Rede von
Dr.
Fritz
Baade
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vor Ihnen ein ungewöhnlich bescheidenes Anliegen meiner Fraktion zu vertreten, in den § 1 dieses Gesetzes ein einziges Wort einzufügen. In den Katalog der Mittel, die eingesetzt werden sollen, um die Landwirtschaft zu erhalten, soll das Wort „Finanzpolitik" eingefügt werden. Ich muß allerdings gleich sagen, es ist ein Wort, das es in sich hat. Wir glauben, daß, wenn etwa in Zukunft unter den Maßnahmen für die Verbesserung der Lage der Landwirtschaft den Maßnahmen der Finanzpolitik nicht das nötige Gewicht gegeben werden sollte, das ganze Gesetz ein mehr oder weniger platonisches Bekenntnis zur Rettung der Landwirtschaft sein wird.
Die Aufgabe, Ihnen hier darzulegen, warum Maßnahmen der Finanzpolitik zur Erreichung der Ziele dieses Gesetzes so lebenswichtig sind, wird mir ungeheuer erleichtert durch die Tatsache, daß alle, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, im Laufe des letzten Jahres sehr viel hinzugelernt haben. Ich glaubte bisher jedenfalls, wir hätten alle etwas gelernt. Die Ausführungen des Herrn Kollegen Fassbender haben mir eben einen kleinen Zweifel gegeben, ob wir wirklich alle die Haupttatbestände gelernt haben.
Ich war bisher der Meinung, wir hätten alle im Verlauf der sehr intensiven Arbeiten des eingesetzten gemeinschaftlichen Unterausschusses des Ausschusses für Wirtschaftspolitik und des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie durch die sehr nützlichen Besprechungen, die wir mit Sachverständigen gehabt haben, eins gelernt, nämlich daß es keine Möglichkeit gibt, mit irgendeinem Nutzen für die deutsche Landwirtschaft in die deutsche Volkswirtschaft einen Preisindexautomaten einzubauen. Das habe ich als eins der Hauptergebnisse dieser mühevollen Arbeiten begrüßt. In der Tatsache, daß das Wort „Parität" auch im Titel des Gesetzes nicht mehr erscheint, habe ich den Beweis dafür gesehen, daß wir uns alle von dieser Wahrheit überzeugt hätten.
Ich glaube, auch Herr Fassbender wird, wenn er sich ernstlich mit der Frage auseinandersetzt, nicht bestreiten können, daß die Mittel der Preispolitik nur einen bescheidenen Beitrag zur Lösung der großen Probleme leisten können, vor denen wir stehen.
Eins ist vor allem klar — die gesamte Wissenschaft ist sich darüber einig, und ich glaube, auch die leitenden verantwortlichen Männer im Deutschen Bauernverband sind sich dessen bewußt —: Wir könnten sehr wohl diesen Preisindex-Paritätsautomaten konstruieren; es gibt eine solche Maschine, und wir kennen sie aus der deutschen Geschichte sehr gut; sie hat den schlichten Namen Notenpresse. Wenn man genügend Geld druckt, um alle Preise in dem Maße zu erhöhen, wie die Löhne in irgendeinem Wirtschaftszweig, z. B. in der Landwirtschaft, steigen, kann man selbstverständlich diese Parität erreichen. Aber dazu muß man eine Inflation in Kauf nehmen. Wer dazu ernstlich bereit ist, der soll beantragen, daß die Verfügung über die Notenpresse der Bank deutscher Länder entzogen wird und daß die Notenpresse in Bonn in der Koblenzer Straße aufgestellt wird, um sie zur Herstellung der Parität beliebig in Betrieb setzen' zu können. Aber, meine Damen und Herren, das wollen auch die verantwortlichen Männer im Bauernverband nicht, und darin sehe ich die erste große Erkenntnis, die diese Debatten gebracht haben.
Die Debatten haben die weitere Erkenntnis gebracht, daß nicht nur ein Preisindex-Paritätsautomat eine Katastrophe für die deutsche Volkswirtschaft sein würde, sondern auch ein Ertrag-Aufwandsindex-Automat. Auch dieser Automatismus ist von uns allen auf Grund der eingehenden und sicherlich für uns alle sehr belehrenden Diskussionen untereinander und mit den Sachverständigen einstimmig abgelehnt worden.
