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ID0209303200

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    2. Deutscher Bundestag — 93. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. Juni 1955 5223 93. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. Juni 1955. Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) . . . . 5303 A Eintritt des Abg. Berg in den Bundestag . 5223 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligengesetz) (Drucksachen 1467, 1499) 5223 C Zur Sache: Dr. Jaeger (CDU/CSU) . 5223 C, 5230 B Erler (SPD) 5230 A, 5281 D, 5284 D, 5291 C, 5297 A, 5301 C Ollenhauer (SPD) 5231 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5236 A von Manteuffel (Neuß) (FDP) . . 5237 B Feller (GB/BHE) 5244 B Matthes (DP) 5247 C Berendsen (CDU/CSU) 5252 B Unterbrechung der Sitzung . 5255 B Dr. Arndt (SPD) . . . 5255 B, 5273 C, D Blank, Bundesminister für Verteidigung 5263 C Dr. Kliesing (CDU/CSU) 5264 B Heye (CDU/CSU) 5267 C Dr. Mende (FDP) . . . 5272 B, 5273 C, D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 5284 C Kiesinger (CDU/CSU) . . .. 5291 B, C, D, 5.300 C, 5301 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 5291 D Unterbrechung der Sitzung . . 5301 D Zur Abstimmung: Dr. Menzel (SPD) 5302 A Stücklen (CDU/CSU) 5302 A, C Überweisung an den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit, an den Ausschuß für Beamtenrecht und den Rechtsausschuß 5302 B Beschlußfassung über den Antrag Druck- sache 1499 5302 C, D Nächste Sitzung 5302 D Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 89. Sitzung 5302 B Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5303 A Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den I Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 89. Sitzung Seite 4973 B Zeile 12 ist zu lesen: Frau Kalinke (DP) 4981 B Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich D. Dr. Gerstenmaier 15. August Dr. Blank (Oberhausen) 30. Juli Dr. Pohle (Düsseldorf) 30. Juli Dr. Vogel 30. Juli Albers 23. Juli Dr. Graf Henckel 23. Juli Dr. Jentzsch 23. Juli Koenen (Lippstadt) 16. Juli Morgenthaler 16. Juli Pelster 16. Juli Dr. Dr. h. c. Pünder 9. Juli Schuler 9. Juli Griem 2. Juli Held 2. Juli Margulies 2. Juli Scheel 2. Juli Eberhard 1. Juli Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 1. Juli Berlin 30. Juni Elsner 30. Juni Dr. Gille 30. Juni Frau Kalinke 30. Juni Frau Keilhack 30. Juni Mühlenberg 30. Juni Müller (Wehdel) 30. Juni Neuburger 30. Juni Rademacher 30. Juni Schulze-Pellengahr 30. Juni Müller (Erbendorf) 29. Juni Dannemann 28. Juni Dr. Eckhardt 28. Juni Dr. Friedensburg 28. Juni Dr. Gleissner (München) 28. Juni Heiland 28. Juni Frau Dr. Jochmus 28. Juni Dr. Kather 28. Juni Klingelhöfer 28. Juni Kunz (Schwalbach) 28. Juni Dr. Leiske 28. Juni Lemmer 28. Juni Meyer-Ronnenberg 28. Juni Frau Dr. Maxsein 28. Juni Müser 28. Juni Raestrup 28. Juni Schloß 28. Juni Schmidt (Hamburg) 28. Juni Schoettle 28. Juni Dr. Starke 28. Juni Wehking 28. Juni Zühlke 28 Juni b) Urlaubsanträge Dr. Dresbach vom 4. bis zum 16. Juli
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    Rede von Hellmuth Guido Alexander Heye


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wünschte mir für meine Ausführungen die forensische Beredsamkeit der hervorragenden Redner dieses Hauses; leider verfüge ich nicht über sie.
    Nachdem die Dinge alle schon so im einzelnen erörtert worden sind und die Hauptarbeit jetzt in den Ausschüssen geleistet werden muß, möchte ich mich auf einige allgemeine Gesichtspunkte beschränken, die ich, ich will mal sagen, aus meiner persönlichen Erfahrung heraus aufzeigen möchte, um zur Beurteilung all dieser Fragen einen Beitrag zu leisten.
    Ich glaube, daß ich von den früheren Soldaten hier im Hause der mit der vielseitigsten, vielleicht auch längsten Berufserfahrung bin.

    (Zuruf von der SPD: Der „Dienstälteste"!)

    — Auch der mit den längsten Erfahrungen, nicht nur der Dienstälteste! — Ich meine aber auch, daß es für uns Altere eine Aufgabe ist, der jüngeren Generation, die die Führung zu übernehmen hat, in erster Linie mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
    Ich bin der Ansicht, daß man gerade bei dem Aufbau einer Wehrmacht der Erfahrung eine besondere Rolle zugestehen sollte. Ich glaube, daß sich die Richtigkeit der Konzeption einer Wehrmacht oder die Fehler, die man gemacht hat, erst in einem Krisenfalle oder in einem Kriegsfalle — der, so Gott will, nicht eintritt — beweisen lassen. Bis dahin besteht die Gefahr, daß die gesamte Konzeption, nach der die Wehrmacht aufgebaut wird, ihre Struktur, ihre Organisation, ihre Planung, unter Umständen eine falsche Investition bedeutet. Kein Mensch weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Ich glaube aber, daß gerade wir auf Grund unserer — in diesem Falle kann man ja sagen: leider — sehr vielseitigen Erfahrung auch mit den wechselnden politischen Formen, die wir in unserem Leben erfahren haben, in der Lage sind, gerade auf diesem Gebiete einen Beitrag für die Zukunft zu leisten, natürlich einen Beitrag, der allein nicht beweiskräftig ist, der sich aber doch auf die lebendigen Erfahrungen der letzten vierzig Jahre stützt. So möchte ich denn meine Ausführungen heute nur unter diesem Gesichtspunkt machen.
    Selbstverständlich maße ich mir nicht alleine ein maßgebendes Urteil über all diese Fragen an. Ich glaube, daß bei der ungeheuren Aufgabe, vor der wir stehen, nämlich eine Verteidigungsorganisation völlig neu aufzubauen, jeder die Pflicht hat, an dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Es muß eine selbstverständliche Aufgabe sein, alle Erfahrungsquellen, die überhaupt zur Verfügung stehen, auszunutzen, um der wahrscheinlich richtigen Konzeption Rechnung zu tragen.
    Ich darf vielleicht gerade hier ein Bild aus meiner eigenen Vergangenheit bringen: den Aufbau der damaligen kaiserlichen Flotte 1914. Die kaiserliche Flotte war auf der Konzeption aufgebaut,


