Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mein Kollege Jahn eben zu dem mehr sozialpolitischen Aspekt des Problems gesprochen hat, glaube ich, daß die Öffentlichkeit auch ein Recht darauf hat, von uns zu hören, zu welchen verkehrs- und wirtschaftspolitischen Zwecken und unter welchen Voraussetzungen wir uns hier zu einem Gesetz entschließen, das weiß Gott schwere Belastungen für die betroffenen Wirtschaftskreise mit sich bringt. Gerade nach der sehr nüchtern und karg geführten zweiten Lesung, die ja Fleisch und Farbe erst in dem Augenblick bekam, wo sie sich zur Agrardebatte verwandelte, ist es notwendig, die
verkehrspolitischen Aspekte und Zielsetzungen, unter denen wir diesem Gesetz zuzustimmen gewillt sind, hier einmal darzulegen. Ich sage: zuzustimmen gewillt sind unter der Voraussetzung, daß nicht in der dritten Lesung noch, was weiß ich für Anträge kommen, die die Ausschußfassung wieder denaturieren.
Ich möchte die Stellungnahme zu diesem Gesetz zunächst einmal in einem einzigen Satz zusammenfassen: Es handelt sich um ein notwendiges Übel, um ein sehr notwendiges, aber auch sehr großes Übel; darüber gibt es wohl keinen Zweifel. Es ist sicherlich nicht so, wie der Herr Bundesverkehrsminister kürzlich in der „Deutschen Verkehrszeitung" ausgeführt hat, daß die Wirtschaft aus diesem Gesetz überhaupt keine Mehrbelastung treffe. Ich glaube, das ist eine etwas beschönigende Formulierung. Es gibt gar keinen Zweifel, daß die unmittelbaren Auswirkungen für manche Kreise sehr erheblich sind, und ich hoffe, wir sind uns dessen bewußt, wenn wir dieses Gesetz beschließen. Natürlich kann sich der Bundesverkehrsminister verteidigen und kann sagen: Auf lange Sicht gesehen würde sonst eben der allgemeine Steuerzahler die Straßen zahlen müssen; insofern sei es keine Mehrbelastung. Das ist aber eine Spiegelfechterei, Herr Minister. Hier im Augenblick ist es eine schwere Belastung für den Fernverkehr, für die Industrie und letzten Endes für alle, die an diesem Verkehr beteiligt sind.
Ohne nun die Vorgeschichte noch einmal in epischer Breite aufrollen zu wollen, glaube ich doch, daß ich es zumindest meiner Fraktion schuldig bin, hier noch einmal festzustellen, daß die Ursache und die Schuld dafür, daß dieses Hohe Haus heute in die Zwangslage versetzt worden ist, ein so schwerwiegendes Gesetz verabschieden zu müssen, überwiegend und eindeutig auf einer Seite liegt. Ich kann mir ersparen, das hier noch einmal näher auszuführen, zumal ich kürzlich in einer sehr bekannten westdeutschen Tageszeitung unter der auch Ihnen bekannten Rubrik „Bonner Köpfe" gelesen habe, daß der Herr Bundesverkehrsminister der herben Selbstironie fähig sei. Ich möchte annehmen, daß uns damit die Hoffnung gemacht wird, daß der Herr Bundesverkehrsminister sich im stillen Kämmerlein wahrscheinlich schon länger selbst sein mea culpa, mea maxima culpa aufgesagt hat..
— Herr Schneider, ich verstehe Ihren Zwischenruf nicht. Wollen Sie damit andeuten, daß sich auch meine Fraktion oder ich persönlich mich im Laufe der letzten vier Jahre solcher Inkonsequenzen in der Verkehrspolitik schuldig gemacht habe wie Ihr verehrter Herr Bundesverkehrsminister?
— Herr Schneider, das ist so eine eigenartige Sache mit Zwischenrufen; sie müssen sitzen, sonst sitzen sie eben nicht!
Aber ich will das nicht näher ausführen und mich auf die Genesis dieses Gesetzes seit dem Juli 1954 beschränken. Die berühmte „Konzeption" — dieses Wort wurde ja immer wieder gebraucht von der Regierungsbank, und der Herr Rademacher von der Freien Demokratischen Partei hat es umgewandelt in „Konfusion"; ich finde das nicht sehr liebens-
würdig, aber ich kann es verstehen —, dieses Wort von der „Konzeption" bezog sich auf ein Zwillingsgesetz oder, wie man heute modernerweise in Bonn sagt, auf ein Junktim. Das Kabinett brachte gleichzeitig ein Verkehrsfinanzgesetz und ein Straßenentlastungsgesetz mit seiner Verbotsliste ein. Das eine ohne das andere gehe nicht, wurde uns gesagt. Weil diese Konzeption der überwiegenden Mehrheit des Hauses nicht gefiel, haben wir in den Ausschüssen versucht, uns eine eigene Konzeption zu machen. Das ist sicherlich nur sehr teilweise geglückt. Aber wir waren uns darüber einig, daß die Verbotsliste auf keinen Fall Gesetzeskraft erlangen sollte — und ich kann mir nicht vorstellen, daß die gestrigen Besprechungen beim Herrn Bundeskanzler das alles nun plötzlich wieder umgeworfen haben sollten, meine Damen und Herren von der Rechten dieses Hauses; Sie waren sich doch so einig in dieser Sache. Da also nach wie vor das Straßenentlastungsgesetz von diesem Hause nicht beschlossen werden wird, kam es darauf an, an Stelle des Zwillings ein vernünftiges Gesetz zu setzen. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß insbesondere hinsichtlich der Wegekosten die berühmten gleichen Startbedingungen hergestellt werden sollten. Sie werden sich erinnern, was das für ein endloser Streit gewesen ist mit vielen Sachverständigen und mit vielen Pseudo-Sachverständigen.
Ich will Ihnen die lange Geschichte ersparen, wie es dazu kam, daß schließlich der Finanzausschuß sich darauf festlegte, eine runde Summe von über den Daumen gepeilt 500 Millionen per Jahr für das notwendige Ziel zu erklären. Ich will auch nicht darauf eingehen, daß eine große Fraktion dieses Hauses vorher Beschlüsse gefaßt hatte, welche genau auf die doppelte Summe hinausliefen. Lassen wir das alles im Schoße der Vergangenheit ruhen.
Wehren muß ich mich allerdings gegen eins. Bei den vielen irrigen Darstellungen und fehlerhaften Berichten, die wir bekommen haben, befand sich u. a. auch aus amtlicher Quelle eine Darstellung dieser Frage, in der behauptet wird, wir von unserer Seite hätten uns und ich persönlich hätte mich eingesetzt für 1,3 Milliarden Mark mehr Steuern. Ich darf schlicht erklären: das ist eine Unwahrheit! Ich darf vermuten, daß diejenigen, die das geschrieben haben, sich darüber auch klar waren. Es tut mir leid, hinzufügen zu müssen, daß diese Information, wie viele andere, die nicht ganz den Notwendigkeiten und zum andern nicht ganz den Tatsachen entsprachen, in einem Dokument enthalten war, das bezeichnenderweise — ich befürchte beinahe, es war nicht nur ein Lapsus linguae, der hier passiert ist — die Überschrift ,, Sprachregelung" trug
und ausgegeben wurde im Bundesverkehrsministerium.
Ich darf auf die einzelnen Fragen, die in diesem Gesetz strittig gewesen sind, noch zurückkommen und zunächst begründen, weshalb wir es abgelehnt haben, etwa entsprechend der Regierungsvorlage auch den gewerblichen Nahverkehr mit höheren Steuern zu belasten, und auch abgelehnt haben, den Werknahverkehr mit höheren Steuern zu belasten. Wir sind der Meinung, daß es in diesem Nahverkehrsbereich eine wirklich nicht nur legitime, sondern geradezu wirtschaftlich notwendige Sache ist, Werkverkehr zu betreiben, und können wirklich nicht einsehen, weshalb man in dem Be-
streben, irgendwo Geld herauszuholen, nun auch l diese Art von Verkehren trifft, die wir für vernünftig, für sinnvoll und gesund halten. Es kam hinzu, daß der von der Regierung vorgeschlagene Satz von 1 Pfennig pro Tonnenkilometer sich hinterher als „Rechenfehler" — ich zitiere nur und kommentiere nicht — herausstellte und in Wirklichkeit 3 Pfennig hätte heißen sollen.
