Rede von
Hugo
Scharnberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das absolute Mehrheitswahlrecht entspricht nicht dem relativen Mehrheitswahlrecht. Sie haben völlig recht, daß das absolute Mehrheitswahlrecht nicht zur Bildung von zwei Parteien führt. Infolgedessen bin ich auch der Meinung, daß dieses Wahlrecht nicht empfehlenswert ist.
Das Verhängnis nahm dann im Jahre 1932, als im Juli ein Reichstag von 608 Abgeordneten gewählt wurde, seinen folgerichtigen Verlauf. In diesem Parlament befanden sich 89 Kommunisten und 230 Nationalsozialisten. Sie bildeten damit zusammen eine Mehrheit, natürlich ohne sich aber zu einer konstruktiven Regierung zusammenfinden zu können oder zu wollen. Eine demokratische Regierung war nicht mehr möglich.
Ich will gewiß nicht behaupten, daß das falsche Wahlrecht allein für alles das, was dann seit dem Jahre 1933 geschah, verantwortlich ist. Ich behaupte aber, daß, wenn die Weimarer Republik von vornherein das relative Mehrheitswahlrecht gehabt hätte, der Nationalsozialismus ebenso wie der Kommunismus niemals zur Entstehung gekommen wären und infolgedessen dann auch nicht den verheerenden Einfluß hätten gewinnen können, der nachher zum „Dritten Reich" führte.
Man hört immer wieder die Meinung, daß das Wahlrecht von 1949, das dem sozialdemokratischen Entwurf entspricht, und das Wahlrecht von 1953, das dem FDP-Entwurf entspricht, eine Mischung und somit ein Kompromiß zwischen Mehrheits-
und Verhältniswahl darstellen. Das ist nicht der Fall; denn in beiden Fällen werden die in der direkten Personenwahl im Wahlkreis errungenen Mandate auf die Listenmandate angerechnet, und auf diese Weise werden die Mandate genau verhältnismäßig auf die an der Wahl beteiligten Parteien — mit Ausnahme natürlich derjenigen, die
der Sperrklausel zum Opfer gefallen sind — verteilt. Die Wahlrechte sind also reine Verhältniswahlrechte, und die Mischung dieser Wahlrechte beruht auf einer Verbindung von Personen- und Listenwahl, nicht aber von Mehrheits- und Verhältniswahl.
Über eine Mischung zwischen Personen- und Listenwahl läßt sich reden. Wir lehnen jedoch — ich verweise auf die von mir bereits gemachten Ausführungen — mit allem Nachdruck den Verhältniswahlcharakter dieser Wahlrechte ab, und aus diesem Grunde lehnen wir auch die Vorschläge der SPD und der FDP ab; denn wir wollen dafür sorgen, daß Entwicklungen, wie sie in der Weimarer Republik möglich waren, in Zukunft unmöglich gemacht werden.
Mein Freund Stücklen hat mit einer großen Zahl von Kollegen meiner Fraktion einen Entwurf auf der Basis des relativen Mehrheitswahlrechts eingereicht. Ich stehe nicht an, hier zu sagen: so sehr wir im grundsätzlichen das Prinzip des Mehrheitswahlrechts als das beste anerkennen, sind wir doch auch zu einem Kompromiß bereit, und das ist der Grund, weswegen meine Fraktion keinen eigenen Entwurf eingebracht hat.
Das Kompromiß, das uns vorschwebt, muß jedoch ein echtes Kompromiß sein, das heißt, es muß den Gesichtspunkten, die ich vorgetragen habe, und den Zielen Rechnung tragen, die wir im Wahlrecht verfolgt zu sehen wünschen, gleichzeitig aber auch der Tatsache, daß wir nun einmal nicht zwei, sondern fünf Parteien haben.
Wir sind der Auffassung, daß die Frage des Wahlrechts von eminent staatspolitischer Bedeutung ist. Welch unerhörte Bedeutung das Wahlrecht hat, zeigt die Tatsache, auf die ich vorhin hingewiesen habe und die ich noch einmal unterstreichen möchte: Nationalsozialismus und Kommunismus wären nie zur Entwicklung gekommen, wenn wir in der Weimarer Republik von vornherein ein richtiges Wahlrecht gehabt hätten und nicht das falsche Verhältniswahlrecht.
Die Verhältnisse in England und Amerika, meine Damen und Herren, beweisen die Richtigkeit dieser Behauptung.
Wir sind der Meinung, daß weite Kreise unseres
Volkes die Form der Demokratie, wie sie in England und Amerika besteht und wie sie durch das
Wahlrecht begründet ist, für richtig halten, und
wir glauben, daß die Wahlresultate der letzten
Jahre uns einen klaren Hinweis in dieser Richtung und auch einen entsprechenden Auftrag
geben. Durch den Ausgang der Wahlen im Jahre
1953 ist uns in dieser Frage, von der nach unserer
festen Überzeugung das zukünftige Schicksal unserer Demokratie entscheidend mit abhängt, eine
besondere Verantwortung übertragen worden. Wir
hoffen, daß die anderen Parteien dieses Hauses,
insbesondere unsere Koalitionspartner, Verständnis dafür haben, wenn wir dem Gefühl dieser Verantwortung folgen, die wir für die Zukunft unserer Demokratie und damit unseres Volkes tragen.
Wir sind, wie ich sagte, kompromißbereit. Über die Frage wie dieses Kompromiß auszusehen hat, müssen Verhandlungen im Ausschuß stattfinden, und ich darf hier der Hoffnung Ausdruck geben,
daß auch Besprechungen, die wir unmittelbar nach den Parlamentsferien mit unseren Koalitionspartnern einleiten werden, die Grundlage dafür schaffen, daß die Ausschußberatungen schnell zu einem Ergebnis führen und dadurch ein Wahlrecht auf einer möglichst breiten parlamentarischen Grundlage geschaffen werden kann.
Hier möchte ich dem Kollegen Rehs von der SPD, der den Entwurf der SPD begründete, sagen, er kann ganz beruhigt sein. Wir werden die Wahlrechtsfrage nicht zum Spielball der Koalitionspolitik machen, und das ist auch bisher in keiner Weise geschehen.
Wenn er meinte, die Spatzen pfiffen etwas Derartiges von den Dächern, so hat er auf Spatzen gehört, die falsche Töne pfeifen.
Wir stimmen dem Kollegen Rehs im übrigen auch darin zu, daß wir ein dauerhaftes Wahlrecht schaffen wollen, und wir hoffen, daß die SPD hierzu ihren Beitrag leistet. Der darf aber, meine Damen und Herren, natürlich nicht so aussehen, daß wir einfach die Konzeption der SPD akzeptieren sollen.
Zum Schluß noch ein Wort zu der Frage der Wahl der Berliner Abgeordneten. Diese Frage liegt uns ebenso wie Ihnen sehr am Herzen, und wir werden sie unter Berücksichtigung der staatsrechtlichen Gegebenheiten im Ausschuß mit aller Sorgfalt behandeln.
Im übrigen sind wir der Auffassung, daß die Wahlrechtsfrage, wie im vorigen Bundestag, von einem Sonderausschuß behandelt werden sollte, da für die Behandlung dieses Problems die Sachverständigen der einzelnen Fraktionen in einem Ausschuß zusammengestellt werden müssen.
Ich beantrage daher namens meiner Fraktion die Einsetzung eines 23er-Sonderausschusses.
Ich beantrage weiterhin die Überweisung der drei Vorlagen an diesen Ausschuß.