Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte, die wir heute morgen führen, ist uns von der Mehrheit dieses Hauses in der vergangenen Woche mit dem Hinweis auf die
Dringlichkeit der militärischen Aufrüstung der Bundesrepublik aufgezwungen worden. Das geschah in einem Augenblick, in dem in der internationalen Situation ganz andere Fragen im Vordergrund stehen als die ersten Schritte zur Aufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen der Pariser Verträge. Ich denke an die Abrüstung, an die Politik der internationalen Entspannung und an das Problem der deutschen Wiedervereinigung.
Wenn es für den Deutschen Bundestag in dieser Lage und heute einen Grund zu einer Sondersitzung gegeben hätte, dann den zur Entgegennahme einer Regierungserklärung über die außenpolitische Situation und über das deutsche Verhandlungsprogramm für die kommende Genfer Konferenz und für den Besuch des Bundeskanzlers in Moskau.
Denn hier liegt eine echte Dringlichkeit vor, denn in diesen Verhandlungen kann sich auf lange Zeit das Schicksal des ganzen deutschen Volkes entscheiden. Unsere Regierung aber hat mit Unterstützung der Mehrheit in diesem Zusammenhang und unter diesen Umständen nur eine Sorge die erste Lesung des Freiwilligengesetzes sozusagen sogar nach einem Stundenplan und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, die die Realisierung der Pariser Verträge auf militärischem Gebiet für die Chancen einer Verständigung über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit haben kann.
Das in diesem Augenblick festzustellen, erscheint uns notwendig, weil der überstürzte Versuch, jetzt mit diesem Freiwilligengesetz den ersten Schritt zur Aufrüstung in der Bundesrepublik zu unternehmen, nach unserer Überzeugung den Notwendigkeiten einer aktiven Politik der Wiedervereinigung widerspricht und ihnen in keiner Weise gerecht wird.
Neben all den anderen Gründen, die uns veranlassen, gegen diesen Regierungsentwurf zu stimmen, ist es auch schon allein dieser Grund, der uns veranlaßt, unsere Ablehnung dieses Gesetzentwurfs von vornherein festzustellen.
Das zweite, meine Damen und Herren: diese erste Lesung heute hat noch einen anderen, besonderen Hintergrund. Sie fällt zufällig mit dem letzten Tag der ersten großen Luftmanöver der NATO in Westeuropa und in Westdeutschland zusammen. Man hat gesagt, daß diese Manöver unter den Bedingungen des Ernstfalles und ihm Rahmen der strategischen Planung von NATO durchgeführt werden. Ihr Verlauf läßt daher Rückschlüsse zu sowohl auf das Schicksal der Zivilbevölkerung im Falle eines Atomkrieges als auch im Hinblick auf die spezielle Frage der Sicherheit der Bevölkerung der Bundesrepublik im Falle eines solchen Krieges. Meine Damen und Herren, die bisherigen Berichte deutscher Journalisten über den Verlauf und die Ergebnisse dieser großen Manöver sind einfach alarmierend.
Im Ernstfall wären nach dieser Darstellung die Folgen eines solchen Angriffs von vernichtender Wirkung für die Bevölkerung unseres Landes gewesen.
Dabei ist das besonders Bedrückende in den bisherigen Schilderungen, daß die Zivilbevölkerung schutzlos den verheerenden Folgen dieser Angriffe ausgesetzt gewesen wäre, weil man von der Annahme ausging, daß nichts für ihren Schutz vorbereitet worden sei.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle haben noch die lapidare Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bei der dritten Lesung der Pariser Verträge hier im Hause im Ohr, als er feststellte: Wenn die Bundesrepublik NATO beitritt, dann wird uns das Schicksal erspart, Kriegsschauplatz zu werden.
Wie geisterhaft wirkt diese Erklärung angesichts der Beobachtungen und Erfahrungen in den gegenwärtigen Luftmanövern!