    (Heye)

    daß der Engländer im Kriegsfalle mit seiner gesamten Flotte nach Helgoland fahren und dort eine Schlacht mit der deutschen Flotte schlagen würde. Der Engländer tat dies nicht, und infolgedessen wurde die damalige Flottenleitung vor die Frage gestellt, wie sie die ihr gestellte Aufgabe, nämlich die Sicherung der Zufuhr nach Deutschland und die Störung der feindlichen Zufuhr, lösen wolle. Sie konnte es nicht, weil die Flotte, ein Milliardenobjekt, auf Grund einer falschen Konzeption aufgebaut war. Der Engländer begnügte sich damit, die Zufuhren weit draußen zu unterbinden und Deutschland von den Weltmeeren abzuriegeln. Sie überließen es der deutschen Flotte, diesen Riegel aufzubrechen. Da die Flotte damals diese Aufgabe technisch nicht erfüllen konnte, hatten die Engländer auch ohne Schlacht ihre Einfuhr gesichert und die des Gegners unterbrochen.
    Ich führe dieses Beispiel nur an, um die Bedeutung klarzumachen, die der richtigen Konzeption für den Aufbau einer Verteidigungsorganisation auf Jahre hinaus zukommt. Eine solche Konzeption bedeutet unter Umständen nicht nur eine Fehlinvestition von Material, sondern sie bedeutet auch, daß man den organisatorischen Aufbau, wenn man erkennt, daß er falsch ist, also in einem Krisenfalle, nicht so schnell ändern kann, wie es dann notwendig wäre.
    Lassen Sie mich deshalb von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus nur einige Punkte, ich möchte sagen: beinahe schematisch aufzählen, die vielleicht ein Beitrag zur richtigen Beurteilung der Aufgabe sind, die vor uns steht. Ich mache noch einmal die Einschränkung, daß ich nicht behaupte, das Rezept allein zu besitzen. Ich bin vielmehr der Auffassung,
    31 daß nur durch die Zusammenarbeit aller Stellen, zu denen ich vor allem auch das Parlament rechne. die richtige Konzeption, die ja zum großen Teil eine politische Konzeption ist, gefunden werden kann. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe. diese richtige Konzeption, jedenfalls die wahrscheinlich richtige Konzeption, zu finden.
    Meine Damen und Herren, der Beginn der deutschen Wiederbewaffnung fällt nach meiner Überzeugung mit einer Zeitwende zusammen, deren Ausmaß sich überhaupt noch nicht übersehen läßt. Die Wandlung des bisherigen Weltbildes umfaßt alle Gebiete der menschlichen Existenz. Sie hat nur noch wenig mit den politischen und wirtschaftlichen, auch nicht mit den sozialen Vorstellungen der Vergangenheit gemeinsam, weder mit denen von 1914 noch mit denen von 1933 und 1939 und selbst nicht mit denen von 1945. Die deutsche Wiederbewaffnung muß unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden. Zum erstenmal in der neueren Geschichte steht eine Nation von der Bedeutung der Bundesrepublik vor der Aufgabe, eine gewaltsame und totale Unterbrechung ihrer militärischen Vergangenheit zu beenden und ohne den Ballast veralteter Strukturen einen von den Erfordernissen der Zeit diktierten Anfang zu finden.
    Diese Zäsur im politischen Leben der Bundesrepublik ist Chance und Gefahr zugleich. Die Chance besteht darin, daß die geistige Konzeption für die zukünftigen Streitkräfte einer im Fluß befindlichen Entwicklung auf weite Sicht entspricht, eine Aufgabe, die in erster Linie schöpferische, phantasiebegabte Kräfte mit politischem Instinkt innerhalb der Streitkräfte verlangt. Es gehört zur Charakteristik aller Streitkräfte, daß sie auf Grund des ihnen innewohnenden Beharrungsvermögens und ihrer strukturellen Schwerfälligkeit sich den Entwicklungen der Zeit nur allmählich anpassen. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, welche Kräfte mit welchen Vorstellungen neu beginnen.
    Damit wird aber zugleich auch die Gefahr sichtbar, die ein neuer Start in sich birgt. Zunächst gilt es, der naheliegenden Versuchung zu begegnen, es brauche nur dort begonnen zu werden, wo man einmal aufgehört habe. Die größte Gefahr liegt zweifellos darin, daß entsprechend den Anschauungen der Vergangenheit die Vorbereitung und die Durchführung der Verteidigungsmaßnahmen eine ausschließliche Sache der Militärs bzw. auch des hierfür zuständigen Spezialministeriums und nicht eine lebenswichtige Aufgabe des gesamten Volkes und jedes einzelnen Bürgers sei. Die Kämpfe um die Lebensformen der Völker werden künftighin sehr viel stärker als in der Vergangenheit von den Völkern als Ganzes und nicht allein von ihren Armeen getragen. Sie lassen sich daher nicht mehr mit den Gedankengängen oder den Konzeptionen von Militärs zurückliegender Epochen erfassen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich möchte gerade im Hinblick auf das, was mehrfach heute angeklungen ist, noch einmal einen Punkt herausstellen. Die künftige Stellung des Soldaten erfordert eine Änderung in der bisherigen Auffassung von der Stellung des Soldaten im Staate. Ich möchte unsere bisherige Auffassung, die auch heute noch nicht ganz überwunden ist, als die kontinentale Auffassung ansprechen im Gegensatz zur Auffassung der großen seefahrenden Völker. Bei uns und ähnlich bei anderen rein kontinental eingestellten Nationen herrschte die jedenfalls im ersten Weltkrieg noch keineswegs überwundene Auffassung, daß ein Krieg die Auseinandersetzung zwischen den beiderseitigen Streitkräften sei. Aus dieser Einstellung heraus wurde der Soldat mehr oder weniger zum allein verantwortlichen Träger der Verteidigung. Er wurde — durchaus verständlich aus dieser Anschauung heraus — in Friedenszeiten überbewertet als Angehöriger des Berufes, der sich im Ernstfall zunächst und vielleicht sogar ausschließlich für die Sicherheit der Gemeinschaft zu opfern hätte.
    Diese Grundeinstellung zum Wesen des Krieges hatte aber noch eine sehr viel weiterreichende Folgerung. Der Soldat wurde nicht nur mit der Verantwortung für die Vorbereitung der Landesverteidigung belastet; er wurde auch für Erfolg oder Mißerfolg einer kriegerischen Aktion verantwortlich gemacht.
    Im Gegensatz zu den Bürgern in Staaten wie England oder den USA fühlte sich der durchschnittliche Staatsbürger für die Fragen der Verteidigung nicht verantwortlich, und ebenso überließ es der Staatsmann — der erste Weltkrieg ist ein treffender Beweis hierfür — dem militärischen Befehlshaber, die Schwerpunkte der Kriegführung zu bestimmen. Ein Land wie England oder auch wie die USA kennt seit langem nur die eine Auffassung, daß eine kriegerische Auseinandersetzung eine totale Auseinandersetzung ist, d. h. zwischen Volk und Volk. Damit wird die Verantwortung von allen Staatsbürgern gemeinsam getragen. Der Soldat hat keine übergeordnete Funktion, sondern nur eine unter vielen Funktionen im Auftrage der Gemeinschaft.


