Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der vorjährigen Haushaltsdebatte habe ich von dieser Stelle aus Bedenken in die Notwendigkeit und in die Tätigkeit des Bundesfamilienministeriums gesetzt. Nunmehr sind bald zwei Jahre vergangen, seit wir dieses Ministerium haben, und es müßte jetzt mehr aufzuweisen haben als eine Flut von Eingaben und Zuschriften, die sich meistens auf Wohnungsnöte oder Familienschwierigkeiten beziehen. Ich habe darum sehr sorgfältig sowohl den Geschäftsbericht des Familienministeriums wie auch die Ausführungen des Herrn Ministers im Bulletin der Bundesregierung gelesen und studiert, und ich habe da zu meinem Erstaunen festgestellt, daß sich der Herr Minister zunächst sehr ausführlich über das Kindergeldgesetz, über die familienpolitischen Auswirkungen der Steuerreform oder über die Wohnraumfrage für die Familie ausläßt, alles Fragen, für die wir ganze Ministerien zur Verfügung haben und für die auch die Gesetzgebung immer in diesen Ministerien durchgeführt wird.
Was das Kindergeldgesetz betrifft, so kann der Herr Familienminister nicht einmal die geistige Vaterschaft für dieses Gesetz in Anspruch nehmen.
Schon im Jahre 1951 ist von meiner Fraktion ein Entwurf für ein Kindergeldgesetz vorgelegt worden. Daß es damals vom 1. Bundestag nicht mehr verabschiedet worden ist, ist nicht unsere Schuld. Für dieses jetzige sehr umstrittene Kindergeldgesetz aber sollte der Herr Bundesfamilienminister den Ruhm nicht seinem Kollegen Winkelheide streitig machen wollen.
Was nun aber die Steuerreform anbelangt, die ja immerhin eine Vorlage des Bundesfinanzministeriums ist, so hat der Herr Familienminister hier eines erreicht: er hat die Freigrenze für das dritte Kind in der Kabinettsvorlage um das Doppelte erhöht. Aber, Herr Dr. Wuermeling, das dritte Kind, das sind etwa 9% aller unserer Kinder. Es ist also nur ein sehr beschränkter Kreis von Kindern, dem Ihre Tätigkeit zugute gekommen ist. Und wenn Sie davon sprechen, daß Sie den Wunsch zum Kinde stärken wollen, so müssen Sie meiner Meinung nach schon beim ersten Kind anfangen, denn gerade für die junge Ehe, gerade beim ersten Kind treten die finanziellen Schwierigkeiten für die Familie auf, und es kommt meistens gar nicht erst zum dritten Kind.
Es ist ohne Zweifel eine Tatsache, die, glaube ich, von niemandem hier in diesem Haus bestritten wird, daß der Wohnraum für Familien mit Kindern beim Aufbau der Bundesrepublik sehr vernachlässigt worden ist und daß hier Wandel geschaffen werden muß, um für Familien mit Kindern den genügenden Wohnraum zur Verfügung zu haben, denn wir sind uns wohl alle darüber einig, daß eine gesunde Familie und ein gesundes Familienleben nur in einer geräumigen und gesunden Wohnung existieren kann. Aber dazu, glaube ich, bedurfte es nicht des Bundesfamilien-
**) Siehe Anlage 10. ministeriums. Wir als Opposition haben es sehr begrüßt, als der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom Oktober 1953 davon sprach, daß nunmehr der „familiengerechte Wohnungsbau und vor allen Dingen auch die Familienwohnheime gefördert werden" sollten. Mir scheint das eine ganz klare Richtschnur von seiten des Chefs der Bundesregierung an den Herrn Wohnungsbauminister, und ich weiß eigentlich nicht, warum er da noch des besonderen Zuspruchs seines Kollegen vom Familienministerium bedarf.
Dagegen müssen wir doch sagen, daß sich die Lockerung der Wohnraumbewirtschaftung sehr zuungunsten gerade der kinderreichen Familien ausgewirkt hat.
Wir erleben es immer wieder, daß Hauswirte kinderreiche Familien nicht bei sich aufnehmen wollen. Wir müssen auch sagen, daß das jetzige Mietengesetz, das wir kürzlich verabschiedet haben, sich gerade auf die kinderreichen Familien sehr ungünstig auswirken wird, und hier hat der Herr Bundesfamilienminister anscheinend seinen Einfluß nicht geltend machen können.
Nun weist der Herr Familienminister in seinem Geschäftsbericht darauf hin, daß er auch besonders Forschungen hinsichtlich der Situation der Familie von heute in seinem Ministerium durchführen läßt. Ich bin der Meinung, daß das nicht die Aufgabe eines Ministeriums ist, sondern daß wir dazu andere Institutionen haben, die uns wertvolle Unterlagen liefern, aus denen wir Konsequenzen für die Gesetzgebung ziehen können. Wenn der Herr Bundesfamilienminister der Meinung ist, daß auf diesem Gebiet noch nicht genug getan worden ist, dann hoffe ich, daß er unserer Anregung, ein Institut für Jugendfragen zu gründen, in seiner Fraktion zum Durchbruch verhelfen wird. Denn Jugendfragen hängen ja aufs engste mit der Familie zusammen. Ich glaube, wir werden dann unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet sehr erweitern können.
