Rede von
Dr.
Wilfried
Keller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bisher in der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts wenig von der Möglichkeit der Wortmeldung Gebrauch gemacht. Ich muß daher nun einiges vortragen, möchte Ihnen aber trotzdem versprechen, daß der Ablauf unserer heutigen Beratungen in angemessener Frist damit in keiner Weise gefährdet wird.
Es ist viel zum Formellen gesagt worden, viel Selbstkritik, auch parlamentarische Selbstkritik geübt worden. Ich wollte dazu auch einiges sagen, aber ich glaube, all diese Dinge sollten zurückstehen, wenn man überlegt, welch gute und vortreffliche Gedanken von vielen Seiten, insbesondere vom verehrten Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Herrn S c h o et t l e, in dieser Richtung vorgetragen worden sind. Vielleicht nur ein Wort dazu. Der Haushalt, der bisher notwendigerweise nach den Gesichtspunkten des Personalhaushaltes aufgebaut sein mußte und dann durch die Sachtitel, die Zuschüsse und all solche in hohe Summen reichende und nicht uninteressante Titel, die sich wie mit der Streusandbüchse verteilt über das ganze dicke Kompendium des Haushalts verstreut finden, erweitert wurde, ist zu einer Wissenschaft geworden, die selbst den Mitgliedern des Haushaltsausschusses oft ein Buch mit sieben Siegeln ist. Deswegen ist es sehr begrüßenswert, wenn man hört, daß von der Verwaltung Wege vorbereitet werden, um in einer Art Funktionsübersicht einen Wegweiser zu erstellen, der es dem Kenner und auch dem Liebhaber ermöglicht, die verschiedenen verstreuten Titel, die er besonders liebt oder nicht liebt, aufzuspüren und zu verfolgen.
Wir haben deswegen wenig Anträge zum Haushalt gestellt, weil eine Übersicht über die Beratungen im Ausschuß in all diesen Monaten ergeben hat, daß das Volumen, das dann noch durch die wie
immer geartete Initiative des Parlaments bewegt werden kann, relativ gering ist. In den Berechnungen wird von einem Prozent gesprochen, das wir vom Gesamtvolumen in diesem Monat nach der einen oder anderen Seite verändert haben.
Das führt uns zu folgender Überlegung. All dieses Ringen ist irgendwie ein Leerlauf an Zeit und an Mühe. Es werden politische Probleme im Raum stehenbleiben; sie stehen heute schon darin. Aber der Ansatz aller politischen Kräfte auf die Gestaltung der Verteilung der öffentlichen Mittel sollte eben vielleicht in Zukunft vorher einsetzen, bevor im Schoße der Regierung der Haushaltsplan entsteht, bevor dann irgendwie mit Recht darauf hingewiesen werden kann, daß unter dem Zwang des Ausgleichs, zu dem wir alle verpflichtet sind, nicht mehr allzuviel getan werden kann, und bevor dann in manchen Fällen, um es so zu sagen, das Kind schon vorher in den Brunnen gefallen ist.
Wenn ich nun in Richtung auf die Zukunft einige Dinge anspreche — kurz, aber für uns nicht minder teuer und wichtig —, die uns bewegen, dann soll das nicht sagen, daß nicht noch andere Dinge uns dabei wichtig wären, Dinge, die man eben heute im Drange der Zeit einfach nicht behandeln kann.
Es geht uns vor allem um soziale Belange; das ist ein offenes Geheimnis. Bei einer solchen Überlegung soll ganz offen gesagt und anerkannt und bedankt werden, daß auf manchen Gebieten im Verlaufe des vergangenen Haushaltsjahres einiges Entscheidende geschehen ist. Es muß anerkannt werden — so viele Wünsche vielleicht in bezug auf die Witwen und Hinterbliebenen noch mit Recht fortbestehen mögen —, daß auf dem Gebiete des Bundesversorgungsrechts mit der Novelle, die sich in ihrer Auswirkung auf viele Hunderte Millionen DM erstreckt hat, doch ein großer Schritt auf dem Wege zur vollständigen Befriedigung dieser Belange getan worden ist. Es darf genau so gesagt werden, daß auf dem Gebiet des so umstrittenen Lastenausgleichs, der auf der einen und auf der andern Seite nie ganz zufriedengestellt hat und nie ganz zufriedenstellen wird, die vierte Novelle mit einem erheblichen zusätzlichen Aufwand auch wieder manche Wunden geheilt hat, die auf diesem Gebiet bisher besonders schmerzlich spürbar waren.