    (Heye)

    Es bedarf keiner besonderen Erläuterung, wie weitreichend die Auswirkungen einer solchen Auffassung sind und daß aus der verschiedenen Auffassung der jeweils kriegführenden Völker weitreichende Mißverständnisse entstanden sind. Ich erinnere nur an den ersten Weltkrieg, wo die Blokkade, die sogenannte Hungerblockade, von uns als eine perfide Form der Kriegführung verstanden wurde, während sie nur der natürliche Ausdruck der Auffassung vom Wesen des Krieges seitens der anglo-amerikanischen Seemächte ist, daß nämlich der Krieg sich gegen das ganze Volk richtet und nicht nur den Soldaten als Objekt erfaßt.
    Durch das Zusammenwachsen der freien Welt verstärkt sich der Einfluß der Völker, deren Blick seit jeher auf die Meere gerichtet ist, auch auf ihre kontinentalen Partner. So wird auch die Bundesrepublik in steigendem Maße von der politischen Auffassung dieser Völker beeinflußt und wird in Abwandlung oder Oberwindung früherer Grundsätze dem Soldaten den seinen Aufgaben und Pflichten entsprechenden Platz im staatlichen Leben, genau wie es in England und in den USA bereits der Fall ist, einräumen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
    Es ist vielleicht zweckmäßig, zu betonen — man kann es, glaube ich, nicht oft genug sagen —, daß die Zeiten kriegerischer Auseinandersetzung zwischen unseren westlichen Nachbarn und uns der Vergangenheit angehören. Ich glaube, es gibt in der Bundesrepublik keinen denkenden Menschen, der solche Möglichkeit auch nur in Erwägung zieht. Ich sehe darin nicht nur einen Erfolg des europäischen Gedankens, der trotz aller Rückschläge auf organisatorisch-politischem Gebiet ständig und unaufhaltsam an Boden gewinnt, sondern auch eine Auswirkung der langjährigen Verhandlungen für das Zustandekommen der inzwischen gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Ich persönlich habe den Wert dieser Verteidigungsgemeinschaft als einen Meilenstein auf dem Wege zum geeinten Europa immer höher eingeschätzt als die militärischen Abmachungen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ein Wort zur Jugend. Ich bin sicher nicht der einzige, der ein besonderes Verständnis dafür hat, wenn die Jugend gegenüber einer neuen staatsbürgerlichen Verpflichtung zum Waffendienst skeptisch ist. Ich sehe es sogar als ein Zeichen wachsender geistiger Selbständigkeit an, wenn die eigenen Überlegungen und Zweifel bei unserer Jugend bereits in den Jahren erkennbar sind, in denen wir noch viel zu viel unkritische Begeisterung und Autoritätsgläubigkeit besaßen. Ich glaube allerdings auch, daß mehr als alle Diskussionen und alle Vorträge und Auseinandersetzungen die ersten stehenden Einheiten einer Verteidigungsorganisation, ich möchte sagen: als Modelltruppe den Beweis dafür liefern werden, daß der Geist, der in dieser neuen Truppe lebendig ist, ein Geist ist, der durchaus von jedem jungen Menschen unserer Bundesrepublik respektiert werden kann. Ich glaube deshalb, daß die Anziehungskraft der künftigen Streitkräfte gewinnen wird, daß sich eine große Propaganda erübrigt, wenn erst mal die ersten Einheiten sozusagen als lebendiger Anschauungsunterricht sichtbar werden.
    Ein Wort noch — weil es hier mehrfach angesprochen worden ist — zur Beurteilung des Soldaten. Meine Damen und Herren, ich habe die in der