Ich darf dann weiter darauf eingehen, daß wir, obgleich wir die Besteuerung des Werkfernverkehrs tatsächlich als den Eckpfeiler des ganzen Gesetzes ansehen, trotzdem Wert darauf gelegt haben, daß die 5 Pfennig pro Tonnenkilometer im Werkfernverkehr nicht von heute auf morgen, geradezu über Nacht Gesetzeskraft erlangen, sondern daß das mit gewissen Übergangsfristen erfolgt. Wir freuen uns darüber, daß das so beschlossen worden ist. Ich persönlich hätte mich gefreut, wenn auch an anderen Stellen dieses Gesetzes gewisse Übergangsfristen eingeräumt worden wären. Denn ich möchte nicht an der Stelle derjenigen sein, die beispielsweise im Nahverkehrsgewerbe die Folgen dieser ,außerordentlich scharfen plötzlichen Steuererhöhung bei der Kraftverkehrssteuer und bei der Mineralölsteuer demnächst zu tragen haben werden, ohne daß man ihnen — ich spreche vom Nahverkehr — tarifpolitische Ausgleiche gewähren kann.
Wir haben, einig in den Fraktionen, in den Ausschüssen auch darauf Wert gelegt, die Gelegenheit wahrzunehmen, um den Straßenbahnverkehr, den Omnibusverkehr, den Obusverkehr, um überhaupt den gesamten öffentlichen Personennahverkehr von der Beförderungsteuerpflicht gesetzlich zu befreien, weil wir der Meinung sind, daß es wirklich notwendig ist, wenigstens ein bißchen für die Entwicklung unserer großstädtischen Nahverkehrsunternehmen zu tun.
Eine große Rolle hat gespielt — und ich glaube, auch das müssen wir der Öffentlichkeit von dieser Stelle aus sagen — das Problem des Abbaus der Besteuerung der Personenkraftwagen. Es war ja da aus dem Kreise der CDU-Fraktion — ich glaube, es ist der Kollege Krammig gewesen — der Antrag gekommen, das schon bei dieser Gelegenheit zu tun. Wir sind uns alle darüber einig, daß wir zu gegebener Zeit die Pkw-Steuer abbauen wollen. Aber wir sind uns dann auch, gerade bei der Beratung des Antrags des Herrn Kollegen Krammig, darüber klargeworden, daß das gegenwärtig wohl noch etwas verfrüht erscheint, zumal frühestens erst zum April des nächsten Jahres die Kraftfahrzeugsteuer eine Bundessteuer wird. Unsere Erwartungen haben uns da also etwas getrogen. Wir sind uns aber einig — und das möchte ich hier zum Ausdruck bringen —, daß wir diese Frage regeln wollen, und ich glaube, daß wir das dann im nächsten Jahr auch zustande bringen.
Das Gesetz, wie es jetzt aussieht, enthält keinen Knick mehr in der Kraftfahrzeugsteuer. Auch das scheint mir ein Vorzug gegenüber der ursprünglichen Regierungsvorlage zu sein. Sie haben es jetzt, meine Herren vom Verkehrsgewerbe, mit einem einheitlichen Steuertarifverlauf zu tun. Sie haben darüber hinaus die steuerliche Bevorzugung des Sattelschleppers und des Sattelzuges, eine Sache, die seit langer Zeit fällig war und von der ich hoffe — und, wie ich glaube, von der auch Sie, meine Herren von der Rechten, hoffen —, daß sie die zukünftige technische Entwicklung auf den deutschen Straßen erheblich beeinflussen wird.
Ich darf auf das fiskalische Ergebnis des Gesetzes hinweisen. Es ist — das muß man wirklich hervorheben — ein erstaunlicher Vorgang, daß das Parlament in seinen Ausschüssen ein Gesetz geformt hat, das mehr Steuern hereinholt, als die Regierungsvorlage zunächst vorgesehen hatte. Das kommt in diesem Hause nicht sehr häufig vor. Mir scheint, gerade dieser Tatbestand ist kennzeichnend dafür, daß in den Ausschüssen wirklich versucht worden ist, sich ein eigenes, unabhängiges Urteil zu erarbeiten, völlig losgelöst von den Einflüssen von allen Seiten, aber auch von den Beeinflussungen seitens der Regierung und ihrer Politiker. Der Herr Kollege Jahn hat schon auf die außerordentlich massiven Interventionen hingewiesen, denen die Abgeordneten im Laufe der letzten sechs, sieben Monate ausgesetzt gewesen sind. Ich kann meinerseits nur hinzufügen, daß die Vokabel „Nötigung", die der Kollege Jahn gebraucht hat, absolut zutreffend ist, nicht in einem Fall, sondern in mehreren Fällen.
Vielleicht darf ich hinzufügen: es war nicht nur Nötigung, es war auch Lüge und Verdrehung; es war auch harmloser: bloß unvollständige Berichterstattung. Wir hatten auch diese freundlichen Versuche, wo wohlmeinende Leute den Abgeordneten auf die Schulter klopften und ungefähr sagten: Du verstehst zwar nicht ganz soviel davon, aber mache es nur so, wie ich es hier vorschlage, dann ist alles in Ordnung. — Also, es hat die verschiedensten Formen der Beeinflussung gegeben. Ich glaube, wir haben lange Zeit in diesem Hause nicht eine so hohe Zeit des Lobbyismus gehabt, und ich möchte dem Hause wünschen, daß das für lange Zeit nicht wieder vorkommt.
Ich muß leider hinzufügen, daß auch offizielle und amtliche Stellen nicht immer mit lauteren Mitteln versucht haben, die öffentliche Meinungsbildung und die Urteilsbildung der einzelnen Abgeordneten zu beeinflussen. Ich möchte das nicht näher ausführen, sofern man mir nicht widerspricht; dann würde ich mich dazu gezwungen sehen. Aber ich möchte doch wirklich fragen, ob das die richtige Art und Weise ist, hier miteinander umzugehen.
In dem Zusammenhang möchte ich mir ein Wort erlauben über die Propaganda des Forums der Verkehrsteilnehmer. Das Forum ist ja besonders scharf angegriffen worden, und ich habe es nicht zu verteidigen. Ich bin auch keineswegs mit all dem einverstanden, was diese Leute sachlich gebracht haben. Aber ich bin der Meinung, daß das noch eine legitime, rechtmäßige Form von öffentlicher Werbung ist, jedenfalls viel rechtmäßiger, als wenn etwa ein Ministerium Druckschriften herausschickt an die Bevölkerung, an die Abgeordneten, ohne daß der Absender draufsteht und ohne daß aus dem Impressum hervorgeht, wer sie eigentlich verfaßt hat. Dieser Kampf aller gegen alle war eine unschöne Sache, und besonders unschön war es, daß der Herr Bundesverkehrsminister nicht einmal Schiedsrichter war in diesem Kampf, geschweige denn etwa Dirigent.
Wenn wir dieses Verkehrskonzert — bildhaft — einmal als solches auffassen wollen, dann würde ich sagen: der Dirigent verließ in dem Augenblick das Dirigentenpult, als er feststellte, daß das Orchester eine ganz andere Musik spielte, als in seiner Partitur gestanden hat, und als das parlamentarische Orchester eine ganz andere Musik machte, als vorher auf dem Programm den Besuchern draußen im Auditorium versprochen worden war. Und der Dirigent, der sich in das Orchester selber mischte, um mitzumischen, der spielte nun ein Instrument, das im Laufe einer Symphonie gar nicht so oft vorkommt, sagen wir die Pauke. Es gab heftige Paukenschläge in den Ausschußberatungen.