Wir alle haben auch noch in frischer Erinnerung, daß die Mehrheit dieses Hauses auch in der dritten Lesung des Haushalts in der vorigen Woche den sozialdemokratischen Antrag abgelehnt hat, aus dem für die Verteidigung bereitgestellten Betrag mindestens 1,2 Milliarden DM für den zivilen Luftschutz bereitzustellen. Gestern schrieb unter dem Eindruck seiner Beobachtungen bei den Luftmanövern Adlbert Weinstein in der „Frankfurter Allgemeinen", daß es angesichts der allgemeinen Entwicklung des atomaren Krieges nur ein e sinnvolle Aufgabe für die Sicherheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik gebe, nämlich den für die Verteidigung bereitgestellten Gesamtbetrag von 9 Milliarden DM ausschließlich für den Schutz der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.
In dieser Lage, angesichts dieser Beobachtungen, beraten wir auf Verlangen der Regierung und ihrer Mehrheit einen Gesetzentwurf, durch den die Einstellung von 6000 Freiwilligen ermöglicht werden soll.
Jedermann weiß, daß im Zeitalter des Atomkrieges weder diese 6000 Freiwilligen noch die 12 Divisionen, die wir nach den Pariser Verträgen aufstellen sollen, irgendeinen nennenswerten Beitrag für die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik darstellen werden oder können.
Das Volk fühlt es, mit jedem Tag mehr, und Sie alle wissen es, daß man auf diesem Wege der Aufrüstung der Sicherheit der Bundesrepublik nicht gerecht werden kann. Aber die Bundesregierung und die Koalition bestehen trotzdem auf ihren Divisionen, als wäre seit 1952 nichts in der Welt geschehen.
Ich finde, es ist eine geradezu gespenstische Situation, in der wir uns heute in dieser Debatte befinden.
Unsere Ablehnung gründet sich jedoch keineswegs auf diese beiden Gesichtspunkte der Wiedervereinigungspolitik und der Politik der Sicherheit. Wir sind vor allem auch beunruhigt und bestürzt über die Methode, die bei der Vorbereitung und bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs bei den parlamentarischen Körperschaften der Bundesrepublik befolgt worden ist.
Wir haben in der Vergangenheit und auch gestern noch in der Erklärung des Herrn Verteidigungsministers viele schöne Worte und feierliche Erklärungen darüber gehört, daß der Aufbau der deutschen Streitkräfte in. demokratischer Weise und unter der effektiven Kontrolle der zivilen Behörden erfolgen soll. Man hat davon gesprochen, daß man die breiteste parlamentarische Mehrheit für die Wehrgesetzgebung finden müsse. Das, was hier bei der Vorbereitung und bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfes geschehen ist und noch geschieht, ist ein glatter Hohn auf diese Versprechungen und Erklärungen.
Ersteros: Der Entwurf ist ohne jede vorherige Fühlungnahme mit dem zuständigen Ausschuß des Bundestages über Nacht vom Kabinett fertiggestellt und eingebracht worden. Man mußte sogar noch den Pfingstsonnabendabend für die rechtzeitige, termingemäße Weiterleitung an den Bundesrat in Anspruch nehmen. Zweitens: Die dem Gesetzentwurf beigegebene sehr kärgliche Begründung und die gestrige mündliche Begründung des Herrn Verteidigungsministers sind voller Widersprüche. Drittens: Der Bundesrat hat beim ersten Durchgang nach einer sehr eingehenden Aussprache in sachlicher und konkreter Form eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die gerade vom Standpunkt des demokratischen Aufbaus der Streitkräfte und ihrer Kontrolle durch die Zivilbehörden großes Gewicht haben. Ferner: Die öffentliche Meinung hat mit Besorgnis und Ablehnung in den weitesten Schichten auf den Entwurf reagiert, und selbst innerhalb der Koalition hat es Widerstand und Opposition gegeben.
Die Bundesregierung allerdings rührt das alles nicht. Sie legt dem Bundestag die unveränderte Regierungsvorlage vor. Sie nimmt auch nicht mit einem einzigen Wort zu den Beschlüssen des Bundesrats Stellung.