    zurückliegenden Zeit immer wieder beobachtete und allen Soldaten bekannte, sagen wir einmal: Minderbewertung des Soldaten als Beruf nicht sehr tragisch genommen. Das ist eine Erscheinung, die nach jedem verlorenen Kriege bemerkbar ist. Wenn Sie in der Geschichte nachblättern, so werden Sie finden, daß es eigentlich fast in allen Staaten so gewesen ist. Der Soldat, vor allem der Berufssoldat, muß damit rechnen, daß er nach einem verlorenen Kriege in erster Linie als der Verantwortliche hingestellt wird und die Folgen zu tragen hat. Gerade aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß wir allmählich zu der englischen und amerikanischen Auffassung kommen sollten, nach der die Verantwortung für Verteidigung wie überhaupt für den gesamten militärischen Apparat vom Staat und von jedem Bürger getragen wird und nicht vom Soldaten. Der einzelne Soldat ist überfordert, wenn man das von ihm verlangt.
    Die praktische Folgerung, die ich daraus ziehe — meine Damen und Herren, nicht erst seit der Zeit nach dem Kriege! —, ist die, daß die soldatische Organisation — in diesem Falle das Verteidigungsministerium — um so stärker wird, je mehr sie sich
    auf die rein militärischen Aufgaben konzentriert
    und alle anderen tragenden Kräfte eines staatlichen Lebens zur Verantwortung mit heranzieht. Wenn die anderen Partner — ob es sich um Ministerien oder andere Organisationen handelt — nicht selber eine Verantwortung tragen, werden sie sich dieser Verantwortung auch nicht bewußt werden. Ich glaube, es ist eine Stärkung der militärischen Organisation, wenn sie sich auf die rein militärischen Aufgaben konzentriert.
    Eine Frage noch, die vielleicht in das strategische oder operative Gebiet fällt: Reicht die Stärke der vorgesehenen Wehrmacht und die der vorgesehenen Kräfte aus, um eine wirkliche Sicherung des deutschen Bodens gegenüber sowjetischen Aggressionen zu bilden? Ich will mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen; ich möchte nur darauf hinweisen, daß nach meinem Gefühl — im übrigen ein allgemein gültiger Standpunkt, der noch viel zu wenig beachtet wird — gerade die Bundesrepublik und Europa in Verbindung mit den weitreichenden Möglichkeiten der großen Seemächte wie USA und Großbritannien in der Lage sind, mit Hilfe der den sowjetischen Block umgebenden Meere und ihrer lebenswichtigen Seeverbindungswege eine militärpolitische Lage zu schaffen, die in Krisenfällen eine Überflutung unserer Heimat durch östliche Aggressoren unwahrscheinlich erscheinen läßt. Die See bietet weitreichende strategische und politische Möglichkeiten für den, der sie zu benutzen versteht. In den letzten beiden Kriegen hat die deutsche politische und militärische Führung die Bedeutung der Seeverbindungen für die militärischen Entscheidungen verkannt. Zum ersten Male in der neueren Geschichte sind wir Partner der großen seefahrenden Nationen und gewinnen dabei auch bei geringeren Stärken der stehenden Streitkräfte einen militärpolitischen Vorteil, der von den Sowjets durch die geographische Lage nicht ausgeglichen werden kann, auch nicht kräftemäßig. Machen wir uns frei von der Vorstellung, die Kraft eines Gegners nur nach den Zahlen der Menschen oder der Divisionen zu messen, die er unter den Waffen hat und ,die aus den bekanntgewordenen Beständen seiner Panzer, seiner Flugzeuge und seiner Schiffe ablesbar sind!


    (Heye)

    Bei dieser Gelegenheit darf ich kurz auch auf die Bedeutung hinweisen — zu diesem Hinweis sehe ich mich als früherer Angehöriger der Marine besonders verpflichtet —, die innerhalb unserer künftigen Streitkräfte die Marinestreitkräfte haben werden. Sie haben keinen Selbstzweck, sondern sie schließen in einem für die Gesamtverteidigung entscheidenden Brückenkopfgebiet, das Norddeutschland, Dänemark und Norwegen umfaßt, eine heute noch vorhandene Lücke in der nordatlantischen Seeverteidigung.

    (Abg. Dr. Kliesing: Sehr richtig!)