— Der Kontrabaß, sagt Herr Hellwig, - meinetwegen sogar der oder meinetwegen auch die Triangel, so ab und zu mal ein bißchen.
— Herr Horlacher, wenn Sie im Finanzausschuß dabeigewesen wären, dann würden Sie mir bestätigen, was alle Kollegen aus allen Fraktionen mir bestätigen müssen, die es erlebt haben, daß es dort nicht einmal, sondern mehrfach und wiederholt Szenen und Auftritte gegeben hat, die eigentlich in einen Ausschuß nicht hineingehören.
— Wenn Herr Krammig mir zuruft, daß er das sonst im Finanzausschuß nicht gewohnt ist, so glaube ich, daß er recht hat. Ich war an sich überrascht, positiv überrascht von der Atmosphäre im Finanzausschuß.
— Nein, nein, Herr Dresbach. Daß die schlechte Luft mit dem Verkehr etwas zu tun hatte, das will ich Ihnen gerne zugestehen, aber daß sie aus dem Verkehrsausschuß gekommen wäre, das ist nicht fair, daß Sie das sagen. Wir haben uns ja im Ausschuß gegenseitig ökonomische Rabulistik vorgeworfen, Herr Dresbach, und Sie haben es auch auf sich sitzen lassen, daß ich damals diese Retourkutsche habe losfahren lassen. Wollen wir uns darüber nicht mehr streiten.
Ich möchte noch ein Wort zur Ausschußarbeit sagen, und zwar ein Wort des Dankes an die vielen Mitarbeiter und Beamten in den beiden beteiligten Ministerien, die in außerordentlicher Arbeit und teilweise außergewöhnlicher Schnelligkeit über Nacht das in Formen gegossen haben, was wir häufig am Abend ziemlich roh und unbehauen uns zusammenbastelten.
Das scheint mir eine Gelegenheit, um einmal am Rande eine Bemerkung zu machen über die technische Möglichkeit für einen Abgeordneten, in der heutigen Zeit selber noch ein Gesetz zu formulieren. Das ist eine furchtbare Angelegenheit. Meine Damen und Herren, Sie sind völlig in der Hand der Beamten der Ministerien. Wenn es sich um loyale Beamte handelt — und das war hier durchaus der Fall —, dann ist die Sache gut. Aber ich möchte doch einmal ganz klarmachen, daß man heutzutage als sogenannte Gesetzgebung, als Legislative, in so hochspezialisierten und differenzierten Materien, wie es hier der Fall ist, einfach aufgeschmissen ist ohne die Hilfe der Verwaltungen.
Aber wir haben durch die Beamten aus den , Ministerien nicht nur eine große Hilfe bekommen. Wir haben auch allerlei, ich würde sagen,
lustige Zwischenfälle erlebt. Wir haben allerhand Humor und Freude daraus gezogen, daß beispielsweise die Vertreter zweier Häuser sich gegenseitig utopische Haltung vorgeworfen haben. Ich habe das wörtlich zitiert: „utopische Haltung". Es war also nicht so, daß die Einigkeit des Kabinetts in allen Fällen und immer wieder bei der Beratung des Verkehrsfinanzgesetzes demonstriert wurde. Das kann man nicht gerade sagen. Vielmehr war es ein, ich möchte sagen, eklatanter Fall von Nichtübereinstimmen. Das einzige, worin die verschiedenen Häuser bisweilen übereinstimmten, wäre die Feststellung gewesen — wenn man sie gehässigerweise hätte treffen wollen —: Wir sind uns einig, daß wir uns nicht einig sind. So weit ist es manchmal gegangen.
— Ich bin dankbar für den Zwischenruf. Er gibt mir Gelegenheit, etwas näher auszuführen, was ich meine. Es ist z. B. vorgekommen, daß ein sehr hoher Beamter aus einem nicht unwichtigen Hause in dem Ausschuß erklärt hat: Ja, wenn Sie mich so direkt fragen, meine Herren: ich bin ja auch nicht für das Verkehrsfinanzgesetz; das kann man ja alles mit der Tarifpolitik viel besser machen. Es waren mindestens zwanzig Kollegen dabei, die das anschließende kleine Zwischenspiel miterlebt haben, als ich den betreffenden Herrn fragte: Sagen Sie, Tarifpolitik, das hat doch etwas mit Preisen zu tun; Tarife sind doch Festpreise, und wenn Sie Tarife ändern, wollen Sie auf deutsch Festpreise. Wollen Sie nun die Preise bei der Eisenbahn heben, damit es nachher besser geht, oder wollen Sie sie senken, damit sie gegenüber dem Kraftverkehr konkurrenzfähiger wird? Oder wollen Sie beim Kraftverkehr die Preise heben, damit er auf diese Weise nicht so günstig wie die Bahn anbieten kann, oder wollen Sie die Preise beim Kraftverkehr senken, damit er nicht so große Gewinne macht und sich nicht so aufplustern und so viel investieren kann? — Auf diese, wie Sie mir zugeben werden, nicht gerade überkomplizierte Fragestellung erfolgte dann die Antwort: Ja, so genau kann ich das im Augenblick auch noch nicht sagen. — Das war die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien in Fragen des Verkehrsfinanzgesetzes.
Wir haben uns dabei im wesentlichen an das Bundesfinanzministerium gehalten, und ich stehe nicht an, zu erklären, daß wir dabei ganz gut gefahren sind.
Aber es war nicht nur im Ausschuß so. Auch sonst war das Kabinett sich offenbar nicht ganz einig. Es geht so weit, daß amtierende Bundesminister, die mit diesem Ressort eigentlich gar nichts zu tun haben, sich in der Presse negativ zu diesen Regierungsentwürfen geäußert haben. Ich habe einen Ausschnitt aus einer norddeutschen Tageszeitung. — Ich darf zitieren, Herr Präsident. — Bundesminister Hellwege schreibt unter der Überschrift: „Bonn schläft nicht" — ich füge hinzu, in Klammern, hoffentlich! —:
Der Eindruck, als würde die niederelbische
Obstwirtschaft von ihren parlamentarischen
Vertretern im Stich gelassen, ist völlig falsch.
Eine ganz neue Sache, daß die Obstwirtschaft hier parlamentarische Vertreter hat. Aber immerhin, „der Eindruck ist völlig falsch".
Ich bin mit den Vertretern unserer Obstwirtschaft völlig einer Meinung darüber, daß der" Entwurf des Verkehrfinanzgesetzes, wenn der Niederelbe nicht schwerste wirtschaftliche Nachteile erwachsen sollen, in dieser Hinsicht revidiert werden muß. Nur bitte nicht unter Trompetengeschmetter!
— So Herr Bundesminister Hellwege am 8. Februar.
Zur gleichen Zeit erklärte der Herr Bundesverkehrsminister Seebohm — sein Fraktionskollege — im Ausschuß, daß diese Ausnahmen natürlich überhaupt nicht in Frage kämen, als wir Sozialdemokraten nämlich entsprechende Anträge gestellt hatten. Aber das hatte auch Herr Kollege Hellwege schon vorausgesehen. Er hat nämlich in seinem Zeitungsartikel geschrieben:
Die Opposition freilich, die ja keine unmittelbare Verantwortung für die Gesetzgebung trägt, hat es in solchen Fällen leichter.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das hat mich wirklich gewurmt und geärgert. Denn keiner von Ihnen, die Sie im Ausschuß dabei waren, kann sagen, daß unsere sozialdemokratischen Kollegen in dem Kommunalpolitischen Ausschuß oder in dem Verkehrsausschuß oder in dem Ausschuß für Finanzen und Steuern nicht wirklich mit aller Kraft und Sachkunde und mit allem Willen zu einem obiektiven Resultat bei diesem Gesetz mitgearbeitet haben.
Da kann man als amtierender Kabinettsminister nicht hingehen und schreiben, wir machten so ins Blaue hinein Anträge, wir hätten ja auch keine große Verantwortung.
