Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der zweiten Legislaturperiode das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der alten Fassung vom Juni 1952 vorgelegt, mit der sich der 1. Bundestag in seinen Ausschüssen bereits befaßt hat. In der Ihnen vorliegenden Fassung vom 22. Januar 1955 wurden Änderungswünsche des Bundesrates, die sich materiell wesentlich mit den Aussetzungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses der ersten Legislaturperiode decken, zum Teil berücksichtigt.
Ich habe nun nicht die Absicht, bereits in der ersten Lesung zu der Gliederung oder gar zu einzelnen Paragraphen des Gesetzes Stellung zu nehmen. Viel wichtiger erscheint mir, noch einmal die Grundkonzeption dieses Gesetzes herauszustellen und seine gesellschafts-wirtschaftlichen Wurzeln aufzuzeigen.
Ich erkenne in dem Ordnungssystem der sozialen Markwirtschaft die ökonomische Grundlage eines demokratischen Staatswesens, das als unantastbaren Wert die menschliche Freiheit setzt. Es ist darum auch eine fast banale Selbstverständlichkeit, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung auf dem Prinzip der Freiheit und Freizügigkeit beruht; und es ist darum die Aufgabe des Staates, darüber zu wachen, daß dieses Grundrecht der wirtschaftenden Menschen nicht durch private kollektive Bindungen und Vereinbarungen außer Kraft gesetzt wird.
Die Harmonie einer Marktwirtschaft beruht auf der freien Funktion der tendenziell zum Ausgleich und zum Gleichgewicht hindrängenden Kräfte. Auf diese Weise wird die quantitative und qualitative Übereinstimmung von Bedarf und Deckung herbeigeführt. Während in anderen Systemen dieses Ziel durch kollektive Lenkungsmaßnahmen zu erreichen versucht wird, erzielt die Marktwirtschaft diesen Effekt über die Funktion des freien Marktes.
Von einem solchen kann allerdings nur dann und so lange gesprochen werden, als ein freier Leistungswettbewerb und eine freie Preisbildung Motor und Steuerungsmittel der Wirtschaft sind. Der Wettbewerb ist damit unlöslich Bestandteil, ja innerstes Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung, so daß seine Eliminierung, Beeinträchtigung oder Behinderung schlechthin zu einer Sprengung des Systems überhaupt führen müßte.
Ein Gleiches gilt hinsichtlich der Funktion des freien Preises. Er allein macht Leistungen meßbar und vergleichbar, und nur über das Barometer der Preisentwicklung wird die Richtigkeit oder werden die Fehler unternehmerischer Dispositionen aufgezeigt. Nur an den Preisen ist abzulesen, ob im einzelnen zuviel oder zuwenig, ob Richtiges oder Falsches produziert worden ist. Aus diesem Grunde ist die fortdauernde Anpassung der Produktion an die Wandlungen des Verbrauchs eben nur über den freien Preis möglich. Darum müssen auch alle Maßnahmen, die zu einer Bindung oder Erstarrung der Preise führen, als mit dem Wesen der Marktwirtschaft unvereinbar konsequent abgelehnt werden.
Fernab von jenen grundsätzlichen Erwägungen aber meine ich, daß wir nach sieben Jahren marktwirtschaftlicher Politik und den damit erzielten Erfolgen im wirtschaftlichen Wiederaufbau wahrlich keinen Grund haben, die Grundlagen dieser ökonomischen Ordnung zu verleugnen und den scheinbar bequemeren Kurs einer wieder gebundenen Wirtschaft zu steuern. Das deutsche Volk steht heute in seiner überwiegenden Mehrheit zweifellos auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft und würde kein Verständnis dafür haben, wenn der Deutsche Bundestag andersgeartete Interessen als die von 50 Millionen Verbrauchern über Gebühr berücksichtigen wollte. Das aber wäre der Fall, wenn dieses sogenannte Kartellgesetz in einer Fassung Rechtskraft erlangen sollte, die dem Aufkommen von Kartellen Tür und Tor öffnete und eine grundsätzliche Abkehr von der seitherigen Wirtschaftspolitik bedeuten müßte.