Meine Damen und Herren, es hat in diesem Bundestag, in dem wir schon viele merkwürdige Dinge erlebt haben, noch keinen Vorgang gegeben, der die Grundsätze einer loyalen verfassungsmäßigen Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Parlament in so empörender Weise verletzt hat.
Dieser Methode entspricht auch der Inhalt des Gesetzentwurfs. Er ist ein Monstrum. In drei Artikeln wird in allgemeinen Bestimmungen praktisch die Grundlage für den Aufbau der neuen Streitkräfte geschaffen. Wenn dieser Gesetzentwurf unverändert angenommen werden sollte, dann haben Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit, ein geradezu ideales Bündnis zwischen Militär und Bürokratie gegen das Parlament gesetzlich verankert.
— Nun, Herr Dr. Krone, die Blankobestimmungen
dieses Gesetzes geben jede Möglichkeit, mindestens
im Kern Aufbau und Struktur der Streitkräfte ohne jede Mitwirkungsmöglichkeit des Parlaments in Angriff zu nehmen.
Es gibt keine einschränkende Bestimmung mit Ausnahme des Datums über die Gültigkeit des Gesetzes. Alles andere ist ein totalitäres Gesetz, mit dem sich alles machen läßt.
Ich will hinzufügen: Durch die gestrige Begründung des Herrn Verteidigungsministers ist die Sache nicht besser, sondern nur noch schlimmer geworden.
Herr Blank hat gestern auseinandergesetzt, daß es sich nur um eine gesetzliche Grundlage für gewisse Vorbereitungsarbeiten für den späteren Aufbau der Streitkräfte handeln soll. Dabei hat er in seinem Fünf-Punkte-Programm über die Aufgaben dieser Vorbereitung, die durch die zunächst einzuberufenden 6000 Freiwilligen erfüllt werden sollen, ganz überwiegend Aufgaben genannt, die nach seinen eigenen gestrigen Ausführungen über die Wehrpolitik der Regierung zum zivilen Sektor dieser Arbeit gehören sollen. Ja, meine Damen und Herren, wozu dann eigentlich dieses Freiwilligengesetz? Wozu dann die Festlegung der Grundlagen der militärischen Ordnung?!
Entweder ist das, was im Gesetz beabsichtigt war, nicht gesagt worden, oder das, was der Herr Verteidigungsminister gesagt hat, ist die wirkliche Absicht der Regierung; dann brauchen Sie kein vorläufiges Gesetz für die Einstellung von Freiwilligen!
Ich meine, es gibt auch heute nach der schriftlichen Begründung, nach dem Entwurf des Gesetzes und nach der gestrigen Erklärung von Herrn Blank nur noch zwei Dinge, die im Gesetzentwurf der Regierung und in der Erklärung des Herrn Ministers übereinstimmen: das Datum der Beendigung dieses Gesetzes ist noch genau dasselbe geblieben. Wir hätten gerade da gewünscht, daß auch da noch eine Änderung im Sinne einer Verkürzung der Lebensdauer dieses merkwürdigen Entwurfs, wenn er überhaupt zum Leben kommt, erfolgt wäre. In allen übrigen Punkten jedenfalls paßt das 'eine nicht 'zu dem anderen, und man muß wirklich fragen, was eigentlich die Absicht bei 'der Einbringung dieses Gesetzentwurfs gewesen ist.
Ich finde — und ich meine es sehr ernst —: Schlimmer als mit dieser Vorgeschichte und mit dem Inhalt dieses Gesetzentwurfs konnte das Vertrauen in den redlichen Willen der verantwortlichen politischen Kräfte der Bundesrepublik zum Aufbau einer demokratischen Wehrorganisation nicht belastet werden,
und schlimmer konnten die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik bei diesem ersten Schritt nicht brüskiert werden.