Es soll auch gesagt werden, daß auf dem Gebiet, auf dem sich die Bundesregierung ein Besonderes vorgenommen hatte, auf dem Gebiet der Eingliederung der Vertriebenen und Geschädigten, der Zweijahresplan des Ministers Dr. Oberländer auf vielen Gebieten erhebliche Fortschritte gebracht hat. Es ist mir nicht möglich, hier auf Einzelheiten einzugehen. Aber z. B. auf dem Gebiet der Eingliederung der Bauern aus dem Osten ist nach Unterlagen, die mir das Ministerium noch in den letzten Tagen zugänglich gemacht hat, der Soll-Stand, wenn ich so sagen darf, mit etwa 92 % erreicht worden. Natürlich mehr Nebenerwerbsstellen an Stelle von Vollbauernstellen, als uns selbst lieb ist! Aber immerhin so, als ob hier nichts geschehen wäre, können die Dinge nicht sein. Das trifft für andere Gebiete dieses Plans gleichfalls zu.
Einer der Gründe, warum vielleicht von seiten der Opposition und wo immer im Lande eine Art Rätselraten um den Oberländer-Plan entstanden ist, mag der sein, daß der Anlauf dieses Zweijahresplans in seinen Anfangsterminen durchaus uneinheitlich ist. Verkündet — die Verkündung ist
hier sehr apostrophiert worden — wurde er zu Beginn der Regierungsarbeit im Jahre 1953. Damals sind einige, nicht alle gesetzlichen bzw. in der finanziellen Untermauerung notwendigen Grundlagen dieses Planes gelegt worden. Auf manchen Gebieten hat sich das Kabinett — man könnte hier vielleicht sagen: vertreten durch den Bundesfinanzminister — den Wünschen des Ministers Oberländer nicht so schnell angeschlossen. Ein Jahr später, im Jahre 1954, sind manche Dinge erst als Grundlage des Anlaufens geschaffen worden; manche sollen noch ausstehen.
Es soll hier einmal offen gesagt werden, daß wir manche Dinge zu fiskalisch betrachten. Man kann natürlich — das wissen wir genau so — nur mit Wasser kochen, und man muß natürlich sehen, daß die Dinge finanziell gedeckt sind und daß die Untermauerung im Haushalt einen Ausgleich findet. Das ist richtig. Aber manchmal schien es uns, es würde zu sehr vom rein Fiskalischen her gesehen.
In dieser Frage ein weiteres offenes Wort. Wir sprechen sehr oft bei außenpolitischen Debatten vom Kalten Krieg, vom Kalten Krieg auf dem Gebiet der Rundfunkstationen, des Nervenkrieges, der Zeitungen, der Agenten und nicht zuletzt auch auf dem Gebiet der sozialen Systeme. Es wird bei den Debatten in der Außenpolitik anerkannt, daß eben unsere sozialen Leistungen — wir sollten das Wort „soziale Lasten" etwas mehr vermeiden, es sei denn im Sinne des alten und schönen Wortes, daß einer des andern Last tragen soll — in diesem Kalten Krieg am Ende die Divisionen sind, die die Opfer erfordern, die wir eben auch für die Divisionen auf der Seite der militärischen Wirklichkeit und Notwendigkeit, wo auch wir sie als notwendig erkannt haben, bringen müssen. Deswegen ist es wahrscheinlich notwendig, in einer Debatte, die dem Ausblick in die Zukunft und auch einer aufbauenden Kritik an dieser Stelle dienen soll, gerade im Augenblick der parlamentarischen Halbzeit, in die wir bald eintreten, einiges mit Richtung auf die Entwicklung zu sagen.
