Rede von
Fritz
Ohlig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Kather hat bei der Begründung dieser Großen Anfrage der BHE-Fraktion richtig auf den Entschließungsantrag Drucksache 3373 hingewiesen, der bei der dritten Lesung im Jahre 1952 von den Koalitionsparteien eingebracht wurde. In diesem Antrag wurde die Frage der Vorfinanzierung angesprochen. Wir haben damals durch den Sprecher unserer Fraktion, den Kollegen Seuffert, schon unsere Besorgnis geäußert, daß die dort gemachten Versprechungen höchstwahrscheinlich schwer zu realisieren sein würden. Ich will die Ausführungen des Kollegen Seuffert von damals nicht wiederholen. Wer sich aber dafür interessiert, den würde ich bitten, die Protokolle der Sitzungen im Mai 1952 nachzulesen. Neben anderen Vorfinanzierungsmitteln wurde damals versprochen, in den drei Jahren je 200 Millionen DM Anleihen aufzulegen, insgesamt also 600 Millionen DM. Die Bundesregierung hat sich durch den Herrn Vizekanzler Blücher hinter diese Entschließung gestellt und das offizielle Versprechen abgegeben, die dort angedeuteten Zusagen auch durchzuführen. Leider hat die Bundesregierung bis jetzt von diesem damals feierlich abgegebenen Versprechen nur einen Teil erfüllt.
Unsere Fraktion will die Frage des Lastenausgleiches und seiner Finanzierung unter völlig sachlichen Gesichtspunkten hier erörtern. Es mag richtig sein, daß in den ersten zwei Jahren besondere Gründe vorlagen, eine solche Anleihe nicht in der vorgesehenen Höhe von 600 Millionen DM sofort aufzulegen, weil in den ersten beiden Jahren die Kassenmittel des Ausgleichsfonds so hoch waren, daß eine solche Anleihe finanzpolitisch vielleicht nicht gut gewesen wäre.
Aber die Ursachen lagen in der Verzögerung des Erlasses bestimmter Rechtsverordnungen,
die die Bundesregierung beschleunigt hätte herausgeben müssen. Die Kassenmittel des Ausgleichsfonds erreichten teilweise eine Höhe, die das Mißfallen aller Geschädigten erweckt hat. Diese warteten auf Ausgleichsleistungen, die aber wegen des zu späten Erlasses von Rechtsverordnungen nicht schnell genug abfließen konnten.
Um nun wenigstens die Dinge, die schnell erledigt werden konnten, abzuwickeln, sind, wie wir hier gerechterweise zugeben müssen, in diesen Jahren einige Ausgleichsleistungen weit höher dotiert worden, als ursprünglich vorgesehen war. Ich erinnere an die Ausgleichsleistungen des sogenannten Ostsparergesetzes, des Währungsgesetzes. Zur Erfüllung der Leistungen aus diesem Gesetz wurden in den zurückliegenden Jahren rund 770 Millionen ausgegeben, weil die Auszahlung dieser Entschädigungsleistungen verhältnismäßig schnell und einfach vonstatten gehen konnte.
Auch für die Hausratshilfe hat man, wie gesagt werden muß, in den letzten Jahren auf dem Wege einer stark vorangetriebenen Vorfinanzierung weit höhere Mittel zur Verfügung gestellt ,als es an und für sich im ursprünglichen Verteilungsplan vorgesehen war. Die Hausrathilfemittel erreichten eine Höhe von 'insgesamt 2190 Millionen D-Mark. Diese beiden Maßnahmen führten dazu, daß der angestaute Kassenbestand des Ausgleichsfonds in den letzten Monaten schnell ;abfloß.
Wir stellten außerdem fest, daß erfreulicherweise ein sehr starkes Interesse an den sogenannten Aufbaudarlehen zur wirtschaftlichen Eingliederung vorhanden war. Für diese Maßnahme wurden bis jetzt insgesamt 3987 Millionen ausgegeben.