Auf diese Methode kann ,das Parlament nach unserer Auffassung, ganz unabhängig von der politischen Bewertung der Verträge und ihrer Durchführung in der Bundesrepublik, nur eine Antwort geben: nämlich die weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs zu verweigern und auf diese Weise endlich die Regierung zu zwingen, in eineranständigen, sauberen und eindeutigen Form den gesamten Komplex der Wehrgesetzgebung dem Parlament zu unterbreiten.
Meine Damen und Herren, wir haben gestern hier zum erstenmal eine Art von Regierungserklärung über die Wehrpolitik gehört. Auch eine merkwürdige Sache! Denn man hat diese Regierungserklärung sozusagen dem Parlament nachgereicht, um damit den Gesetzentwurf über die Einberufung von Freiwilligen etwas schmackhafter zu machen. Meine Freunde Dr. Arndt und Erler werden sich später noch mit wesentlichen Teilen dieser Regierungserklärung auseinandersetzen. Aber ich möchte hier zunächst feststellen, daß wir keineswegs befriedigt und beruhigt sind. Diese Regierungserklärung ist kein Ersatz für formulierte Gesetzentwürfe zu den einzelnen Aufgabengebieten. Man muß, und zwar an Hand der Entwürfe, wissen, wie sich die Regierung praktisch die gesetzlichen Grundlagen fur Aufbau und Verwaltung der Streitkräfte vorstellt. Nach den Erfahrungen mit .dem Entwurf des Freiwilligengesetzes halten wir uns nicht mehr an Erklärungen, sondern nur an formulierte, in Gesetzesform gebrachte Texte.
Für uns ist die Frage entscheidend, wie der demokratische Aufbau der Streitkräfte und wie die
zivile Kontrolle über die Streitkräfte gesetzlich gesichert werden sollen. In der Regierungserklärung
wurden diese 'beiden Grundsätze verkündet. Aber
schon die Feststellung 'in der gleichen Erklärung,
daß die Streitkräfte als ein Teil der Exekutive der
Regierung unterstehen werden, hat uns gezeigt,
daß es in bezug auf die Methode der effektiven
Sicherung des demokratischen Aufbaues und der
zivilen Kontrolle zwischen der Regierung und uns
entscheidende Differenzen gibt. Jede militärische
Streitmacht ist nicht nur ein Teil der Exekutive,
sondern sie schafft aus ihrem Wesen heraus ein
Stück verfassungsrechtlicher Wirklichkeit neben
der Exekutive, weil sie nach völlig anderen Grundsätzen aufgebaut wird als die zivile Verwaltung.
Der demokratische Aufbau 'und die zivile Kontrolle sind daher nicht garantiert, indem die Militärs der Weisungsbefugnis des Verteidigungsministers unterstellt werden und indem es die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers gegenüber dem Parlament gibt. In diesem Fall muß die der zivilen Gewalt untergeordnete Position der Streitkräfte eindeutig im Grundgesetz verankert werden, und sie muß außerdem durch direkte Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten des Parlaments gesichert werden. Das 'bedeutet die Schaffung eines parlamentarischen Sicherheitsausschusses mit weitergehenden Befugnissen der Kontrolle, als normale Ausschüsse des Bundestages sie haben, bedeutet ferner die gesetzliche Verankerung des in Aussicht genommenen Personalausschusses als dauernde Einrichtung,
und es bedeutet schließlich auch die besondere Verantwortlichkeit des Verteidigungsministers gegenüber dem Parlament.
Die gleiche eindeutige verfassungsrechtliche Klärung ist notwendig in bezug auf die Frage, inwieweit ,die Grundrechte des Staatsbürgers durch seine Verpflichtungen im Militärdienst eingeschränkt werden. Unsere Grundauffassung ist, daß im Interesse der Demokratie und im Interesse der Unterordnung der Streitkräfte unter die politischen Autoritäten so viel wie nötig durch verfassungsrechtliche Bestimmungen gesichert werden muß. Jedes Ausweichen vor dieser Notwendigkeit gefährdet von vornherein das für unsere Demokratie lebensnotwendige Ziel der eindeutigen Unterordnung des Militärs unter die Politik der zivilen Gewalt. Das war ja wohl auch die erklärte Auffassung der Koalitionsparteien, jedenfalls nach der feierlichen Erklärung, die der Herr Abgeordnete von Merkatz am 26. Februar 1954 hier abgegeben hat, mit der ausdrücklichen Feststellung, daß sich alle Koalitionsparteien an diese Verpflichtung einer verfassungsrechtlichen Regelung der entscheidenden Fragen gebunden fühlen würden.
