Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Reform der Krankenversicherung der Rentner ist ein erster, konstruktiver Teil der geplanten großen Reform der Sozialversicherung.
Daß gerade dieser Fragenkomplex zeitlich vorgezogen wurde, ist auf die außergewöhnlich große und ständig steigende finanzielle Belastung zurückzuführen, die gerade die Krankenversicherung der Rentner in den letzten Jahren für die Krankenkassen mit sich gebracht hat. Es ist nach meiner Auffassung müßig, heute darüber zu diskutieren, aus welchen letzten Motiven heraus die Nationalsozialisten im Jahre 1941 die Krankenversicherung der Rentner so gestaltet haben, wie wir sie heute vor uns sehen. Es ist durchaus möglich, daß man damals bereits die Unzulänglichkeit der Renten, die sich aus niedrigen Löhnen und Beiträgen früherer Jahre und Jahrzehnte errechneten, erkannte und sie durch die Gewährung einer kostenlosen Krankenversicherung echt strecken wollte, wobei man, der Linie des geringsten Widerstandes — wie gewohnt — folgend, die Mittel der Träger der sozialen Rentenversicherung in Anspruch nahm. Gewiß dachte man auch ein erstes Teilstück der für die Zeit nach dem „Endsieg" geplanten umfassenden Staatsbürgerversorgung zu verwirklichen. Auf diese Planung glauben wir die gefährliche Unsystematik der Regelung zurückführen zu müssen, die jetzt neben der Finanzmisere der Krankenkassen zur unabdingbaren Notwendigkeit einer Reform geführt haben.
Nachdem durch die Währungsreform die Ehrlichkeit des Geldes wiederhergestellt worden war, zeigte sich alsbald die Unhaltbarkeit der Situation.
Heute stehen wir vor der Tatsache, daß die Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kassen für alle sichtbar als das oberste soziale Gebot im Raume steht.
Es ist in diesem rein materiellen Zusammenhang auch von Bedeutung, daß die bisherige Unsystematik der Regelung der Rentnerkrankenversicherung beseitigt wird. Wir stellen im Rahmen der Reform der Sozialversicherung den Gedanken der Versichertengemeinschaft erneut besonders in den Vordergrund. Daher ist es zu begrüßen, wenn die Krankenversicherung der Rentner eine legitime Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung wird und keine Auftragsangelegenheit der Krankenkassen, die sie für die Rentenversicherung erledigen.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie bei der Diskussion um die zukünftige Gestaltung des § 178 der Reichsversicherungsordnung, die etwa vor einem Jahr in erneuter Heftigkeit entbrannte, von den einzelnen Kassen in besonderer Weise die enge Verbundenheit der Versicherten mit ihren Kassen hervorgehoben worden ist. Diese Schicksalsgemeinschaft kann sich nun in der Solidarität mit den Versicherten, auch wenn sie Rentner geworden sind, bewähren. Auf diesem Wege werden wir wohl gemeinsam in den kommenden Ausschußberatungen eine erste Möglichkeit suchen müssen, um die Probleme zu lösen, die uns die Krankenversicherung der Rentner stellt.
Ich habe in der kurzen Auseinandersetzung mit den Motiven, die die Nationalsozialisten zur gegenwärtig gültigen Regelung geführt haben mögen, betont, daß wir auch in der Krankenversicherung die Staatsbürgerversorgung ablehnen. Die Anhänger dieses Systems mißtrauen dem Willen und der Fähigkeit des einzelnen, seine Probleme zu lösen, sei es allein, sei es in Verbindung mit Menschen des gleichen Schicksals.
Der Schutz dieser Gemeinschaft kann aber nur denen zugebilligt werden, die während ihres Arbeitslebens Mitglied dieser Gemeinschaft gewesen sind. Daher haben wir gegen die Einschränkung der Mitgliedschaft in der Rentnerkrankenversicherung auf die Kreise, die in den letzten 5 Jahren vor Stellung des Rentenantrags mindestens 52 Wochen, sei es freiwillig, sei es pflichtversichert, in der Krankenversicherung gewesen sind, keine grundsätzlichen Bedenken.
Es ist heute in diesem Hohen Hause schon mehrmals die Rede davon gewesen, daß wir wieder danach streben müssen, die Selbsthilfe im Rahmen der natürlichen Lebensgemeinschaft der Familie zu stärken und zu beleben. Deshalb habe ich persönlich auch keine Bedenken dagegen, daß eine Krankenversicherung der Familie einem Krankenschutz aus einer eigenen Rente vorgezogen wird.
Die Fraktion der CDU/CSU ist, wie ich ausdrücklich betonen möchte, nicht glücklich darüber, daß im Rahmen der Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung an eine Beteiligung der Rentner an den Kosten gedacht werden muß, so angestrengt auch in gemeinsamer Arbeit nach einem Ausweg aus der finanziellen Misere gesucht worden ist.
