Rede von
Anton
Storch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die im Jahre 1941 unter der Herrschaft des Nationalsozialismus eingeführte Krankenversicherung der Rentner hat die Mängel, die einer im Kriege entstandenen Regelung anhaften. Anstatt die Rentner in die Versicherungsgemeinschaft der Krankenkassen einzufügen und ihnen damit solidarisch gleichwertigen Schutz für den Fall der Krankheit zu geben, belastete man, weil dieser Weg damals gangbar war, ohne weitere Prüfung die Rentenversicherung der Arbeiter und die Rentenversicherung der Angestellten unter völliger Entlastung der Fürsorge mit sozialen Verpflichtungen, die sich heute für die Rentenversicherungen mit Hinblick auf ihre Hauptaufgaben als nicht tragbar erweisen. Denn wesentliche Aufgabe der Rentenversicherungsträger ist, den Versicherten eine ausreichende Invaliditäts- und Altersrente zu gewähren.
Im Krieg und in den ersten Nachkriegszeiten hat sich die Auswirkung dieser Neuordnung in Grenzen gehalten, die tragbar waren. Infolge des Mangels an Krankenhausbetten und an Arzneimitteln mußte bei der Gewährung der Leistungen zunächst äußerste Sparsamkeit eingehalten werden. Für jede Rente war den Krankenversicherungskassen ein monatlicher Krankenkassenbeitrag von 3,30 Mark zugesprochen worden. Hiervon trug der Rentner selbst 1 Mark. Ich weiß aus meinen Besprechungen aus der ersten Zeit nach dem Krieg, als ich die sozialpolitische Abteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes leitete, daß die verantwortlichen Leute aus den Ortskrankenkassen, wie sie mir erklärten, das Geschäft der Rentenversicherung nicht abgeben wollten, weil sie mit diesen 3,30 Mark Beitrag noch ein Geschäft machten.
In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, daß mit diesem Beitrag die Aufgaben der Krankenversicherung der Rentner nicht erfüllt werden können. Dieser Satz mußte mehrfach erhöht werden, zu-
letzt im August 1953 auf 5,85 Mark monatlich. Trotzdem hat sich gezeigt, daß auch dieser Betrag nicht ausreicht. Bei der Zugrundelegung dieses Betrags für die Durchführung der Rentnerkrankenversicherung bei den Ortskrankenkassen ist im Jahre 1954 ein Fehlbetrag von etwa 100 Millionen Mark aufgelaufen. Durch die willkürliche Regelung sind die Rentenversicherungsträger mit Verpflichtungen belastet, die in der Invalidenversicherung beinahe ein Zehntel des gesamten Beitragsaufkommens verbrauchen. Ich bin persönlich der Meinung, daß kein ordentlich gewähltes Parlament eine derartige Belastung der Rentenversicherungsträger festgelegt hätte. Wenn wir zu einer wirklichen Neuordnung der sozialen Leistungen kommen wollen, dann müssen wir die den Rentenversicherungsträgern willkürlich auferlegten Verpflichtungen auf ein tragbares Maß zurückführen. Ferner müssen wir die Rentner durch Aufnahme in die solidarische Gemeinschaft mit den beschäftigten Versicherten in ein Verhältnis des vollen Schutzes dieser Gemeinschaft bringen. Deshalb haben wir nach langen Besprechungen mit den maßgebenden Vertretern der Rentenversicherungsträger und der Krankenkassenverbände den vorliegenden Gesetzentwurf ausgearbeitet und legen ihn hiermit dem Hohen Hause vor. Eine ausführliche Begründung der einzelnen Bestimmungen finden Sie in der schriftlichen Begründung.
Die Gesetzesvorlage bringt eine reinliche Scheidung zwischen den Aufgaben der verschiedenen Trägern der Sozialversicherung. Es wird eine klare Abgrenzung zwischen der Krankenversicherung einerseits und der Invaliditäts- und Altersversicherung andererseits vorgenommen. Dabei sind wir uns völlig im klaren darüber, daß die Träger der Rentenversicherung auch künftig einen wesentlichen Beitrag für die Krankenversicherung der Rentner aufbringen sollen. Die im Gesetz vorgesehenen Leistungen der Rentenversicherungsträger an die Träger der Krankenversicherung sind eingehend mit den Vertretern der beiden Versicherungszweige erörtert worden. Ich glaube, daß die vorgesehene Regelung im Grundsatz den berechtigten Belangen der beiden Gruppen sehr nahe kommt.
Wir wollen auch, daß in der Zukunft nicht nur eine Kassenart — wie zur Zeit die Ortskrankenkassen — die Aufgaben der Rentnerkrankenversicherung durchführt. Vielmehr sieht das Gesetz vor, daß der arbeitende Mensch, wenn er Rentner wird, in der Krankenversicherungsgemeinschaft verbleibt, der er in seinem Arbeitsleben angehört hat. Der Rentenempfänger soll nach dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Krankenversicherung grundsätzlich dieselben Rechte haben, wie der Arbeitende sie hat.
Diese Eingliederung in die allgemeine Krankenversicherung bringt für die Rentner wesentliche Leistungsverbesserungen. Abgesehen davon, daß der Rentner in seiner Versichertengemeinschaft verbleibt, wird er künftig Zuschüsse zum Zahnersatz und zu den größeren Heilmitteln sowie ein Sterbegeld nach den gleichen Grundsätzen erhalten, wie sie für die beschäftigten Versicherten gelten. Damit werden langgehegte Wünsche der Rentner erfüllt.