Unser Ziel ist soziale Gerechtigkeit und Freiheit nach außen mid nach innen. Auch dieses Wort sollte einmal ausgesprochen sein. Die Worte des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung im Jahre 1953 in diesem Hause, die damals weithin im Lande draußen sehr dankbar und mit vielen Hoffnungen aufgenommen worden sind, scheinen doch manchmal vom Winde der Zeit, der durch diese Jahre gegangen ist, etwas hinausgetragen worden zu sein und nicht mehr immer so gegenwärtig im Raume zu stehen. Ich möchte damit folgendes sagen: Wir sprechen viel von der Sozialreform. Es ist das Unglück mancher großer und guter Beginne, daß sie, je mehr man von ihnen spricht, um so mehr zerredet werden, um so mehr als nebelhafte Begriffe, unter denen sich verschiedene sehr viel Verschiedenes vorstellen, im Raume zu stehen beginnen. Wir leben ja fortlaufend in der Arbeit am Sozialproblem. Wir beschließen laufend kleine fortlaufende Verbesserungsmaßnahmen auf diesem und jenem Gebiet, wo sie besonders brennend und notwendig geworden sind. Aber wenn man einmal versucht, alle diese einzelnen Maßnahmen zusammenzunehmen und dann einen einheitlichen Zielpunkt zu finden, den Zielpunkt eines neuen Gebäudes auf dem Gebiete der Sozialpolitik, auf den sie sich doch wohl zubewegen müßten, dann geht der Blick manchmal ins Leere und man findet keine Handhabe. Es besteht doch die Gefahr, daß die Sozialreform nicht das wird, was sich die Regierungserklärung, wie ich meine, und so viele Menschen überhaupt damals darunter vorgestellt haben, nämlich nicht ein neues Flickwerk, nicht neue Versuche, an diesem Haus des sozialen Aufbaues unseres Volkes das Dach frisch zu decken oder zu flicken oder ein Stockwerk irgendwo einmal zu reparieren, sondern ein von Grund auf neues Gebäude.
Bei diesem neuen Gebäude darf, wenn es seinem Ziele wirklich dienen soll, eines wohl nicht vergessen werden, nämlich daß auch die Folgen des verlorenen Krieges in dieser neuen Sozialstruktur mehr Berücksichtigung finden müssen und daß der verlorene Krieg und seine entsetzlichen Folgen, ob wir es wollen oder nicht — manches schlechte Vorurteil ist in jenen Tagen dahingeschwunden —, auch einen gewissen neuen Zug in die Gesellschaftsstruktur gebracht haben. Ich glaube, hier sollte man auch einmal auf ein Wort des Herrn Bundeskanzlers Bezug nehmen können, das in einem anderen Zusammenhange, im Zusammenhang mit der Außenpolitik, gesprochen worden ist, als er einmal beschwörend sagte: Meine Damen und Herren, wir haben doch den Krieg verloren! Ja, meine Damen und Herren, dieses richtige Wort sollte auch bei solchen Überlegungen mehr Pate stehen, als es manchmal den Anschein hat. Wir meinen daher, daß es vielleicht gut wäre — diese Bestrebungen sind ja seit Jahren im Gange, und wir haben in diesen Tagen überhaupt erst die zusätzlichen Stellen des Arbeitsministeriums bewilligt und damit geschaffen, in denen konkret diese Dinge angepackt werden sollen —, daß es vielleicht gut wäre, wenn man die Bearbeitung der Sozialreform von all den weiten und verzweigten Aufgaben, die das Bundesarbeitsministerium ansonsten auf seinem Rücken zu tragen hat, wegnimmt und auf eine neue zentrale Stelle legt. Viele Gedanken der Verwaltungsvereinfachung, die auch von uns begrüßt werden und vielleicht dazu führen sollten, an den Gliedern und an den Häuptern — beides müßte Hand in Hand gehen, wenn es von Erfolg begleitet werden soll —, hier Remedur zu schaffen, könnten dazu beitragen, daß man hier vielleicht einen gesunden und sehr kräftigen Ausgleich fände, wenn man in einer zentralen Stelle — wie immer sie heißen möge — die Belange der Sozialreform nun wirklich vorantriebe.