Kartelle sind in einer Marktwirtschaft nach der inneren Logik dieses Systems artwidrige Fremdkörper. Wer den staatlichen Dirigismus als Lenkungsinstrument im wirtschaftlichen Leben ablehnt, kann nicht zugleich die kollektive Steuerung der Wirtschaft durch Kartelle gutheißen oder gar als nützlich und notwendig erachten.
Wer im Kollektivismus politische, soziale und gesellschaftswirtschaftliche Gefahren erblickt, kann nicht gleichzeitig Kartelle als eine besondere Spielart kollektivistischen Geistes verteidigen wollen. Es liegt mir ferne, mit dieser Charakterisierung die Anhänger und Freunde von Kartellen subjektiv einer solchen Schuld zu zeihen. Ich behaupte vielmehr, daß sie das Kartellproblem aus einer falschen Schau heraus beurteilen und darum in seiner vollen und entscheidenden gesellschaftwirtschaftlichen Bedeutung nicht begreifen.
Historisch gesehen, wurde das Phänomen Kartell entweder vom rein juristischen Standpunkt aus oder vornehmlich auch unter branchen- und privatwirtschaftlichen Aspekten gewürdigt, während demgegenüber die volks- und gesellschaftswirtschaftliche Problematik völlig in den Hintergrund trat. Gerade aber und nur aus dieser Schau heraus läßt sich das innerste Wesen der Kartelle voll erfassen.
Die unterschiedliche Auffassung bezüglich der Kartelle und ihrer Wirkungen gipfelt in dem Du-
alismus: Verbots- oder Mißbrauchsgesetzgebung. Eine seichte Propaganda hat es in zum Teil dummdreisten Blättchen dahin gebracht, daß die Anhänger einer Verbotsgesetzgebung sich den Vorwurf des Dogmatismus gefallen lassen müssen, während die Vertreter einer Mißbrauchsgesetzgebung von einem solchen Verdacht erstaunlicherweise frei sein sollen.
Wenn das allerdings Dogmatismus ist, ein Problem bis zum Ende durchzudenken und nicht nur auf der sogenannten gemeinen Erfahrung zu verharren, will ich mich gern schuldig bekennen.
Aber abgesehen davon, daß der vorliegende Gesetzentwurf gar nicht dem in diesem Zusammenhang so viel kritisierten Denkmodell der vollständigen Konkurrenz entspricht, sondern die Möglichkeit von Konditionen-, Export- und Rationalisierungskartellen durchaus einräumt, ja ich sogar meinen möchte, daß in dieser Vorlage sozusagen schon zu viele Köche den Brei etwas verdorben haben,
stehe ich grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß eine sinnvolle Wirtschaftspolitik in jedem Falle einer klaren theoretischen Grundlegung bedarf und sich nicht an verschwommenen und wechselnden Vorstellungen des Augenblicks orientieren darf. Das heißt mit anderen Worten: wer den Wettbewerb als Ordnungselement der Wirtschaft anerkennt, kann dieses Prinzip nicht da und dort aus Opportunismus und Zweckmäßigkeit willkürlich ablehnen, heute bejahen und morgen verwerfen und dabei noch stolz wähnen, daß solche Richtungslosigkeit Wirklichkeitsnähe verrate. Die Tatsache, daß die Menschen im allgemeinen nicht reine Engel, aber auch nicht gerade reine Teufel sind, kann uns ja auch nicht dazu veranlassen, auf ethische Normen zu verzichten und die Charakterlosigkeit zum moralischen Imperativ zu erheben.
Viel wichtiger aber ist, daß eine Mißbrauchsgesetzgebung am Kern des Problems völlig vorbeigeht und gegen das Überhandnehmen von Kartellen überhaupt keine Handhabe bietet. Wenn wir von kriminellen und moralischen Vergehen absehen, die auf andere Weise geahndet werden müssen, möchte ich fragen, wo nach Meinung der Anhänger dieses Prinzips der Mißbrauch beginnen und enden soll und welches überhaupt die Kriterien des Mißbrauchs sind.
