahrt unmittelbaren Nutzen ziehen. Vor allem wird von dem wachsenden Touristenverkehr aus Nordamerika ein größerer Anteil auf die Bundesrepublik entfallen, wenn Überfahrtmöglichkeiten auf deutschen Schiffen in stärkerem Maße nach deutschen Häfen geboten werden. Schließlich dürfen auch die Vorteile für die deutsche Devisenbilanz dabei nicht übersehen werden.
Die Bundesregierung ist deshalb von dem yolkswirtschaftlichen Wert einer deutschen Fahrgastschiffahrt überzeugt. Sie will es aber ebenso wie beim Wiederaufbau der Frachtschiffahrt der privaten Initiative überlassen, Pläne für den Bau moderner Passagierschiffe zu entwickeln und zu verfolgen; denn auch dieser Zweig des Schiffahrtsgeschäfts muß nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen betrieben werden. Die deutschen Reedereien haben vorerst starke Zurückhaltung geübt. Bisher hat nur eine Reederei ein Fahrgastschiff in ihren Dienst eingestellt; zwei weitere Reedereien haben die Bewirtschaftung je eines Schiffes übernommen. Im übrigen aber haben sich die Reeder darauf beschränkt, einen Teil ihrer Frachtschiffe mit Einrichtungen für Passagiere, im Höchstfall für 86, auszustatten, und mit diesen Konstruktionen allerdings internationale Anerkennung gefunden. Dabei muß berücksichtigt werden, daß dieses Verhältnis nicht ungebührlich ausgedehnt werden kann, weil das als Kombi-Schiff benutzte Schiff im wesentlichen ein Frachtschiff ist, dessen Größe und dessen Möglichkeiten schneller Ent-und Beladung naturgemäß die Aufnahme von Passagieren der Zahl nach beschränken.
Die Zurückhaltung der deutschen Reeder ist betriebswirtschaftlich durchaus begründet gewesen und war in der Aufbauperiode auch volkswirtschaftlich zu begrüßen. Nachdem die deutsche Handelsflotte fast völlig verlorengegangen war — wir besaßen ja 1939 4,2 Millionen BRT und hatten 1949 nur noch 248 000 BRT alten und ältesten kleinen Schiffsraums zur Verfügung —, mußte im Vordergrund aller Anstrengungen der Wiederaufbau der Frachtschiffahrt stehen. Dank der Unterstützung durch den Bundestag und die Bundesregierung hat die Gesamttonnage am 1. September 1955 die Zahl von 2 867 000 BRT wieder erreicht, und auf diesen Schiffen sind rund 36 000 Seeleute wieder beschäftigt. Wir können erwarten, daß dank der bereits genehmigten Finanzierungen Ende dieses Jahres die Grenze von 3 Millionen BRT überschritten wird und daß wir dank der inzwischen sichergestellten und im nächsten Haushaltsjahr hoffentlich noch sicherzustellenden Finanzierung beim Ende der Legislaturperiode mit Sicherheit die Grenze von 3,5 Millionen BRT überschritten haben werden.
Neuerdings haben sich nun zwei Reedereien entschlossen, den Bau je eines Fahrgastschiffes für den Nordatlantikdienst ins Auge zu fassen. Besprechungen mit den Werften haben dazu geführt, daß sich fünf Werften nunmehr mit den Entwürfen befassen. Wann solche Pläne verwirklicht werden können, hängt von zwei Voraussetzungen ab. Einmal müssen die Vorstellungen der Reeder konkrete technische Gestalt annehmen, und zum andern muß die Finanzierung der Bauten gesichert sein. Mit dem Abschluß der Entwurfsarbeiten ist gegen Ende dieses Jahres zu rechnen. Erst danach wird Klarheit über Größe, Geschwindigkeit, Fassungsvermögen, Ausstattung und Baukosten des besten Schiffstyps bestehen. Besonders große und auf hohe Geschwindigkeit ausgelegte Schiffe kommen nicht in Frage. Ein Schiff mit beispielsweise etwa 1450 Fahrgastplätzen und einer Größe von etwa 28 000 BRT wird mutmaßlich unter 80 bis 90 Millionen DM nicht zu erstellen sein. Unsere Reedereien haben ihre Kräfte in den vergangenen Jahren beim Wiederaufbau der Frachtschiffahrt durch Einsatz aller verfügbaren Eigenmittel und
durch Übernahme hoher Fremdverbindlichkeiten aufs äußerste angespannt. Sie konnten auch bisher mit einem Schiffsraum, der im Vergleich zu der Vorkriegstonnage noch gering ist, nicht die für den Bau kostspieliger Fahrgastschiffe notwendigen Eigenmittel erwirtschaften. Wie sich die Finanzierung solcher Fahrgastschiffe also ermöglichen lassen wird, muß allerdings noch geklärt werden.