    Als meinen persönlichen Wunsch darf ich den nennen, daß ich mir auch auf anderen Gebieten eine stärkere Betonung der in der früheren Marine, in der Seefahrt überhaupt gesammelten Erfahrungen gewünscht hätte. Ich glaube, daß die Marine, und zwar die Kriegs- und die Handelsmarine, ebenso wie 'alle im Weltverkehr eingesetzten Menschen und Organisationen besonders dazu berufen sind, die Brücken zu anderen Völkern zu schlagen. Ich bin überzeugt, daß das, was wir heute Demokratie nennen, zu einem großen Teil die Staatsform der seefahrenden Völker ist, wie schon im Altertum das seefahrende Athen eine Demokratie im Gegensatz zum binnenländischen Sparta war. In seinen Vorträgen an der Frankfurter Universität hat der frühere amerikanische Botschafter George Kennan ähnliche Gedanken ausgesprochen.
    Ein kurzes Wort zum Thema Miliz und Streitkräfte. Ich glaube, es gibt keinen nüchtern denkenden Fachmann, der entgegen allen historischen Erfahrungen einer Wehrmacht, die milizartig aufgebaut ist, den gleichen Kampfwert zuerkennt wie einer aktiven Wehrmacht. Der Kern einer zu diesen Aufgaben befähigten Verteidigungsorganisation wird also immer auf stehenden Streitkräften beruhen, die sich entweder auf der Wehrpflicht oder auf der freiwilligen Dienstleistung aufbauen. Eine milizartige Organisation erscheint mir aber dort zweckmäßig und aus psychologischen Gründen begrüßenswert, wo die zahlreichen Aufgaben der Heimatverteidigung und der Zivilverteidigung in einer aufgelockerteren Form, als es in den Streitkräften möglich ist, eine stärkere Zusammenfassung verlangen. Unter diesen Aufgaben verstehe ich — um mich klar auszudrücken — nicht nur den Luftschutz und die Luftabwehr. Nach meiner Auffassung bilden die Heimatverteidigung und die Zivilverteidigung von Anfang an eine notwendige Ergänzung der Streitkräfte; das eine ist nicht ohne das andere möglich. Es muß also hier eine Form gefunden werden, bei der sowohl die Kosten niedrig sind wie die zeitliche Inanspruchnahme der ihr angehörenden Menschen kurz ist.
    Ich habe in meinen bisherigen Ausführungen, die ich auf Grund der vorangegangenen Debatte erheblich gekürzt habe, einige grundsätzliche Fragen berührt, die auch bei der Bearbeitung des Freiwilligengesetzes den Hintergrund bilden wenden. Nachdem aber heute bereits so viele Ansichten zu Einzelheiten vorgebracht worden sind, auch Gedankengänge außerhalb meiner Fraktion, Gedankengänge, die ich, wie z. B. bei meinem Kollegen von Manteuffel, durchaus teile, möchte ich mich auf die Punkte beschränken, die meiner Ansicht nach noch nicht behandelt sind oder vielleicht einer erneuten Unterstreichung bedürfen.
    Es ist auch für mich kein Zweifel, daß das Freiwilligengesetz, auch wenn es nur den Charakter
    eines vorläufigen, nach Zeit und Zweck begrenzten Einleitungsgesetzes haben soll, kein sehr glücklicher psychologischer Start für die große und gewaltige Aufgabe des Aufbaus deutscher Streitkräfte ist. Seine Form und seine Entstehungsgeschichte können nur mit den dringenden Forderungen der Außenpolitik begründet werden. Es bedarf keiner Worte, daß das deutsche Interesse an einem wohldiurchdachten Aufbau der Verteidigung durch ein solches unter Zeitdruck stehendes Gesetz nur sehr schwer gewahrt werden kann. Es wird deshalb — und ich glaube, daß ich mich mit der großen Zahl meiner Parteifreunde in Übereinstimmung befinde — zunächst die Aufgabe der zuständigen Ausschüsse dieses Hauses sein, das vorliegende Kurzgesetz dort, wo es notwendig ist, so zu ergänzen, daß die psychologischen und personalmäßigen Nachteile ausgeglichen werden. Entsprechend meinen Ausführungen zu Beginn dieser Darlegungen bestehen meine Bedenken in erster Linie darin, daß das Gesetz in dieser Form nicht die notwendige Anziehungskraft auf die Kräfte ausüben wird, die bei einem völligen Neubeginn einer so einmaligen Aufgabe als Kern der Streitkräfte notwendig sind. Sicher im Gegensatz zu manchen anderen Auffassungen in diesem Hause rechne ich zu den formgebenden Kräften nicht nur die Spitzen der militärischen Hierarchie, so wichtig sie für Geist und Menschenführung sind, sondern auch einen Kern von Persönlichkeiten in allen Dienstgraden und Laufbahnen der Wehrmacht. Ich glaube, daß keine private, keine wirtschaftliche und keine staatliche Institution auf einen solchen Kern von Persönlichkeitswerten, die dem Ganzen das Gesicht geben, verzichten kann. Eine Wehrmacht bedarf ihrer um so mehr, je größere Anforderungen an den Neuaufbau, wie er vor uns liegt, gestellt werden müssen. Nach meiner Auffassung muß ein solcher Kern von formbildenden Persönlichkeiten auch unter den 6000 Männern in finden sein — und zwar auf allen Ebenen —, die den Wehraufbau einleiten. Wir brauchen zu einem gewissen Prozentsatz Menschen, die ihre soldatische Aufgabe nicht nur als Beruf, sondern als Berufung ansehen. Ich vertrete den Standpunkt, daß gerade die früheren Soldaten jeder Rangklasse, die sich in den Nachkriegsjahren eine zivile Lebensstellung, ganz gleich, auf welcher sozialen Ebene, geschaffen haben, eine besonders wertvolle Bereicherung der künftigen Führungskräfte der Wehrmacht sein werden. Sie haben eine Erweiterung ihres gesamten Gesichtskreises erfahren, die für die Aufgaben der Menschenführung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.
    Ich gebe ganz offen der Sorge Ausdruck, daß das Gesetz in der vorliegenden Form für diese Kräfte vielleicht nicht genügend Anziehungskraft besitzt,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    also für jenen Typ der ehemaligen Soldaten, deren Name nur in Ausnahmefällen auf den Bewerbungslisten des Verteidigungsministeriums zu finden sein wird. Wir müssen uns vor Augen halten, daß bei der Charakteristik jeder militärischen Organisation die erste Weichenstellung die Fahrtrichtung für die nächsten Jahre entscheidend beeinflussen kann.

