Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ihnen vorliegende Novelle zum AVAVG bedeutet ein Teilstück der bevorstehenden Sozialversicherungsreform. Sie bedeutet nicht den Abschluß in diesem Bereich. Es sind Stimmen laut geworden, man solle diese Novelle zurückstellen, bis über einen Gesamtplan der Sozialreform Klarheit bestehe. Das ist nach unserer Meinung nicht notwendig und auch nicht möglich. Hier ist in einem Teilbereich etwas erarbeitet worden, was nun spruchreif wird, und wir sollen aus dem tatsächlichen Bedürfnis der Praxis heraus dazu kommen, diese Materie jetzt zu behandeln. Es ist notwendig, zu einer Neuordnung des ganzen Rechts in diesem Bereich zu kommen. Ich darf daran erinnern, daß das AVAVG einige Jahrzehnte alt ist und daß aus der Praxis heraus die Notwendigkeit einer Neuregelung gegeben ist; ich darf daran erinnern, daß insbesondere das Auseinanderfallen der Gesetzgebung auch in diesem Bereich nach 1945 und die differenzierte Anwendung nun dazu zwingen, die Materie neu für die Bundesrepublik zu regeln. Ich möchte auch meinerseits auf ein Teilstück hinweisen, das wir in diesem Hohen Hause bereits verabschiedet haben, auf das Bundesanstaltsgesetz, das die Vereinheitlichung der Arbeitsverwaltung brachte, das auch wiederum die Beteiligung der Arbeitnehmer und Unternehmer an all den Fragen brachte, das die Selbstverwaltung brachte, allerdings mit gewissen Einschränkungen, die eben auf Grund der heutigen gesetzlichen Situation notwendig sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat schon auf die Bestimmungen des Grundgesetzes hingewiesen, die dazu zwingen, eine ganze Reihe von Fragen, die früher innerhalb der Reichsanstalt, der jetzigen Bundesanstalt, geregelt werden konnten, nun im Gesetz zu regeln.
Die Vorlage hat einen sehr beachtlichen Umfang. Es ist unmöglich, heute zu den gesamten in ihr angeschnittenen Fragen Stellung zu nehmen. Es kann sich nur darum handeln, einige wenige wesentliche Dinge anzusprechen, vielleicht in der Gesamtheit anzusprechen, um in etwa die Linie aufzuzeigen, in der dann die Diskussion im Ausschuß verlaufen kann.
Ich sagte schon: es ist eine Neufassung notwendig. Sie ist auch notwendig, um den Bestimmungen des Grundgesetzes Rechnung zu tragen, die es erforderlich machen, stärker als bisher Fragen durch Gesetz zu ordnen.
Zu den Einzelfragen möchte ich einige Bemerkungen machen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat schon darauf hingewiesen, daß für die Arbeitsvermittlung und für die Berufsberatung grundsätzlich die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegeben ist. Ich sage: grundsätzlich ist hier die Zuständigkeit gegeben. Aber es sind — und das ist gut so — im Gesetz Möglichkeiten geschaffen, bestimmte Aufgaben an an-
dere Stellen zu übertragen, wenn diese besser geeignet sind, ein bestimmtes Anliegen zu erfüllen. Das gilt insbesondere für die Frage der Arbeitsvermittlung. Hier ist also die Möglichkeit gegeben, andere Stellen mit Vermittlungsaufgaben zu betrauen, wenn das zur Erreichung des gesetzten Zieles notwendig ist.
Es ist in dem Gesetzentwurf auf eine gesetzliche Regelung hingewiesen, die dieser Bundestag geschaffen hat, und zwar die Einschaltung der karitativen Organisationen bei der Arbeitsvermittlung, insbesondere von Hausangestellten und von Pflegekräften. Der Bundesrat meinte, man könnte diese Bestimmung in der Novelle streichen. Wir sind gegenteiliger Meinung; wir sind der Meinung, es ist gut, wenn dieser in einem besonderen Gesetz zum Tragen gekommene Wille des Bundestages auch hier noch einmal verankert wird. Hier handelt es sich gerade um Aufgaben, die eben zum Teil besser von den beauftragten Organisationen erfüllt werden können.