Zweitens haben wir eine andere Grundtatsache erkennen gelernt — insbesondere vielleicht manche unserer Kollegen, die aus dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu uns gekommen sind —, die Tatsache nämlich, daß es sich bei dem, was hinter den Paritätsforderungen der Landwirtschaft steht, um ein echtes und sehr ernsthaftes Anliegen handelt und daß hier ein wirkliches Problem vorliegt. Das hat auch der Wissenschaftliche Beirat des Ernährungsministeriums ausgesprochen, indem er formulierte: „Der Beirat ist überzeugt, daß für die Entwicklung des Anteils der Landwirtschaft in einer wohlhabender werdenden Industrie-Agrarwirtschaft sehr ernste Probleme vorliegen." Das sehr ernste Problem, mit dem wir uns hier auseinandersetzen müssen, besteht darin, wie den arbeitenden Menschen, die unsere Nahrungsmittel erzeugen, in einer ständig wohlhabender werdenden Volkswirtschaft ein angemessener Anteil an diesem Wohlstandszuwachs gesichert werden kann. Dieses Problem ist nach meiner Auffassung und nach der Auffassung meiner politischen Freunde nur mit den Mitteln der Preispolitik, allein mit den Mitteln der Kreditpolitik, allein mit den Mitteln der Handels- und der Steuerpolitik nicht zu lösen. Es ist nur zu läsen, wenn auch mit den Mitteln der Finanzpolitik gearbeitet wird, d. h. wenn zwischen dem verhältnismäßig weniger ertraglichen Teil unserer Volkswirtschaft — das sind große Teile unserer Landwirtschaft — und den leistungsfähigeren Teilen unserer Volkswirtschaft, insbesondere der Industriewirtschaft ein Lastenausgleich durchgeführt wird.
Um das zu begründen, meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz kurz sagen, weshalb es für die Landwirtschaft in einer wohlhabender werdenden Volkswirtschaft so große Probleme gibt. Das Bruttoeinkommen der Landwirtschaft ist in allen modernen Volkswirtschaften und insbesondere in den Agrar-Industriewirtschaften völlig mit dem Einkommen der Verbraucher gekoppelt. Jede Mark, die der Bauer einnimmt, ist einmal aus dem Portemonnaie der Hausfrau gekommen. Nach Abzug dessen, was auf den Zwischenstationen zwischen Erzeuger und Verbraucher hängenbleibt und zum großen Teil hängenbleiben muß, kommt aus dem Verbrauchereinkommen als Restposten das landwirtschaftliche Bruttoeinkommen heraus.
Ich habe schon vor 23 Jahren, im Jahre 1932, die erste Schrift in Deutschland über die Zusammenhänge von Verbrauchereinkommen und Landwirtschaft geschrieben und habe damals vorausgesagt, daß dieser Zusammenhang immer enger werden würde; die Entwicklung in diesen 23 Jahren hat das vollkommen bestätigt, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern.
In Amerika weiß man über die Enge dieses Zusammenhangs mehr als in Deutschland. Ungefähr in der gleichen Zeit, in der ich diese Schrift schrieb, hat der damalige amtierende amerikanische Landwirtschaftsminister gesagt, was ich mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier verlesen darf:
Für die Landwirtschaft besteht die wirkliche Hoffnung, aus dem einheimischen Markt das beste zu machen, nicht darin, daß man ein paar Importe abschneidet, sondern darin, daß man die Kaufkraft der städtischen Verbraucher aufbaut.
Die Landwirtschaft profitiert von steigender industrieller Tätigkeit und von den Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, Kaufkraft in die Hände der großen Mengen von Menschen zu bringen, die bisher ihrer ermangelten. Das ist das große Interesse der Landwirtschaft am Volkswohlstand.
Das, was der amerikanische Landwirtschaftsminister Henry Wallace vor mehr als 20 Jahren geschrieben hat, könnte auch als Devise über unserer heutigen Diskussion stehen, und der heute amtierende Landwirtschaftsminister der Bundesrepublik wird dieser These sicher in vollem Umfang zustimmen.