    (Sehr richtig! beim GB/BHE.) Deshalb: Wehret den Anfängen!

    Um das Gewicht meiner Ausführungen zu unterstreichen, darf ich darauf hinweisen, daß der Neuaufbau der deutschen Verteidigungsorganisation


    (Heye)

    schon an sich entgegen der Gesetzlichkeit eines organischen und natürlichen Aufbaues von oben nach unten erfolgen muß. Allein aus dieser Tatsache wird die Gefahr erkennbar sein, die darin besteht, daß die Organisation über den Menschen, in diesem Fall die Truppe, triumphiert. Gerade bei uns Deutschen, die wir als Meister der Organisation einen Ruf genießen, besonders auch auf militärischem Gebiet, ist diese Gefahr stark ausgeprägt. Sie kann dazu führen, daß die Funktion des Kästchens und des Schemas jede lebendige Entwicklung hemmt. Sie züchtet unter Umständen jenen Typ von Spezialisten, die als Ausgangspunkt für die Beurteilung dieses oder jenes Problems zunächst einmal die Frage stellen: Wer untersteht wem?, statt der Frage: Wer arbeitet mit wem zusammen?
    Der Mensch muß im Mittelpunkt aller Planungen stehen. Jeder, der den Soldatenberuf ergreifen will, muß zunächst danach streben, Menschen zu führen, und bereit sein, Verantwortung zu tragen. Man kann nicht Menschen nur vom Schreibtisch aus führen. Heute — im Zeitalter der Technik — muß der Soldat mehr denn je Kontakt mit dem Menschen haben, auf dessen Befehl hin er seine Pflichten erfüllen soll. Ich bin keineswegs der Ansicht, wie sic heute mehrfach zum Ausdruck gekommen
    ist, daß der Kompaniechef der höchste sozusagen sichtbare Vorgesetzte für den Landser sein soll. Je mehr der Divisionskommandeur und auch seine höheren Vorgesetzten bereits im Frieden dem Soldaten als Mensch und Persönlichkeit vertraut sind, um so stärker wird sich die Einheit zu einem großen Team zusammenschließen, zu einem Team, in dem auch ohne Befehle der Untergebene im Sinne der Führung handeln kann. Ich kann daher in Ergänzung der Ausführungen des Kollegen Jaeger nur darauf hinweisen, daß die Mehrzahl der Fronttruppen ihren Divisionskommandeur, oft auch den Armeebefehlshaber, als Mensch durchaus gekannt und ihm vertraut haben. Gerade in kritischen Lagen ist dieses wechselseitige Vertrauen die Basis jeden Erfolges, nicht nur bei der Wehrmacht. In der Marine war es schon deshalb so, weil der Kommandant eines Schiffes durch das ständige Zusammenleben mit den ihm anvertrauten Menschen auf engem Schiffsraum mit ihrem Schicksal untrennbar verbunden war.
    Die Tragweite der personellen Auswahl für die künftige Wehrmacht läßt sich aus dem Aufbau der Reichswehr nach der Niederlage von 1918 erkennen. Damals gab es keine totale Auflösung der Wehrmacht. Die von den damaligen Siegern festgesetzte Größe der Reichswehr und die Zahl ihrer Offiziere ergab sich durch die allmähliche Verringerung der noch vorhandenen Einheiten des kaiserlichen Heeres, mit der naturgemäß eine Einschränkung der freien Auswahl unter den Führungspersönlichkeiten verbunden war. Im 'Gegensatz zu heute blieb das Fundament als Faktor der Beharrung und auch die damals noch sehr lebendige Tradition des Kaiserreichs erhalten. Ein Grund für die isolierte Stellung der Reichswehr im Weimarer Staat ist nach meiner Auffassung in diesen beiden Faktoren zu suchen, wobei die Absonderung — und darin stimme ich mit anderen Rednern überein — keineswegs einseitig die Schuld des Soldaten war. Es ist verständlich, daß z. B. die sich nach 1918 oder nach den Revolutionserscheinungen auch im damaligen Offizierskorps der Wehrmacht bemerkbar machenden Wünsche auf eine Strukturänderung, auf eine Reform allein an der Tatsache scheitern
    mußten, daß durch das übernommene Fundament die Beharrungskräfte damals zu groß waren.
    Ich glaube, daß Tausende von ehemaligen und auch die Eltern von zukünftigen Soldaten dankbar sein werden für die Ausführungen in der Regierungserklärung, in denen die Anerkennung und Würdigung des ehemaligen Soldaten zum Ausdruck gebracht wird. Sie werden mit uns allen die in der Regierungserklärung ausgesprochene Hoffnung teilen, daß baldigst eine Regelung der Kriegsverurteiltenfrage, die unserer Souveränität und unserer Partnerschaft mit den freien Ländern Rechnung trägt, erwartet wird. Eine befriedigende Lösung gerade der Kriegsverurteiltenfrage und ein sichtbares Bestreben der zuständigen Stellen in der Hinsicht, daß auch die Strafvollstreckung und Strafbeendigung bei den Verurteilten in Spandau nach den Gesichtspunkten geregelt werden, wie sie in den Ländern der am Nürnberger Prozeß beteiligten Staaten üblich sind, wird nach meiner Ansicht die Qualität künftiger Lehrkaders der Wehrmacht günstig beeinflussen. Die endgültige Regelung dieser unsere Souveränität beeinträchtigenden Fragen ist nicht etwa nur ein Anliegen einzelner Offiziersverbände, sondern ist allgemein — wie man immer
    wieder erfährt — der Wunsch weiter Kreise unseres Bürgertums, dem eine gesunde Grundlage für die Entwicklung künftiger Streitkräfte am Herzen liegt.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Ich appelliere an dieser Stelle noch einmal an unsere heutigen Partner und darüber hinaus an die Gewahrsamsmächte überhaupt, durch Entlassung der Kriegsverurteilten und auch der Kriegsgefangenen, gegebenenfalls auf dem Gnadenwege, einen klaren Horizont für die Beendigung der Nachkriegspsychose zu schaffen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Als einen guten Beitrag unsererseits zu diesem Komplex würde ich es ansehen, wenn auch die Kollektivbeurteilung, wie sie bei uns z. B. noch hinsichtlich der Waffen-SS gilt, praktisch beendet würde. Ich bin in dieser Hinsicht der Auffassung des verstorbenen Dr. Schumacher, daß man nicht etwa an die Stelle einer Kollektivschuld eine Kollektivunschuld setzen solle, sondern daß man diese Fragen nur nach den Grundsätzen eines Rechtsstaates und nach der individuellen Behandlung klären kann. Ich erinnere daran, daß ein großer Prozentsatz der Angehörigen der Waffen-SS durch Befehl zu ihr einberufen wurden und, soweit sie als Soldaten tätig waren, keine andere Aufgaben erfüllt haben als jeder andere Soldat, der zu seiner Formation einberufen wurde.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich unterstreiche den heute schon von verschiedenen Seiten geäußerten Wunsch, daß die Versorgung derjenigen ehemaligen Soldaten und der Kriegsopfer, bei denen sie noch nicht befriedigend gelöst worden ist, geregelt wird, da sie mittelbar einen Einfluß auf die Qualität der späteren Freiwilligen haben wird. Daß über diese noch notwendige Ergänzung der Versorgung hinaus die Ehrenpflicht von uns allen nicht beeinträchtigt werden darf, auf eine baldige Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus zu drängen, halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
    Aus meinen Erfahrungen heraus möchte ich noch einmal auf die unbedingte Notwendigkeit hinwei-