Zu dem Problem Fraueneinsatz in der Arbeitsverwaltung, das in der Öffentlichkeit schon diskutiert wird, wird nachher meine Kollegin Frau Dr. Bleyler einige Bemerkungen machen.
Lassen Sie mich noch ein anderes ansprechen. Es ist vorgesehen, in dem Gesetzentwurf größere Sicherungen gegen eine mißbräuchliche Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge zu schaffen. Ich möchte dazu folgendes sagen. Gerade diejenigen, die eine fortschrittliche Gestaltung unserer Sozialversicherung, auch der Arbeitslosenversicherung, wollen, müssen besonders darum bemüht sein, eine mißbräuchliche Inanspruchnahme zu verhindern. Wir können ja nicht bestreiten, daß es eine solche gibt. Allerdings müssen wir uns auch hier davor hüten, Vorwürfe zu verallgemeinern; das wäre ein Unrecht gegenüber denjenigen, die die Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge in Anspruch nehmen müssen.
Darf ich einige Bemerkungen zur Situation auf dem Arbeitsmarkt machen. Wir haben in den letzten Jahren Gott sei Dank eine erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erlebt, daß einige Millionen neuer Arbeitskräfte in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden konnten und eine Existenzmöglichkeit erhielten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch der Bundesanstalt, der Arbeitsverwaltung allgemein für die Arbeit danken, die sie in dieser Hinsicht in den letzten Jahren geleistet hat. Ich darf dabei auch an die schwierigen Probleme der Umsetzung von Arbeitskräften aus bestimmten, übersetzten Gebieten in Mangelgebiete erinnern: Fragen, die ja nicht so leicht zu lösen sind. Die Arbeitsverwaltung hat dabei sehr aktiv mitgewirkt und kann beachtliche Erfolge ihrer Arbeit verzeichnen. Nun wissen wir allerdings, daß der Arbeitsmarkt trotz dieser erfreulichen Gesamtentwicklung noch stark differenziert ist, daß eben ein Rest von Arbeitslosigkeit verblieben ist, der insbesondere auf Strukturschwierigkeiten beruht. Ich darf die Probleme nur andeuten. Einerseits haben wir Gebiete mit einem starken Kräftebedarf, andererseits solche mit einem Arbeitskräfteüberschuß; einerseits haben wir Berufe, wo es schwierig ist, freie Arbeitsplätze zu besetzen, andererseits Überschußberufe, wo wir den verfügbaren Arbeitskräften keinen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen können. Ich darf an das in diesem Hohen Hause schon verschiedentlich diskutierte Problem der älteren Angestellten und Arbeiter und der Personen erinnern, bei denen man nicht von einer vollen Einsatzmöglichkeit reden kann.
Das sind Probleme, die verblieben sind und mit denen wir uns auch bei der Diskussion dieser Novelle ernsthaft beschäftigen müssen. Ich möchte sagen: Alle Möglichkeiten, die sich bieten, um mit diesen Schwierigkeiten fertig zu werden, müssen von uns ausgeschöpft werden.
In der Novelle ist vorgesehen, die Sperrfristen in bestimmten Fällen zu verlängern: bei verschuldetem Verlust eines Arbeitsplatzes, bei mangelndem Arbeitswillen usw. Hier schlägt man vor, statt der bisher üblichen normalen Sperrfrist von 4 Wochen zu einer 6-Wochen-Sperrfrist zu kommen, die ausgedehnt, aber auch verkürzt werden kann. Ich glaube, wir brauchen nicht die Sorge zu haben, daß nun von der Verwaltung solche Möglichkeiten benützt werden, auch dann einen Anspruch zu bestreiten, wenn das auf Grund der vorliegenden Verhältnisse an sich nicht berechtigt ist. Denken Sie daran, daß alle diese Dinge von der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden können. Wer glaubt, daß ihm eine Sperrfrist zu Unrecht auferlegt worden ist, hat den entsprechenden Rechtsschutz und kann sich gegen Entscheidungen wehren, wenn diese nach seiner Ansicht nicht berechtigt sind.
