Das Wort zur Begründung des Antrages unter Punkt 2 b) der Tagesordnung hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Dr. Schneider (FDP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre und die Pflicht, den von meiner Fraktion eingebrachten Entwurf eines Bundeswahlgesetzes Drucksache 1444 zu begründen, und bin gebeten worden, gleichzeitig einige Worte der Stellungnahme zu den Vorlagen Drucksachen 1272 und 1494, den beiden anderen Gesetzentwürfen, die vorliegen, zu sagen.
Bevor ich mich aber unserem eigenen Gesetzentwurf zuwende, gestatten Sie mir einige allgemeine Bemerkungen. Gestern wurde mir gegenüber irgendwo in diesem Hause von einem sehr Prominenten gesagt: Na, na, diesen Nachmittag — gemeint war heute — sei ja die Anwesenheit im Plenum nicht so dringend erforderlich, denn dort !würden wieder Vorlesungen über Wahlrecht gehalten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie keine Angst! Ich will Ihnen keine Vorlesung halten, sondern ich will mich so kurz fassen, wie es nur irgend geht, und Ihnen nur an Hand des Gesetzestextes unseres Entwurfs die wesentlichsten Prinzipien — um. die kann es sich in der ersten Lesung ja nur handeln — darlegen.
Aber einige Vorbemerkungen! Der Herr Kollege Rehs hat ganz recht, wenn er daran erinnert, in welcher geradezu gespannten, ich möchte sagen: hektischen Atmosphäre das Wahlrecht von 1953 in diesem Hause verabschiedet wurde. Ich erinnere mich nur sehr ungern daran; denn was damals hier vor sich ging, war nicht gerade ein Ruhmesblatt für die deutsche Demokratie. Ich bin nur froh, daß es damals noch in letzter Minute, aber buchstäblich in letzter Minute gelang, in der Form des Kompromißentwurfs, wie er sich damals dann entwickelte, eine breite Mehrheit des ganzen Parlaments zu finden. Ich hoffe, daß es auch diesmal gelingen wird, eine breite Mehrheit für — ja, hoffentlich unseren Entwurf zu bekommen, damit nicht ein Wahlrecht mit einer nur ganz knappen Mehrheit dieses Parlaments verabschiedet wird; denn das würde ich allerdings für einen wirklich entscheidenden Fehler halten, und es würde polltisch-psychologisch die schwersten Bedenken auslösen müssen. Wir sollten uns, soweit wir dazu berufen sind, mitzuwirken, alle bemühen, in einer ruhigen sachlichen Atmosphäre die Dinge zu erörtern, damit von vornherein Spannungsmomente, hervorgerufen durch überspitzte Formulierungen, vermieden werden. Formulierungen, die wiederum geradezu herausfordern, Formulierungen, die auch, sagen wir einmal, den guten Willen des anderen von vornherein bezweifeln, und dergleichen mehr sollten wir unterlassen, damit wir nicht wiederum die hektische Atmosphäre schaffen, wie sie damals in diesem Hause herrschte.
Auch wir hätten gewünscht, daß die Bundesregierung rechtzeitig einen Regierungsentwurf vorgelegt hätte. Bis heute liegt leider keiner vor.
— Vielleicht, Herr Kollege Menzel, ist es ganz gut, aber so zu folgern, wie es der Herr Kollege Rehs getan hat, ist doch nicht ganz richtig. Er hat gesagt: Hier lagen wahrscheinlich „Koalitionsabreden" vor, und in der Koalition hat das nicht geklappt, und man versucht, Druck auszuüben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ein solcher Druck Erfolg gehabt hätte—wenn ich schon einmal dieser These folge, die ich nicht bejahe, sondern nur als Ausgangsbasis nehme —, dann hätten Sie nicht den Antrag meiner Fraktion lauf Druck-
sache 1444 vor sich liegen; denn wir sind auch ein Teil dieser Koalition, und gerade bei der Behandlung dieser Materie sind für uns nicht die politischen, sagen wir einmal: allein koalitionspolitischen Überlegungen maßgebend, wie Sie, Herr Kollege Rehs, das vermutet haben. Sie können da ganz beruhigt sein.