Ich kann nur immer wiederholen, daß ich keinem Unternehmer, der in den Schutz von Kartellen flüchten möchte, damit die Absicht eines Mißbrauchs unterschieben will. Ja, selbst wenn ich unterstelle, daß Kartelle in bezug auf Preisbindungen größte Korrektheit und stärkstes Verantwortungsbewußtsein bezeugen und demzufolge eine Mißbrauchsgesetzgebung überhaupt niemals wirksam werden könnte, müßte ich aus volkswirtschaftlichen Überlegungen Kartelle dennoch als schädlich ablehnen. Der Mißbrauch liegt bei dieser Betrachtung nicht in dem Handeln und Verhalten der Kartelle, sondern er liegt bereits in ihrer Existenz und beruht darauf, daß mit der Einrichtung des
Kartells der Wettbewerb eingeschränkt oder unterbunden, daß mit der Preisbindung aber die volkswirtschaftliche Funktion des Preises außer Kraft gesetzt und die Volkswirtschaft ihres unentbehrlichen Steuerungsmittels beraubt wird.
Unternehmer, die so gern von ruinösem Wettbewerb, Vernichtungswettbewerb und ähnlichem sprechen, schädigen damit nur das eigene Ansehen und unterminieren den Boden, auf dem sie stehen. Es geht nicht an, das unter allen Umständen segensreiche und für eine Marktwirtschaft unentbehrliche Prinzip des Wettbewerbs mit dem amoralischen Verhalten einzelner Unternehmer im Wettbewerb zu verwechseln und daraus die Notwendigkeit von Kartellen abzuleiten.
Interessant und völlig abwegig ist auch der Versuch, Kartelle als zum Schutz der mittelständischen Wirtschaft notwendig ausdeuten zu wollen.
Es ist erwiesen, daß die durchweg größeren Unternehmungen der Schwerindustrie, der Investitionsgüter- und Produktionsmittelindustrie gemäß der Eigenart ihrer Erzeugung in relativ hohem Maße kartellierungsreif, kartellierungsfähig und wohl auch kartellierungswillig sind, während diese Voraussetzungen in der verarbeitenden Industrie mit zunehmender Veredelung immer mehr entfallen. Gerade in diesem Sektor aber, wie auch im Einzelhandel oder im Handwerk, ist der gewerbliche Mittelstand auf breitester Grundlage vertreten. Da Kartelle aber gewiß nicht zu einer Vermehrung des Volkseinkommens und der volkswirtschaftlichen Kaufkraft führen, würde ein Überhandnehmen der Kartelle zur Konsequenz haben, daß die kartellierungsfähigen Industrien ein Zuviel an Kaufkraft auf sich vereinen, während die weniger und nicht kartellierungsfähigen Zweige des mittelständischen Gewerbes den Kaufkraftausfall hinzunehmen hätten.
Sollten diese dann aber ihr Heil ebenfalls in Kartellen zu finden suchen, dann würde sich zuerst einmal zeigen, daß hier die divergierenden Elemente meist gar nicht zu bändigen sind und die technischen Schwierigkeiten nur sehr problematische Lösungen ermöglichen. Zum anderen aber wird man dann geradezu naturnotwendig die Erfahrung machen müssen, daß man vielleicht den Kartellpreis retten, niemals aber den Absatz mengenmäßig aufrechterhalten kann. Es ist praktisch undenkbar, daß es in einer kartelldurchsetzten Wirtschaft nicht viele dieser Institutionen gibt, die durch eine kollektive Preispolitik mehr Kaufkraft abschöpfen, als ihnen im freien Wettbewerb bei freien Preisen zufließen würde. Dieses Mehr aber fehlt an einer anderen Stelle und bewirkt in den freien Bereichen entweder einen Preisabfall oder aber einen verringerten Absatz. Aus diesem Grunde sind Kartelle auch unter beschäftigungs- und konjunkturpolitischen Gesichtspunkten abzulehnen. Vor allem aber muß der Mittelstand ein geradezu vitales Interesse daran haben, die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit von Kartellbindungen freizuhalten.