    (Heye)

    sen, daß der Aufbau der kommenden Streitkräfte sich auf alle demokratischen Kräfte stützt. Ich hoffe deshalb, daß auch die SPD selbst bei Ablehnung des jetzigen außenpolitischen Kurses an der Verwirklichung der Wehrverfassung genau so beteiligt wird und sich beteiligt, wie sie es bisher im Ausschuß getan hat.
    Ich stelle abschließend meinen besonderen Wunsch heraus, daß das vorliegende Gesetz im Interesse der Gewinnung formprägender Menschen auf allen Ebenen des militärischen Lebens so weit ergänzt wird, daß es auch für diese Kräfte eine Anziehungskraft ausübt. Auf die weiteren Ergänzungen auf rechtlichem oder auf psychologischem Gebiet, die hier bereits angesprochen worden sind, will ich nicht weiter eingehen. Diese Dinge müssen in schärfster Konzentration in den kommenden Ausschußsitzungen behandelt werden. Dabei bin ich allerdings der Meinung, daß die Überweisung des vorliegenden Gesetzes an die Ausschüsse die Verpflichtung bedeutet, dieses Gesetz selbst unter Verschiebung der Parlamentsferien zu Ende zu bringen. Man kann nicht der Auffassung der Regierung zustimmen, daß die außenpolitische Lage eine solche Eile in der Behandlung dieses Gesetzes erfordere, wenn man nicht auch zu der Folgerung bereit ist, daß dieses Gesetz trotz der Eile mit der gebotenen Sorgfalt ausgearbeitet werden muß.
    In meinen Ausführungen habe ich mich darauf beschränkt, einige Probleme anzuschneiden, um eine gewisse Linie abzustecken, die ich auf Grund meiner eigenen Erfahrungen angestrebt sehen möchte. Der Mensch ist auch im Zeitalter der Technik entscheidend. Wir brauchen überall und vor allem in der Wehrmacht Menschen, die ihre Autorität nicht nur dem Gesetz verdanken, sondern ihrer Persönlichkeit. Nur diese Kräfte werden in Krisenzeiten das tragende Element des gesamten Aufbaus bilden. Sie werden anderen Haltung und Form geben und damit auch das Ganze halten.

    (Beifall in der Mitte.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag führt heute die siebente Wehrdebatte in seiner sechsjährigen Geschichte durch. Die bisherigen sechs Debatten unterschieden sich wesentlich von der heutigen dadurch, daß in ihnen eine echte Spannung und Auseinandersetzung sichtbar war. Wenn man etwa aus den Börsenberichten für die heutige Debatte eine Bezeichnung finden wollte, so müßte man über diese Debatte — jedenfalls bis zur Gegenwart — schreiben: Stimmung lustlos und gedrückt. Das mag verschiedene Gründe haben. Ein Grund ist sicher auch das allzu wörtliche Befolgen des Begriffs „erste Lesung". Als heute vormittag aus diesem Raum der Zwischenruf fiel „Schneller lesen!" oder „Langsamer lesen!", hat der Herr Präsident geantwortet, daß man ja schlecht ungleich behandeln könne, weil eben auch andere gelesen haben. Die geistige Grundlage des Parlamentarismus ist aber jener diskursive Vorgang von Rede und Gegenrede, von Argument und Gegenargument mit dem Ziel, die relativ beste Lösung zu finden. Sollten wir weiter so wider den Geist des Parlamentarismus sündigen und weiter vorlesen, obgleich in der Geschäftsordnung steht, daß die Abgeordneten in freier Rede zu sprechen haben,
    dann empfehle ich, die Schriftsätze auszutauschen, wie die Anwälte es bei Gericht tun, sie zu Protokoll zu geben und die Lesung von Gesetzen im Umlaufverfahren zu machen. Vielleicht ist das dann die neue Form des Parlamentarismus. Ich kann kaum noch vor jungen Studenten gegen Carl Schmitt „Über die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Parlamentarismus" als Verteidiger des Parlamentsrechts auftreten — Herr Kollege Kiesinger, Sie werden es auch kaum noch tun können —, wenn wir weiter der Öffentlichkeit das Bild der Vorlesungen bieten.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Nach dieser Vorbemerkung lassen Sie mich auf einen zweiten Grund kommen. Der zweite Grund, weswegen die Stimmung lustlos und gedrückt ist, dürfte der unglückliche Beginn unserer Wehrgesetzgebung sein. Dabei hatten wir doch soviel Zeit! Im Dezember 1949 haben wir in der ersten Wehrdebatte des Deutschen Bundestages einstimmig eine Wiederbewaffnung abgelehnt; 1952 zwei große Wehrdebatten, 1953 eine, 1954 eine, im Februar 1955 die Abschlußdebatte der Pariser Verträge. Man hätte also viel Zeit gehabt, nach dem Goethewort zu handeln: „Das ,W a s' bedenke, mehr bedenke, w i e !".