Ich möchte besonders auf den Teil der Novelle hinweisen, der sich mit den Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit beschäftigt. Hier handelt es sich um ein dringendes Anliegen. Die hier angesprochenen Dinge bieten auch ganz gute Erfolgschancen. Es geht um die möglichste Beseitigung struktureller Schwierigkeiten, es geht um Umschulungsmaßnahmen, allgemeine Rehabilitationsmaßnahmen, es geht um das Problem der Beihilfen zur Berufsausbildung; es ist die Möglichkeit zu Umschulungsbeihilfen gegeben, auch für Arbeitgeber, weil sich hier gewisse Schwierigkeiten ergeben haben, auf Grund der bisher bestehenden Richtlinien zu helfen; und es geht um die Ausweitung von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen im Raum der Arbeitsverwaltung. Praktisch sollen all diese Maßnahmen oder ein beachtlicher Teil von ihnen dazu dienen, den Arbeitslosen fit, ihn verwendungsfähiger zu machen, und ihm eine bessere Chance bieten, zu dem von ihm gewünschten Arbeitsplatz zu kommen.
Auch in diesem Gesetzentwurf ist wiederum die Möglichkeit der Siedlungshilfe vorgesehen, dergestalt, daß ein Arbeitsloser, der in einem Siedlungsvorhaben begriffen ist, in Zeiten der Arbeitslosigkeit an seinem Siedlungsvorhaben arbeiten kann, ohne dadurch den Unterstützungsanspruch zu verlieren.
Vom Herrn Bundesarbeitsminister ist auf die stärkere Betonung des Versicherungsprinzips hingewiesen worden. Ich brauche diese Ausführungen nicht zu ergänzen. Es ist ferner auf die Gestaltung des Umfangs der Versicherungspflicht hingewiesen worden. Wir sehen in der Novelle gewisse Vorschläge für eine Befreiung von der Versicherungspflicht, wir sehen andere Vorschläge, die eine Ausweitung der Versicherungspflicht bedeuten. In der Novelle ist vorgesehen, daß beispielsweise Arbeitnehmer über 65 Jahre nicht mehr versicherungspflichtig sind, gleichfalls Bezieher von Invaliden-, Angestellten- oder Knappschaftsrenten. Hier geht
es darum, einen Doppelbezug von Leistungen zu vermeiden, aber auch darum — und ich glaube, dieses Problem müssen wir ernsthaft diskutieren —, daß hier nicht Ansprüche erworben werden können, obschon eine doch nur ganz eingeengte Vermittlungsmöglichkeit solcher Arbeitskräfte gegeben ist. Die Versicherungspflicht in der Hauswirtschaft soll dadurch komplettiert werden, daß in den Ländern, wo bisher noch Hausangestellte versicherungsfrei waren, nun die Versicherungspflicht geschaffen werden soll. Meines Wissens sind die Hausangestellten zur Zeit praktisch nur noch in BadenWürttemberg versicherungsfrei. Hier muß man darauf hinweisen, daß diese Versicherungsfreiheit aus einer Zeit datiert, die sich wesentlich von der heutigen Situation unterscheidet. Es darf vielleicht auch darauf hingewiesen werden, daß man an sich nicht gerade populäre, nicht besonders gesuchte Arbeitsmöglichkeiten nicht noch unpopulärer machen sollte, indem man den Versicherungsschutz hier einengt. Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Versicherungsfreiheit in der Landwirtschaft nur dann gegeben sein soll, wenn es sich um langfristige Arbeitsverträge handelt. Auch diese Frage werden wir eingehend bei den Beratungen im Ausschuß diskutieren müssen.
Wiederum ist die Frage des Versicherungsverhältnisses der Lehrlinge angesprochen worden. Hier darf ich darauf hinweisen, daß der Bundestag schon eine Vorabregelung getroffen hat. Ich möchte meinen, daß an sich diese Regelung den wirklichen Verhältnissen Rechnung trägt. Wir haben zu prüfen, ob es notwendig ist, den gemachten Vorschlägen zu folgen. Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die Verzögerung der Vorlage der Novelle uns in den letzten Jahren wiederholt gezwungen hat, hier einige Vorablösungen, die besonders dringlich waren, zu treffen.