Die Jahre nach der Währungsreform haben uns eine volle Bestätigung dieser These gebracht. Das Verkaufsprodukt der Landwirtschaft hat im ersten Jahr nach der Währungsreform nur 6,5 Milliarden Mark betragen. Es ist bis zum Jahre 1953/54 auf 13,3 Milliarden Mark gestiegen. Diese Steigerung um mehr als 6 Milliarden Mark ist die Hauptursache dafür, daß es der Landwirtschaft wenigstens so geht, wie es ihr heute geht. Diese Steigerung wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht das Bruttosozialprodukt in Deutschland in derselben Zeit von 74 Milliarden Mark auf fast 140 Milliarden Mark gestiegen wäre. Nur die Steigerung dieses Bruttosozialproduktes, d. h. die Steigerung der
Produktivität der Arbeit in allen Zweigen der deutschen Volkswirtschaft, auch außerhalb der Landwirtschaft, hat es ermöglicht, daß der Landwirtschaft die gesteigerte Marktproduktion, die natürlich die Basis war, zu einigermaßen erträglichen Preisen abgenommen werden konnte und daß das Bruttoeinkommen der deutschen Landwirtschaft sich in dieser Periode um über 6 Milliarden Mark steigern konnte.
Aber nun, meine Damen und Herren, kommt der Pferdefuß. Der gleiche Prozeß, der in einer wohlhabender werdenden Volkswirtschaft die alleinige Quelle für eine Steigerung des Bruttoeinkommens der Landwirtschaft darstellt, nämlich die Steigerung des Verbrauchereinkommens außerhalb der Landwirtschaft, insbesondere die Steigerung der Lohnsummen in allen Wirtschaftszweigen außerhalb der Landwirtschaft, wirft schwere Probleme auf für das landwirtschaftliche Nettoeinkommen. Denn es ist klar, daß steigende Industrielöhne einen Sog auf das Lohnniveau in der Landwirtschaft ausüben müssen. Steigende Industrielöhne schaffen ein Problem für die bezahlten Landarbeiter, d. h. für die Löhne, die in Geld an andere ausgezahlt werden müssen. Aber die steigenden Industriearbeiterlöhne schaffen auch ein großes Problem für die landwirtschaftlichen Familien, die nur mit eigenen Familienarbeitskräften arbeiten. Denn auch die mitarbeitenden Familienangehörigen und sogar der Bauer selbst sind auf die Dauer nicht bereit, als Besitzende zu einem Reallohn zu arbeiten, der niedriger ist als der Reallohn eines besitzlosen Industriearbeiters. Das ist das eigentliche Problem, vor dem wir mit der Paritätsfrage stehen.
Hier darf man sich einer Erkenntnis nicht verschließen; denn es wäre ein Kampf gegen das Einmaleins, wenn wir diese Tatsache leugnen wollten. Die Erkenntnis heißt schlicht und klar: Wenn in allen Wirtschaftsbereichen außerhalb der Landwirtschaft die Produktivität der Arbeit steigt, wenn sie sich etwa gar verdoppelt — und sie hat sich seit 1948 in Deutschland verdoppelt —, dann muß die Produktivität auch des arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft entsprechend steigen oder, ich will es präziser sagen, entsprechend gehoben werden, wenn wir nicht unter die Guillotine der Disparität kommen wollen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Alle in diesem Katalog aufgezählten Maßnahmen sind auf lange Sicht nur wirksam, wenn sie entscheidend dazu beitragen, die Produktivität des arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft zu heben, und das kostet Geld. Das kostet viel mehr Geld, als wir uns bisher träumen ließen.
Als Herr Minister Lübke den Lübke-Plan veröffentlichte, da geschah das aus der Erkenntnis heraus, daß auf die deutsche Volkswirtschaft und die deutsche Landwirtschaft die Probleme zukommen, die sich aus der europäischen Integration erheben. Er hat vorgeschlagen, Summen für die Strukturverbesserung der deutschen Landwirtschaft auszugeben, die weit über das hinausgehen, was sein Kollege, der Bundesfinanzminister, zunächst für erträglich hielt. Jetzt fangen wir an, zu begreifen — und ich bekenne ganz offen, daß ich es in vollem Umfange erst bei den Arbeiten im Paritätsausschuß begriffen habe —, wieviel größer die Probleme sind, die auf uns zukommen aus diesem Zusammenhang heraus, den ich Ihnen eben darzulegen versucht habe, nämlich aus den Problemen, die sich in jeder modernen Industriewirtschaft durch den bloßen Tatbestand des Wohlhabenderwerdens ergeben. Die Landwirtschaft erringt aus eigener Kraft in einer modernen Industrie-Agrarwirtschaft noch keinen angemessenen Anteil an diesem Wohlhabenderwerden. In allen modernen Volkswirtschaften müssen Maßnahmen der Agrarpolitik, der Steuerpolitik und insbesondere auch der Finanzpolitik hinzukommen, um der Landwirtschaft einen angemessenen Anteil an diesem Wohlhabenderwerden zu ermöglichen. Ich will die Maßnahmen, die hier notwendig sind, im einzelnen nicht aufzählen; denn wir besprechen hier nicht die Frage, ob eine bestimmte Maßnahme ergriffen werden soll, sondern nur die ganz simple Frage, ob auf die Wichtigkeit von Maßnahmen auf einem bestimmten Gebiet, nämlich auf dem Gebiet der Finanzpolitik, vorsorglich in dem Katalog der Mittel, die wir im § 1 aufzählen, hingewiesen werden soll. Infolgedessen will ich über die Mittel im einzelnen nicht sprechen.