Aus solcher Sicht wird es deutlich, daß gerade die sogenannten guten Kartelle, solche nämlich, die halten, es sind, welche die schädlichsten Wirkungen zeitigen. Die nachteiligen Folgen eines Kartells treten nämlich nicht immer im Bereich des gebun-
denen Sektors selbst auf, sondern meist an einer anderen Stelle der Wirtschaft.
Nun erfordert zweifellos jede Kartellgesetzgebung in ihrer praktischen Handhabung einen gewissen Verwaltungsapparat, und angeblich soll eine Verbotsgesetzgebung ein Mammutgebilde dieser Art notwendig machen. Die Logik dieser Aussage ist zwar schwer verständlich, denn es ist unbestreitbar leichter, mit geringen Kräften das Überhandnehmen von Kartellen zu verhindern, als nicht greifbaren Kartellmißbräuchen nachzujagen. Vielleicht aber beleuchtet jene Sorge vor einer solchen Mammutbürokratie am besten, wie mannigfach und zahlreich wohl das Verlangen nach Kartellen sein mag, wenn ein so großer Apparat erforderlich sein soll, um die Aufgabe zu bewältigen. Es ist sicher, daß die Kartellbehörde in ihrem Umfang wesentlich von dem Ausmaß der Kartellfreudigkeit der deutschen Wirtschaft abhängig sein wird.
Was nun den gefürchteten staatlichen Dirigismus anlangt, so ist der Widerspruch der Argumentation vollkommen. Die bei einer Mißbrauchsgesetzgebung massenhaft entstehenden privaten Kartellbürokratien werden in der Kritik an der Verbotsgesetzgebung mit keinem Wort erwähnt, obwohl dieser privatwirtschaftlich organisierte Dirigismus zwangsläufig unendlich weitreichender sein muß als der einer Kartellbehörde, die nur die eine Aufgabe hat, das ungerechtfertigte Überhandnehmen von Kartellen zu verhindern, den Leistungswettbewerb aufrechtzuerhalten und den Markt nicht erstarren zu lassen. Man kann beim besten Willen auch nicht von einem Staatsinterventionismus sprechen, wenn der Staat darüber wacht, daß die Grundsätze einer freien demokratischen Gesellschaftsordnung gewahrt bleiben.
Es ist in diesem Zusammenhang überhaupt notwendig, etwas Grundsätzliches über die Verantwortung des Staates und die Verantwortung des Unternehmers zu sagen. Wenn z. B. in den mannigfachen Verlautbarungen unter anderem auch zu hören war, daß der Genehmigungszwang für Kartelle zu einer Alleinverantwortung des Staates im wirtschaftlichen Leben führe, so ist diese These mindestens sehr unklar. Denn es darf wohl als selbstverständlich gelten, daß es vornehmlich die Aufgabe des Staates ist — und nur die Aufgabe des Staates sein darf —, die Grundlagen der wirtschaftlichen Verfassung und der volkswirtschaftlichen Ordnung zu schaffen und zu überwachen. Der Staat ist insbesondere auch verantwortlich für die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftspolitik, für die Sicherung der Konjunktur und für die Stetigkeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Er ist verantwortlich für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft und ihre organische Einordnung in die Weltwirtschaft. Gerade die Soziale Marktwirtschaft hat dem Unternehmer wieder zu voller Freiheit und Freizügigkeit der .wirtschaftlichen Betätigung verholfen. Es ist schon aus diesem Grunde unglaubhaft, daß die gleiche Regierung, die diese Politik so entschlossen einleitete, es an Verständnis für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Privatwirtschaft fehlen lasse, den Unternehmer in seiner Freiheit behindern oder gar einen neuen staatlichen Dirigismus einführen wolle.