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Das sagt aber Mephisto!)

    Bei einer entsprechenden Vorbereitung hätte sich manches jetzt vermeiden lassen, was durch die Einbringung des Freiwilligengesetzes nun leider an Mißhelligkeiten und Mißverständnissen in der deutschen Öffentlichkeit sichtbar ist. Als uns der Herr Bundeskanzler in einer Koalitionsbesprechung seine Absicht bekanntgab, ein Kurzgesetz als Vorausgesetz einbringen zu lassen, da haben die Sprecher aller Koalitionsparteien ihn dringend vor diesem Weg gewarnt,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    weil sie erhebliche psychologische Rückwirkungen dieses Verfahrens auf das Parlament, auf den Bundesrat und auf die deutsche Öffentlichkeit befürchtet haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir haben empfohlen, mindestens das Soldatengesetz mit einzubringen und dem Parlament die allgemeine große Konstruktion des Wehrwesens bekanntzugeben, damit man auch die allgemeine Richtung erkennen könnte und nicht der Eindruck entstünde, daß das Wehrwesen so als Stückwerk von Gesetz zu Gesetz gegliedert werden sollte, so wie etwa die Konstruktion dieses Bundeshauses, bei dem man sich aus Sparsamkeit auch nicht gleich zu einer großartigen Planung entschließen konnte mit dem Erfolg, daß wir nun allmählich nur noch mit Hilfe eines Marschkompasses durch das Bundeshaus durchfinden können.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Ähnlich würde es mit dem Wehrwesen sein. Man baut ein Haus dadurch auf, daß man die Fundamente legt und den Gesamtplan offenlegt, und nicht dadurch, daß man zunächst oben an der Spitze beginnt. Wir müssen zur Kenntnis geben, daß diese unsere Anregungen in der Koalitionsbesprechung doch dadurch realisiert wurden, daß das Soldatengesetz in den Gesetzgebungsgang gebracht wurde. Durch die gestrige Regierungserklärung ist auch eine allgemeine Übersicht über das Wehr-


    (Dr. Mende)

    wesen möglich, so daß die bisherigen harten Angriffe gegen das Freiwilligengesetz nun nicht mehr in dieser Form gerechtfertigt sind.
    Ich darf noch auf etwas anderes Bedauerliches hinweisen, auf die mangelnde Gemeinsamkeit in der Wehrfrage zwischen Opposition und Koalition. Meine Damen und Herren, eine Armee ist keine Addition von Offizieren, Unteroffizieren, Soldaten und Material, sondern eine Armee ist ein Organismus, und das Entscheidende an einem Organismus ist der Geist. Der Geist einer Armee kann niemals gut sein, wenn über die Prinzipien des Wehrrechts im deutschen Parlament ein solcher Streit herrscht. Wenn dieser Streit dann hineingetragen wird in jede Kompanie, in jedes Bataillon, in jedes Regiment, dann trägt das deutsche Volk die Folgen der mangelnden Gemeinsamkeit, die wir in diesem Hause leider zu verzeichnen haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich will nicht auf die Frage eingehen, wer hier wem entgegenkommen soll. Ich bin der Meinung, beide müßten sich entgegenkommen, sowohl die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien wie auch die Opposition. Einige Vorwürfe, Herr
    Kollege Arndt. die Si p soeben erhoben haben und
    die auch der Kollege Ollenhauer heute vormittag erhoben hat, muß man aus Gründen der Objektivität zurückweisen. Es ist nicht wahr, daß diese Broschüre Parteipropaganda am Kasernentor ist. Es ist auch nicht wahr, daß diese Broschüre etwas vorwegnimmt, was dem Parlament vorbehalten ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, es steht im Vorwort des Bundeskanzlers ganz eindeutig — ich darf das mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen —:
    Ich begrüße das Erscheinen der Schrift „Vom künftigen deutschen Soldaten", in der grundsätzliche Planungen für den deutschen Verteidigungsbeitrag zusammenfassend dargestellt werden. Die Schrift soll die verantwortungsvollen Vorarbeiten der Allgemeinheit unterbreiten, bevor die zuständigen verfassungsmäßigen Organe endgültige Entscheidungen treffen.
    Natürlich ärgert sich mancher, daß der Name Adenauer, der Name des Vorsitzenden der großen deutschen CDU/CSU-Partei, hier druntersteht. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, dieser Herr ist gleichzeitig der Regierungschef, der Bundeskanzler des deutschen Volkes und daher für die Ausführung der Pariser Verträge vor dem deutschen Volk verantwortlich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. —Abg. Dr. Arndts Lesen Sie mal die ersten eigene Seiten der Broschüre!)