Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sehen Sie, Kollege Arndt sagt in diesem Augenblick: „Herr Kiesinger hat mich der Lüge bezichtigt". Was habe ich gesagt? Ich habe gesagt, Sie haben bei Ihren Ausführungen verschwiegen,
— d. h. Sie haben es zu sagen unterlassen, daß es eine solche Praxis gibt.
Das entscheidende Problem der Behandlung der Kriegsdienstverweigerung liegt nämlich da. Es liegt bei jener Verfassungspraxis, die wir in Großbritannien, die wir in den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben: Wie stellt man fest oder wie beweist ein Kriegsdienstverweigerer, daß er nicht
aus Verantwortungslosigkeit, sondern aus echter Gewissensnot sein Nein zum Kriegsdienst sagt?
Darüber muß vor diesem Volk in aller Klarheit und Offenheit gesprochen werden.
Ich bin weit davon entfernt, Sie der Lüge zu bezichtigen. Ich verlange nur, daß, wenn schon ein Problem besprochen wird, es dann auch wirklich unter allen Aspekten betrachtet wird. Wohin kämen wir, wenn jeder nur das herausholte, was für seine eigene Ansicht günstig erscheint?
Wir wissen also genau, wie ernst dieses Problem ist, und wir wollen diesem Ernst auch voll Rechnung tragen.
Das Freiwilligengesetz ist ja nur ein kleines Problem im Zusammenhang der großen Fragen, die uns beschäftigen. Hätten Sie sich darauf beschränkt, uns Ihre Sorgen und Ihre Bedenken dagegen vorzutragen — wie es zum Teil geschehen ist —, so hätte es keinen Anlaß zu dieser Diskussion gegeben. Weil Sie es aber auf diese Ihre Weise getan haben — wie Sie es schon so oft in den Kämpfen früher praktiziert haben —, mußte zum Schluß ein deutliches Wort auch von mir gesagt werden. Sie wissen ganz genau — die Verantwortlichen unter Ihnen ganz anders, als es bei dieser Debatte herauskommt —, wie uns hier in diesen Bänken das Problem beschäftigt. Sie wissen — und die Ausführungen meiner Kollegen haben es auch von Anfang an dargetan —, daß keiner der sachlichen Gesichtspunkte, um die es auch Ihnen geht, von uns übersehen würde, und Sie wissen ganz genau, daß wir alle hier auf den Bänken dieser Seite gewillt sind, diese Problematik zu bewältigen und mit Ihnen zusammen zu bewältigen, wenn Sie nur wollen.
Wieweit wir im einzelnen das Parlament einschalten, wieweit die institutionellen Sicherungen, von denen gesprochen wurde, ausgebaut werden sollen, sind Fragen, über die man sich streiten kann. Institutionelle Sicherungen allein tun es ganz gewiß nicht. Die Weimarer Verfassung hatte institutionelle Sicherungen in Hülle und Fülle, und sie ist doch zugrunde gegangen, keineswegs nur von außen her. Was zuletzt einen Staat garantiert und eine Verfassung auf ein festes und sicheres Fundament stellt, das ist der Wille aller, bei den wichtigen Lebensfragen des Staates und der Nation nach allen Kräften zusammenzuwirken.
Es ist uns vorgehalten worden: Was wäre in England geschehen, wenn eine Frage an den englischen Premier gestellt worden wäre, wie sie an den Bundeskanzler in Amerika gestellt worden ist? Ja, meine Damen und Herren, drüben gibt es eben eine gemeinsame Außenpolitik, und diese gemeinsame Außenpolitik ist so stark, daß ein Regierungswechsel im großen und ganzen den außen-
politischen Kurs beläßt. Deswegen ist es nicht schwer, den Oppositionsführer in einer politischen Mission irgendwo hinzuschicken. Bei uns klafft aber jene Kluft, von der Herr Kollege Arndt gesprochen hat. Sie können nicht einfach fortfahren mit der ewigen Anschuldigung, daß an dieser Kluft wir, die Regierungskoalition, die alleinige Schuld trügen. Das ist vor der Geschichte nicht wahr.
Für die Zukunft — und dieses Wort soll festgehalten sein — beteure ich noch einmal,
an uns wird es nicht liegen,
wenn Sie bei der schweren Frage des Aufbaus eines deutschen Heeres und allem, was damit zusammenhängt, nicht mitwirken. Die Tür für Sie steht offen; aber man kann eine Tür nicht mit dem großen Nein betreten.