Aber ich hoffe, daß meine Freunde aus dem landwirtschaftlichen Lager und auch die Volkswirte in allen Parteien mit mir völlig übereinstimmen, wenn ich sage, daß die Größenordnung der Mittel, die für die strukturelle Verbesserung der deutschen Landwirtschaft notwendig sind, um es möglich zu machen, daß die Produktivität des arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft auch nur annähernd so steigt, wie die Produktivität des arbeitenden Menschen außerhalb der Landwirtschaft steigt, steigen wird und steigen muß, ein Mehrfaches von dem beträgt, was der Herr Bundesfinanzminister bisher auch nur von ferne in Erwägung gezogen hat. Denn, meine Damen und Herren, denken Sie bitte einmal an folgen le Zahlenreihen: Das deutsche Bruttosozialprodukt ist in den letzten sechs Jahren etwa auf das Doppelte gestiegen. Es wird — nicht in den nächsten zehn Jahren, aber vielleicht in den nächsten fünfzehn Jahren — um weitere — nicht 100%, ich w ill bescheiden sein —50 % steigen. Die deutsche Volkswirtschaft kann nur leben, wenn sie eine ständig wohlhabender werdende, eine dynamische Volkswirtschaft ist. Nun rechnen Sie sich einmal aus, welches die Konsequenzen für das Bruttoeinkommen der deutschen Landwirtschaft und für das Nettoeinkommen des arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft sein werden, wenn im Laufe der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre das deutsche Bruttosozialprodukt und damit das Lohnniveau außerhalb der Landwirtschaft noch einmal um 50 v. H. steigt. Wenn Sie das tun, werden Sie einen Begriff davon erhalten, wie begrenzt die Wirkungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Handelspolitik, der Steuerpolitik und auch der Kreditpolitik sind, so wichtig sie sind. Und dann werden Sie begreifen, daß der große Marshall-plan der deutschen Volkswirtschaft für die deutsche Landwirtschaft erst noch kommen muß.
Ich befinde mich hier in voller Übereinstimmung mit dem, was der Deutsche Bauernverband selber fordert. Es ist am 9. Juni ein sehr illustrativer Artikel in der „Deutschen Bauernzeitung" erschienen, in dem dargelegt wurde, daß wir in der deutschen Wirtschaft durch die Investitionshilfe für die Grundstoffindustrien einen Betrag von mehr als 1 Milliarde DM aus anderen Bereichen mobilisiert haben, um ihn dort einzusetzen, wo es im Interesse einer ausgewogenen Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft damals besonders dringend wünschenswert war, nämlich in den Grundstoffindustrien, und daß diese Bluttransfusion aus einem Teil der deutschen Wirtschaft in einen anderen Teil
der deutschen Wirtschaft einen guten Erfolg gehabt hat. Dort sei sie jetzt nicht mehr notwendig. Jetzt sei der mit Blut unterversorgte Teil des deutschen Volkskörpers, der die Transfusion am nötigsten hat, die deutsche Landwirtschaft. Naheliegenderweise hat die „Deutsche Bauernzeitung" daran erinnert, daß wir über das Marshallplan-Sondervermögen von über 6 Milliarden DM verfügen, aus dem heute jährliche Rückflüsse von etwa 450 Millionen DM eingehen. Es ist in der „Deutschen Bauernzeitung" vorgeschlagen worden, dem Kaufkrafttransferbedürfnis der deutschen Landwirtschaft zunächst einmal dadurch Rechnung zu tragen, daß diese Rückflüsse mit einer ersten Hypothek von 250 Millionen DM zugunsten des dringenden Strukturverbesserungsbedarfs der deutschen Landwirtschaft belastet werden.