— Ich will auf den Zwischenruf von der moralischen Aufrüstung nicht eingehen; ich möchte mir keinen Ordnungsruf zuziehen. Aber ich möchte doch einmal feststellen, wenn unsere Kollegen von der linken Seite des Hauses nicht in den vielen komplizierten Einzelfragen des Gesetzes immer wieder Vorschläge gemacht hätten, Anregungen gegeben. Sorge getragen hätten, um Maß zu halten, dann möchte ich wissen, ob Sie heute im Hohen Hause ein Gesetz vorliegen hätten. das wirklich halbwegs akzeptabel wäre, und ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundesverkehrsminister mir wenigstens diese eine Feststellung nachher bestätigen würde.
Ich möchte aber noch eines deutlich hinzufügen: Dieses Gesetz ist ein allererster Anfang. Es ist ein Versuch, mit der Verkehrsneuordnung anzufangen. Überschätzen wir nicht die positive Wirkung dieses Gesetzes! Es ist ein allererster Anfang, und wir haben deshalb mit Absicht Wert darauf gelegt, daß das Gesetz die Überschrift „Verkehrsfinanzgesetz 1955" trägt, um damit u. a. deutlich zu machen, daß das nichts Endgültiges sein soll, daß in dem Maße, in dem wir Erfahrungen sammeln mit den finanzpolitischen, mit den verkehrspolitischen Auswirkungen des Gesetzes, vielleicht in einigen Jahren wieder etwas geändert, etwas ermäßigt wird oder woanders etwas erhöht wird. Wer weiß!
Ich möchte deutlich machen, daß wir uns auf einem außerordentlich schwankenden Boden befinden und daß wir hier tasten, alle miteinander. Ich möchte auch deutlich machen, daß die verkehrspolitischen Probleme überhaupt erst anfangen. Das Problem der Straßenüberlastung im Jahre 1955 ist ein Kinderspiel gegen das, was Sie im Jahre 1960 und 1965 zu regeln haben. Machen Sie sich darüber keine Illusionen!
Das Verkehrsfinanzgesetz ist auch nur ein Grundstein oder ein Ausgangspunkt für eine andere wichtige Sache, nämlich für die tarifpolitische Umstellung, für den tarifpolitischen Umbau, der hier in Deutschland erfolgen muß. Von allen Seiten dieses Hohen Hauses ist dem Herrn Bundesverkehrsminister in der ersten Lesung im Juli vorigen Jahres die Frage vorgelegt worden: Wo willst du eigentlich hin mit den Eisenbahntarifen? Wo willst du hin mit den Kraftwagentarifen? Wie soll die zukünftige Relation des einen Tarifs zu dem anderen aussehen? Wir haben von allen Seiten verlangt, daß gleichzeitig mit der Verabschiedung dieses Gesetzes auch endgültig und für alle die darauf aufbauende und darauf abgestellte tarifpolitische Konzeption klar sei. Wir haben diese Forderung, wie ich zugeben muß, allesamt nicht durchgehalten. Wir sind in diesem Punkte gegenüber dem Bundesverkehrsminister weich geworden, wir haben ihn ausgelassen, wenn man so sagen darf. Er hat bis heute nicht klar erklärt, was er eigentlich tarifpolitisch will. Ich wäre sehr dankbar, wenn das wenigstens in dieser Stunde in dritter Lesung von der Regierungsbank noch geschehen würde. Es gibt doch gar keinen Zweifel, daß z. B. das Güterfernverkehrsgewerbe anschließend an diese außerordentliche Kostensteigerung, die dieses Gesetz ihm bringt, in irgendeiner Form einen tarifarischen Ausgleich braucht, und es gibt gar keinen Zweifel, daß das vorbereitet und abgesprochen sein muß. Es gibt auch gar keinen Zweifel, daß man hiermit nicht noch etwa ein halbes Jahr warten kann. Ich bin sehr skeptisch über die bisherigen Vorbereitungen der tarifpolitischen Reformen. Ich bin sehr skeptisch, wenn ich mir ansehe, was aus dem sogenannten Sachverständigenausschuß herauskommt, der sich mit dieser Frage ein dreiviertel Jahr befaßt hat und der dann einige Zeit, nachdem er ein vorläufiges Ergebnis vorgelegt hatte, erklärt: „Ja, aber es ist eigentlich nur sehr, sehr vorläufig und noch gar nicht endgültig, eigentlich wollen wir noch ein bißchen abwarten." Wir haben damals vorausgesehen, daß nichts dabei herauskommt. Aber wie, Herr Minister Seebohm, sollen im nächsten Monat die Tarife geändert werden? Sollen die Eisenbahntarife, sollen die Kraftverkehrstarife höher werden? Das müssen Sie einmal auch dem Kraftverkehrsgewerbe beispielsweise darlegen, damit es weiß, wohin die Reise gehen soll.
Wir haben seinerzeit erwogen, ob wir nicht das ganze tarifpolitische Problem in irgendeiner Form ins Parlament ziehen sollten. Ich bin davon wieder abgekommen, weil das ein sehr schwieriges und hochkompliziertes Kunstschach ist, das nicht so viele Leute in Deutschland zu spielen vermögen. Ich persönlich zähle mich bestenfalls zu den Kiebitzen, die dabei sachverständig zuschauen können, das Spiel selbst aber auch nicht beherrschen. Ich glaube, wenn wir diese tarifpolitischen Fragen in dieses Parlament ziehen würden, so würde das nur eine große Verzögerung bedeuten und dazu führen, daß wir die Verantwortung für diese Verzögerung tragen, während sie einstweilen noch bei jemand anders liegt.
Ich möchte aber bei den tarifpolitischen Reformen darauf hinweisen, daß es sich um stufenweise Reformen handeln muß. Man kann nicht alles von heute auf morgen auf einmal umkrempeln. Ich wäre sehr dankbar, wenn der Gedanke des schrittweisen Umbaus — step by step — auch in der tarifpolitischen Auseinandersetzung Boden gewönne.
An das Gewerbe, das heute hier zuhört bzw. das Protokoll sehr sorgfältig lesen wird, möchte ich bei dieser Gelegenheit abermals die Anregung richten, nach alledem, was es gerade wieder in den letzten drei viertel Jahren erlebt hat, sich zu überlegen, ob es vielleicht nicht doch richtiger ist, auf langere Sicht den Vorschlägen des Wirtschaftsbeirats der CSU oder den Vorschlägen zu tolgen, die wir in gleichlaufender Hinsicht gemacht haben: sich nämlich in irgendeiner Form starker als bisher organisatorisch zusammenzuschließen, beispielsweise schon deshalb, damit man überhaupt ein Verhandlungspartner, ein satisfaktionsfähiger Verhandlungspartner wird.
Ich muß noch einmal auf die Sorgen im Nahverkehr zuruckkommen. Im gewerblichen Nahverkehr haben wir heute eine außerordentlich große Übersetzung. Es gibt Zigtausende von betrieben. Es ist wahrscheinlich, daß davon höchstens zwei Drittel notwendig sind, während ein Drittel einfach nicht benotigt wird. Es wird ohnehin, auch wenn wir dieses Verkehrsfinanzgesetz nicht machten, im Laufe einiger Jahre ein Ausleseprozeß vor sich genen mussen. Wir beschleunigen aber natürlich wiesen Prozeß durch das Verkenrsfinanzgesetz und durch die Steuererhöhungen außerordentlich, und wir übernehmen damit einen Teil der Verantwortung dafür, daß im Nahverkehrsgewerbe ganz zweifellos einige Leute ins Gras beißen werden. Ich bitte, das nicht zu übersehen.
