Rede von
Heinrich
Höfler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem gleichen Thema nur noch ein paar abschließende Worte! Mit Bedauern wird zur Kenntnis genommen, daß in den gegenwärtigen Verträgen dieses Problem so wenig gelöst ist wie in den vergangenen. Wohl ist es so, daß die Gemischten Kommissionen einen gewissen Erfolg darstellen, aber wir hätten doch gewünscht, daß bis zum Abschluß der Verträge die Dinge etwas weiter gediehen wären, als sie tatsächlich gediehen sind. Um es auf einen Satz zu bringen: die Gefängnisse in Werl, Wittlich und Landsberg müßten in diesem Augenblick leer sein!
— Das ist ganz selbstverständlich; ich habe eben von denen gesprochen, die unter den Bereich der Verträge fallen. Aber ich hatte die Absicht, sofort hinzuzufügen, daß man auch denen entgegenkommen muß, die als Gefangene zum Teil über 10 Jahre in den Gewahrsamsländern des Westens sitzen. Rußland gegenüber muß man den Satz Lenins aufrechterhalten: „Es gleicht einer Barbarei, Gefangene länger als zwei Jahre in Gewahrsam zu halten." Wenn Rußland sich das gemerkt hätte, dann wären heute wahrscheinlich die vielen Tausende, die wir in Rußland wissen und die wir noch vermissen, wieder in ihrer Heimat.
Wenn man fragt, woran die Ungelöstheit des Problems liegt, dann muß man wohl sagen: zunächst an der Härte des ganzen Problems, das sich der Judikabilität manches Mal doch sehr entzieht, dann an der innerpolitischen Lage einer Reihe von Ländern, die mit diesem Problem, innerpolitisch gesehen, noch nicht fertig geworden sind — das gilt insbesondere für die Länder des Westens —, und dann vor allen Dingen — und das ist eine moralische Sache — an der Tatsache, daß der Abbau des Mißtrauens, das die Völker gegeneinander hegen, noch nicht so weit gediehen ist, daß sie die heilenden Kräfte des Vergebens und des Verzeihens an die Stelle hassender Erinnerung, an das Furchtbare gesetzt haben, das sie sich in Kriegsjahren antaten.
In dieser Frage ist das Recht stark engagiert. Aber gleichzeitig muß man doch, um der Realität willen, sagen, daß wir uns, da wir die Gerechtigkeit noch nicht haben, auch in diesem Falle einstweilen mit der Justiz begnügen müssen. Das Recht, das hier angewendet wurde, war oft sehr löcherig, und nicht nur das, es war gekränktes Recht, es war einseitiges Recht. Und in einigen Fällen kann man sagen: Voraussetzung zu der Rechtsprechung, wie
sie oftmals im Auslande vollführt wurde, war neues Unrecht, weil es sich um Gesetze handelte, die ad hoc, sozusagen auf dem Rücken unserer Gefangenen, gemacht wurden, nur um zu irgendeiner Verurteilung zu kommen. Man kann sagen, daß die Mangelhaftigkeit des justitiellen Instruments der Schuldhaftigkeit auf der anderen Seite entspricht. Insofern hätte man die Dinge auf einem leichten Wege, auf einem leichteren Wege kassieren können, auf dem Wege der Gegenseitigkeit. Wir meinen, daß jetzt gerade die Zeit wäre, daß das leidvolle Problem, das so viele Wunden geschlagen hat und alte Wunden immer wieder aufreißt, jetzt endlich einmal zum Abschluß gebracht wird. Die Gelegenheit ist in dieser Zeit einmalig. Wenn wir auch an dem europäischen Haus, das wir zu bauen wünschen, manchen Abstrich machen mußten — gerade im Vergleich zu den Verträgen, wie wir sie wollten und wie sie jetzt geworden sind —, so dürfen wir doch auf einige Grundmaximen nicht verzichten, ich meine hier: auf den Geist edler Menschlichkeit und auch schuldvergessender Barmherzigkeit, die zu den Traditionen des Abendlandes gehören und die die Verpflichtung zu Recht und Gnade gleichermaßen anrufen.