Inzwischen scheint das nicht mehr ganz so eindeutig zu sein; denn der Herr Bundeskanzler hat kürzlich, wenn die Zeitungen richtig berichtet haben, die Meinung vertreten, daß diese Abmachung nicht mehr gelte,
weil die verfassungsmäßige Zweidrittelmehrheit nicht mehr sicher sei.
Mir scheint, hier wird das Grundgesetz nach einer Art von- Geschäftsordnung für die Bundesregierung behandelt
und nach dem Prinzip, das unsere Frauen kennen: man nehme, man tue, man schüttle, und dann wird sich das ergeben, was für die Sache, d. h. für die Regierung am zweckmäßigsten ist.
Ich bin sehr gespannt, ob der Herr Bundesminister von Merkatz heute im Gewande des Fraktionsvorsitzenden der DP seine Erklärung von damals bestätigen wird. Ich glaube, unsere Hoffnungen dürfen da nicht sehr groß sein. Es sind schon viele von unten nach oben gestiegen und in den Höhen des ewigen Schweigens verschwunden.
In den unmittelbaren Zusammenhang mit der Regelung der Rechte und Pflichten der Soldaten, wie sie in dem Soldatengesetz vorgesehen ist, gehört auch die einwandfreie und saubere gesetzliche Regelung der Stellung der Kriegsdienstverweigerer. Das Recht auf Verweigerung des Dienstes mit den Waffen ist im Grundgesetz ausdrücklich anerkannt worden. Wenn wir jetzt gezwungen sind, gesetzliche Grundlagen für einen neuen Militärdienst zu schaffen, so muß ebenbürtig und gleichwertig die gesetzliche Regelung der Frage der Kriegsdienstverweigerung getroffen werden.
Jeder Versuch, diese Regelung an das Ende einer unübersehbaren Gesetzesreihe zu stellen und damit die Regelung dieser Frage sozusagen als ein notwendiges Übel zu degradieren, verstößt gegen Geist und Inhalt des Grundgesetzes.
Es ist von entscheidender Bedeutung für das Vertrauen in den demokratischen Willen der Gesetzgebung, daß jeder unserer Staatsbürger, ganz gleich, wie er zum Dienst mit der Waffe steht, die Gewißheit der gleichen Achtung und des gleichen Respekts vor seiner Auffassung und vor seiner Entscheidung erhält.
Jedermann in diesem Hause ist sich hoffentlich über die große Tragweite der Entscheidung über die Wehrgesetzgebung klar. Es geht um Schicksal und Zukunft der deutschen Demokratie. Das deutsche Volk ist auf diesem Gebiete mit einer unglücklichen Tradition belastet. Es ist ihm in der Vergangenheit nicht gelungen, die Militärs in die Position zu verweisen, in die sie in einem demokratischen Staat gehören. Sie haben sich immer wieder als Macht neben der Regierung, als Staat im Staate etabliert, mit verhängnisvollen Folgen für die Demokratie und für das Schicksal unseres . Volkes.
Diese Gefahr ist nach unserer Überzeugung auch heute noch nicht gebannt.
