Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Vertretung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen, der durch eine dienstliche Pflicht noch in Straßburg zurückgehalten ist, darf ich zunächst die von dem Herrn Bundeskanzler am 29. März 1955 unterzeichnete Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die allgemeinen Rechte der dänischen Minderheit verlesen:
Erklärung der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland
In dem Wunsche, das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung beiderseits der deutsch-dänischen Grenze und damit auch die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark allgemein zu fördern, und
eingedenk der völkerrechtlichen Verpflichtung, welche die Bundesrepublik durch ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Konvention für Menschenrechte hinsichtlich der Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung nationaler Minderheiten übernommen hat,
*) Siehe Anlage 15 zum Stenographischen Bericht der 58. Sitzung.
**) Schriftlicher Bericht: Anlage 2.
erklärt die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Grundsätze, auf welche die Schleswig-Holsteinische Landesregierung in ihrer Erklärung vom 26. September 1949 Bezug genommen hat, folgendes:
Die Angehörigen der Minderheit genießen wie alle Staatsbürger die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 garantierten Rechte. Insbesondere haben sie im Rahmen des Grundgesetzes folgende Rechte:
1. Das Recht auf die Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit,
2. die Gleichheit vor dem Gesetz,
3. die Glaubens- und Gewissensfreiheit,
4. das Recht der freien Meinungsäußerung und die Pressefreiheit,
5. die Versammlungs- und Vereinsfreiheit,
6. das Recht, den Beruf und den Arbeitsplatz frei zu wählen,
7. die Unverletzlichkeit der Wohnung,
8. die freie Gründung der politischen Parteien,
9. den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung; bei den Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes darf zwischen Angehörigen der dänischen Minderheit und anderen Staatsbürgern kein Unterschied gemacht werden,
10. das allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlrecht, das auch für die Landes-und Kommunalwahlen gilt,
11. das Recht, bei Verletzung von Rechten durch die öffentliche Gewalt den Schutz der Gerichte anzurufen,
12. das Recht auf gleiche Behandlung, nach dem niemand wegen seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Herkunft oder seiner politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
II.
In Ausführung dieser Rechtsgrundsätze wird hiermit festgestellt:
1. Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden.
2. Angehörige der dänischen Minderheit und ihre Organisationen dürfen am Gebrauch der gewünschten Sprache in Wort und Schrift nicht behindert werden.
Der Gebrauch der dänischen Sprache vor den Gerichten und Verwaltungsbehörden bestimmt sich nach den diesbezüglichen gesetzlichen Vorschriften.
3. Bei Unterstützungen und sonstigen Leistungen aus öffentlichen Mitteln, über die im Rahmen des Ermessens entschieden wird, dürfen Angehörige der dänischen Minderheit gegenüber anderen Staatsbürgern nicht unterschiedlich behandelt werden.
4. Das besondere Interesse der dänischen Minderheit, ihre religiösen, kulturellen und fachlichen Verbindungen mit Dänemark zu pflegen, wird anerkannt.
III.
Die Bundesregierung gibt zur Kenntis, daß die Landesregierung Schleswig-Holstein ihr mitgeteilt hat:
1. Da das Verhältniswahlverfahren gemäß der Kommunalgesetzgebung bei der Einsetzung von Ausschüssen in den kommunalen Vertretungskörperschaften Anwendung findet, werden die Vertreter der dänischen Minderheit zur Ausschußarbeit im Verhältnis zu ihrer Anzahl herangezogen.
2. Die Landesregierung empfiehlt, daß die dänische Minderheit im Rahmen der jeweils geltenden Regeln für die Benutzung des Rundfunks angemessen berücksichtigt wird.
3. Bei öffentlichen Bekanntmachungen sollen die Zeitungen der dänischen Minderheit angemessen berücksichtigt werden.
4. Im Lande Schleswig-Holstein können allgemeinbildende Schulen und Volkshochschulen sowie Kindergärten von der dänischen Minderheit nach Maßgabe der Gesetze errichtet werden. In Schulen mit dänischer Unterrichtssprache ist ein zureichender Unterricht in deutscher Sprache zu erteilen. Eltern und Erziehungsberechtigte können frei entscheiden, ob ihre Kinder Schulen mit dänischer Unterrichtssprache besuchen sollen.
Bonn, den 29. März 1955
So weit die Erklärung der Bundesregierung.