Aber nun zu unserem Entwurf selbst. Sie sehen, daß er im wesentlichen die Form behalten hat wie das Gesetz von 1953. Wir haben nur das äußere Gewand aus systematischen Gründen etwas grundsätzlich gewandelt, aber nicht den Inhalt in seinen Hauptprinzipien. Wir haben darin noch Abstriche gemacht und alles aus dem Gesetz herausgelassen, was nach unserer Auffassung nicht in das Gesetz selbst, sondern in die Wahlordnung gehört.
Nun zum Wahlsystem. Wir sind auch der Meinung, daß die Erhöhung der Abgeordnetenzahl auf 484 nicht länger aufrechterhalten bleiben sollte, aus den guten Gründen, die der Sprecher vor mir angeführt hat. Wir haben deshalb auch formuliert:
Der Bundestag besteht vorbehaltlich der sich
aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen
aus 418 Abgeordneten.
400 sind bei uns für das Bundesgebiet und 18 für Berlin vorgesehen.
Wir haben nur 18 für Berlin angenommen, weil wir uns errechnet haben, daß sich entsprechend der Bevölkerungszahl dieses Beteiligungsverhältnis für Berlin ergibt. Der SPD-Entwurf sieht für Berlin 20 Abgeordnete vor. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß die SPD auf diese Zahl gekommen ist, weil sie eine schwierige Wahlkreiseinteilung in Berlin vermeiden will; das ist meine Vermutung, ich weiß nicht, ob das zutrifft. Ich habe gesehen, daß Berlin aus 12 Bezirken besteht, und ich nehme an, daß die SPD das als Grundlage genommen hat und daß sich dann bei dem Verhältnis 60 zu 40 logischerweise in ihrem Entwurf für Berlin die Zahl 20 ergeben hat. Ich sehe, drüben wird genickt; meine Kombination entspricht also der Wirklichkeit. Wir wollen also nur 18 Abgeordnete für Berlin. Deshalb kommen wir auch nicht zu einer Zahl von 255 Wahlkreisen, wie sie sich logischerweise ergeben müßte, sondern nur zu 253. Wir wollen die Einteilung Berlins in 11 Wahlkreise Berlin selbst überlassen. Berlin soll das im Rahmen der ihm zustehenden Kompetenzen selbst bestimmen.
Für selbstverständlich halten wir aber auch, daß Berlin diesmal nicht mehr nach einem Sonderwahlrecht wählt; wir müssen Berlin mit einbeziehen. Sie sehen, daß meine Freunde und ich noch einen Schritt weitergegangen sind. Wir erwähnen das Land Berlin gar nicht mehr expressis verbis, sondern um noch deutlicher zu machen, daß uns das eine große [Selbstverständlichkeit ist, sagen wir in § 2: „Wahlgebiet ist der Geltungsbereich dieses Gesetzes". Da wir hinten die Berlin-Klausel eingefügt haben, bedeutet das, daß auch Berlin als Wahlgebiet im Sinne dieses Gesetzes anzusprechen und 'bestimmt 'ist. Wir halten das bei der Entwicklung der politischen Lage für selbstverständlich, und es bedarf wohl auch keiner langen Begründung.