In dem Gesetz ist der Versuch gemacht worden, zu einem neuen Begriff der Vermittlungsfähigkeit zu kommen. Bisher war Voraussetzung für den Unterstützungsbezug die Tatsache, daß der Antragsteller arbeitsfähig, arbeitswillig und unfreiwillig arbeitslos war. Man hat hier nun einen neuen Begriff geprägt. Ich weiß, daß man hierüber sehr lange beraten hat. Ich weiß, daß die Meinungen nicht einheitlich sind. Bei dem Begriff der Vermittlungsfähigkeit geht man von einer Arbeitsbereitschaft, von einer Verfügbarkeit, von einem gewissen Leistungsvermögen, das den Anforderungen des Arbeitsmarktes entspricht, aus. Die neue Regelung entspricht dem Versuch, den Arbeitsmarkt von Kräften frei zu machen. die nicht vermittelt werden können, aber nun als Arbeitsuchende immer auch in der Statistik erscheinen und bei den Arbeitsämtern vorgemerkt werden. Sicher, die Neuregelung muß eingehend diskutiert werden. Es muß geprüft werden, ob hier nicht eine zu weitgehende Möglichkeit zu Ermessensentscheidungen gegeben ist. Wir werden im Ausschuß die Möglichkeit haben, das zu überprüfen.
Lassen Sie mich etwas zu den Unterstützungsleistungen in der Arbeitslosenversicherung sagen. Es ist keine Änderung der Unterstützungshöhe und der Zusammensetzung der Unterstützung vorgesehen. In der Novelle ist schon auf die Neuregelung, die durch Bundesgesetz im August 1953 erfolgt ist, hingewiesen. Auch ich möchte meinerseits auf die automatische Erhöhung der Unterstützung durch die Lohnentwicklung hinweisen. Über die Lohnentwicklung hat der Herr Bundesarbeitsminister einige Bemerkungen gemacht. Er hat die letzten I Feststellungen vom August 1953 angezogen. Ich darf das noch einmal sagen. Im Januar 1950 stammten nur 21 % der Unterstützungsempfänger aus den Lohngruppen über 60 DM pro Woche. Die Zahl der Unterstützungsempfänger aus dieser Lohngruppe war bis August 1953 schon auf 75 % angewachsen und ist inzwischen weiter gestiegen. Das wirkt sich dann in der Unterstützungshöhe aus.
— Doch, auch real, Herr Kollege, allerdings prozentual nicht so, wie das von manchen gewünscht wird.
Aber ich glaube, es wird bei dieser Frage notwendig sein, zu prüfen, ob wir hier in der Bundesrepublik etwas versäumt haben, ob wir hier gegenüber der Situation in anderen Ländern schlechter dastehen oder ob wir hier nicht doch eine Regelung haben, die als eine gute Entwicklung betrachtet werden kann. Ich habe gerade dieser Tage einige Ziffern vom Internationalen Arbeitsamt bekommen. Dort wird versucht, die Ausgaben der Sozialversicherung pro Kopf der Erwerbstätigen in einigen Ländern aufzuzeigen. Es ist interessant, festzustellen, daß Westdeutschland bei dieser Aufstellung der europäischen Länder an zweiter Stelle steht. Ich glaube, das sind Dinge, die wir nicht ignorieren können. Wenn wir einmal festzustellen versuchen, wie dieses Problem in anderen Ländern geregelt ist, dann werden wir wiederum feststellen, daß wir uns mit unserer Regelung in Vergleich zu anderen Ländern sehen lassen können.
Lassen Sie mich nur zwei Beispiele aus den großen angelsächsischen Ländern hier anführen, aus England und den Vereinigten Staaten. Nach der amtlichen Statistik betrug der Wochenlohn für Arbeiter — mit Ausnahme einiger Spezialberufe, die höher entlohnt sind — im Jahre 1953 9,5 Pfund pro Woche. Er liegt jetzt mindestens um 1 bis 1,5 Pfund höher. Die Unterstützungen bei Arbeitslosigkeit sind allerdings verhältnismäßig gering. Sie betragen bei einem arbeitslosen Mann ohne unterstützungsberechtigte Angehörige heute nur rund 14 % des Lohnsatzes, der, ich sage es noch einmal, aus der amtlichen Lohnstatistik der britischen Regierung stammt. Sie wissen ja, daß das ein weitaus niedrigerer Satz ist, als wir ihn haben. Aber auch wenn wir die Unterstützungssätze der Arbeitslosen mit Familienangehörigen nehmen, kommen wir auf Prozentsätze, die beachtlich niedriger liegen als bei uns.