Ich wäre also sehr dankbar, wenn der Herr Bundesverkehrsminister uns einmal sagte, wie er denkt, mit diesem Problem fertig zu werden. Wir laden hier allesamt eine schwere Verantwortung auf uns. Das, was ich bisher an Abhilievorschlägen aus dem Gewerbe gehört habe, kann mich allerdings nicht befriedigen. Da ist von Festtarifen und Konzessionen die Rede. Ich betrachte das einstweilen noch recht skeptisch. Aber ich meine, der Herr Bundesverkehrsminister müßte ja wissen, wie er dem Problem begegnen will. Ich glaube nicht, daß er mir anschließend antworten darf, wir hätten es ja in der Hand gehabt, den Werknahverkehr zu besteuern, dann wäre das Problem nicht aufgetaucht. Diese Antwort sehe ich voraus und möchte sie von vornherein als nicht sachgemäß aus dem Wege geräumt haben. So geht das jedenfalls nicht. Ich möchte ankündigen, daß meine Fraktion demnächst, d. h. nach Ostern, eine Anfrage einbringen wird, um dem Problem des gewerblichen Nahverkehrs einmal sorgfältig auf den Grund zu gehen.
Ich möchte meinerseits anregen, daß doch nun endlich einmal die Bundesbahn veranlaßt wird, den alten Vertrag durchzuführen, den sie vor vier oder fünf Jahren mit dem Nahverkehrsgewerbe geschlossen hat, noch unter der Ara Busch; der Mann auf der Seite des Gewerbes hieß damals Drews. Ich meine diesen Vertrag, der zur Zusammenarbeit zwischen Bahn und Nahverkehr im Verteilerver-
kehr führen sollte. Die Bundesbahn sollte endlich einmal prüfen, ob nicht auf diese Weise ein wenig Zusammenarbeit zwischen diesen Verkehrsträgern herbeigeführt werden kann.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat mir neulieh auf eine diesbezügliche Anfrage geschrieben, es sei ihm nicht möglich, die Bahn dazu anzuhalten. Ich kann das nicht ganz verstehen. Ich glaube, es ist ihm in bezug auf die Bahn einiges möglich. Jedenfalls denke ich, daß es sinnvoll wäre, die Bahn dazu anzuhalten, Herr Minister.
Ich darf mir eine zweite Anregung gestatten, welche im Zusammenhang mit dem Nahverkehr, andererseits aber auch im Zusammenhang mit der Reorganisation der Deutschen Bundesbahn steht, die ja nun auch einmal als Thema hier auf die Tagesordnung kommen muß, bei allem Wohlwollen. Diese zweite Anregung bezieht sich auf folgendes. Ich glaube, es wäre gut, in der Nahverkehrszone, sagen wir, auf Entfernungen von 1 bis 50 km, die Deutsche Bundesbahn von ihrer Beförderungspflicht sowie vom Tarifzwang zu entbinden. Sie hat es dann eben nicht mehr nötig, leere Kisten von einem Verschiebebahnhof zum anderen zu fahren, sie lehnt sowas dann in Zukunft ab, und der gewerbliche Nahverkehr kann damit sehr viel vernünftiger und volkswirtschaftlich kostengerecht fertig werden und im übrigen sein Auskommen dabei finden. Ich meine, man sollte das überlegen. Das Prinzip der Gemeinschaftlichkeit — das sage ich den Herren von der Deutschen Bundesbahn — kann man nämlich auch zu Tod(: reiten.
Das Bundesbahnproblem meine Damen und Herren, ist durch die Debatten der letzten drei Vierteljahre und durch das Verkehrsfinanzgesetz kaum angeritzt worden. Die Bundesbahn für sich ist ein Bündel von Problemen. Ich will gar nicht von dem finanziellen Problem sprechen. Das wird sicher bei Gelegenheit der Haushaltsberatung von unserer Fraktion einmal ausführlich dargelegt werden. Auch von den finanziellen Sanierungsnotwendigkeiten der Bahn will ich gar nicht sprechen; aber ich rede z. B. über ihre Publizität in finanziellen Fragen.
In den letzten Jahren hat die Bundesbahn in, wie man sagen muß, erstaunlicher Weise mit der traditionellen Zurückhaltung gebrochen und hat eine ganze Menge veröffentlicht. Es sind auch eine Reihe von Vorträgen gehalten worden und viele Zahlen in die Öffentlichkeit gekommen. Ich muß bekennen, daß man einigen Abgeordneten gegenüber, die besonders neugierig gewesen sind, sogar darüber hinaus eine ganze Menge Zahlen gegeben hat. Aber ich bekenne ebenso freimütig, daß es mir jedenfalls bis zur Stunde nicht möglich gewesen ist, mir ein abschließendes Bild über den gegenwärtigen Finanzstatus der Bundesbahn zu machen. Sie unterscheidet sich in diesem Ergebnis also letzten Endes gar nicht von der Bundespost. Bei der ist es ebenfalls keinem Staatsbürger in Deutschland möglich, einen Eindruck davon. zu gewinnen: Wie liegt sie denn eigentlich? Im Gewinn oder Verlust? Oder wie hoch liegt sie im Verlust?
Ich meine, daß die Deutsche Bundesbahn der Öffentlichkeit nun einmal einen hieb- und stichfesten Bericht in kaufmännisch aufgemachten Bilanzen vorlegen muß, nicht in dieser kameralistischen Buchführung, durch die sich kein Mensch durchfindet. Ich finde mich bei bestem Willen nicht hindurch, und ich habe mir wirklich Mühe gegeben.
Es muß einmal so dargelegt werden, daß der normale Wirtschaftsredakteur einer normalen Tageszeitung einen anständigen Kommentar dazu geben, eine anständige Kritik daran üben kann, womit man sich auseinandersetzen kann. Einstweilen ist das Ganze Geheimwissenschaft.
Ich möchte hier ein anderes Wort anknüpfen. Nicht nur die Finanzgebarung eines Unternehmens von dieser Bedeutung muß nach draußen transparent gemacht werden. Die Buchführung selber braucht vielleicht nicht geändert zu werden. Aber man muß sich etwas angewöhnen, was in der deutschen Industrie längst Usus ist: wenn man aus seinen betriebsinternen Kostenabrechnungen erkennt, daß irgendwo was nicht stimmt oder daß etwas zu teuer ist, muß man daraus auch Konsequenzen ziehen. Ich wünsche der Deutschen Bundesbahn etwas mehr dieses moderne, auf Betriebskostenrechnung und -analyse abgestellte Denken der deutschen Industrie. Das wäre eine gute Sache. Ich wünsche der Deutschen Bundesbahn, ein paar, sagen wir, Betriebswirte, ein paar Ökonomen, die dieses Metier beherrschen. Ich will niemandem zu nahe treten; aber es gibt außer dem Herrn Dr. Hilpert, der ein vorzüglicher Ökonom ist, meines Wissens in der Bundesbahn in gehobenen Chargen überhaupt keine Betriebswirte oder Ökonomen oder dergleichen; die hat noch nicht einmal eine volkswirtschaftliche Abteilung. Sie macht zwar in großem Maße Volkswirtschaftspolitik und Verkehrspolitik, aber ob das alles so fundiert ist, wie wir es gerne möchten, wage ich zu bezweifeln.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich nicht auslassen möchte, wenn von der Bahn die Rede ist. Man muß Entschlüsse nicht nur fassen, man muß sie auch durchsetzen, man muß sie im eigenen Hause durchsetzen, man muß auch nach außen seinen Standpunkt vertreten können. Was das Durchsetzen im eigenen Hause angeht, da liegt es bei der Bahn im argen. Ich will hier nicht zu dem Problem Generaldirektorprinzip oder kollegiales Prinzip im Bundesbahnvorstand sprechen. Meine politischen Freunde sind überwiegend der Auffassung, daß das kollegiale Prinzip hier am Platze ist. Ich will mich dazu nicht äußern. Aber ich will sagen: das Kollegialprinzip erwartet jedenfalls, verlangt und setzt voraus kollegiale Zusammenarbeit. Ich nehme an, daß mehr Herren als nur mir bekannt ist, welche Verhältnisse zur Zeit in der Deutschen Bundesbahn herrschen. Es tut mir leid, daß ich das hier in der Öffentlichkeit ausbreiten muß. Aber wo sonst soll man es denn ausbreiten, wenn es sich um ein so großes, wichtiges und entscheidendes Bundesunternehmen handelt?