Nun haben wir uns veranlaßt gesehen, bezüglich der Wahlkreiseinteilung etwas vorzusehen, was im alten Wahlgesetz nicht vorhanden war. Sie sehen, meine Damen und Herren, daß wir unserem Gesetz zwei Anlagen beigegeben haben. Die eine bestimmt, wieviel Abgeordnete in jedem Land gewählt werden sollen. Die Anlage 2 übernimmt vorläufig — ich sage ausdrücklich: vorläufig — die Wahlkreiseinteilung, wie sie heute besteht. Das soll aber nicht bedeuten, daß nach unserer Auffassung die Art der Einteilung der Wahlkreise, wie sie in der Vergangenheit entstanden ist, für ewige Zeiten gelten soll. Das ikann schon um dessentwillen nicht sein, weil wir dadurch eine ungeheure Ungerechtigkeit heraufbeschwören würden, da die Bevölkerungsverschiebung in den einzelnen Kreisen ganz unterschiedlich ist. Wahlkreise müssen unbedingt annähernd gleich sein. Wir haben jetzt, so wurde mir gesagt, zwischen den einzelnen Wahlkreisen Abweichungen bis zu 160 000 Wählern. Wenn man auf der anderen Seite berücksichtigt, daß es Wahlkreise gibt, die nur 70 bis 80 000 Wahlberechtigte halben, dann kann man solche Abweichungen aus Gründen der Gerechtigkeit schlechterdings nicht mehr vertreten. Da es aber immer eine sehr diffizile und sehr problematische Aufgabe ist, eine grundsätzlich neue Wahlkreiseinteilung vorzunehmen, sind wir der Meinung, daß wir es vorerst einmal bei den 242 Wahlkreisen belassen sollten. Wir wollen aber neu etwas einführen, was von vornherein die Gefahr bannen soll, daß bei einer Neueinteilung von Wahlkreisen nicht allein oder überwiegend nach parteitaktischen und wahlgeometrischen Gesichtspunkten vorgegangen wird.
Wir schlagen. in unserem § 3 folgendes vor: Der Bundespräsident ernennt eine ständige Wahlkreiskommission. Sie besteht aus dem Präsidenten des Statistischen Bundesamts, einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts und fünf weiteren Mitgliedern.
Diese Kommission bekommt dann in den Absätzen 2 und 3 unseres § 3 ihre Arbeitsgrundlage und ihre Kompetenzen zugeteilt:
Die Kommission hat die Aufgabe, die Bevölkerungszahlen im Wahlgebiet und die Wahlkreiseinteilung laufend zu beobachten und erforderliche Abänderungen der Zahl der in den einzelnen Ländern zu wählenden Abgeordneten und der Wahlkreiseinteilung vorzuschlagen. Sie legt ihre Abänderungsvorschläge für die Anlagen 1 und 2 zu diesem Gesetz der Bundesregierung vor, die sie gemäß Art. 76 des Grundgesetzes als Gesetzesvorlage einbringt.
Danach muß also auch die Wahlkreiseinteilung im letzten wieder durch das Parlament als Gesetz beschlossen werden, so daß zwar diese Kommission nach objektiven Gesichtspunkten einen Vorschlag macht, es aber immer noch der Prärogative des Parlaments untersteht — was ich für selbstverständlich halte —, ob es diesen Vorschlag unverändert oder vielleicht auch geändert in Gesetzesform übernehmen will.
Dann wird noch gesagt, daß jeder Wahlkreis ein zusammenhängendes Ganzes bilden muß:
Die Ländergrenzen müssen, die Stadt- und Landkreisgrenzen sollen nach Möglichkeit bei der Einteilung der Wahlkreise eingehalten werden.
Das dazu. Das ist etwas Neues. Wir müssen uns überlegen, ob wir diesen Weg gehen wollen. Darüber können wir j a in den Ausschüssen diskutieren.
Wir bleiben — das ist der Unterschied zwischen unserem Entwurf und dem von der SPD einige-
brachten — bei den zwei Stimmen, die wir 1953 beschlossen haben. Denn wir meinen: das hat sich bewährt; zudem hat sich diese Form damals nach wirklich heftigem und leidenschaftlichstem Ringen hier schließlich als von allen gebilligte Kompromißlösung durchgesetzt.
Natürlich, Herr Kollege Rehs, Sie sagten vorhin in Ihren Ausführungen, ein wesentlicher Punkt Ihres Entwurfs sei gerade das Anliegen, daß es Wahlkreisverbindungen oder Verbindungen ähnlicher Art nicht geben solle; natürlich, das ist eine entscheidende Abweichung von unserem Entwurf, darüber wollen wir uns klar sein; wir wollen hier nicht mit verdeckten Karten spielen. Zwar spricht unser Entwurf nicht von Verbindung oder Nichtverbindung — er verbietet sie nicht —, aber ich bin offen genug zu sagen, daß bei der Konstruktion der zwei Stimmen natürlich, sagen wir einmal: irgendwelche Arrangements zwischen zwei befreundeten Parteien auf der Ebene des Wahlkreises noch möglich sind.