Ich möchte dann auch noch auf ein anderes Beispiel hinweisen. In den Vereinigten Staaten ist diese Frage nicht einheitlich geregelt. Die Staaten haben sehr differenzierte Regelungen. Allerdings gibt es größere Gruppen, bei denen man eine gewisse Einheitlichkeit feststellen kann. Wenn man hier einmal eine gängige Gruppe von Arbeitnehmern nimmt, und zwar die angelernten Arbeiter mit einem Wochenverdienst von etwa 80 Dollar — wer die Verhältnisse drüben kennt, weiß, daß das in Industriestädten etwa der Schnitt ist —, dann kommt man bei ungefähr 38 Staaten auf einen Arbeitslosenunterstützungssatz, der durchschnittlich etwa 37,5 % des Wochenlohns beträgt.
Sicher, es ist nicht leicht, Vergleiche zu ziehen, weil dabei gewisse Dinge berücksichtigt werden müssen; der Aufbau ist differenziert usw. Aber einigermaßen lassen die Vergleiche doch die Schlußfolgerung zu, daß wir uns in einem Rahmen
bewegen, den man nicht als abnorm bezeichnen kann. Ich will damit nicht sagen, daß nicht berechtigte Verbesserungswünsche vorgetragen werden können.
Ich möchte 'bei dieser Frage doch auch eins zur Überlegung stellen: Wir alle müssen uns darüber im klaren sein, daß eine gewisse Distanz zwischen Lohn und Unterstützung verbleiben muß. Wenn ich nun diese Distanz feststellen will, muß ich natürlich nicht vom Bruttolohn, sondern vom Nettolohn ausgehen. Ich muß die Unterstützung mit dem Nettolohn, d. h. mit dem vergleichen, was dem Arbeitnehmer tatsächlich als verfügbarer Lohn verbleibt. Zwischen der Unterstützung und dem Nettolohn muß eine gewisse Distanz sein, wenn die Arbeitsfreudigkeit erhalten bleiben soll. Nun haben wir den Zustand, daß praktisch in einer beachtlichen Zahl von Fällen — in den meisten Fällen — die Unterstützung schon mehr als 50 % des Bruttolohns beträgt, also wesentlich mehr als 50 % des Nettolohns, und daß von einem kleineren Teil auch die Zweidrittel-Grenze des Bruttolohnes erreicht und zum Teil schon überschritten ist. Sie wissen — das kann jeder leicht nachrechnen —, daß wir in den unteren Einkommenstufen und bei Personengruppen, wo mehr Familienangehörige vorhanden sind, praktisch immer sehr schnell an die Auffanggrenze herankommen. Bei allem Verständnis für Wünsche auf Verbesserungen — und wir werden solche Wünsche bekommen und werden sie diskutieren müssen — muß doch auf diese Tatbestände hingewiesen werden.
Zur Frage der Unterstützungsdauer ist hier praktisch nur ein anderes Verfahren vorgeschlagen, das allerdings eine kleine Verschlechterung bringt. Bei langfristigen Arbeitsverhältnissen kann die Höchstbezugsdauer erst nach einer etwas längeren Frist erreicht werden, als sie bisher vorgesehen war. Für die Anrechnung von Nebenverdienst hat man hier feste Sätze in Vorschlag gebracht. Das bedeutet zweifellos eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung. Allerdings bedeutet es für eine bestimmte Gruppe eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Regelung, und zwar für diejenigen, die eine höhere Unterstützung als 30 DM pro Woche erhalten. Wir haben auch diese Frage zu diskutieren.
Strittig ist das Problem der Behandlung der Abgangsentschädigung. Es ist nicht seit heute, sondern es ist seit Jahren strittig. Auch diese Frage muß diskutiert werden.
Über die Alfu ist gesagt worden, daß es bei dieser Vorlage darum geht, zu einer Vereinheitlichung und der Anwendung der Bestimmungen der Arbeitslosenfürsorge zu kommen. Das ist notwendig. Das ist eine Frage, die schon lange dringlich ist. Wir werden uns über diese Frage unterhalten.
