Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Nur noch ein paar Sätze in Erwiderung auf Herrn Kollegen Erler, und zwar mit der Absicht, zu helfen, die Debatte so weit wie möglich zum Sachlichen hinzuführen.
Es war kein Ultimatum; natürlich nicht! Das große Nein, von dem ich gesprochen habe, bedeutete ganz einfach: Man muß erwarten, daß, wenn man jemanden einlädt, dieser jemand vielleicht sagt: „Nun gut, ich will kommen; ich bin mit vielem, was ihr da treibt, nicht einverstanden, und ich werde mein kräftiges Wörtlein dagegen sagen!" Aber wenn man so wie heute bei der Eröffnung der Debatte durch Herrn Kollegen Ollenhauer sofort gesagt bekommt: „Wir lehnen von vornherein alles ab", dann ist man eben versucht, zu resignieren und zu sagen: So kann es zu nichts führen!
Die Tür steht auf. Sie können durch diese Tür hineingehen; Sie können sogar mit dem großen Nein durch diese Tür hineingehen. Nur wird dabei nichts herauskommen, weder für Sie noch für uns.
— Wenn wir es gemeinsam ernsthaft versuchen, Herr Kollege Schmid! Ich habe Ihnen immer und immer wieder persönlich und ich habe es auch in diesem Hause immer wieder gesagt, ich bin wirklich ehrlich bemüht, daß wir zu dieser Zusammenarbeit kommen.
Nun, ich bin zäh; ich muß an einem bestimmten Punkte wieder einhaken.
Herr Kollege Erler hat von „Unterstellungen" gesprochen. Er hat gesagt, ich hätte unterstellt, daß die Sozialdemokratie eben nur Pakte wolle und unser Schicksal auf ein papierenes Fundament stellen wolle. Ja! Ich wollte Sie herausfordern, zu sagen, wie Sie sich das Problem der deutschen Sicherheit denken, und wollte von Ihnen hören, wie Sie im Rahmen dieser kollektiven Sicherheit sich jene Verteidigungsrealitäten vorstellen, um die es doch geht. Geht es etwa nur um die zwölf deutschen Divisionen? Herr Kollege Erler, Sie wissen es genau so gut wie ich, daß die Sicherheit Westeuropas und damit unsere eigene Sicherheit wesentlich von der Frage abhängt, wieweit es notwendig ist, die Stützpunkte der maritimen Mächte in den westeuropäischen Raum hinein zu verlegen. Wenn Sie ein bündnisloses Deutschland fordern, ein Deutschland, aus dessen Raum diese Stützpunkte zu entfernen wären, dann erhebt sich die Frage: Ist dann Westeuropa überhaupt noch zu verteidigen? Wir haben Ihnen die Auffassungen der militärischen Experten entgegengehalten, daß das nicht der Fall sei. Ich kann mich nicht erinnern, zu irgendeiner Zeit, bei irgendeiner Debatte in diesem Hause von Ihnen eine Gegenvorstellung gehört zu haben. Gerade das hätte uns außerordentlich interessiert. Denn, Herr Kollege Erler, wenn es uns wirklich gelänge, dieses Problem einmal zu klären, wenn Sie uns überzeugend darlegen könnten: „Westeuropa und damit auch ein wiedervereinigtes Deutschland läßt sich verteidigen, auch wenn solche Stützpunkte der maritimen Mächte sich in Europa überhaupt nicht
mehr befinden werden oder sich in einer dünnen Randzone Europas verflüchtigen", dann bekäme unser Gespräch zu diesem Problem endlich einmal echten Gehalt, statt daß nur aneinander vorbeideklamiert wird.
Sie haben bei der Gelegenheit gesagt, wir sollten Sie ernst nehmen, Ihre Fraktion sei keine Befehlsmaschine, und ich hätte da alle möglichen Unterstellungen über Uneinigkeit hinter der Fassade gemacht. Das habe ich doch nur deswegen getan, weil wir ganz genau spüren, Herr Kollege Erler, daß manches Argument, das sonst von manchem Ihrer Fraktion auch hier in der Debatte gebracht werden könnte und von Ihnen vielleicht auch gerne gebracht würde, nicht gebracht wird, weil vorher diese Bereinigung hinter der Fassade vorgenommen wird.
Sie sagten, die SPD sei keine Befehlsmaschine. Ich will gar keine solche Bezichtigung machen und habe eine solche nicht gemacht.
Aber es gibt einen Gradmesser der Beweglichkeit der einzelnen Fraktionen in diesem Hause. Wir haben seit 1949 — hundert und etliche namentliche Abstimmungen hier gehabt. Meine Damen und Herren, prüfen Sie nach, in welchen Fraktionen dieses Hauses diese namentlichen Abstimmungen fast stets in völliger Uniformität vollzogen worden sind.
Das muß ich Ihnen leider Gottes entgegnen; es ist einfach eine geschichtliche Wahrheit.
— Herr Blachstein, natürlich ist es eine olle Kamelle. Aber eine olle Kamelle verliert deswegen nicht an Wahrheitsgehalt, weil sie wiederholt werden muß.
Aber zum Schluß möchte ich noch die Gedankengänge Herrn Erlers zu der Gefahr behandeln, daß zuviel Macht in die Hand eines Mannes gelegt werde, in diesem Zusammenhang zuviel militärische Macht. Sie sagen, bei der Schaffung des Grundgesetzes habe man nicht daran gedacht, daß es eines Tages auch wieder Soldaten geben werde. Sie müssen aber zugeben, daß Sie damals in Erinnerung an die Weimarer Zeit gern und nachdrücklich diese Macht in die Hand eines Mannes gelegt haben.
Sie haben mehrfach die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zitiert. Herr Erler, bleiben Sie konsequent! Sie haben auf das Vorbildliche dieser Verfassung hingewiesen. Sie wissen genau so gut wie ich, wieviel mehr Macht dort ein Mann, auch im Militärischen hat, nämlich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der vom Parlament in keiner Weise abhängig ist, sondern vom Volk gewählt wird und der nur vom Volk in extremen Fällen zurückgerufen werden könnte.