Am selben Tage, an dem der Herr Bundeskanzler diese Erklärung unterzeichnet hat, ist auch von der Königlich Dänischen Regierung eine im wesentlichen gleichlautende Erklärung über die Rechte der deutschen Minderheit von Herrn Staatsminister Hansen anläßlich seines Besuches in Bonn unterzeichnet warden. Das Ergebnis der deutsch-dänischen Minderheitenverhandlungen ist in den Tagen des dänischen Staatsbesuchs ausführlich in der Presse und auch im Rundfunk wiedergegeben worden.
Die von der deutschen Delegation empfohlene Erklärung der Landesregierung Schleswig-Holstein ist bereits am 31. März 1955 von der Landesregierung dem Schleswig-Holsteinischen Landtag vorgelegt und von diesem einstimmig gebilligt worden.
Das dänische Parlament hat die Erklärung der dänischen Regierung über die Rechte der deutschem Minderheit am 19. April 1955 mit großer Mehrheit ebenfalls gebilligt.
Ich möchte Ihnen weiter, meine Damen und Herren, einen kurzen Überblick über die Vorgeschichte und den Verlauf der Besprechungen geben und in einigen Sätzen auf den Inhalt der getroffenen Regelungeneingehen.
Der Bundestag hatte sich bereits in seiner 58. und 60. Sitzung mit Fragen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein und der deutschen Minderheit in Nordschleswig anläßlich der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Drucksache 904 betreffend nationales Minderheitenrecht befaßt. In der 60. Sitzung vom 10. Dezember 1954 wurde der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP, die Bundesregierung möge umgehend Verhandlungen mit dem Königreich Dänemark aufnehmen mit dem Ziel, durch einen Minderheitenvertrag oder eine andere zwischenstaatliche Regelung den Anliegen beider
Minderheiten auf der Basis der Gegenseitigkeit großzügig Rechnung zutragen, an die Ausschüsse verwiesen.
Die Diskussion im Bundestag war durch das Ergebnis der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein vom 13. September 1954 ausgelöst worden. Hierbei hatte der Südschleswigsche Wählerverband der dänischen Minderheit 42 000 Stimmen — das sind 3,6 % der insgesamt abgegebenen Stimmen — erhalten. Infolge der 5 %-Klausel des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes gelang es der dänischen Minderheit nicht, wie bisher eine Vertretung in den Landtag zu entsenden.
In Dänemark wurde diese Wirkung der schleswig-holsteinischen 5 %-Klausel als sehr unbefriedigend empfunden. Man wies darauf hin, daß die 'deutsche Minderheit in Nordschleswig mit nur 9700 Stimmen durch einen Abgeordneten im dänischen Parlament vertreten sei. Ich darf darin erinnern, daß Herr Staatsminister Hansen auf Grund eines Beschlusses des dänischen Folketings die dänischen Gesichtspunkte in der Frage der dänischen Minderheit am 20. Oktober 1954 auf der NATO-Ratstagung in Paris zur Sprache brachte und anschließend mit dem Herrn Bundeskanzler darüber ein Gespräch führte.
Herr Ministerpräsident von Hassel trat daraufhin in seiner Regierungserklärung vor dem Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 8. November 1954 für den Abschluß eines deutsch-dänischen Minderheitenabkommens ein. Aus offiziellen Verlautbarungen der dänischen Regierung ging jedoch hervor, daß man in Dänemark dem Vorschlag ides Abschlusses eines Minderheitenvertrages mit der Bundesregierung .ablehnend gegenüberstand.
Erfreulicherweise ließ aber die dänische Regierung im Januar dieses Jahres erkennen, daß sie eine Initiative der Bundesregierung, in zwischenstaatliche Besprechungen über die Minderheitenfragen einzutreten, begrüßen würde. Daraufhin machte die Bundesregierung im vollen Einvernehmen mit der Landesregierung Schleswig-Holstein der dänischen Regierung Anfang Februar den Vorschlag, die beiderseitigen Minderheitenprobleme mündlich zu erörtern mit dem Ziele, die Rechte der Minderheiten in noch zu vereinbarender Weise festzulegen.
Dies führte zu den Ihnen bekannten Besprechungen einer deutschen und einer dänischen Regierungsdelegation unter Beteiligung der Landesregierung Schleswig-Holstein in der Zeit vom 28. Februar bis 5. März 1955 in Kopenhagen, die am 29. März anläßlich des dänischen Staatsbesuches erfolgreich zum Abschluß gebracht wurden.