Die ungehinderte Entfaltung der unternehmerischen Initiative hat allerdings dort eine Grenze, wo die Rechts- und Lebenssphären anderer Bevölkerungsschichten berührt werden und wo eine wirtschaftliche Position oder gar eine Machtstellung nicht mehr durchindividuelle unternehmerische Leistung im Wettbewerb, sondern durch kollektive Absprachen und künstlich gesetzte Machtpositionen errungen werden will. Der freie Wettbewerb ist, um es noch einmal zu sagen, ein Grundelement unserer demokratischen und ökonomischen Ordnung und darf deshalb durch private Organisationen nicht ausgeschaltet werden. Nur wenn das gewährleistet ist, kann der Staat die Verantwortung für die Volkswirtschaft übernehmen, während er dazu nicht in der Lage wäre, wenn er der Kartellbildung freien Raum ließe und damit anstatt der Funktion eines freien Marktes und freier Preise das Marktschicksal privaten Kartellorganisationen überließe. Der Staat, der Preisbindung durch Kartelle zuläßt, entäußert sich damit der Möglichkeit einer aktiven Wirtschaftspolitik.
Man möge auch nicht vergessen, wie sehr sich in den letzten 30 Jahren die Auffassungen über Verantwortung und Zuständigkeiten gewandelt haben. Wenn heute an irgendeiner Stelle der Wirtschaft Störungen in Erscheinung treten, dann werden im Blickpunkt der Öffentlichkeit nicht Unternehmer oder Verbände, sondern es wird der Staat verantwortlich gemacht, und an ihn ergeht die Forderung, wirksame Maßnahmen der Heilung zu ergreifen. Die Fähigkeit aber, mit Mitteln der Wirtschaftspolitik das wirtschaftliche Leben zu bestimmen, ist davon abhängig, daß die Funktion eines freien Marktes überhaupt obwaltet, weil ohne diese Voraussetzungen jede wirtschaftspolitische Maßnahme durch Kollektiventscheidungen auf Verbandsebene inhibiert werden kann.
Was endlich die soziale Seite des Problems anlangt, hat die Bundesregierung durch ihr Handeln und Verhalten wohl hinlänglich deutlich gemacht, daß ihr die Kennzeichnung unserer Wirtschaftspolitik als „Soziale Marktwirtschaft" eine ernste Verpflichtung 'bedeutet. „Sozial" kann sich aber eine Wirtschaftspolitik nur dann nennen, wenn sie den wirtschaftlichen Fortschritt, die höhere Leistungsergiebigkeit und die steigende Produktivität wesentlich dem Verbraucher zugute kommen läßt. Dieses Ziel wird vornehmlich durch den freien Leistungswettbewerb erreicht, der die Gewinnung erhöhter Erträge oder sogar Renten verhindert und die Dynamik der Wirtschaft in Gang hält.
Dank dieser Politik ist der Unternehmer im Blickfeld der breiten Massen heute nicht mehr ein Mann, der ein bequemes, sorgenfreies und gutes Leben führt, sondern er ist der erste Mann des Betriebs, der die ganze Schwere der Verantwortung trägt. Gerade im Zeichen der Mengenkonjunktur und des Käufermarkts ist auch jeder Arbeiter anzuerkennen bereit, daß für den Unternehmer ein Höchstmaß an Tüchtigkeit und Bewährung vonnöten ist, um sich und das Werk im Wettbewerb zu behaupten. Wenn die Unternehmerschaft aus freiem Entschluß diese ihre Freizügigkeit aufgeben möchte, unterhöhlt sie das politische, soziale, gesellschaftliche und moralische Ansehen ihres Standes, ja, sie öffnet dem Kollektivismus Tür und Tor.
Es ist auch nicht richtig, Kartelle sozialpolitisch damit rechtfertigen zu wollen, daß sie den Schutz des Unternehmens und die Sicherung des Arbeitsplatzes bezweckten. Was durch Kartelle künstlich geschützt und gesichert werden kann, das
sind vor allem unergiebige, unproduktive Arbeitsplätze. Daraus resultiert oft die Gefahr, daß die ganze Volkswirtschaft in einem Leistungsrückstand verharrt, der insbesondere im internationalen Wettbewerb verhängnisvoll werden kann. Eine Politik kann aber nicht sozial genannt werden, die den Fortschritt hemmt und die Errichtung neuer produktiver und sicherer Arbeitsplätze künstlich verhindert. Wer fortdauernd mehr und immer bessere Arbeitsplätze schaffen will, wer die Konjunktursicherung durch dynamische Expansion erreichen möchte, muß Kartelle verneinen. Wer auf Bewahrung bedacht ist, mag sie gutheißen. Wir aber können uns angesichts eines aufkommenden Arbeitskräftemangels den Luxus von Kartellen einfach nicht leisten.