Wir Sozialdemokraten haben es auch deshalb für verhängnisvoll gehalten, jetzt mit dieser Eile den Wiederaufbau deutscher Streitkräfte zu betreiben. Sie, meine Damen und Herren, haben unsere Warnungen überhört. Sie haben darüber hinaus mit der Einbringung des Freiwilligengesetzes von neuem einen gefährlichen Weg beschritten. Wir möchten Sie erneut eindringlich warnen: Gehen Sie auf diesem Weg im Interesse der Demokratie nicht weiter! Wir fordern, daß vor der ersten konkreten Maßnahme zur Aufstellung von Streitkräften im Bundestag alle entscheidenden Gesetzentwürfe für den Aufbau dieser Streitkräfte zu eingehenden und gründlichen Beratungen vorgelegt werden.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird die ernstesten Konsequenzen ziehen, wenn der Versuch unternommen werden sollte, eine gründliche Diskussion und die Klärung der wehrpolitischen Probleme an Hand der Regierungserklärung in den Ausschüssen zu verhindern und das Freiwilligengesetz so durchzubringen, wie es jetzt vorliegt.
Wir müßten in einem solchen Vorgehen der Mehrheit das Scheitern jedes Versuchs sehen, die Rechte der Demokratie und ihrer Bürger bei dem Aufbau der neuen Streitkräfte zur Geltung zu bringen und Lösungen zu versuchen, die von den breitesten Schichten des deutschen Volkes getragen werden können.
Die Regierung hat durch diesen Start die ernsteste innerpolitische Lage geschaffen, vor die wir seit der Gründung der Bundesrepublik gestellt worden sind. Sie versucht eine Politik der vollendeten Tatsachen zu treiben in den großen und in den kleinen Fragen, in den großen Fragen z. B., wenn sie es fertigbringt, sich in einer ersten Grundsatzerklärung über die Wehrpolitik der Bundesrepublik Deutschland für die allgemeine Wehrpflicht auszusprechen, aber mit keinem Wort auch nur das Problem zu erwähnen, das entstehen muß, wenn wir für die in der Bundesrepublik wohnen-
den Staatsbürger die allgemeine Wehrpflicht einführen. Für sie, für die Bundesregierung, besteht offenbar die Frage überhaupt nicht, welche Konsequenzen eine solche Entscheidung haben muß für die Beziehungen zwischen den deutschen Staatsbürgern in der Sowjetzone und uns, für das zukünftige Verhältnis zwischen diesen beiden Teilen Deutschlands überhaupt.
Meine Damen und Herren, diese Fehlanzeige ist ein geradezu erschreckendes Beispiel dafür, daß die maßgebenden Kräfte in der Bundesregierung in ihrem Handeln die Bundesrepublik einfach mit Deutschland gleichsetzen, als ob es die Spaltung Deutschlands nicht gäbe.
Meine Damen und Herren, ein zweites Beispiel! Das ist der Wettlauf mit den Terminen. Sie können doch wirklich nicht sagen, daß mit der Sozialdemokratie über vernünftige Abmachungen über Termine nicht zu reden ist. Aber hier weiß man doch überhaupt nicht, wie man auch nur auf die Idee kommen konnte, eine so entscheidende Lebensfrage unsere demokratischen Ordnund geradezu nach einem Stundenplan, unter allen Umständen und unter Verzicht auf eine grundsätzliche Klärung der innenpolitischen Problematik regeln zu wollen. Aus welcher Sicht wird denn eigentlich in der Bundesrepublik eine Politik bestimmt, für die es entscheidend ist, daß man der Genfer Konferenz, die sich mit der Abrüstung und mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit beschäftigen soll, als Gabe der Bundesrepublik das verabschiedete Freiwilligengesetz vorlegen kann?
Meine Damen und Herren, wo liegt der Sinn in
dieser Politik angesichts der internationalen Lage?
Das sind zwei Fragen, mit denen sich doch jeder auseinandersetzen muß, der die merkwürdige und einzigartige Lage betrachtet, in der diese Diskussion stattfindet.
Dann gibt es andere — Kleinigkeiten —, aber aufreizende Eigenmächtigkeiten. Ich möchte gern wissen: wer hat eigentlich Herrn Blank ermächtigt, in großer Auflage eine Broschüre „Vom künftigen deutschen Soldaten" zu verbreiten, ehe das Parlament auch nur den ersten gesetzlichen Schritt zur Regelung der Aufstellung von deutschen Streitkräften unternommen hat?