Was das Durchsetzen nach außen angeht, möchte ich Sie, meine Damen und Herren, einmal auf dieses Buch in meiner Hand hinweisen. Es erschien, nein, es erschien nicht, es wurde gedruckt und gebunden im Jahre 1949 und heißt „Warum Bundesbahnkrise", vom damaligen Bundesbahnvorstand nach dem damaligen Stand der Erkenntnis zusammengestellt; außerordentlich interessant, in manchen Punkten schon außerordentlich weitsichtig. Dann kam ein Ukas des Bundesverkehrsministeriums, das Buch wurde verboten, es durfte nicht publiziert werden. Es liegt heute noch zu Tausenden in den Kellern der Bundesbahndirektionen herum. Das war der Augenblick, in dem der Deutschen Bundesbahn ihr moralisches Rückgrat gebrochen wurde, damals 1949/1950. Seither schwimmt sie eigentlich ein bißchen im Fahrwasser des Herrn
Bundesverkehrsministers. Man kann vielleicht sagen: Neuerdings schwimmt er in ihrem Fahrwasser. Es ist nicht so ganz klar, wer in wessen Fahrwasser schwimmt.
Aber es ist festzustellen, daß die Deutsche Bundesbahn ihrerseits nach außen leider keine klare verkehrspolitische Konzeption .entwickelt hat, wie sie das negativ den anderen Verkehrsträgern immer wieder vorwirft, die ich hier gar nicht in Schutz nehmen will.
Ich möchte also der Deutschen Bundesbahn, insbesondere ihrem Verwaltungsrat — wir haben ja einige Mitglieder dieses Hohen Hauses, die diesem Verwaltungsrat angehören —, wirklich wünschen, daß sie Selbständigkeit und Zuständigkeitsbereich dieses Organs etwas mehr herausarbeiten und etwas mehr betonen und daß der Bundesbahnverwaltungsrat vielleicht hier und da auch etwas mehr Mannesmut vor Fürstenthronen zeigt.
Auch zur Straßensicherheit muß noch ein Wort gesagt werden. Es ist Ihnen bekannt —das bildet einen Quell der Beunruhigung für gewisse Teile des Verkehrs —, daß der Herr Bundesverkehrsminister die Absicht hat, demnächst die zulässigen Achsdrücke, die zulässaigen Gesamtgewichte und die Längen der Fahrzeuge und der Lastzüge zu verringern. Hier bin ich — das wissen Sie, meine Damen und Herren —der Meinung, daß diese Tendenz richtig ist. Es kommt dabei natürlich auch auf das Maß und natürlich auch darauf an, daß die vorhandenen Fahrzeuge eine gewisse, wirtschaftlich vertretbare Übergangs- und Auslauffrist bekommen. Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundesverkehrsminister diese Sache nicht einfach
schlechtweg auf dem Weg der Rechtsverordnung regelte, wie ,das 'bisweilen anklingt. Ich möchte den Herrn Bundesverkehrsminister daran erinnern, daß dem zuständigen Ausschuß dieses Hauses ein Gesetzentwurf vorliegt, der sich mit diesen Fragen beschäftigt. Ich benutze die Gelegenheit, dem Kollegen Müller-Hermann ein durchaus freundliches Wort zu sagen. Ich bin der Meinung: es war ganz gut, daß wir in manchen Punkten seine alternativen Vorlagen hatten und daß idem Hause ein Gesetzentwurf vorliegt, der sich mit der Frage der Maße und Gewichte beschäftigt. Und, Herr Minister, man sollte dem Hause zunächst Zeit lassen, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, ehe man, wie bisher von Ihnen angekündigt, auf dein Wege der Rechtsverordnung die Sache hintenherum alleine regelt.
Zum Straßenbauproblem möchte ich nichts mehr hinzufügen. Ich kann nur wiederholen: Das Straßenbauproblem wächst und wächst und wächst und wird von Jahr zu Jahr immer gewaltiger. Die verkehrspolitischen Aufgaben auf diesem Gebiet, gerade auch der Gemeinden und Städte, sind im Gesetz etwas schlecht weggekommen. Besonders in den Großstädten ist es eine furchtbare Sache, die auf uns zukommt. Sie können etwa davon ausgehen, daß wir in Deutschland dieselben Motorisierungs- und Straßenbauprobleme haben wie die USA, bloß immer 15 Jahre später. Bei uns treten heute die Verhältnisse ein, die in den USA vor 15 Jahren 'akut waren. Das ist ungefähr der zeitliche Verzug, mit dem wir da rechnen müssen. Mit dem Verkehrsfinanzgesetz allein ist hier nicht geholfen, darüber mache ich mir gar 'keine Illusionen. Ich frage mich bisweilen, was man eigentlich tun kann, um die Dinge besser aufeinander abzustimmen. Denn daß für das Bedürfnis des Verkehrs, für die Notwendigkeit ides Straßenbaus die gegenwärtige Aufsplitterung in Zuständigkeiten des Bundes und Zuständigkeiten der Länder und derjenigen der Gemeinden, auch die finanzielle Aufsplitterung, nicht gerade das beste ist, daran habe ich keinen Zweifel.
Auf der ,anderen Seite bin ich überzeugt, daß man aus verfassungspolitischen und verfassungsrechtlichen Gründen diese Sache nicht ändern kann. Ich bitte also zu überlegen, ob man nicht vielleicht nach dem Beispiel des Ruhrsiedlungsverbandes eines Tages zu einer Art „Zweckverband Straßenbau" zwischen Bund, Ländern und Gemeinden kommen muß. Das sind, wie ich gern zugebe, Dinge, 'die noch etwas weit in der Zukunft liegen. Aber wir werden rechtzeitig an sie 'herangehen müssen; sonst finden wir uns eines Tages da wieder, daß nicht nur die Stadt Hamburg, wie ich es zu Hause erlebt habe, sondern auch die Stadt Frankfurt, die Stadt Dortmund und auch die kleinen 100 000-Einwohner-Städte ihre Citys einfach für den Lkw-Verkehr sperren und sagen: Ihr kommt bei uns nicht mehr rein, bloß noch nachts! Dahin wird es sehr bald kommen, wenn wir diese ganzen Geschichten nicht anpacken.
Ich möchte zum Schluß in dem Zusammenhang — wobei ich betone, daß die Motorisierung unaufhaltsam fortschreiten wird, trotz Verkehrsfinanzgesetz — noch ein Wort sagen über die deutsche Automobilindustrie,
die uns so die Ohren vollgeweint hat, daß dieses Verkehrsfinanzgesetz ihren Absatz ruiniere, daß der Export nicht mehr gehen werde und was dieser Dinge mehr sind. Ausgerechnet die Vorstandsmitglieder der Automobilindustrie halten nun Reden und sagen: Das wird alles ganz furchtbar werden, wir können nichts mehr •absetzen! Ausgerechnet die halten Reden und sagen: Die Mineralölpreise sind zu hoch, die müssen runter, die Pkw-Steuer ist zu hoch, die muß runter! Sehen Sie sich doch einmal die Bilanzen der deutschen Automobilaktiengesellschaften an, meine Damen und Herren!
Ich habe das getan. Ich habe die letzten vier, fünf Jahre Geschäftsberichte und Bilanzen all dieser großen Firmen verfolgt. Ich möchte die Namen nicht nennen. Aber Sie können auch aus dem Handelsblatt und aus der sonstigen Wirtschaftspresse verfolgen, daß es diesen Leuten recht gut geht und daß sie auf Grund der Marktanalysen, die sie angestellt haben, zweifellos insgeheim genau wissen und überzeugt sind, daß die Motorisierung ungeachtet dieses Gesetzes nicht aufzuhalten ist, daß sie fortschreitet. Infolgedessen haben sie enorme Investitionen angekündigt. Ein großes Werk hat in 'seiner Generalversammlung angekündigt: im Laufe der nächsten drei Jahre 180 bis 200 Millionen Investitionen zwecks Kapazitätserweiterung. Ein zweites Werk hat angekündigt: im Laufe der nächsten zwei Jahre 200 Millionen Investitionen zwecks Kapazitätserweiterung. Ein anderes Werk hat angekündigt: 100 Millionen zwecks Kapazitätserweiterung. Das Volkswagenwerk, das ja besonders publizitätsfreudig ist, hat nichts angekündigt. Aber es erweitert seine Kapazität außerordentlich. Sie können also im Schnitt 'davon ausgehen, daß die deutsche Automobilindustrie pro Jahr 300 Millio-
nen netto investiert. Vergleichen Sie das einmal mit den bescheidenen Tröpfchen, die wir heute in den Straßenbau stecken können, meine Damen und Herren! Dann werden Sie sich darüber klar, wie falsch und wie schief hier die Relation liegt und wie falsch die Schwergewichte bei der Invesstition in dem ganzen Verkehrssektor liegen. Die Kraftfahrzeugindustrie investiert im Laufe von drei Jahren genau so viel, wie die ganze Investitionshilfe bedeutet hat. Diese Größenordnungen muß man sich einmal vor Augen führen.