— Ja, natürlich weiß ich, daß Sie das wissen, und natürlich weiß ich, daß es Ihr Anliegen ist, das zu verhindern; deshalb ja auch die strenge Vorschrift in Ihrem Entwurf.
— Ja, ist drin. Wir müssen darüber reden. Aber uns scheint das ein wesentliches Anliegen zu sein, gerade weil wir mit der Einführung von zwei Stimmen — eine für den Kreis, für den Direktbewerber, und eine für die Landesliste einer Partei — das nach der Personenwahl Neigende etwas stärker hervorkehren wollen.
Manchmal höre ich, auch aus den eigenen Reihen, das Argument, unser Volk habe die Funktion dieser beiden Stimmen nicht begriffen. Dazu muß ich sagen: das stimmt in gar keiner Weise. Unser Volk hat absolut begriffen, wie es mit diesen zwei Stimmen richtig und sachgemäß umzugehen hat. Wie richtig, meine Damen und Herren, darf ich von mir selbst sagen. Ich bin vielleicht überheblich, aber nehmen Sie es mir nicht übel, ich bringe das bloß als Beispiel dafür, wie richtig unser Volk seine zwei Stimmen verwertet. In meinem eigenen Wahlkreis, in dem ich nun zum zweitenmal gewählt worden bin, war die Zahl der auf mich entfallenen Erststimmen weitaus höher als die der Zweitstimmen, die ich dann für meine Landesparteiliste erobern konnte. Das ist also ein Beweis dafür,
wie sinnvoll und richtig unsere Wählerschaft diese zwei Stimmen benutzt. Ich bin deshalb der Meinung: das ist eine gute Einrichtung, und wir sollten es dabei belassen.
Eine Anregung, die aus meinen eigenen Kreisen gekommen ist: Ich habe die Formulierung aus dem ersten Wahlrecht übernommen, „Erststimme" und „Zweitstimme". Daran hat man Anstoß genommen und den Gedanken vorgebracht — den ich gar nicht für abwegig halte; ich will es hier nur einmal bemerken —, man sollte nicht von „Erststimme" und „Zweitstimme" sprechen, sondern etwa sagen „Kreisstimme" und „Landesstimme" und dafür auch zwei verschiedenfarbige Wahlzettel herstellen.
Diese Idee ist bei uns noch in letzter Minute aufgetaucht. Aber das ist eine technische Unterfrage, die ich hier nur einmal streifen wollte und über die wir uns vielleicht in der Ausschußberatung eingehender und gründlicher unterhalten können.
Der § 6 regelt dann die Wahl nach Landeslisten genau wie früher; dazu brauche ich nichts zu sagen.
Aber hier möchte ich doch auf eine Bemerkung eingehen, die ich nicht begreife, meine Herren von der CDU, und die ich heute morgen zu meinem Erstaunen in der „Bonner Rundschau" lesen mußte. Dort heißt es nämlich:
CDU/CSU-Fraktion grundsätzlich für relatives Mehrheitswahlrecht. Als eine Verschlechterung gegenüber dem Wahlrecht von 1953 wurde der Vorschlag der Freien Demokraten bezeichnet, die Überhangmandate auf die Landeslisten anzurechnen.
Ich verstehe gar nicht: Ist das ein Mißverständnis des Korrespondenten oder ist es eine bewußt in die Welt gesetzte Behauptung, die grundsätzlich falsch ist? Daran könnte man auch denken, und die Wahlrechtsexperten sollten es eigentlich wissen, daß sie grundsätzlich falsch ist. Ich verweise Sie auf § 6 Abs. 3 unseres Entwurfs, wo es ausdrücklich heißt:
In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach Absatz 1 ermittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Falle erhöht sich die Gesamtzahl der für das Land vorgesehenen Abgeordnetensitze um die Unterschiedszahl; . . .