Krankenscheingebühr und Arzneikostenbeteiligung scheinen uns dabei durchaus wert, ernsthaft durchdiskutiert zu werden. Ich denke, daß auch in diesem Hohen Hause mancher zittern müßte, wenn er gehalten wäre, das, was er auf Grund früherer
ärztlicher Verordnung heute noch unverbraucht in seinem Nachtschränkchen liegen hat, auf einmal zu verzehren. Wir wollen hier keinerlei Anklage gegen Ärzte erheben, die angesichts der prekären Situation der Kassenärzte gegenüber einer unbilligen Forderung der Patienten, auch eines Rentners, einmal schwach geworden sind.
Wir weisen auch den Gedanken, die aufgeblähte Propaganda der Arzneimittelfabrikanten einzuschränken, als unrealistisch und undurchführbar weit von uns.
Wir sind nicht der Ansicht, daß der vorliegende Gesetzentwurf in diesem Punkte nicht primär sozialpädagogische Ziele verfolgt, aber wir halten es für möglich, daß mit der Krankenscheingebühr und dem Arzneikostenanteil der Trägheitskoeffizient mit dem Ziele eines Rückgangs der beängstigend gestiegenen Ausgaben der Kassen in Erscheinung treten könnte. Ich kann in diesem Zusammenhang nicht auf die oft beschworene Gefahr eingehen, daß kleiner Unkosten wegen die rechtzeitige Behandlung eines schweren Leidens verhindert und so in der Folgezeit weitaus größere Kosten verursacht werden könnten.
Ich glaube, es ist gestattet, in diesem Punkt an das Verantwortungsbewußtsein des einzelnen gegenüber seiner Familie und der größeren Gemeinschaft zu erinnern; er wird sich auch durch eine Krankenscheingebühr von 50 Pfennig für den Beschäftigten und 25 Pfennig für den Rentner nicht vom rechtzeitigen Gang zum Arzt abhalten lassen. Was aber im Ausschuß ernsthaft geprüft werden muß, ist die Frage, ob diese Kostenbeteiligungen und Gebühren wirtschaftlich so zugunsten einer Besserung der Lage der Kassen ins Gewicht fallen, daß der Verwaltungsaufwand und die effektive Belastung der Rentner gerechtfertigt erscheinen.
Ich darf nicht verschweigen, daß in der Fraktion der CDU/CSU größte Bedenken bestehen gegen die in dem Gesetzentwurf verankerte Beteiligung der Rentner an den Kosten des Krankenhausaufenthalts vom 11. Tage an in der Höhe von 40 % des auf den Tag entfallenden Teils der Rente. Das Argument, daß die Rentner im Krankenhaus ja voll versorgt werden, können wir nur mit größter Einschränkung zur Kenntnis nehmen. Eine ganze Reihe fixer Ausgaben, die auch während des Krankenhausaufenthalts weiterlaufen, fallen bei der bekannten und oft beklagten geringen Höhe der Rente schon ins Gewicht. Nicht übersehen sein soll auch das Schicksal verheirateter Rentner, deren einer Teil allzu häufig durch den Krankenhausaufenthalt des anderen in bittere Not und akute gesundheitliche Gefährdung gerät. Die Beteiligung der Rentner an den Kosten des Krankenhausaufenthalts muß im Ausschuß mit besonderem Ernst geprüft werden.
Die Kosten der Rentnerkrankenversicherung werden auch künftig wesentlich durch die Beiträge der Rentenversicherungsträger gedeckt werden. Die Regelung, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Gegensatz zur bisherigen Lösung vorsieht, ergibt nach sorgfältigen Berechnungen einen Betrag, der zwischen 6 und 7 DM liegt, also ungefähr auf der Höhe, die die berechtigten Forderungen der Ortskrankenkassen in Kürze erreichen würden, wenn die seit 1941 gültige Regelung Gesetz bleiben sollte. Daraus geht ganz klar und deutlich hervor, daß neben der Neufestsetzung der Beiträge trotz aller sozialer Bedenken Mittel und
Wege gesucht werden müssen, um die bereits an- geschnittene Kardinalaufgabe zu lösen, nämlich die Kassen finanziell gesund und leistungsfähig zu erhalten.
Eine Würdigung, die weit über den Rahmen des im Gesetzentwurf Festgelegten hinausgeht, erfordert die Regelung der Übergangsverhältnisse. Es dürfte wohl untragbar sein, Rentnern den Schutz der Krankenversicherung nach alter Regelung, den sie heute genießen, angesichts der niedrigen Renten wegzunehmen. Wir sind auch der Ansicht, daß trotz der versicherungsmathematisch zu geringen Beiträge für die bisher mögliche Zusatzsterbeversicherung diese Beiträge keine befriedigende Würdigung finden und die Wahrung des Besitzstandes bewirkt werden muß.
Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Einzelfragen, die in den Ausschußberatungen geklärt werden müssen. Daß die Zeit bei der schweren finanziellen Situation der Kassen drängt, soll nicht dazu führen, daß dieses erste Teilstück der großen Reform der Sozialversicherung ungenügend durchgearbeitet wird.
Ich beantrage, den Entwurf der Regierung an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.