— Wir reden ja jetzt nicht von Straßen, wir reden von den Autos. Ich sage Ihnen, es werden viel zuviel Autos im Verhältnis zu dem bißchen Straße produziert, das ist das Problem! Und ich sage, die Automobilindustrie hat kein Recht, ein großes Geschrei anzustellen. Es gibt wohl in der ganzen deutschen Industrie nur wenige Industriezweige, die in ihrer Rendite so hoch über dem allgemeinen Durchschnitt der Industrie des Bundesgebiets liegen wie ausgerechnet die Automobilindustrie.
Ich möchte auch eine Bitte richten an den Herrn Bundesfinanzminister oder den Bundeswirtschaftsminister, falls er da ist. Ich glaube, daß es einmal Angelegenheit des Kabinetts oder des zuständigen Ressorts wäre, sich der Preispolitik zumindest des Volkswagenwerks anzunehmen. Nach meiner Überzeugung verdient das Volkswagenwerk an einem einzigen Wagen rund 30 % netto, wahrscheinlich etwas mehr. Ich kann das nicht beweisen, weil 'das Volkswagenwerk — und das ist eine Schande für ein Bundesunternehmen — seit Jahr und Tag keine Geschäftsberichte und keine Bilanzen veröffentlicht hat. Aber ich möchte bitten, daß endlich einmal darauf gedrungen wird, daß das nun an die Öffentlichkeit kommt und daß das Werk genau wie jedes andere seine Bilanzen vorlegt. Eine solche Politik gehört sich einfach nicht!
Man soll hier nicht einwenden, daß die Eigentumsfrage des Volkswagenwerks noch ungeklärt sei und daß man nicht darüber reden könne. Es gibt über eines keinen Zweifel: daß der Bund jedenfalls für das Volkswagenwerk die Verantwortung trägt und insofern auch für seine Transparenz und Publizität . und für seine Preispolitik.
Ich habe also nicht verstanden, daß ausgerechnet aus der Automobilwirtschaft heraus geklagt wurde, die Mineralölpreise in Deutschland seien zu hoch. Natürlich sind sie zu hoch. Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, und normalerweise hackt ja auch wohl eine Krähe der anderen nicht die Augen aus.
Ich glaube aber, das ist die Gelegenheit, auch über die Mineralölpreise in Deutschland zu sprechen. Meine Damen und Herren, sehen Sie sich einmal das UNO-Dokument an, das die ECE im Februar 1955 herausgebracht hat! Oder lesen Sie, was der Herr Bundesfinanzminister im Bulletin in den „Finanzpolitischen Mitteilungen" vom 16. März veröffentlicht hat, und zwar abdruckweise einen Aufsatz aus der Feder eines der besten Nationalökonomen, die die Regierung einmal in den Reihen ihrer Ministerien gehabt hat! Oder lesen Sie meinetwegen auch die bekannte verkehrspolitische Fachzeitschrift „Der Spiegel"!
Das genügt, um sich darüber klarzuwerden, daß auf dem Gebiet der Mineralölpreise manches nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte.
Ich will hier nicht etwa Experimenten à la Mossadeg das Wort reden; das könnte ins Auge gehen. Ich halte diese Konzerne für übermächtig. Ich möchte auch nicht einmal einem Experiment à la Duttweiler, wie es in der Schweiz versucht worden ist, das Wort reden. Der Herr Duttweiler, der das ja ein halbes Jahr vorexerziert hat, soll gesagt haben: Dös wenn ich gewußt hätt'! — Wenn er das gewußt hätte, was er jetzt weiß, hätte er es nicht angefangen. Es ist eine haarige Sache, sich mit diesen großen Konzernen auseinanderzusetzen.
Ich glaube aber — und das an die Adresse der Bundesregierung gesagt —, daß man die Sache jedenfalls einmal untersuchen muß. Nur so kann ich ja auch, Herr Bundesfinanzminister, den Abdruck dieses Aufsatzes in den „Finanzpolitischen Mitteilungen" verstehen — nicht daß Sie sich mit jeder Zeile identifizieren, die darin steht, aber dadurch, daß Sie es in Ihrem Organ abdrucken, geben Sie doch wohl zur Kenntnis, daß Sie der Meinung sind, an dem, was dieser Mann über die deutschen Mineralölpreise geschrieben hat, sei einiges dran.
Nun bitte ich Sie, gehen Sie der Sache nach und bringen Sie doch einiges mehr ans Tageslicht!
Ich möchte einmal auch der deutschen Presse und überhaupt der deutschen Öffentlichkeit sagen: Bringen wir doch mal die deutsche Mineralölwirtschaft und ebenso die Automobilwirtschaft in den Zustand der Anklage durch die öffentliche Meinung! Dann sollen sich diese außerordentlich publizitätsempfindlichen Konzerne einmal große Anzeigenseiten in der deutschen Presse kaufen und in ganzseitigen Anzeigen darlegen, weshalb ihre Preise eigentlich so hoch sein müssen.
Ich meine, daß die Leute gerade auf diesem Gebiet sehr empfindlich sind und daß man sie vielleicht etwas aus ihrer Reserve herauslocken kann.
Ich möchte mich an diesem Verfahren heute ein wenig beteiligen. Ich zitiere nicht aus dem ECE-Bericht und auch nicht aus dem Aufsatz von Günther Keiser im Regierungsbulletin, sondern beschränke mich auf ein paar Zahlen, die mir freundlicherweise einige Herren aus der mittleren Etage der Big Five, der fünf großen Mineralölkonzerne, verschafft haben — übrigens keine geheimen Zahlen; man kann sie in jedem fachlichen Dienst nachlesen.
Ich vergleiche einmal die Benzinpreise in Deutschland und in den umliegenden westeuropäischen Staaten. Nachdem ich überall sämtliche Steuerbelastungen abgezogen habe — Importzölle, Umsatzausgleichsteuer, Mineralölsteuer und was überhaupt darauf lastet —, bleibt der reine kommerzielle Preis übrig einschließlich aller Spannen, die er beinhaltet. Dann kommt man zu dem Ergebnis, daß beispielsweise Benzin, umgerechnet auf Liter und DPfennig, im September vorigen Jahres in Belgien 19 Pfennig kostete, in Dänemark 20,5, in England 19,8, in Frankreich 20,1, in Holland 20,0 — und in Deutschland 31,8 Pfennig.
Das kann man eigentlich nicht verstehen, denn die Weltmarktpreise für Nahostöl dürften ja für Deutschland und für Holland- dieselben sein; die Tankerfrachten dürften ebenfalls dieselben sein und die Lohnkosten in Deutschland sogar noch niedriger als in Holland. Zu verstehen ist das also eigentlich nicht.
Ich halbe mich natürlich sehr sorgfältig mit einer Reihe von Herren aus der deutschen Mineralölbranche unterhalten, und da wurden mir tausend Gründe dargelegt, warum das doch so sein müßte. Ich wäre sehr dankbar, wenn man diese Herren dazu bringen könnte, uns die Gründe einmal öffentlich darzulegen, damit wir sie auch öffentlich unter die Lupe nehmen können. Ich bin der Überzeugung, daß beim deutschen Benzinpreis Luft drin ist, die man herausdrücken kann. Der deutsche Benzinpreis braucht lange nicht so hoch zu sein, wie er ist.