Wir haben es also grundsätzlich anders geregelt. Die Überhangmandate bleiben und werden nicht über die Landesliste angerechnet.
Nun zu unserer Sicherungsklausel, die in Abs. 4 des § 6 enthalten ist! Es ist die gleiche wie im vorigen Wahlgesetz, nämlich: ,,. . . 5 v. H. der im Wahlgebiet" — so muß es jetzt nach der Sprachtechnik dieses Entwurfs konsequenterweise heißen, d. h. im Bundesgebiet — „abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten." Wie ich gesehen habe, ist die SPD auf die frühere Regelung aus dem Jahre 1949 zurückgegangen und hat die Sicherungsklausel auf 5% im jeweiligen Lande reduziert. Uns schien diese Lösung nicht annehmbar, auch nicht sehr zweckmäßig. Wenn man sich darüber klar ist, was eine solche Sicherungsklausel soll — nämlich die Gefahr allzu großer Parteizersplitterung verhindern —, dann sollten wir nicht unnötigerweise wieder von der Lösung abgehen, die wir damals buchstäblich in allerletzter Minute, nämlich erst in der dritten Lesung — wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht — allumfassend hier in diesem Hause finden konnten: 5 % auf Bundesebene oder, wie es in unserem Entwurf sprachtechnisch heißt, im Wahlgebiet. Dabei sollten wir bleiben, und ich glaube, daß das eine gute Lösung wäre, obwohl ich nicht bestreite, daß vielleicht aus rechtssystematischen Gründen die andere Lösung auch vertreten werden kann.
Wir haben aber nunmehr die Bestimmung geändert, so daß es jetzt heißt:
. . . werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 v. H. . . . oder in mindestens 3 Wahlkreisen einen
— direkten —
Sitz errungen haben.
Damals hieß es: „. . . in einem Wahlkreis einen direkten Sitz errungen haben". Ich bin der Meinung, daß man das um der Gerechtigkeit willen nicht mehr aufrechterhalten kann. Denn überlegen Sie mal: eine Partei, die im Bundesgebiet, sagen wir, 4,9 % aller gültigen Stimmen erhalten hat, hat damit immerhin 1 250 000 bis 1-500 000 Stimmen auf sich vereinigt, je nach der Wahlbeteiligung. Diese Partei bekommt dann kein Mandat, und die abgegebenen Zweitstimmen einer Partei, die in einem relativ kleinen Wahlkreis irgendwo im Bundesgebiet nur ein Mandat erobert hat — vielleicht mit 30 000 Stimmen —, sollen dann alle zum Zuge kommen, auch wenn sie im Gesamten sonst vielleicht nur — ich bilde ein Beispiel —2,5 % aller gültigen Stimmen erreicht hat! Das schien uns zu ungerecht und nicht recht adäquat, und deshalb haben wir nicht e i n Mandat als Ersatz für das Nichterreichen der 5 % gefordert, sondern 3 Mandate. Ich glaube, das ist gerecht. Ich hielt es aber für notwendig, einmal das Motiv, warum wir das getan haben, hier auseinanderzusetzen.