Der Bericht des Bundesfamilienministeriums hebt auch hervor, daß besonders der Schutz der Mutter, die Erholung der vielüberbürdeten Mutter im Vordergrund unserer Sorge stehen muß. Ich glaube, daß uns das Müttergenesungswerk in dieser Beziehung wertvolle Dienst leistet. Wenn wir an den Etat des Bundesfamilienministeriums mit etwa einer halben Million DM denken, so könnte ich mir vorstellen, daß diese halbe Million DM beim Müttergenesungswerk vielleicht noch sinnvoller, noch direkter, noch besser für die Familien und auch für die Mütter verwendet werden könnte.
Was nun den Mutterschutz anbelangt, so ist auch das Mutterschutzgesetz durch einen Antrag meiner Fraktion zumindest angeregt worden. Aber der einstimmige Wunsch des gesamten Bundestages, diesen Mutterschutz auf alle Mütter auszudehnen — wir haben hier in diesem Hause eine Entschließung darüber gefaßt —, ist bis heute noch nicht verwirklicht worden.
Offenbar ist auch da der Herr Bundesfamilienminister nicht durchgedrungen.
Ich will gern zugeben und glaube das auch, daß in Ihrem Hause sicherlich sehr sorgsam alle die
vielen Zuschriften beantwortet werden und daß man hier auch sehr fleißig alles zusammenträgt, was es Wissenswertes über die Familie gibt. Aber das rechtfertigt doch schließlich nicht die Existenz eines Ministeriums. Sie haben darauf hingewiesen — Sie taten es im Ausschuß, allerdings mit einer kleinen Einschränkung; Frau Kollegin Rehling hatte es schon bei der vorigen Debatte gesagt —, daß es auch andere Länder gäbe, die ein Familienministerium hätten. Ich bin dem einmal nachgegangen. Sie wiesen auf Frankreich und Belgien hin. Aber, Herr Dr. Wuermeling, diese Ministerien sind doch ganz etwas anderes als unser Familienministerium. In Belgien heißt es „pour la santé et la famille"; es ist also ein Ministerium für die Gesundheit und die Familie. Gerade die Gesundheitspolitik muß sich naturgemäß sehr stark auf die Familie erstrecken. In Frankreich ist es ein Ministerium für Gesundheits- und Bevölkerungspolitik. Auch das scheint mir etwas anderes zu sein als unser Familienministerium. Sie machten ja auch im Haushaltsausschuß den kleinen Zusatz, als wir fragten, ob man in anderen Ländern etwas Ähnliches habe: „Ja, beim Gesundheitsministerium." Es sind also dort Abteilungen beim Gesundheitsministerium, d. h. dort sind wirklich konkrete gesetzgeberische Arbeiten vorhanden — dazu sind ja Ministerien da —, die in unserem Familienministerium nicht geleistet werden können. Wenn man sich Ihre einzelnen Abteilungen ansieht, so stellt man fest, daß jeder dieser Abteilungen — Sozialpolitik, Steuer- und Wirtschaftsrecht, Familienrecht, Wohnungsfragen — ein ganzes Ministerium entspricht. Wie gering aber Ihr Einfluß auf die Gesetzgebung dieser Ministerien ist, das zeigt schon meine Andeutung hinsichtlich des Mutterschutzgesetzes bzw. seiner Ausdehnung auf alle Mütter; das zeigt z. B. auch die Tatsache, daß das Kindergeldschlußgesetz, das eigentlich am 1. April dieses Jahres vorliegen sollte, noch nicht den Bundestag passiert hat oder ihm vorgelegt worden ist. Der Einfluß, den Sie auf andere Ministerien nehmen, scheint also durchaus nicht so durchschlagend zu sein, daß er ein ganzes Ministerium rechtfertigen könnte.
Bleibt nun noch die Redetätigkeit des Herrn Bundesfamilienministers, die ja schon manchmal zu Ärgernis Anlaß gegeben hat.
Der Herr Bundeskanzler hat heute gesagt, daß der Herr Familienminister doch in letzter Zeit in dieser Beziehung sehr zurückhaltend gewesen sei. Aber ich meine, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Ich weiß nicht, ob der Herr Bundeskanzler schon die letzte Sonntagsrede seines Ministers in München gelesen hatte, in der der Herr Minister die Mütter auffordert, sie sollten sich „nicht wegwerfen an eine nicht gemäße und sie verunstaltende Gleichberechtigung".
Mir scheint das ein Rückfall zu sein, Herr Bundesfamilienminister!
Ich weiß nicht so recht, Herr Dr. Wuermeling, was man sich unter einer „Verunstaltung durch die Gleichberechtigung" vorstellen soll.
Selbstverständlich ist die Familie die Grundlage unseres ganzen staatlichen Lebens. Wir sind der
Meinung, daß die Gesamtkonzeption einer Regierung der Familie gerecht werden muß, daß die Tätigkeit jedes Ministeriums stets die Familie und das, was für sie notwendig und nützlich ist, vor Augen haben muß.
- Ja, das Grundgesetz allein schreibt es schon jedem Ministerium vor, so zu handeln,
Wir brauchen keine ministerielle Propaganda für den Familiengedanken, sondern wir brauchen eine echte und wirkliche Familienhilfe da, wo die Familie soziale Not leidet,
und zwar nicht nur die kinderreiche, sondern alle Familien.
Infolgedessen halten wir auch nach diesen zwei Jahren seiner Tätigkeit dieses Ministerium für nicht notwendig, ja für überflüssig. Ich möchte Sie bitten, unserem Antrag Umdruck 406, der die Streichung dieses Haushalts beantragt, zuzustimmen. Ich beantrage dazu namentliche Abstimmung.