Meine Damen und Herren, gegen diesen Gedankengang der „Deutschen Bauernzeitung" habe ich gar nichts einzuwenden, gegen die Größenordnung aber ganz Erhebliches. Je mehr ich mich mit diesem Problem beschäftige, je mehr ich versuche, unser Nationalbudget für das nächste Jahrzehnt durchzurechnen — das ist eine Aufgabe, die heute keine müßige Spekulation mehr ist, sondern die in allen entwickelten Volkswirtschaften von Amerika über England bis zu den skandinavischen Ländern durch eine große Anzahl von Wissenschaftlern durchgeführt wird —, desto mehr wird mir klar, daß die Größenordnung der Mittel, die aus den wohlhabenderen und mehrverdienenden Teilen der deutschen Volkswirtschaft mit den Mitteln der Finanzpolitik in die deutsche Landwirtschaft transferiert werden müssen, um sie in den Stand zu setzen, ihre großen Aufgaben im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft zu erfüllen, weit über alles das hinausgeht, was wir uns bisher gedacht haben. Sie liegt bestimmt weit oberhalb einer Milliarde. Ich würde bei mir im stillen Kämmerlein dieser Summe von 250 Millionen, die die „Bauernzeitung" genannt hat, leicht eine Null anhängen mögen, mindestens für eine begrenzte Anzahl von Jahren, damit das erreicht werden kann, was hier nötig ist.
Nun, meine Herren aus dem Lager der Regierungsparteien, ein persönlicher Appell: Vermischen Sie doch diese Dinge nicht mit solchen gefühlsbeladenen Erwägungen und Ressentiments, als ob man der deutschen Landwirtschaft eine Schande antäte, wenn man anerkennt, daß sie nicht aus eigener Kraft jene Produktivitätssteigerung finanzieren und auf die Beine stellen kann, die nicht nur im Interesse der deutschen Landwirtschaft, sondern insbesondere im Interesse der deutschen Volkswirtschaft notwendig ist. Das ist in allen modernen Industrie-Agrarländern eine Tatsache. Das empfinden die amerikanischen Farmer ebensowenig als Schande wie die Farmer und Landwirte in England, in Schweden, in Holland und in anderen Ländern. Das ist infolgedessen auch ein Grundtatbestand der wohlhabender werdenden deutschen Volkswirtschaft.
Für die Amerikaner war es nicht nur eine Aktion der Mildtätigkeit, einen Marshallplan durchzuführen und in den Marshallplan auch Deutschland aufzunehmen, sondern eine Aktion, die sich auch für sie gelohnt hat. Ebenso ist es für die inzwischen mit amerikanischer Hilfe erfolgreich und wohlhabender gewordene deutsche Volkswirtschaft nicht ein Akt des Almosengebens, sondern ein Akt des wohlverstandenen Eigeninteresses, der Landwirtschaft auf dem Wege auch über finanzpolitische Mittel diejenigen Beträge zukommen zu lassen, die sie nicht in allen Fällen verzinsen kann, die sie braucht, um die Produktivität in der Nahrungsmittelproduktion in demselben Maße zu steigern, wie die Produktivität in der gesamten deutschen Volkswirtschaft steigt und steigen muß. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie für unseren Antrag bezüglich der Wiedereinsetzung des Wortes „Finanzpolitik" in den Katalog der Mittel.
Ich habe Ihnen eben gesagt, daß ich schon in einem sehr frühen Stadium auf einigen Gebieten zu prophezeien gewagt habe. Ich bin auf manchen Wissenschaftsgebieten ein unverbesserlicher Prophet. Ich habe dazu beitragen dürfen, die Voraussage der Schweinepreise am Ende der 20er Jahre auf eine solide Basis zu stellen mit den vier Schweinezählungen pro Jahr, die wir heute haben, und mit der Aufklärung der Landwirtschaft durch die Schweinefibel. Ich habe im Jahre 1932 zu prophezeien gewagt, daß das landwirtschaftliche Einkommen in immer stärkere Abhängigkeit vom Verbrauchereinkommen gelangen wird; diese Prophezeiung hat sich bewahrheitet. Ich wage zu prophezeien, daß sich in den hoffentlich recht langen Jahren der Geltungsdauer dieses Gesetzes die Notwendigkeit des großzügigen Einsatzes auch finanzpolitischer Mittel — Herr Fassbender, ich betone das Wort „auch": auch finanzpolitischer Mittel! — immer klarer herausstellen wird, und Sie werden sich dann freuen, wenn Sie heute mit uns gestimmt haben.