Das wäre das Wichtigste und Prinzipielle, was ich zu unserem Entwurf zu sagen hätte. Der Ausschluß vom Wahlrecht, die Ausübung des Wahlrechts sind Dinge, die wir in den Ausschüssen beraten können. Nur auf eins möchte ich noch eingehen. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir in diesem Bundestag den Fall Schmidt-Wittmack hatten und daß es zu Auseinandersetzungen darüber gekommen ist, wie man den Mann, der in die Ostzone desertiert ist, als Mitglied diesen Hohen Hauses, sagen wir, entfernen könnte. Es ergaben sich im Wahlprüfungsausschuß, dessen Vorsitzender ich bin, sehr schwierige Rechtsberatungen
und auch sehr heftige Diskussionen über die Auslegung des § 1 in Verbindung mit § 5 des geltenden Gesetzes. Sie knüpften an die Frage an: Muß die Wohnsitzvoraussetzung nur am Wahltage oder dauernd gegeben sein? Diese juristische Unklarheit ergab sich dadurch, daß es damals in § 5 bezüglich der Wählbarkeit hieß — entschuldigen Sie, jetzt habe ich doch wieder das Falsche erwischt, die Wahlordnung statt des -gesetzes; aber ich werde aus dem Kopf zitieren —: Wählbar ist, wer das aktive Wahlrecht hat, Deutscher im Sinne von Art. 116 ist usw. Dieses aktive Wahlrecht war in seinen Voraussetzungen wieder im § 1 definiert, wo es hieß: den Wohnsitz mindestens drei Monate hat. Durch diese Verquickung ergaben sich dann die juristischen Zweifel.
Ich mußte mir, als ich damals den Vorschlag des Wahlprüfungsausschusses, den ich abgesetzt hatte, dem Bundestag empfahl, vom Herrn Kollegen Schmid opportunistische Auslegung des Wahlrechtes nachsagen lassen. Damit wir nicht wieder in diese Zweifelsfragen hineinkommen, haben wir das diesmal aufgelöst. Wir haben isoliert im § 11 die Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts und im § 15 die Wählbarkeitsvoraussetzungen im einzelnen aufgezählt und die Wählbarkeit mit dem aktiven Wahlrecht nicht mehr gekoppelt. Wir haben dann auch die Frage, ob diese Wählbarkeitsvoraussetzungen dauernd oder nur am Wahltag dasein müssen, endgültig geklärt in § 44, der von dem Verlust eines Mandats handelt. Dort heißt es in Abs. 1 Ziffer 2: „bei Wegfall einer Voraussetzung seiner jederzeitigen Wählbarkeit ". Damit sind diese Zweifelsfragen, die damals aufgetaucht sind, erledigt.
Allerdings ist nicht erledigt das grundsätzliche Anliegen der SPD, die damals dahin tendierte, man solle oder könne die Wohnsitzvoraussetzung allein, wenn sie vielleicht eines Tages verlorenginge, nicht zum Angelpunkt für den Verlust des Mandats machen. Ich bin aber der Ansicht: solange wir diese Verhältnisse in Deutschland noch haben, können wir von dieser Regelung schlechterdings nicht abgehen. Das wollte ich zu diesem sehr kritischen Punkt aus der Erfahrung sagen.
Noch einen uns jedenfalls wesentlich erscheinenden Punkt haben wir besonders geregelt, weil wir nämlich das letzte Mal — entschuldigen Sie, meine Herren von der CDU — durch einen in letzter Minute in der dritten Lesung, wo alles so hopplahopp ging, eingebrachten, ganz harmlos aussehenden Änderungsantrag von Ihnen, sagen wir, hereingefallen sind, da dann plötzlich ganz prominente Herren überall auf Landeslisten in erster Position erscheinen konnten. Das halten wir für nicht gerecht und für nicht angebracht; das halten wir für Scheinkandidaturen. Um dem ein für allemal zu begegnen, schlagen wir in § 27 Abs. 4 unseres Gesetzentwurfs folgende Fassung vor: „Ein Bewerber kann nur in einem Land und hier nur in einer Landesliste vorgeschlagen werden."
Damit ist diese Zweifelsfrage aus der Welt geschafft, und wir brauchen dann darüber nicht mehr zu diskutieren. Wir halten das jedenfalls für sehr notwendig.