—Nun ja, wir haben es eben sehr mit dem sozialen Anliegen zu tun, Herr Kollege!
Das bringt mich auf ein anderes. Es ist oft nur das Mißverständnis, daß es dazu kommt, daß wir gewisse Dinge nicht weiter fördern, weil die Meinungen über die Tatbestände nicht immer der Wirklichkeit entsprechen. ich ,denke da an eine Bemerkung des von mir sehr verehrten Herrn Bundeswohnungsbauministers Dr. Preusker, der in einem anderen Zusammenhange hier gesagt hat: Wir haben ja praktisch die Vollbeschäftigung. Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Minister! Ich wollte, es wäre so. Es kommt da immer sehr auf den Betrachtungsort an. Wenn man einmal in die Zonenrand- und die Notstandsgebiete hinausgeht, die wir gerade an der Ostgrenze der Bundesrepublik — so muß man sie wohl nennen — heute haben, dann sieht man, daß die Dinge dort leider noch ganz anders liegen. Es ist ein sehr aufschlußreicher Hinweis, daß die Durchschnittszahl, die Kopfzahl des
Steueraufkommens in diesen Gebieten nach einer Berechnung, die mir gezeigt wurde, 42 DM beträgt, während sie sich im übrigen Bundesgebiet auf 140 DM im Jahre beläuft. An einer solchen Relation sieht man doch, wie weit dort alles noch zurückgeblieben ist und wie stark sich insbesondere dort noch die Erwerbslosen konzentrieren.
Man spricht dann oft vom sogenannten strukturellen Bodensatz. Ich bin überzeugt, daß man damit nichts Böses meint; aber man tut den Menschen, die diese Worte betreffen, damit einen schlechten Dienst, weil dieses Wort — sie haben ja alle einmal irgendwo früher im Leben gearbeitet — vergessen läßt, wie schwierig es ist, diese Menschen wieder in Arbeit und Brot zu bringen, weil sie zum Teil überaltert sind und zum Teil lange Zeit ihrem Beruf fernbleiben mußten. Deswegen glauben wir — das möchte ich kurz andeuten —, man sollte noch mehr als bisher Gewicht auf Maßnahmen legen, die die Heranführung dieser Menschen an ihren Beruf und damit die Fähigkeit, ihr Brot wieder selbst zu verdienen, fördern.
Man sollte z. B. — das sind kleine Formalitäten — den Menschen die Möglichkeit geben, an die Orte zu fahren, wo sie Arbeit und Brot selbst suchen können, wenn eine mehr oder weniger schematische Vermittlung sie ihnen nicht beschaffen kann. Man sollte auch erwarten, daß durch eine Auflockerung der manchmal noch etwas sehr vorsintflutlich anmutenden Meldepflichten usw. da wirklich der Zug hineinkäme, der die Wiedereinsetzung dieser Menschen ermöglichte.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu dem Bundesmietengesetz. Wir haben uns hier mit Herrn Lücke von der CDU in einem Punkt in einer weitgehenden Übereinstimmung befunden, da er eines wohl richtig erkannt hat: daß man einmal dahin kommen muß, nötigenfalls auf dem Wege der Mietbeihilfe, das Bewohnen einer gesunden Wohnung auch Menschen sozial schwacher Schichten möglich zu machen. Wir würden uns sehr freuen — und wir sind für diese Initiative sehr dankbar —, wenn es gelingen sollte, das im Laufe der Zeit so weit zu realisieren, daß der soziale Wohnungsbau nicht mehr, wie es heute schon — nicht ganz zu Unrecht — vielfach geschieht, als unsozialer Wohnungsbau bezeichnet werden muß, weil die Mieten — der Baustoffindex ist gestiegen, und wir können ihn nicht zurückdrehen, wie wir es wohl möchten — es einfach nicht gestatten, daß diese Wohnungen wirklich weiten Kreisen der Bevölkerung zugute kommen. Wir sind weiter mit Herrn Lücke in einem vollkommen einig: Mehr Eigentum als bisher! Es darf nicht mehr so weitergehen, daß die Mittel in so großem Umfange dazu verwendet werden, nur neues kollektives und kein neues Einzeleigentum zu bilden.
