Rede von
Herbert
Wehner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem es nicht möglich war, im Ältestenrat eine Verständigung zu erzielen, bitte ich Sie, dem Ersuchen der sozialdemokratischen Fraktion stattzugeben, auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung den Antrag zu setzen, der die Drucksachennummer 1355 trägt und in dem der Bundestag aufgefordert wird, zu beschließen, daß die Bundesregierung ersucht wird, dem Bundestag unverzüglich einen Bericht über die außenpolitische Entwicklung im Hinblick auf die bevorstehenden Viermächteverhandlungen zu geben. Die Morgenzeitungen wußten zwar schon zu berichten, daß dieser Antrag heute hier in einer Geschäftsordnungsdebatte gestellt, und sogar, daß er von Ihnen abgelehnt werden würde. Aber vielleicht darf man noch hoffen, daß sich die Mehrheit nicht so verhält, wie es ihr die Presse in diesem Falle nachsagt.
Die Frage, die wir bei diesem Antrag an Sie zu richten haben, ist: Kann der Bundestag eigentlich eine solche Debatte entbehren? Ist es richtig, daß der Bundeskanzler selbst sich zu wichtigen Gesprächen mit Außenministern anderer Staaten und in Konferenzen begibt und daß auch auf anderen Ebenen, z. B. in London und Paris, vorbereitende Gespräche im Hinblick auf Viermächteverhandlungen stattfinden, ohne daß der Bundestag Gelegenheit nimmt, die großen Linien dieser Vorbereitun-
gen und dieses Geschehens zu erörtern? Selbst wenn wir, meine Damen und Herren, hätten, was wir leider nicht haben, nämlich eine gründliche Diskussion und Beratung der für die Vorbereitung von Viermächteverhandlungen notwendigen Pläne und Vorschläge in den Ausschüssen des Bundestages, dürften wir nicht auf einen Bericht der Regierung und auf eine Debatte über diesen Bericht verzichten.
Man hat uns den Einwand gemacht, alles das, was jetzt zu sagen sein könnte, sei ja in den Debatten, die im Zusammenhang mit der Behandlung der Pariser Verträge in diesem Haus stattfanden, gesagt und erörtert worden. Dagegen möchte ich geltend machen: es geht bei dieser Debatte, um die wir hier ersuchen, nicht einfach darum, die Streitfragen von vorgestern aufzurühren, sondern es geht um die Antworten auf die Fragen von heute und von morgen. Denn wir haben die Sorge, die sich in der Frage ausdrücken läßt: Sind wir denn ausreichend vorbereitet? Haben wir ein deutsches Arbeits- und Verhandlungsprogramm? In jüngster Zeit sind bedeutsame Ereignisse auf den Gebieten der auswärtigen Politik eingetreten, und es gibt Anzeichen für andere, kommende bedeutsame Ereignisse.
Die Bundesregierung äußert sich durch mehr oder weniger autorisierte Sprecher an allen möglichen Stellen zu solchen Ereignissen, aber immer außerhalb des Bundestages. Da werden z. B. Bedingungen genannt, die angeblich im Hinblick auf die Wiedervereinigung Deutschlands unter keinen Umständen eingegangen werden dürften, und andere, auf denen unter allen Umständen beharrt werden müßte. Ich denke daran, welche Rolle z. B. die Frage spielte, daß ein wiedervereinigtes Deutschland angeblich nie werde darauf verzichten können, Militärstützpunkte anderer Mächte auf seinem Boden zuzulassen. Es werden sogar frühere Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers einfach geändert. Zum Beispiel ist uns gesagt worden: Unmittelbar nach der Ratifikation der Pariser Verträge wird man auf Viermächteverhandlungen lossteuern und in sie ohne weitere Vorbedingungen eintreten. Während man früher geradezu kunstvoll auseinandergesetzt hat, wie wesentlich die Zeit zwischen der Ratifikation und dem Inkraftsetzen und zwischen der Ratifikation und der Verwirklichung der Verträge für das Nutzbarmachen für Viermächteverhandlungen sei, sagt man jetzt einfach, daß die Verwirklichung der Verträge Viermächteverhandlungen erlauben und möglich machen werde, so als sei das ganz einfach immer dasselbe. Es wird gesagt, daß die Verträge in keiner Weise Verhandlungsgegenstand bei Viermächteverhandlungen sein könnten, sein würden und sein dürften.
Zu den wichtigsten Beschäftigungen mancher Stellen scheint zu gehören, in der Öffentlichkeit Vorbehalte gegen eine nutzbringende Erörterung der Entwicklung zu einer Lösung der so kompliziert gewesenen Österreich-Frage zu produzieren. Wenn es der Bundesregierung zum Trost gereichen sollte, zu erklären, daß das Üsterreich-Ergebnis nur auf dem Hintergrund der von unserer Bunresregierung vertretenen Politik möglich gewesen sei und daß es eine Folge ihrer eigenen Politik sei, so sollte sie andererseits — und das ist das Wesentliche für uns — doch nicht darauf verzichten, für eine Deutschlandlösung den geeigneten Hintergrund zu suchen.
Wir meinen, daß die Debatte, um die wir hier 1 ersuchen, auch erforderlich ist, um der internationalen Öffentlichkeit Klarheit zu geben über den Willen unseres deutschen Volkes, teilzunehmen an Verpflichtungen zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung der Sicherheit in Europa im Rahmen von Verpflichtungen der Vereinten Nationen.
Wenn man, um das abschließend zu sagen, zur Zeit auf verschiedenen Ebenen Gespräche im Hinblick auf Viermächteverhandlungen führt, so geht es doch um die große Aufgabe, eine ernsthafte Anstrengung zu machen, damit in den Vorbereitungen solcher Viermächteverhandlungen und in den Verhandlungen selbst zwei Anliegen miteinander verschmolzen werden. Das eine ist das Anliegen der Großmächte, zu einer Entspannung der internationalen Gegensätze zu gelangen. Das andere ist unser deutsches Anliegen, daß diese Entspannung durch eine friedliche Regelung der deutschen Wiedervereinigung wirksam beginnen möge. Nur wenn es uns gelingt, diese beiden Anliegen miteinander zu verschmelzen, werden die Tendenzen, mit denen man es in zunehmendem Maße zu tun hat, nämlich unter Beibehaltung der Teilung Deutschlands über eine Entspannung zu verhandeln, endgültig in den Hintergrund gedrängt werden können.
Damit wir der Lösung dieser Aufgabe einen Schritt näher kommen, brauchen wir den Bericht der Regierung, wie ihn unser Antrag fordert, und die Debatte in diesem Haus. Deswegen ersuche ich Sie abschließend noch einmal darum, unserem Antrag, die Beratung des Antrags Drucksache 1355 auf die Tagesordnung zu setzen, nicht zu widersprechen.
Ich danke Ihnen.