Daß diese Preise absolut Manipulationspreise sind und nichts mit Markt oder mit Kosten zu tun haben, das sehen Sie aus dieser willkürlichen Änderung vor einigen Wochen, wo man den Dieseltreibstoff um zwei Pfennig teurer und das Benzin um zwei Pfennig billiger gemacht hat, um der Debatte hier den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Ich glaube auch — und das wieder an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers gesagt —, daß die Mineralölpreise und die Marktform der deutschen Mineralölversorgung, dieses Oligopol, das wir da haben, ein Paradefall — ein höchst komplizierter, aber höchst interessanter Paradefall — ,dafür werden kann, ob das Kartellgesetz, auf ,das wir alle so sehnlich warten, hinterher wirklich ein Gesetz ist oder nur eine Farce.
Ich darf zum Schluß kommen. Ich habe einige der verkehrspolitischen Probleme der unmittelbaren Zukunft gestreift, und ich darf sagen, unser Vertrauen darin, daß der Herr Bundesverkehrsminister diese Probleme wird meistern können, ist nicht sehr groß. Wir sehen seine bisherige Politik und ihre Folgen, ihre Ergebnisse vor 'unseren Augen. Wir sehen auch seine gegenwärtige Politik. Wir sehen seine Versuche, die Verantwortung auf eine Reihe von Ausschüssen zu verlagern. Da gibt es einen Rationalisierungsausschuß für die Bundesbahn unter einem Herrn Ottmann, einen WetzlerAusschuß, einen Beyer-Ausschuß, einen Selbstkostenausschuß; übrigens ist der zur Zeit eingeschlafen, weil der Finanzminister ihn nicht mehr finanziert.
Lauter Gremien gibt es da in der Welt, die machen alle Verkehrspolitik; aber bei dem, der sie machen sollte, haben wir das Gefühl, daß es nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.
Wir sind also sehr skeptisch. Ich möchte einmal in aller Ruhe — und ich hoffe, daß es mir gelingt, dabei alle ironischen und sonstigen Untertöne unterdrücken —
ausführen, daß es für die außerordentlich schwierigen Aufgaben, die in der gegenwärtigen Verkehrssituation in Deutschland ein Bundesverkehrsminister hat, nicht ausreicht, wenn man diese brillante Detailkenntnis mitbringt, wie sie unser gegenwärtiger Herr Bundesverkehrsminister hat, sondern daß es darauf ankommt, Zielklarheit zu haben, Stetigkeit zu beweisen in der Linie der Anstrengungen, Energie aufzubringen und vor allem und immer wieder Verhandlungskunst und Verhandlungsgeschick aufzubringen. In dieser
Vielfalt von widerstreitenden Interessen zu Kompromissen zu kommen, ist mindestens so sehr eine diplomatische Aufgabe, wie eine wirtschaftspolitische — mindestens so sehr eine diplomatische Aufgabe, die dem Bundesverkehrsminister hier obliegt. Das fängt schon im Kabinett an, meine Damen und Herren, wo man eine Verkehrspolitik plausibel machen muß, um die Kollegen davon zu überzeugen, was ja einstweilen immer noch nicht gelungen ist, wie die Spatzen von den Dächern pfeifen. Schon da fängt es an, daß man Kompromisse machen, daß man das Verständnis des Partners herbeiführen muß und nicht einfach nur versuchen darf, sich, gestützt auf die Autorität des Kanzlers, nun mit irgendwelchen Vorstellungen durchzusetzen, die andere Leute nicht teilen. Ich warne den Herrn Bundesverkehrsminister davor, diese Art der Behandlung weiter zu treiben; das führt zu keinen guten Ergebnissen.
Mit diesen schweren Bedenken sind wir bereit, dem Gesetz zuzustimmen, meine Damen und Herren, wenn Sie — das wiederhole ich — es nicht jetzt anschließend in dritter Lesung noch verschlechtern. Denn es ist gerade wegen der großen Opfer und trotz der großen Opfer, die es fordert, wahrscheinlich ein brauchbarer Anfang. Wir glauben, daß wir — alle miteinander, die wir an dem Gesetz gearbeitet haben — alle Interessen gegeneinander abgewogen und das übergeordnete Interesse des öffentlichen Wohls vorangestellt haben. Ich glaube, wir haben mit dem Gesetz, so wie es jetzt hier vorliegt, wirklich versucht, das zu tun, was die Engländer nennen „to make the best of it". Und ich glaube, wir haben diese unverschämten Anzapfungen von gewissen Gruppen nicht zu scheuen, die uns Telegramme schicken etwa des Inhalts: „Erbitten bis dann und dann schriftlichen Bericht, wie Sie unsere Interessen vertreten haben. Unterschrift: XY-Verband". Wir brauchen uns gegenüber diesen Gruppen nicht zu schämen. Wir haben uns wirklich ehrliche Mühe in der Sache gegeben. Vielleicht ist manches noch nicht ganz in Ordnung, vielleicht muß manches noch im Laufe der nächsten zwei, drei Jahre abgeschliffen werden. Aber ehe wir darangehen, etwas abzuschleifen, ehe wir darangehen, vielleicht nach zwei, drei Jahren der Praxis aus den inzwischen gewonnenen Erfahrungen heraus etwas zu ändern, möchte ich, daß in der Zwischenzeit hier zwei Ergebnisse auf dem Tisch des Hauses liegen, die uns der Herr Bundesverkehsminister bringen muß, und zwar erstens eine fertige, hieb- und stichfeste, aufeinander abgestimmte, sorgfältige Straßenaufwandsstatistik von Bund, Ländern und Gemeinden, damit es endlich einmal aufhört, daß auf diesem Gebiet jeder das beweisen kann, was er gern beweisen möchte, und zweitens die abgeschlossene Selbstkostenuntersuchung für die Verkehrsträger. Das beides brauchen wir, ehe wir uns ein anderes Mal mit diesem ganzen Problem beschäftigen; denn wir geben doch zu, meine Damen und Herren — auch der Bundesverkehrsminister muß das zugeben —: wir tappen ein bißchen im Dustern und vertrauen eigentlich mehr dem angelsächsischen Prinzip des trial and error, d. h. wir wollen einmal versuchen, was dabei herauskommt, und können es nachher immer noch ändern; das ist eine freie deutsche Übersetzung. Wir vertrauen ja doch ein wenig diesem Prinzip des trial and error. Wir befinden uns bei diesen Zahlen keineswegs auf festem Boden.
Ich möchte zum Schluß die Anregung wiederholen, die von verschiedenen Seiten dieses Hauses zu der Verkehrspolitik immer wieder gekommen ist. Ich würde die vielen Ausschüsse, die es auf verkehrspolitischem Felde gibt, beseitigen. Nehmen Sie sich, Herr Bundesverkehrsminister, die große Strafrechtskommission zum Vorbild, die der Herr Bundesjustizminister gebildet hat. Wäre es nicht möglich, in einer solchen Form der Zusammenarbeit von Fachleuten, d. h. Praktikern und Wissenschaftlern und Parlamentariern in Ruhe und nicht unter Zeitdruck im Laufe von zwei, drei Jahren etwas zu erarbeiten? Das setzt natürlich voraus, daß man die Taktik aufgibt, den einen Ausschuß gegen den anderen und die eine Gruppe gegen die andere ausspielen zu wollen.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte im letzten Satz diesem keineswegs rosigen Gesamtbild, das ich für die zukünftige Entwicklung des Verkehrs und der Verkehrspolitik gezeichnet habe, doch wenigstens einen kleinen hoffnungsvollen Tupfer aufsetzen und, Herr Präsident, wenn Sie gestatten, in folgender Form hoffnungsfreudig schließen:
Wem Herrgott gab ein Amt,
dem gibt er --- schließlich und schlußendlich — auch Verstand,
so hoffen wir zum Himmelszelte,
daß dieses auch für Seebohm gelte.