Herr Minister Blank, wo sind die gesetzlichen Grundlagen, auf denen in dieser Wehrwerbeschrift Ihre Grundsätze entwickelt worden sind? Was soll denn das alles? Wie ist denn das in Übereinstimmung zu bringen mit Ihren gestrigen Erklärungen über die Kontrolle des Parlaments über jeden Schritt in der Entwicklung einer Wehrpolitik und einer Wehrorganisation?
Wenn das schon zum Beginn am grünen Holz des zivilen Verteidigungsministers erfolgt, was haben wir dann erst von den Militärs zu erwarten?
Diese Politik der Bundesregierung ist keine Politik der Demokratisierung der Armee und der zivilen Kontrolle der Streitkräfte. Wenn sie in dieser Bahn fortgeht, dann ist diese Politik eine direkte Ermutigung zum Eigenleben der Bürokratie in Zivil und Uniform.
Meine Damen und Herren, Sie als die Mehrheit des Hauses stehen vor einer weittragenden Entscheidung. Gehen Sie diesen Weg weiter, nehmen Sie diesen unmöglichen Gesetzentwurf an, auch nur als Beratungsgrundlage, dann gefährden Sie schon im Ansatz die Grundsätze, von denen die Regierungserklärung gestern gesprochen hat.
Sie zerstören dann aber auch von vornherein in weiten Schichten des deutschen Volkes den Glauben daran, daß es der ernste Wille der Regierung und ihrer Mehrheit ist, die neuen deutschen Streitkräfte in demokratischem Geist aufzubauen. Eine solche Politik müßte den inneren Riß in unserem Volk, den die Vertragspolitik schon in so verhängnisvoller Weise hervorgerufen hat, unheilbar vertiefen. Und, meine Damen und Herren, mehr noch: sie bringt die Demokratie in Gefahr!
Sie haben die Macht, durch Ihre Entscheidungen Streitkräfte aufzustellen. Aber wenn diese Streitkräfte nicht getragen sind von dem Vertrauen aller demokratisch gesinnten Teile des Volkes in der Bundesrepublik, wenn Sie die Streitkräfte aufbauen sozusagen als die Streikräfte der gegenwärtigen Regierungskoalition ohne Berücksichtigung der Vorstellungen der sozialdemokratischen Opposition, die ein Drittel der Wähler in der Bundesrepublik repräsentiert, die den Kern unserer Arbeiterschaft vertritt und einen wesentlichen Teil der Jugend in ihren Reihen hat, meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Weg gehen, dann muß die deutsche Demokratie an einem solchen halsbrecherischen Versuch scheitern.
Wir Sozialdemokraten haben die Pariser Verträge abgelehnt. Wir stehen zu dieser Entscheidung. Aber wir verzichten damit nicht auf das Recht und die Pflicht, bei Ihrer Aufrüstungspolitik im Rahmen der Pariser Verträge die Rechte der Demokratie und ihrer Bürger zu wahren und zu verteidigen.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren von der Mehrheit: unsere Ablehnung der Verträge entbindet Sie wieder nicht von der Verpflichtung, unsere Forderungen nach einer demokratischen Ordnung der Streitkräfte im Interesse der Demokratie zu berücksichtigen. Denn die Pariser Verträge nehmen auch Ihnen die Verantwortung für die Erhaltung und Festigung der Demokratie in der Bundesrepublik nicht ab.
Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Geben Sie die Bahn frei zu einer umfassenden und gründlichen Erörterung des gesamten Wehrgesetzkomplexes! Wehren Sie den Anfängen, weisen Sie den Entwurf des Freiwilligengesetzes zurück, damit wir die Regierung zwingen, uns neue Entwürfe für die gesamte Wehrgesetzgebung zu unterbreiten! Die größte Verpflichtung, die wir nach all den Erfahrungen in der Vergangenheit gegenüber dem deutschen Volke und gegenüber der freien Welt
haben, ist die Verpflichtung der Erhaltung und
der Festigung der Demokratie in unserem Lande.