Meine Verehrten! Die Völker Europas haben alle einander etwas zu vergeben, und die Einseitigkeit der Politik, die die Menschen deswegen verurteilt, weil sie zu den Besiegten gehören, und die anderen, die unter Umständen die gleichen Verbrechen begangen haben, freispricht und freiläßt, hat mit Gerechtigkeit wenig mehr zu tun.
Ich möchte hinzufügen, um es ganz kurz zu machen, mir scheinen die Worte und die Argumente zu diesen Dingen geradezu verbraucht: Gesetz, Sühne, Strafe, Recht, Unrecht, Schuld und Unschuld —, wie oft sind diese Dinge auch von dieser Tribüne her schon erklungen! Es scheint mir nun notwendig zu sein, daß wir ernst machen dem Ausland gegenüber mit einem sehr herzlichen und dringenden Ersuchen, doch seinerseits dazu beizutragen, die Dinge zu einem Ende zu bringen.
Bezüglich der Generalamnestie sind wir der Meinung, die von meinem Vorredner zum Ausdruck gebracht wurde, daß damit schon deswegen nichts anzufangen ist, weil wir ja in § 6 des vorjährigen Amnestiegesetzes diese Fälle direkt ausgeschaltet haben.
Ein Wort noch zu dem, was die Bundesregierung getan hat. Ich tue das auch im Hinblick darauf, daß man immer wieder offene oder versteckte Angriffe in bestimmten Zeitungen und Zeitschriften findet, dahingehend, die Bundesregierung und insbesondere der Herr Bundeskanzler hätten nicht das getan, was notwendig und was möglich gewesen wäre. Ich mache hier keinen Unterschied unter den Parteien. Alle diejenigen, die sich mit dem Problem im Ernste und beinahe hauptamtlich befassen, wissen, wieviel in der Tat von der Bundesregierung getan worden ist und wie sich der Bundeskanzler persönlich in allen Verhandlungen bis zu den letzten in Baden-Baden mit Herrn MendèsFrance angestrengt hat, dem Problem das nötige Ende zu bereiten.
Wir schulden diese Feststellungen nicht der Parteipolitik, sondern wir schulden sie einfach der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit und der Dankbarkeit für das, was geschehen ist.
Es ist auch nicht so, daß die Gefangenen in ihren Gefängnissen verlassen sind. Die Missionen, die wir im Auslande haben, bestimmte Vertreter von ihnen, die Geistlichen, die wir hinübergeschickt haben, die karitativen Verbände sorgen schon dafür, daß die Leute nicht in Hoffnungslosigkeit versinken; es wird ihnen durch Besuche und anderes immer wieder zur Kenntnis gebracht, daß sie nicht verlassen sind.
Wenn ich jetzt gerade von den Gefängnissen spreche: Ich bin sehr oft in Gefängnissen gewesen, und ich muß sagen, die Leute, die heute noch in den Gefängnissen sitzen, verdienen zum großen Teil die Gnade, weil sie entsühnte und geläuterte Menschen geworden sind. Ich könnte hier Beispiele erzählen, die einen wirklich rühren könnten.
Was den Bundestag anlangt, so ist er es wohl gewesen, der die Millionen bewilligt hat, die zur Lösung dieses Problems zur Verfügung stehen.
Wo liegt Hilfe, und wo liegt das Heil? Ganz kurz: in der Rückkehr zur Praxis der Gnade und in der Abkehr von dem grausamen alten Satz: fiat justitia, pereat mundus! Es gibt leider Verhältnisse und es gibt Länder, in denen noch ein Geist herrscht, der diesem Wort verwandt ist. Wir möchten wünschen, daß auch dort der Zug zur Gnade allmählich einzieht.
— Und zum Recht, natürlich. Es gibt ein altes Wort — ich glaube, ich habe es hier schon einmal zitiert —: gratia melior pars justitiae. Wenn alle danach handeln, daß die Gnade der schönere Teil der Justiz, der Gerechtigkeit ist, dann werden diejenigen, die noch drinnen sind, bald draußen und bei ihren Familien sein.