Etwas Neues, was unser Gesetzentwurf bringt — das muß ich noch streifen —, ist die Briefwahl, die wir in' § 34 unseres Entwurfs entwickelt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, daß wir dieses Problem das letzte Mal im Ausschuß schon sehr entschieden miteinander diskutiert haben, daß wir damals schon geneigt waren, diese Institution, die in anderen demokratischen Ländern eigentlich selbstverständlich ist, einzuführen, aber schlechterdings nicht mehr die Zeit hatten, dies auszudiskutieren. Das Problem liegt hier nicht in der Institution selbst, sondern in der Frage: Wie wahre ich das Wahlgeheimnis bei einer Briefwahl? Meine Damen und Herren, wir glauben, daß wir das Problem gelöst haben. Bei der Briefwahl hat der Wähler dem Kreiswahlleiter des Wahlkreises, in dem der Wahlschein ausgestellt worden ist, im verschlossenen Wahlbriefumschlag a) seinen Wahlschein und b) in besonderem verschlossenem Umschlag seinen Stimmzettel so rechtzeitig zu übersenden, daß er spätestens am Wahltage bis 18 Uhr eingeht. Weil wir diese Institution neu einführen, haben wir auch die Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen verlängert. Seither waren es 17 Tage. Wir schlagen Ihnen jetzt 27 Tage vor, damit Leute, die im Ausland sind, noch rechtzeitig im Flugpostverkehr die Unterlagen erhalten und an der Wahl teilnehmen können.
Aus der Einführung dieser Institution ergibt sich für uns natürlich noch insofern eine andere Konsequenz, als wir die Funktion des Wahlscheines abgewandelt haben. Mit dem Wahlschein konnte man früher überall wählen. Das wollen wir nicht mehr. Wir wollen den Wahlschein vielmehr nur noch für die Wahl im eigenen Wahlkreis gelten lassen oder, wenn ich außerhalb meines eigenen Stimmbezirks wählen muß, weil ich nicht dort sein kann, für die Briefwahl. Wenn wir diese beiden Dinge zusammennehmen, besteht keine Notwendigkeit mehr,
die Möglichkeit zu schaffen, daß man mit einem Wahlschein überall in einem deutschen Land wählt. Wir sind auch der Meinung, daß die Wahlfreudigkeit viel mehr gefördert wird, wenn der Betreffende, der auswärts ist und sein Wahlrecht ausübt, weiß: Ich wähle hier nicht einen XY, den ich gar nicht kenne, in Oberbayern oder sonstwo, sondern ich nehme meinen Wahlbriefumschlag und schicke meine Stimme in die Heimat. Dort, weiß ich, gestalte ich meine eigenen Verhältnisse, die ich kenne, mit; da weiß ich: den Meier kann ich wählen und den Schulze nicht. Damit, meine ich, führen wir eine gute Institution ein. Wir müssen natürlich auch darüber sprechen; es ist eine grundsätzliche Frage. Soviel wollte ich als Einführung zu den wichtigsten Punkten unseres Entwurfs sagen.
Nun noch einige Worte zu dem SPD-Entwurf Drucksache 1272. Ich habe vorhin schon angedeutet: wir unterscheiden uns kaum. Wir unterscheiden uns nur in der Sicherungsklausel, die Sie auf die Landesebene projiziert haben wollen, während wir sie auf der Bundesebene belassen wollen, und wir unterscheiden uns eben grundsätzlich in der Systematik, indem wir zwei Stimmen und Sie nur eine gewähren. Aber die Wirkung unserer beiden Gesetzentwürfe ist die gleiche; es handelt sich nämlich letzten Endes um ein Proporzwahlrecht, das etwas nach der persönlichen Seite hin modifiziert ist. Ich hoffe, daß wir uns werden verständigen können und wieder eine breite Mehrheit bekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, daß wir dem Antrag Stücklen, Dr. Jaeger, Lücke und Genossen, Drucksache 1494, nicht zu- stimmen können, brauche ich hier nicht weiter auseinanderzusetzen. Bei der politischen Struktur unseres Volkes würde ein solches Gesetz zur Folge haben — sagen wir es mal ehrlich und offen —, daß meine Partei in der Zukunft, wenn nach einem solchen Wahlrecht gewählt würde, nur noch mit Rudimenten — ob man das so nennen könnte, weiß ich noch nicht einmal — hier erscheinen könnte. So ginge es allen anderen kleinen Gruppen. Hier wird doch nicht mehr und nicht weniger eingeführt als die Mehrheitswahl. Wenn man sie noch in der Form des Kaiserreiches gemacht hätte, nämlich mit Stichwahl, mit absoluter Mehrheit im Wahlkreis, dann hätte man vielleicht darüber reden können. Aber jetzt will man hier einfach mit einem kühnen Sprung ins kalte Wasser das relative Mehrheitswahlrecht ganz sang- und klanglos einführen. Nicht mehr und nicht weniger steht ja darin. In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt, - -
— Ja, natürlich! Jeder Wähler hat eine Stimme; gewählt ist der Bewerber, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt; bei Stimmengleichheit entscheidet das vom Kreiswahlleiter zu ziehende Los.