Meine Damen und Herren, diese absolut erfreulichen Leistungen des Ausgleichsfonds sind aber nicht durch echte, von der Bundesregierung zugesagte Vorfinanzierungsmittel ermöglicht worden, sondern im Grunde genommen durch sogenannte Vorgriffe und Vorverplanungen des Lastenausgleichsfonds; sie sollten im Laufe der nächsten Jahre irgendwie durch Vorfinanzierungsmittel abgedeckt werden. Die Reste aus den Vorverplanungen, mit denen sich der Ausgleichsfonds über ,die Zeit hinweggeholfen hat, erreichten am 31. März 1955 eine Höhe von 1055 Millionen D-Mark. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Beträge, die bewilligt sind, also aller Wahrscheinlichkeit nach im kommenden Wirtschafts- und Finanzjahr ausgegeben werden müssen. Bis jetzt konnten wir einen solchen Betrag sozusagen vor uns herschieben. Die Schwierigkeit für den Ausgleichsfonds besteht heute darin, daß der größte Teil dieser Vorverplanungsmittel im kommenden Etatsjahr wirklich gezahlt werden muß. Deshalb ist das Problem der Vorfinanzierung jetzt von besonderer Bedeutung.
Der jetzt veröffentlichte Finanz- und Wirtschaftsplan des Ausgleichsfonds hat in den Geschädigtenkreisen eine gewisse Beunruhigung hervorgerufen, weil darin erhebliche Kürzungen der Aufbaudarlehen und der Hausrathilfe vorgesehen sind. Ich möchte hier im Namen meiner Fraktion erklären, daß wir mit der Durchführung der für dieses Jahr angedeuteten Kürzungen keineswegs einverstanden sind. Es müssen nun Mittel und Wege für die Vorfinanzierung gefunden werden, um nachzuholen, was in den zurückliegenden Jahren nicht in Angriff genommen worden ist; ,dabei will ich nicht untersuchen, aus welchen Gründen es nicht geschehen ist. Deshalb müssen gerade die Mittel für Aufbaudarlehen zur wirtschaftlichen Eingliederung und für die Hausrathilfe unter allen Umständen eine erträgliche Höhe erreichen. Die vorgesehenen Beträge erscheinen uns untragbar.
Ich will Sie nicht mit Zahlen langweilen. Nur auf einen Umstand möchte ich hinweisen, 'der in der Öffentlichkeit oft mißverstanden wird und zu einer ungerechten Betrachtungsweise führt. Man hört oft, daß die Hausrathilfe im Grunde genommen, ich will nicht sagen, eine überflüssige oder gar Luxusangelegenheit sei, aber daß man hier doch etwas vorsichtiger sein solle. Ich möchte daran erinnern, daß sich von 8 Millionen Feststellungsanträgen allein 6 Millionen auf Hausratsverluste beziehen. Daraus ist ersichtlich, daß die Hausrathilfe und die Hausratentschädigung für 'den größten Teil der Geschädigten überhaupt die einzige Entschädigungsleistung aus dem Ausgleichsfonds ist. Von einer übermäßigen Luxusdotierung kann man überhaupt nicht reden; denn die Unterlagen des Ausgleichsfonds lassen ganz deutlich erkennen, daß der Durchschnittsbetrag bei denjenigen, die bis jetzt die erste Rate bekommen haben, bei 410 DM liegt. Bei denjenigen, die die zweite Rate bekommen haben, liegt der Durchschnittsbetrag sogar nur bei 397 DM. Sie sehen also, es ist wichtig, hier im Parlament einmal 'darauf hinzuweisen, daß die Vorstellungen von einer luxuriösen Ausstattung der Hausrathilfe absolut unberechtigt sind. Man muß die große Zahl der Empfangsberechtigten mit einplanen, um zu einem 'einigermaßen gerechten Bild zu kommen.
Ich möchte hier gleich erwähnen, daß uns die Vorfinanzierung für die Auszahlung der Hausrathilfe auch deshalb so dringend erscheint, weil wir heute auf diesem Gebiet noch einen Bedarf von rund 3 700 Millionen DM haben. Wenn es bei den vorgesehenen 370 Millionen DM in dem .diesjährigen Finanz- und Wirtschaftsplan bleibt, brauchten wir allein für die Ableistung der Hausrathilfe noch ungefähr 10 Jahre. Ich kann mir nicht vorstellen — das sage ich als Angehöriger der Oppositionspartei —, daß das Hohe Haus und auch eine Bundesregierung einen so langen Zeitraum für erträglich halten können.
Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um gerade diese Hilfe in einem viel kürzeren Zeitraum abzuwickeln.
Aber etwas ist bedenklich, und deshalb möchten wir ein sehr ernstes und auch sehr kritisches Wort an den Herrn Bundesfinanzminister richten und ihn bitten, zumindest hier in diesem Hause eine Erklärung abzugeben — ich weiß nicht, ob er das heute tun kann —, daß er bereit und willens ist, ,alle Wege der Vorfinanzierung auszuschöpfen. Ich möchte unsere Bedenken hier vortragen. Vor mir liegt ein Schreiben der Bank deutscher Länder vom 18. April, in dem folgendes mitgeteilt wird:
Mit ernster Sorge beobachten wir die anhaltende expansive Ausgabenentwicklung des Ausgleichsfonds mit der Tendenz, seine Ausgaben weit über die zu erwartenden Einnahmen hinaus zu steigern, obwohl die Einnahmeentwicklung des Fonds in den letzten Jahren erheblich günstiger verlaufen ist, als es bei der Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1952 vorgesehen war.
Warum lese ich diesen Satz vor? Weil mir die erste Feststellung einfach nicht richtig erscheint! Die sogenannte Ausgabensteigerung ides Lastenausgleichsfonds ist doch in Grunde genommen nur dadurch entstanden, daß die vorgesehene Vorfinanzierung nicht erfolgt ist. Man kann dem Ausgleichsfonds jetzt doch nicht einen Vorwurf daraus machen, daß er sich sozusagen selber durch die Mittel der Vorfinanzierungen und der Vorverplanun-
gen geholfen hat. Alle diese Vorverplanungen und alle diese Vorgriffe auf die kommenden Jahre sind auch vom Herrn Bundesfinanzminister gebilligt worden; denn jeder Finanz- und Wirtschaftsplan der zurückliegenden Jahre ist im Einvernehmen mit der Bundesregierung aufgestellt worden.
Es war also bekannt, daß das Bundesausgleichsamt auf diesem Wege die Lücke, die durch den Mangel an Vorfinanzierungen entstanden ist, überbrücken wollte. Weil es aus einer solchen Notlage heraus diesen Weg beschritten hat, nun dem Ausgleichsamt hier den Vorwurf zu machen, es habe weit über seine Verhältnisse hinaus eine Ausgabenwirtschaft betrieben, halte ich zumindest für unfair. Einen solchen Vorwurf kann man nicht machen.
— Ja, das kommt noch.
Meine Damen und Herren, aber noch ein zweites, viel bedenklicheres Argument möchte ich hier in aller Öffentlichkeit anprangern. Im § 7 des Lastenausgleichsgesetzes steht, daß die Bundesregierung ermächtigt werden soll, bis zu 5 Milliarden DM Geld- und Kreditmittel zur Vorfinanzierung des Lastenausgleichs zu besorgen. Wir alle haben damals diesem Paragraphen zugestimmt, weil wir wußten, daß in 'den ersten Jahren der Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes weit höhere Mittel notwendig sein würden, als durch die Einnahmen hereinkommen würden. Es war also der Wille des ganzen Hauses, auf dem Wege des Kredits zumindest in den ersten Jahren die dringendsten Bedürfnisse der Geschädigten zu befriedigen. Das war nicht umstritten, das war allgemeine Auffassung dieses Hauses, weil wir in den ersten Jahren die wirtschaftliche Eingliederung der Geschädigten vorantreiben wollten.
Außerordentlich bedenklich ist es aber — ich möchte im Namen meiner Fraktion diese Haltung zurückweisen —, wenn die Bank deutscher Länder jetzt folgendes schreibt:
Die deutsche Volkswirtschaft bedarf zur Zeit weder in der Verbrauchersphäre, noch im Bereich der Investitionen zusätzlicher Antriebskräfte
unter Zuhilfenahme kurzfristiger Geldmarktverschuldung. Weit eher ist es an der Zeit, Dämpfungsmaßnahmen ins Auge zu fassen, so z. B. in 'der Beschränkung der öffentlichen Investitionsausgaben. Die defizitäre Ausgabenpolitik des Ausgleichsfonds steht im Widerspruch zu dieser Notwendigkeit und bedarf unter anderem deshalb einer sofortigen Revision.