Meine sehr Verehrten! In all diesen Betrachtungen berührt eines oft sehr schmerzlich, das ich nicht verhehlen möchte. Es sind die Gesetzesdeklamationen, deren wir uns hier bedienen. Es sind oft Bundestagsbeschlüsse, in denen wir nicht bloß lose umrissen, sondern mit festen Zahlen, mit Gesetzesaufträgen, wenn ich so sagen darf, bestimmte soziale Probleme in den Mittelpunkt stellen. Bei der Gestaltung des Haushalts wird diesen Dingen dann aber oft nicht Rechnung getragen! Ich darf hier nur kurz zitieren: § 72 des
Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes — hier in diesem Raum beschlossen —, § 7 des Lastenausgleichsgesetzes — 5 Milliarden wurden damals als das Ziel der Vorfinanzierung genannt; es ist bei weitem nicht erreicht worden —, ich denke nicht zuletzt an die Bundestagsbeschlüsse in den Heimkehrerentschädigungsfragen, die in den letzten Tagen hier so deutlich angesprochen worden sind; ich darf an die Belange auf dem Gebiete der blutenden Zonengrenze erinnern und daran, daß wir mit dem damaligen Beschluß, jährlich 25 Millionen DM für die kulturelle Visitenkarte der Bundesrepublik gegenüber dem unfreien Osten zur Verfügung zu stellen, bislang nicht ernst gemacht haben. Wir haben in diesem Jahre wenigstens einen zögernden Anlauf unternommen, um diesen Dingen näherzukommen. Hoffen wir, daß es auf diesem Gebiet so weitergeht.
Nun einige kurze Worte zu dem, wie gesagt, uns am Herzen liegenden Problem der Vertriebenen und Geschädigten. Ich glaube, dies deswegen sagen zu müssen, weil wir uns im zehnten Jahre nach der Vertreibung befinden. Die Zeit hat, das wissen wir sehr wohl, auf allen Lebensgebieten eine doppelte Bedeutung. Sie führt auf der einen Seite durch die Maßnahmen, die in der Zwischenzeit anlaufen und sich entwickeln können, zur Linderung und Milderung. Da und dort führt sie aber auch zu Gefahren. Sie droht oft zum Vergessen zu führen, zum Vergessen auf den Teil des Weges, der auf diesem Gebiete noch vor uns liegt. Das Vertriebenen- und Geschädigtenproblem erscheint vielleicht von Bonn, von Düsseldorf, von München und von Frankfurt, aus viel, viel weitergehend gelöst — und da ist es auch viel weitergehend gelöst —, als wenn wir es draußen von den zahllosen kleinen Landgemeinden unseres ideutschen Vaterlandes aus sehen,
wo sich heute noch die Masse dieser Menschen befindet, die Ihnen dort nicht mehr so unter den Augen ist und das Augenmerk gar nicht mehr so auf sich lenken kann. Das einmal hier auszusprechen, isst gegenüber diesen Menschen eine Pflicht. Was immer auf dem Gebiete der Eingliederung geschieht: Wenn wir es ernst meinen mit der abendländischen Gesellschaft, wenn wir es ernst meinen mit dem Versuch einer friedlichen Rückgewinnung des Ostens, dann ist das Problem, ganz kurz gesagt, die soziale Struktur wiederherzustellen, sich nicht damit zu begnügen, zu fragen: Arbeitest du? — Du arbeitest!, sondern zu fragen: Was warst du früher? — Was bist du heute? Ich möchte damit nicht irgendwie die Illusion erwecken wollen, man könnte das Rad der Geschichte zurückdrehen und die Verhältnisse von einst wiederherstellen. Aber eine gesunde berufsständische Gliederung wiederherzustellen, das muß in jedem Falle unser Ziel bleiben; denn sonst machte — wenn uns der Tag einmal geschenkt sein wird — die Besiedlung des Ostens riesige Schwierigkeiten.
