Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag führt heute die siebente Wehrdebatte in seiner sechsjährigen Geschichte durch. Die bisherigen sechs Debatten unterschieden sich wesentlich von der heutigen dadurch, daß in ihnen eine echte Spannung und Auseinandersetzung sichtbar war. Wenn man etwa aus den Börsenberichten für die heutige Debatte eine Bezeichnung finden wollte, so müßte man über diese Debatte — jedenfalls bis zur Gegenwart — schreiben: Stimmung lustlos und gedrückt. Das mag verschiedene Gründe haben. Ein Grund ist sicher auch das allzu wörtliche Befolgen des Begriffs „erste Lesung". Als heute vormittag aus diesem Raum der Zwischenruf fiel „Schneller lesen!" oder „Langsamer lesen!", hat der Herr Präsident geantwortet, daß man ja schlecht ungleich behandeln könne, weil eben auch andere gelesen haben. Die geistige Grundlage des Parlamentarismus ist aber jener diskursive Vorgang von Rede und Gegenrede, von Argument und Gegenargument mit dem Ziel, die relativ beste Lösung zu finden. Sollten wir weiter so wider den Geist des Parlamentarismus sündigen und weiter vorlesen, obgleich in der Geschäftsordnung steht, daß die Abgeordneten in freier Rede zu sprechen haben,
dann empfehle ich, die Schriftsätze auszutauschen, wie die Anwälte es bei Gericht tun, sie zu Protokoll zu geben und die Lesung von Gesetzen im Umlaufverfahren zu machen. Vielleicht ist das dann die neue Form des Parlamentarismus. Ich kann kaum noch vor jungen Studenten gegen Carl Schmitt „Über die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Parlamentarismus" als Verteidiger des Parlamentsrechts auftreten — Herr Kollege Kiesinger, Sie werden es auch kaum noch tun können —, wenn wir weiter der Öffentlichkeit das Bild der Vorlesungen bieten.
Nach dieser Vorbemerkung lassen Sie mich auf einen zweiten Grund kommen. Der zweite Grund, weswegen die Stimmung lustlos und gedrückt ist, dürfte der unglückliche Beginn unserer Wehrgesetzgebung sein. Dabei hatten wir doch soviel Zeit! Im Dezember 1949 haben wir in der ersten Wehrdebatte des Deutschen Bundestages einstimmig eine Wiederbewaffnung abgelehnt; 1952 zwei große Wehrdebatten, 1953 eine, 1954 eine, im Februar 1955 die Abschlußdebatte der Pariser Verträge. Man hätte also viel Zeit gehabt, nach dem Goethewort zu handeln: „Das ,W a s' bedenke, mehr bedenke, w i e !".
Bei einer entsprechenden Vorbereitung hätte sich manches jetzt vermeiden lassen, was durch die Einbringung des Freiwilligengesetzes nun leider an Mißhelligkeiten und Mißverständnissen in der deutschen Öffentlichkeit sichtbar ist. Als uns der Herr Bundeskanzler in einer Koalitionsbesprechung seine Absicht bekanntgab, ein Kurzgesetz als Vorausgesetz einbringen zu lassen, da haben die Sprecher aller Koalitionsparteien ihn dringend vor diesem Weg gewarnt,
weil sie erhebliche psychologische Rückwirkungen dieses Verfahrens auf das Parlament, auf den Bundesrat und auf die deutsche Öffentlichkeit befürchtet haben.
Wir haben empfohlen, mindestens das Soldatengesetz mit einzubringen und dem Parlament die allgemeine große Konstruktion des Wehrwesens bekanntzugeben, damit man auch die allgemeine Richtung erkennen könnte und nicht der Eindruck entstünde, daß das Wehrwesen so als Stückwerk von Gesetz zu Gesetz gegliedert werden sollte, so wie etwa die Konstruktion dieses Bundeshauses, bei dem man sich aus Sparsamkeit auch nicht gleich zu einer großartigen Planung entschließen konnte mit dem Erfolg, daß wir nun allmählich nur noch mit Hilfe eines Marschkompasses durch das Bundeshaus durchfinden können.
Ähnlich würde es mit dem Wehrwesen sein. Man baut ein Haus dadurch auf, daß man die Fundamente legt und den Gesamtplan offenlegt, und nicht dadurch, daß man zunächst oben an der Spitze beginnt. Wir müssen zur Kenntnis geben, daß diese unsere Anregungen in der Koalitionsbesprechung doch dadurch realisiert wurden, daß das Soldatengesetz in den Gesetzgebungsgang gebracht wurde. Durch die gestrige Regierungserklärung ist auch eine allgemeine Übersicht über das Wehr-
wesen möglich, so daß die bisherigen harten Angriffe gegen das Freiwilligengesetz nun nicht mehr in dieser Form gerechtfertigt sind.
Ich darf noch auf etwas anderes Bedauerliches hinweisen, auf die mangelnde Gemeinsamkeit in der Wehrfrage zwischen Opposition und Koalition. Meine Damen und Herren, eine Armee ist keine Addition von Offizieren, Unteroffizieren, Soldaten und Material, sondern eine Armee ist ein Organismus, und das Entscheidende an einem Organismus ist der Geist. Der Geist einer Armee kann niemals gut sein, wenn über die Prinzipien des Wehrrechts im deutschen Parlament ein solcher Streit herrscht. Wenn dieser Streit dann hineingetragen wird in jede Kompanie, in jedes Bataillon, in jedes Regiment, dann trägt das deutsche Volk die Folgen der mangelnden Gemeinsamkeit, die wir in diesem Hause leider zu verzeichnen haben.
Ich will nicht auf die Frage eingehen, wer hier wem entgegenkommen soll. Ich bin der Meinung, beide müßten sich entgegenkommen, sowohl die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien wie auch die Opposition. Einige Vorwürfe, Herr
Kollege Arndt. die Si p soeben erhoben haben und
die auch der Kollege Ollenhauer heute vormittag erhoben hat, muß man aus Gründen der Objektivität zurückweisen. Es ist nicht wahr, daß diese Broschüre Parteipropaganda am Kasernentor ist. Es ist auch nicht wahr, daß diese Broschüre etwas vorwegnimmt, was dem Parlament vorbehalten ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, es steht im Vorwort des Bundeskanzlers ganz eindeutig — ich darf das mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen —:
Ich begrüße das Erscheinen der Schrift „Vom künftigen deutschen Soldaten", in der grundsätzliche Planungen für den deutschen Verteidigungsbeitrag zusammenfassend dargestellt werden. Die Schrift soll die verantwortungsvollen Vorarbeiten der Allgemeinheit unterbreiten, bevor die zuständigen verfassungsmäßigen Organe endgültige Entscheidungen treffen.
Natürlich ärgert sich mancher, daß der Name Adenauer, der Name des Vorsitzenden der großen deutschen CDU/CSU-Partei, hier druntersteht. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, dieser Herr ist gleichzeitig der Regierungschef, der Bundeskanzler des deutschen Volkes und daher für die Ausführung der Pariser Verträge vor dem deutschen Volk verantwortlich.