Meine Damen und Herren! Das mag vom rein kredit- und finanzpolitischen Standpunkt aus vielleicht irgendwie zu vertreten sein. Aber hier haben wir die Interessen der Geschädigten zu vertreten. Es ist doch eine Binsenwahrheit, daß das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder an Zehntausenden von Geschädigten noch spurlos vorübergegangen ist.
Das kann doch nicht geleugnet werden. Diese Stellungnahme der Bank deutscher Länder läßt zumindest den bedenklichen Schluß zu, daß man sich von der Verpflichtung, die in § 7 des LAG enthalten ist, heute lossprechen möchte. Wir wissen selbstverständlich — ich will das hier nur andeuten und keine Polemik in bezug auf die politische Gesamtkonzeption der Bundesregierung hier entfachen —, daß in der nächsten Zeit andere Anforderungen an den Geld- und Kapitalmarkt herantreten werden. Das muß durch die Gesamtpolitik der Bundesregierung vertreten werden. Was wir nicht möchten — und das spreche ich in aller Deutlichkeit aus —, ist, daß diese anderen Verpflichtungen, die aus einer anderen politischen Grundkonzeption heraus notwendig werden, allein und ausschließlich auf Kosten des Lastenausgleichs gehen.
Der Lastenausgleich kann nicht dauernd diesen anderen Notwendigkeiten untergeordnet werden. Was wir zumindest wünschten, wäre, daß diese Forderungen und Bedürfnisse gleichwertig neben den anderen Dingen stehen. Deshalb erscheint uns diese Stellungnahme der Bank deutscher Länder im Interesse des Lastenausgleichs einfach untragbar. Unter gar keinen Umständen ist meine Fraktion bereit, diese Einstellung zu billigen.
Wir wissen selbstverständlich, daß die Frage der Vorfinanzierung, daß Anleihen in die sogenannte Organisationsgewalt der Bundesregierung gehören. Wir möchten hier nur ganz deutlich aussprechen, daß unter allen Umständen weitere Möglichkeiten gesucht werden müssen, um Vorfinanzierungsmittel für den Lastenausgleich bereitzustellen.
Lassn Sie mich noch ein Argument widerlegen. Es wird gesagt, die Vorfinanzierungsmittel dürften nur produktiven Zwecken dienen. Von den reichlich 9 Milliarden DM, die der Lastenausgleich in den letzten Jahren ausgegeben hat, sind zwei Drittel in den Sektor der sogenannten produktiven Leistungen geflossen, wobei ich ganz deutlich aussprechen möchte, daß man die Unterhaltshilfe nicht als rein konsumtive Ausgabe ansehen darf. Denn unsere moderne Wirtschaft beruht nun einmal auf den Säulen der Erzeugung und des Verbrauchs. Große Wirtschaftskeise, vor allen Dingen die in den Mittelschichten, würden eine erhebliche Einbuße in ihrer Wirtschaftskraft erlitten haben, wenn nicht die lbescheidene Unterhaltshilfe einen Teil der Geschädigten überhaupt erst in die Lage versetzt hätte, eine gewisse Kaufkraft zu besitzen.
Deshalb ist die Anspielung auf die konsumtive Leistung immer eine sehr zweischneidige Sache. Man sollte sie im richtigen Zusammenhang sehen.
Zum Schluß darf ich mir folgende Bemerkung erlauben: Sie wissen genau, meine Damen und Herren, daß es in diesem Hohen Hause sehr große Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung der produktiven Leistungen gibt. Es gibt sicher sehr ernstzunehmende Kreise, die der Meinung sind, daß die vorgesehenen Rüstungsausgaben nicht gerade zu den produktiven Ausgaben gehören.
Was wir möchten, ist, daß der Lastenausgleich als ein dringendes soziales Problem von allen Seiten so gewürdigt wird, wie er es im Interesse der sozialen Befriedung unseres Volkes verdient.