Wer das Wesen und das Wirken der Kartelle in seiner ganzen Tragweite begreift, wird es auch verständlich finden, daß die breiteste Öffentlichkeit an dieser Entscheidung lebhaftesten Anteil nimmt.
Der bei der Beratung im Bundesrat geäußerten Ansicht, daß die Kartellbehörde selbst im Falle einer Mißbrauchsgesetzgebung nur dann in Tätigkeit treten sollte, wenn ein echtes öffentliches Interesse für ein Eingreifen vorliegt, kann unter gar keinen Umständen zugestimmt werden. Denn die durch Kartellmaßnahmen in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung oder in ihren Lebensmöglichkeiten Behinderten erlangen von dem Mißbrauch meist gar keine Kenntnis und vermögen die Auswirkungen einer Kartellpolitik für ihr Schicksal gar nicht zu ermessen. Sie finden Marktbedingungen vor, deren Komponenten sich ihrem Beurteilungsvermögen entziehen.
Das gilt für die Industrie hinsichtlich des Bezugs ihrer Vorprodukte; es gilt für den Handel, und es gilt in noch viel umfassenderer Weise für den Verbraucher. Gerade dieser kann unmöglich wissen, auf welche Weise ein Preis zustande kam und ob er mit ihm übervorteilt wird. Er kann bestenfalls Vergleiche anstellen. Aber diese werden nutzlos, wenn eine Branche im Kartell eine gleiche Preispolitik verfolgt. Es kann dann gar nicht ausbleiben, daß der Verbraucher den Eindruck gewinnt, er sei im Markte anonymen Kräften und Institutionen ausgeliefert. Wenn sich die- ses Gefühl erst auf breiterer Grundlage durchsetzt und sich zu politischem Widerstand verdichtet, wird es mit dem wirtschaftlichen und sozialen Frieden vorbei sein. Die breite Masse hat heute, wie schon erwähnt, das Vertrauen zum Unternehmer zurückgewonnen, aber nie wird sie ihr Vertrauen Kartellen schenken wollen.
Es entspricht dem Zeitgeist, wenn heute die Durchsetzung von Gruppeninteressen und Sonderwünschen oder das Verlangen nach stärkerem Wettbewerbsschutz immer mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Ordnung vertreten wird, obwohl Teilregelungen dieser Art das Gefüge der umfassenden Ordnung sprengen und in die Atomisierung und Isolierung treiben müssen. Demgegenüber erkläre ich, daß es in einem geordneten Staat nur eine Ordnung geben kann; das ist die gesellschaftliche Ordnung als Ganzheit. Die Zerklüftung und Zerrissenheit einer Gesellschaft wird sich um so stärker ausprägen, je mehr diese in sogenannte Teilordnungen aufgegliedert ist. Der staatliche Dirigismus und Kollektivismus werden um so üppiger gedeihen, je mehr aus diesem Grunde ein Zwang vorliegt, das Getrennte mit künstlichen Mitteln wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Wo Marktordnungen und Berufsordnungen überhandnehmen, da wuchert der Egoismus,
Wo alle Gruppen einen besonderen Schutz und mehr Sicherheit haben wollen, werden die Menschen immer unfreier werden und immer mehr an echter Sicherheit verlieren. Es kann auch kein Zweifel bestehen, daß dann die jeweils erstrebten Vorteile nur zu Lasten anderer zu erringen sind.