Außerdem wird durch die Vorlage die Lücke im Versicherungsschutz beseitigt, die bisher zwischen der Beendigung des Arbeitslebens und der Feststellung der Rente bestand. Bisher schieden die
Versicherten mit der Beendigung des Arbeitslebens aus dem Schutz der Krankenversicherung aus, und der Schutz der Krankenversicherung der Rentner griff erst ein, wenn der Rentenbescheid zugestellt war. Sie waren in der Zwischenzeit auf die Fürsorge oder auf eine freiwillige Versicherung für diese Zeit angewiesen. Nunmehr ist gesichert, daß der Krankenversicherungsschutz keine Unterbrechung erleidet.
Ich halte es für erforderlich, daß diese Leistungsverbesserungen aufmerksam geprüft werden; diese wichtigen Maßnahmen haben in den Auseinandersetzungen um die Rentnerkrankenversicherung nicht genügend Beachtung gefunden. Es geht hier nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Versicherungsträgern, sondern es geht um den Menschen selbst und um die Verbesserung der Leistungen für ihn.
Zug um Zug mit diesen Leistungsverbesserungen müssen im Interesse der Versichertengemeinschaften gewisse Mißbräuche, die sich in unserer sozialen Krankenversicherung entwickelt haben, beseitigt werden. Ärzte und Krankenversicherungsträger legen mit Recht Wert darauf, daß die Ärzte nicht mit allerlei Bagatellfällen beschäftigt werden, damit sie sich dem ernstlich Erkrankten viel umfangreicher widmen können.
Wir haben deshalb in diesem Gesetz für alle Krankenversicherten eine gewisse, als minimal zu bezeichnende Selbstbeteiligung vorgesehen:
1. Die bisher schon in Teilen des Bundesgebietes bestehende Krankenscheingebühr wird in Höhe von —,50 DM für das ganze Bundesgebiet vorgesehen.
2. Der Versicherte wird in geringem Maße an den Arzneikosten beteiligt. Die Beteiligung beträgt ein Zehntel für den aktiv Versicherten und ein Zwanzigstel für den Rentner, wobei ein Höchstbetrag für den Aktiven von 3 DM und für den Rentner von 1,50 DM vorgesehen ist.
3. Das Gesetz sieht ferner vor, daß der Rentner, wenn er in ein Krankenhaus eingeliefert wird, einen gewissen Teil seiner Rente zur Deckung der Lebensunterhaltskosten im Krankenhaus mitverwendet. Ich glaube, daß diese Beteiligung gerechtfertigt ist, weil die Rente in der Zukunft ja den Lebensunterhalt sichern soll und weil für die Zeit des Krankenhausaufenthalts die Sicherung des Lebensunterhalts weitgehend im Zusammenhang mit der Unterbringung im Krankenhaus gewährt wird.
Wir kennen eine Selbstbeteiligung der Versicherten an den Leistungen der Krankenversicherung auch in den anderen europäischen Staaten. Die Anteile der Versicherten an den Arzneikosten betragen in Frankreich 20 %, in Belgien 25 %, in Luxemburg zwischen 10 und 20 %, in der Schweiz 10 bis 25 %. In Dänemark wird im allgemeinen für Arzneileistungen die 100%ige Bezahlung verlangt, während für lebenswichtige, listenmäßig genau erfaßte Präparate Zuschüsse von 25 bis 75 % gezahlt werden müssen.
Bei den Krankenhauskosten liegen die Dinge in den anderen Ländern folgendermaßen. In Frankreich hat der Versicherte zu den Krankenhausaufenthaltskosten 20 % zuzuzahlen. In Belgien ist hier keine einheitliche Regelung gegeben, sondern die Satzungen der einzelnen Kassen bestimmen den Prozentsatz. In Luxemburg ist dieser Betrag 25 %
der Kosten. In der Schweiz schwankt er zwischen 10 und 25 %; dort wird dieser Betrag in den einzelnen Kantonen festgelegt. Auch in England trägt der Kranke ab 1. Juni 1952 einen Schilling — das sind 60 Pfennige — an jeder Verordnung.
Wir haben bei dem Entwurf schließlich auch Wert darauf gelegt, daß die bestehende Rechtszersplitterung bei den im Gesetz geregelten Fragen beseitigt und damit auf diesem Teilgebiet die Rechtseinheit wieder hergestellt wird.
Meine Damen und Herren! Wenn wir das Problem der Rentnerkrankenversicherung genau ansehen, dann müssen wir doch anerkennen, daß es nicht von Sozialpolitikern gemacht worden ist, denen das Wohlergehen der Versicherten vor Augen gestanden hat. In der nationalsozialistischen Zeit, das wissen wir doch, hat man das Geld zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben überall dort genommen, wo welches vorhanden war; auch die Deckungskapitalien der Rentenversicherungsträger, die für die zukünftigen Renten bestimmt waren, haben solchen Zwecken gedient. Ich glaube, daß die Väter des damaligen Gesetzes davon ausgegangen sind, daß sie in einer normalen Zeit das Monstrum ihres Gesetzes vor den Versicherten selbst nicht zu vertreten brauchten.