Die Chancen einer deutschen Fahrgastschiffahrt hat das Bundesministerium für Verkehr zunächst für den Nordatlantik untersucht, weil hier die deutschen Reeder ohne Frage den Einsatz neuer Fahrgastschiffe am ehesten wagen könnten. Dabei waren Vergleiche mit der deutschen Passagierschiffahrt in der Vergangenheit nicht möglich. Gegenüber der Zeit vor 1914 haben sich die Verhältnisse so grundlegend geändert, daß aus den damaligen Erfahrungen heute keine Schlüsse mehr gezogen werden können. In den 20 Jahren zwischen den beiden Weltkriegen wiederum waren die Erfolge der deutschen Fahrgastreedereien, von einer kurzen Blütezeit abgesehen, durch die Weltwirtschaftskrise zunächst und nach 1933 durch negative politische Reaktionen beeinträchtigt. Anhaltspunkte für eine Beurteilung der Situation konnten daher nur aus den letzten Jahren gewonnen werden. Diese Entwicklung aber ist durchaus ermutigend.
Umfassende Untersuchungen des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs und des Bremer Instituts für Schiffahrtsforschung ergeben folgendes Bild: 1948 überquerten den Nordatlantik — in beiden Richtungen — insgesamt 754 000 Passagiere. Davon wählten 500 000 oder 66,5 % den Seeweg. Während der folgenden Jahre ist der Gesamtverkehr in gleichmäßiger Kurve gestiegen und hat sich im Jahre 1954 mit rund 1,5 Millionen Überquerungen gegenüber 1948 bereits verdoppelt; dabei entfielen 1954 rund 940 000 oder 62 % auf die Schiffahrt. Innerhalb von sechs Jahren hat der Seeverkehr demnach um rund 87 %, der Luftverkehr um rund 129 % zugenommen. Das Flugzeug hat von der Verkehrssteigerung einen relativ höheren Anteil an sich ziehen können als das Passagierschiff. Die absolut größere Zunahme — und zwar gegenüber 1948 rund 440 000 Passagiere — hat aber der Seeverkehr aufzuweisen. Die Zahlen über die Ausnutzung der Beförderungskapazität im Seeverkehr sind ebenso günstig. Während 1938 die rund 1,4 Millionen Passagemöglichkeiten nur zu etwa 45 % belegt waren, überstieg seit 1947 die Auslastung stets 70 %. Das Flugzeug hat also — jedenfalls im Nordatlantik — das Schiff keineswegs verdrängt, sondern offensichtlich neuen Verkehrsbedarf geweckt. Schiff und Flugzeug konkurrieren offenbar nur bei einem Teil der Fahrgäste miteinander; im übrigen ergänzen sie sich, indem sie verschiedene Verkehrsbedürfnisse befriedigen.
Nach Auffassung der Bundesregierung berechtigt die bisherige Entwicklung zu der Annahme, daß bei Fortbestand der derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen in der Welt die Verkehrsströme zwischen Europa und Nordamerika sich noch verstärken werden und daß die Fahrgastschiffahrt trotz weiteren technischen Fortschritts im Luftverkehr sich ihr Publikum erhalten wird. Nach vorsichtiger Schätzung ist für die nächsten Jahre mit einer durchschnittlichen Kapazitätsausnutzung der Passagierschiffe von weiterhin 70 bis 75 % zu rechnen. Die Bundesregierung bezweifelt nicht, daß eine deutsche Passagierschiffahrt mit geeigneter Tonnage und ihrer bekannt guten Fahrgastbetreuung den mittleren Belegungsgrad der jetzt fahrenden ausländischen Schiffe mindestens erreichen würde.
Die unmittelbaren kommerziellen Ergebnisse deutscher Fahrgastschiffe können nur mit Vorsicht und unter Vorbehalten vorausgeschätzt werden. Für die Berechnung der Kapitalkosten fehlen vorläufig die beiden wichtigsten Größen, nämlich der genaue Baupreis sowie die Höhe und die Bedingungen der notwendigen Fremdmittel. Betriebskosten und Einnahmen andererseits werden von Faktoren bestimmt, deren Entwicklung sich nicht über einen längeren Zeitraum voraussehen läßt. Berechnungen der erwähnten Reedereien kommen jedoch zu dem Ergebnis, daß die geplanten Schiffe bei einer Kapazitätsausnutzung von etwa 70 % nicht nur die Betriebskosten einfahren, sondern auch die Mittel für den Schuldendienst erwirtschaften könnten.
Was schließlich die letzte Frage nach den Auswirkungen auf unsere Werften anlangt, so steht es außer Zwiefel, daß gelungene große Fahrgastschiffe die höchste Schiffbaukunst verkörpern und deshalb in hervorragender Weise für die Bauwerft werben. Die deutschen Werften sind auf solche zusätzlichen Exportimpulse erfreulicherweise zur Zeit nicht unbedingt angewiesen. Am 1. September 1955 hatten sie Bauverträge über insgesamt rund 1,9 Millionen BRT, davon 60 bis 70 % für das Ausland, abgeschlossen. Dieser Auftragsbestand sichert den meisten, vor allem aber den großen Werften, die für den Bau großer Fahrgastschiffe in Betracht kommen, Vollbeschäftigung bis weit in das Jahr 1957 hinein. Werftmäßige Gesichtspunkte können daher bei den hier anstehenden Entscheidungen zurückgestellt werden.