Zu diesem Erfolg hat die verständnisvolle Haltung der Landesregierung von Schleswig-Holstein wesentlich beigetragen. Herr Ministerpräsident von Hassel hat die Bundesregierung in ihren Bemühungen, zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen, sehr wirksam unterstützt.
Es ist ,der Bundesregierung eine besondere Freude und Genugtuung, noch einmal feststellen zu können, daß diese Gespräche in einer Atmosphäre des ,gegenseitigen Verständnisses und guten Willens 'stattgefunden haben.
Die große Bedeutung, die diesen Verhandlungen sowohl von deutscher wie von dänischer Seite beigemessen wurde, fand unter anderem darin ihren besonderen Ausdruck, daß der Herr dänische Ministerpräsident Hansen zum Abschluß der Bespre-
chungen und zur Unterzeichnung der dänischen Regierungserklärung zu einem Staatsbesuch nach Bonn kam. Dieser so harmonisch verlaufene Besuch hat einen fruchtbaren Gedankenaustausch ermöglicht und einen neuen Abschnitt in den deutschdänischen Beziehungen eingeleitet.
Die Ergebnisse der Minderheitenbesprechungen und ihre politische Tragweite sind von Herrn Staatsminister Hansen und dem Herrn Bundeskanzler seinerzeit ausführlich gewürdigt worden.
Die Erklärungen der Bundesregierung und der dänischen Regierung über die Rechte der Minderheiten stimmen in ihren Teilen I und II inhaltlich überein. Sie sind eine feierliche Bestätigung der bereits in den demokratischen Verfassungen beider Länder garantierten Grundrechte, zu deren Schutz sich die Bundesrepublik und das Königreich Dänemark als Mitglieder der westlichen Völkergemeinschaft ,durch die Unterzeichnung der Europäischen Konvention für Menschenrechte auch völkerrechtlich verpflichtet haben.
Diese Erklärungen stellen nunmehr die Rechte der Minderheiten, die bisher durch die von der Landesregierung Schleswig-Holstein abgegebene sogenannte Kieler Erklärung vom 26. September 1949 und das sogenannte Kopenhagener Protokoll vom 27. Oktober 1949 geregelt waren, auf eine festere Grundlage.
Inzwischen sind von deutscher wie von dänischer Seite Maßnahmen zur Durchführung der von der deutschen und dänischen Delegation vorgeschlagenen und von den Regierungen gebilligten Regelung getroffen worden. So war der Landtag von Schleswig-Holstein am 23. Mai dieses Jahres einstimmig ein Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes angenommen, das der dänischen Minderheit analog den Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes eine Ausnahmeregelung von der 5 %-Klausel einräumt. Gleichzeitig hat der Landtag gemäß der von der Landesregierung der Bundesregierung gegebenen Zusage mit der Verabschiedung des Landeshaushalts 1955 einen erhöhten Zuschußbetrag für die Privatschulen der dänischen Minderheit bewilligt. Wie vorgesehen war, erhält damit jeder Schüler einer Privatschule der Minderheit einen Zuschuß in Höhe von 80 07e ,der Aufwendungen für einen Schüler der öffentlichen Volksschulen. Ferner hat das dänische Folketing in seiner Sitzung am 16. Mai 1955 die Gesetzesvorlage der Regierung über die Aufhebung dies bisherigen Verbots des Examensrechtes für Schulen der deutschen Minderheit endgültig verabschiedet. Damit sind jetzt die deutschsprachigen Schulen bezüglich des Examensrechtes den übrigen Schulen in Dänemark gleichgestellt.
Die Bundesregierung ist sich ebenso wie die Landesregierung von Schleswig-Holstein und die dänische Regierung bewußt, daß es wesentlich darauf ankommen wird, daß alle für die Minderheiten in Betracht kommenden Instanzen bei der praktischen Handhabung der nunmehr festgelegten Richtlinien von dem gleichen Geist erfüllt sind, von dem die deutsch-dänischen Verhandlungen ,getragen waren.
Die Bundesregierung ist sich auch darüber im klaren, daß das Ergebnis noch nicht die Lösung sämtlicher Minderheitenprobleme bedeutet. Sie ist aber davon überzeugt, daß die in wesentlichen Fragen der Minderheiten erzielte Übereinstimmung die Verhältnisse nördlich und südlich der deutschdänischen Grenze im Sinne des Ausgleichs und der Verständigung günstig beeinflussen wird.
Ich bitte das Hohe Haus, die Erklärung der Bundesregierung über die allgemeinen Rechte der dänischen Minderheit, Drucksache 1451, zu billigen.