In aller Kürze ein Wort zum Lastenausgleich. Wir haben auf anderen Gebieten davon gesprochen. Wir haben Mittel für einen Ausschuß bereitgestellt, der sich mit diesen Dingen, mit der Gesetzesentrümpelung, mit der Entrümpelung all der Vorschriften auf dem Gebiete des Rechtslebens und der Verwaltung befassen soll. Ein ganz besonders dankbarer Anhaltspunkt wäre hier der Vollzug des Lastenausgleichs. Es wimmelt in Bad Homburg und sonstwo von Hunderten und aber Hunderten
von Bestimmungen — kürzlich, ich konnte es kaum glauben, hat mir ein Landesminister die Zahl von 1200 Bestimmungen genannt, die da zusammenkommen —, die den Vollzug des Lastenausgleichs, an dem wir alle interessiert sind, unwahrscheinlich erschweren und zu notwendigen Stellenanforderungen und ähnlichen Dingen führen, während auf der anderen Seite — auch das sei gesagt — manche in ihrer Wirksamkeit für die Voraussetzungen wichtige Bestimmung überhaupt noch nicht getroffen ist.
Wir sollten uns bemühen, mit diesem Gegensatz möglichst schnell ein Ende zu machen.
Ein Wort noch zur Bauernsiedlung. Das Problem ist mir deshalb bitter in Erscheinung getreten, weil wir im Haushalt erhebliche Millionen eingesetzt haben, um Vertriebene, vor allem vertriebene Bauern aus dem Osten, außer Landes nach Übersee zu bringen, sie also auswandern zu lassen. Ich muß schon sagen, das Grundgesetz stein diese Dinge frei. Wer unbedingt glaubt, dort allein sein Glück zu finden, nun, dem können wir es nicht verwehren. Aber von staatlicher Seite aus sollte man in einer Zeit, in der wir auf die Wiedervereinigung mehr als bisher zu hoffen begonnen haben, mit einer Förderung dieser Dinge vorsichtiger werden als bisher. Wir könnten mit denselben Mitteln im Lande — wenn man allein an die hohen Kosten der Passage nach Übersee denkt — sehr, sehr viel mehr tun.
Es bleibt dabei natürlich die Frage der Landbeschaffung offen. Vielleicht wird hier ein Gesetzentwurf über die Altersversorgung der weichenden Landwirte, die glauben, der Neusiedlung ihre Höfe zur Verfügung stellen zu sollen, ein Gesetzentwurf, der leider ebenfalls noch nicht vorliegt, aber nun kommen soll, die Wege ebnen.
In diesem Zusammenhang kommt noch ein weiteres ernstes Problem hinzu, die Gefahr nämlich, daß Bauern, zum Teil Bauern, die nicht zum erstenmal in diese Verlegenheit kommen, sondern die schon mehrmals in ihrem Leben vertrieben worden sind, die aus den weiten Vorpostengebieten deutschen kulturellen Lebens, die aus der Batschka, aus Bessarabien damals in die besetzten Gebiete Polens gingen, dann in das Sudetengebiet und dann hierher vertrieben wurden, Menschen, die damals auf Truppenübungsplätzen angesiedelt wurden, nun wegen der Erfordernisse, die auf diesem Gebiete vor uns treten werden, in der Gefahr stehen, erneut weichen zu müssen. ,Keiner verschließt sich der Notwendigkeit. Aber das so umständliche bürokratische Verfahren gerade auf dem Gebiet der Bauernsiedlung, das die armen Betroffenen hin- und herreißt zwischen einer Fülle von Kompetenzen, zwischen Bundesfinanzministerium, Bundesernährungsministerium, Landesernährungsministerium, Landesfinanzministerium, Siedlungsgesellschaften und was immer es da noch alles geben mag, müßte vereinfacht werden. Es sollte so gestaltet werden, daß, wenn es schon sein muß — und es muß sein —, dann wirklich jedem der Weichenden in naher Zeit und ohne bürokratische Fehlleitungen das zur Verfügung gestellt wird, was er dort wieder aufgibt, nachdem er es sich eben mit sehr viel Fleiß und Mühe, die dazu gehört haben, die Scholle zu roden, neu erworben hat.