Daß wir dem nicht zustimmen können, ist ganz selbstverständlich. Ich halte es auch für deutsche strukturelle politische Verhältnisse einfach nicht für anwendbar. Ich würde es trotz aller Reden, trotz aller Vorträge der Wählergesellschaft für ein Unglück ansehen, wenn wir das in diesem Augenblick in Deutschland einführten.
Und dann, meine Damen und Herren von der CDU, lassen Sie mich mal etwas ganz deutlich
sagen: Ich würde es auch für nicht politisch klug, nicht politisch vernünftig ansehen, das jetzt durchsetzen zu wollen; denn das würde doch bedeuten, daß Sie zumindest einen Weggenossen, mit dem Sie jetzt sechs Jahre gegangen sind, dann, nachdem er seine Pflicht getan hat, sagen wir mal: in die Wüste schickten. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen!
Meine Damen und Herren! Das ist (Zuruf: Kein Argument!)
ein sehr gefährliches Unterfangen, namentlich wenn Sie sich bewußt sind, daß Sie im Hinblick auf die Wehrgesetzgebung, auf die Regelung des Notstandsrechts usw. — ich brauche die Dinge nur anzudeuten — schließlich unsere Stimmen hier noch nötig haben. Meine Damen und Herren, lassen Sie es damit genug sein; ich könnte diese Argumentation noch fortsetzen.
Herr Minister, seien Sie mir nicht böse, daß ich das Buch, das Sie uns allen zugeschickt haben, einfach aus Zeitmangel noch nicht habe lesen können.
— Ja, es ist wirklich schade. Aber ich habe hier einen Extrakt daraus, etwas, was ich heute zufällig in der „Neuen Zürcher Zeitung" las, die sich auch mit dem Ergebnis jener Expertenkommission beschäftigt. Sie sagt:
Im Gegensatz von Mehrheits- und Proportionalwahl vermeiden Grewe und seine Kollegen eine eindeutige Entscheidung. Sie sind der Meinung, daß das oft als Vorbild hingestellte englische System der einfachen Mehrheit im Einerwahlkreis auf Deutschland nicht übertragbar sei, stimmen aber den Kritikern des auf dem Verhältnisprinzip beruhenden Wahlrechts der Weimarer Republik zu. Am meisten Sympathie zeigt die Wahlrechtskommission für den im Jahre 1949 angewandten Kompromiß der „personalisierten Verhältniswahl", die bei einigen Verbesserungen sowohl der Tradition als auch der künftigen Entwicklung Deutschlands angemessen erscheint.
Das ist die Beurteilung der Stellungnahme durch eine ausländische Zeitung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In unserem Gesetzentwurf Drucksache 1444 haben Sie den Entwurf, der der klassischen Vorstellung dieser Expertenkommission entspricht. Unser Entwurf Drucksache 1444 hat den Entwurf von 1949 nur vernünftigerweise abgewandelt, wie man das tun sollte.
Eines freut mich: daß ich auf dem Entwurf Drucksache 1494 die Unterschrift des Herrn Bundeskanzlers in seiner Eigenschaft als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion nicht finde. Das bestärkt mich doch in dem Glauben, daß auch hier wieder politische Klugheit und politische Vernunft ein vernünftiges Ergebnis zeitigen wird.