Ich möchte hier nur eine Anmerkung machen. Mir erscheint es notwendig, daß die anrechnungsfreien Beträge bei Nebeneinkommen und auch die anrechnungsfreien Beträge bei Familieneinkommen nicht durch eine besondere Rechtsverordnung, sondern allgemein im Gesetz geregelt werden. Ich glaube, das ist ein so wesentlicher Teil dieses ganzen Problems, daß man die Entscheidung darüber nicht aus dem Parlament heraus verlagern sollte.
Es ist vom Herrn Bundesarbeitsminister mit Recht darauf hingewiesen worden, daß es notwendig ist, alles zu tun, um .den Arbeitswillen zu erhalten, und nichts zu tun, was zu einer Zerreißung der Familie dadurch führen könnte, daß vom Familieneinkommen zuviel angerechnet wird und der Betreffende gewissermaßen aus der Familiengemeinschaft herausgedrängt wird. Eines möchte ich allerdings im Namen meiner Freunde heute ganz klar und deutlich zum Ausdruck bringen: Wir müssen immer wieder daran denken, daß eine echte Pflicht der Familienmitglieder besteht, ihren Angehörigen in der Zeit der Not zu helfen.
Ich glaube, wir müssen in aller Deutlichkeit immer wieder sagen, daß sich die Familienangehörigen nicht zu Lasten der Allgemeinheit von ihrer Pflicht drücken dürfen.
Die Krankenversicherung der Arbeitslosen ist neu geregelt. Wir halten den Grundsatz für gut, daß der Arbeitslose im Regelfall bei seiner Krankenkasse verbleiben soll. Wir halten es auch für gut, daß der Arbeitslose nun in die Unfallversicherung einbezogen wird, insbesondere für Wegeunfälle, die entstehen können.
Ein anderes Problem ist in der Novelle nicht angesprochen worden, wird .aber zweifellos in der Diskussion zur Sprache kommen — der Bundesrat hat dieses Problem ja schon angeschnitten —, nämlich die Frage einer rentensteigernden Wirkung der Arbeitslosigkeit. Ein nicht einfaches Problem! Wir werden uns damit beschäftigen müssen. Ich möchte heute dazu nichts Näheres sagen, weil es uns notwendig erscheint, diese Frage ernsthaft zu prüfen, ehe man zu entsprechenden Vorschlägen kommen kann. Es ist zu prüfen die Notwendigkeit, das Bedürfnis, es ist allerdings auch zu prüfen die Möglichkeit, d. h. auf gut deutsch: die Frage der Finanzierung einer solchen Regelung.
Zu dem Beitragsproblem ist in der Novelle nichts gesagt. Es bleibt bei dem derzeitigen Beitrag, und es bleibt praktisch bei der Beitragsfreiheit des Bergbaus. Ich darf darin erinnern, daß diese Beitragsfreiheit einmal in einer besonderen Situation geschaffen wurde. Ich persönlich möchte sagen — meine Fraktion vertritt hier keine einheitliche Auffassung —, daß ich die derzeitige Regelung nicht als sonderlich ideal betrachten kann. Ich bin der Meinung, wo ein Anspruch auf Leistungen besteht, müßte auch die Verpflichtung zur Gegenleistung im Gesetz sichergestellt sein. Aber wir werden uns über diese Frage noch unterhalten können.
Ich komme zum Schluß. Ich möchte den Antrag stellen, die Vorlage dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit dankbar anerkennen, daß das Bundesministerium für Arbeit für die Ausschußberatungen umfangreiches Material zur Verfügung gestellt hat. Diese sehr umfangreiche Vorlage enthält sehr viele Übersichten, die man kennen muß, wenn man das Problem gut behandeln will. Ich darf nochmals sagen: der Hauptzweck des Gesetzes liegt in der Frage der Arbeitsvermittlung. Die Hauptaufgabe der Arbeitsverwaltung ist die Arbeitsvermittlung: die Sicherung des Arbeitsplatzes. Die Frage der Unterstützung ist eine notwendige Frage, aber praktisch eine sekundäre Frage, es geht hier um eine Hilfsmöglichkeit. Aber wir müssen immer wieder an den Hauptzweck des gesamten Gesetzes denken. Ich möchte wünschen, daß dieses Gesetz eine Form erhält, die es zu einem brauchbaren Instrument der Arbeitsverwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben macht, und daß es eine Form erhält, die den Interessen der Menschen gerecht wird, denen dias Gesetz dienen soll.