Es muß auch als in höchstem Maße widerspruchsvoll bezeichnet werden, wenn ein Land wie die Bundesrepublik einerseits alle Anstrengungen unternimmt, sich möglichst organisch und nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen in die freie Welt einzugliedern, auf der anderen Seite aber im nationalen Raum, um einzelne Branchen und Gruppen Schutzwälle errichten und die Volkswirtschaft in Teile zerlegen möchte. So wie die Weltwirtschaft durch den Protektionismus, Egoismus und Nationalismus der Staaten zerstört wurde, so muß auch eine Volkswirtschaft in sich schwersten Schaden leiden, wenn dort gleiche Prinzipien obwalten. So wie der Wiederaufbau einer funktionsfähigen Weltwirtschaft in den letzten Jahren nur mit Mitteln einer freiheitlichen Politik möglich geworden ist, so können auch die einzelnen nationalen Volkswirtschaften nur gedeihen, wenn sie in sich diesen Grundsätzen treu bleiben.
Es zeugt wirklich nicht von Einsicht und Weisheit, wenn man demgegenüber immer noch in den Kategorien von gestern denkt und ein versunkenes Modell der Wirtschaftsverfassung nachbauen möchte. In einer Zeit, in der wir um neue und höhere Formen einer europäischen und weltweiten Integration ringen, erhält die Vorstellung einer Kartellpolitik von gestern fast mittelalterliche, zünftlerische Züge. Aus diesem Grunde wäre es auch ein Verrat an der fortschrittlichen Idee der Integration, wenn man etwa internationale Kartellabsprachen als geeignete Instrumente zur Schaffung umfassender Gemeinschaften ansehen wollte. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß im Begrifflichen und Grundsätzlichen Integration und Kartelle nicht nur einen Kontrast aufzeigen, sondern sich gegenseitig ausschließen.
In Wirklichkeit aber ist der Sieg der modernen Wirtschaftsauffassung gar nicht mehr aufzuhalten. Nich nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen europäischen Ländern ist die geistige Wandlung deutlich zu spüren, und immer vernehmlicher wird von allen Seiten der Ruf und das Verlangen nach einer Bändigung der Kartellauswüchse, nach einer Abstellung von Mißbräuchen bis zur Forderung nach Verboten laut.
Erst in diesen letzten Tagen haben das Nachrichten aus England, Frankreich und Holland erhärtet. Ich möchte die Anhänger einer Mißbrauchsgesetzgebung einmal fragen dürfen, wann und wo jemals ein Land mit diesem Instrument seine Ziele erreicht hätte. Professor Welter hat wirklich recht, wenn er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt, daß ihm dieser Versuch so vorkomme, als ob jemand im weiten Meer eine besondere Abart von Fischen suchen und mit der bloßen Hand f an-gen sollte.
Es fällt darum — ohne irgend jemand zu nahe treten zu wollen — wirklich schwer, an die innere Wahrhaftigkeit dieser Konzeption zu glauben.
Jedenfalls würde es einer Tragikomödie gleichkommen, wenn man ausgerechnet in Deutschland, in der Bundesrepublik in der Verfolgung der seitherigen Wirtschaftspolitik anhalten und den Weg nach rückwärts antreten wollte.
Die Mißbrauchsgesetzgebung erscheint in meiner Sicht als ein Gesetzesmißbrauch; denn sie erweckt wider besseres Wissen und gegen alle historische Erfahrung den Schein, als ob ein solches Gesetz die Nachteile und Schäden verhindern könnte, die angeblich verhindert werden sollen.
Als Wirtschaftsminister aber habe ich nicht die Interessen gewerblicher Gruppen, sondern das Lebensrecht von 50 Millionen Verbrauchern zu verteidigen.
D a s , meine Damen und Herren, steht hier auf dem Spiel. Diese Probleme sind mit dem vorliegenden Gesetz angesprochen und harren einer guten Lösung. Man muß — das möchte ich deutlich sagen — nicht unversöhnlich sein, wenn man eine klare Konzeption im Kopf hat.
So bringe ich denn dieses Gesetz ein in der Erwartung, daß sich der Deutsche Bundestag der Tragweite dieses auf innerpolitischem Gebiet wahrscheinlich wichtigsten deutschen Gesetzes bewußt sein und eine gute, glückliche Lösung für unser Volk und für unsere Wirtschaft finden möge.