Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich, als die Debatte um die wirtschaftlichen Fragen begann, nach den ersten Eindrücken die Hoffnung, daß wir hier eine richtige wirtschaftspolitische Debatte bekommen würden, und zwar auf Grund der Ausführungen, die Herr Kollege Scheel zu den einzelnen Problemen und Themen gemacht hat. Nun, nachdem noch einige Redner gesprochen haben, scheint mir klar zu sein, daß es außerordentlich schwierig ist, im Parlament zu einer wirklich lebendigen Debatte zu kommen.
Ich möchte aber doch zunächst zu dem, was Herr Kollege Scheel gesagt hat, ein paar Bemerkungen machen, wobei einige gleich auf den Kollegen Samwer mit abgestellt sein sollen.
Es ist natürlich für die Kollegen, die erst in den
2. Deutschen Bundestag gekommen sind und die sehr ausführlichen und gründlichen Auseinandersetzungen über den alten Vertrag, über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, nicht mitgemacht haben, sehr schwer, immer genau zu wissen, was damals gründlich und nützlicherweise diskutiert worden ist und was auch schon damals alles bemängelt worden ist. Wenn Herr Kollege Scheel sagt, in den abgewandelten Verträgen, die in den Pariser Abkommen zusammengefaßt sind, sei nicht allzuviel Neues vorgekommen, dann irrt er sich zum mindesten in einem Punkt, nämlich auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle. Ich werde dazu - für das ganze Haus, glaube ich, nützlicherweise — ohnehin einige grundsätzliche Darlegungen machen müssen.
Ich bin im übrigen mit vielem, was der Kollege Scheel von den Freien Demokraten hier gesagt hat, sehr einverstanden. Ich habe allerdings keineswegs wie er die Meinung, daß man dem Bundeswirtschaftsminister bei der Durchführung sehr vieler heikler Aufgaben, die aus der Aufrüstung auf uns zukommen, Vertrauen schenken muß. Der Herr Kollege Scheel war ja auch sehr vorsichtig und sagte, daß offenbar die Freien Demokraten bereit sind, ihm „ein gewisses Maß von Vertrauen" zu schenken.
Und mit einem gewissen Maß — wenn man das „gewisse" entsprechend dosiert — könnten wir sogar noch einverstanden sein, etwa, wenn Professor Erhard sich noch einmal ernstlich bemühen würde, die vielen schwierigen Probleme, die die Gefahr einer Bewirtschaftung mit sich bringen, mit einer klaren Formulierung, z. B. des Kartellgesetzes, anzugehen.
Nun, es ist richtig — wie ich sagte und wie Kollege Scheel feststellte —, daß sich in den Verträgen an vielen Stellen gegenüber dem, was vor zweieinhalb Jahren hier im Bundestag von der Mehrheit des Hauses beschlossen warden ist, nicht allzu viel geändert hat. Es sind aber — und das ist ja viel entscheidender, ich glaube, da hätte der Kollege Scheel vielleicht noch einiges hinzufügen müssen — in diesen Verträgen leider Gottes trotz der zweieinhalb Jahre, die abgelaufen sind, Dinge stehengeblieben, von denen wir eigentlich hätten erwarten können, daß sie in der Zwischenzeit verschwunden wären.
Die Situation ist doch so, daß im Überleitungsvertrag nach Art. 9 jetzt die Bundesregierung mehr oder minder durch freiwilligen Beschluß die Verpflichtungen übernommen hat, die früher in alliierten Gesetzen niedergelegt waren. Die Schärfe der Beanstandungen durch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, von der Kollege Scheel gesprochen hat, hat diesen Bestimmungen gegolten, und wenn heute die Bundesregierung sie weiter durchzuführen sich verpflichtet hat, bleibt an der Schärfe der Kritik von vor zweieinhalb Jahren durchaus nichts zurückzunehmen.
Was sich geändert hat, ist doch, daß in den zweieinhalb Jahren vieles von dem, was damals durch alliierte Gesetze vorgeschrieben war, in der Bun-
desrepublik inzwischen ein echter und bedauerlicher wirtschaftlicher Tatbestand geworden ist. Das gilt für die Dekartellisierung, das gilt für die Entflechtung, das gilt für die Durchführung des Gesetzes 27, mit dem eben die Grundstoffindustrien der Bundesrepublik, Kohle und Eisen, in einer wirtschaftlich außerordentlich unvernünftigen Art und Weise entflochten worden sind. Bestenfalls könnte man — oder möglicherweise muß man — sagen, daß das Odium dieser bösen Sache nun freiwillig von der Bundesregierung übernommen worden ist.
Wir haben dann vor allem mit einigem Erstaunen und mit erheblicher Überraschung feststellen müssen, daß — obwohl die Bundesrepublik nach dem, was uns gesagt wird und worauf so viel Wert gelegt wird, durch die Verträge souverän und ein gleichberechtigter Partner werden soll — in den Verträgen nach wie vor z. B. noch unvermindert die ganze Last der Verkaufsauflagen, die mit den Entflechtungsmaßnahmen verbunden waren, aufrechterhalten worden ist und daß der Herr Bundeskanzler die Verpflichtung übernommen hat, diese Verkaufsauflagen durchzuführen. Gewiß, es gibt da gewisse mildernde Umstände. Es gibt die Möglichkeit, bei auftretenden Schwierigkeiten den Verkauf oder die Durchführung dieser Auflagen hinauszuzögern. Der Herr Bundeskanzler hat einen Brief geschrieben, und er glaubt, durch diesen Brief, in dem er auf ein gewisses Verständnis der Alliierten hofft, um solche Verkaufsauflagen möglicherweise herumkommen zu können. Nun, diejenigen, die die große Politik und die Vertragsarbeit in den letzten Jahren beobachtet haben, werden ja mit einiger Überraschung festgestellt haben, daß manch ein Vertrag im Umfang kleiner ausfällt als der Briefwechsel, den man hinten anhängt, und daß in diesem Briefwechsel sehr viele Dinge besprochen oder möglicherweise auch geregelt werden, die man im Vertrag selbst nicht regeln wollte. Viele von diesen Dingen, die in Briefwechseln festgehalten sind, sind also Hoffnungen.
Wenn beispielsweise aus dem, was die Bundesregierung kommentiert, der Kollege Samwer, wie er vorhin gesagt hat, schließt, daß nun erfreulicherweise die Garantie gegeben sei, daß die Aktienpakete, um die es sich da handelt, nicht in das Ausland verkauft werden müssen, dann irrt er sich. Es besteht keine Verpflichtung, es hat bisher noch nie eine Verpflichtung bestanden, daß Herr Flick oder Herr Krupp oder wer immer aus diesen Häusern überhaupt Aktienpakete ins Ausland verkaufen. Es ist aber geschehen, wahrscheinlich, weil die Herren, die die Aktienpakete verkaufen mußten, sich überlegt haben, daß sie dabei ein gutes oder das beste Geschäft machten. Und wenn Krupp kürzlich die Zeche Constantin an die italienische Eisenbahn verkauft hat und Herr Samwer das sicherlich mit sehr vielen Schmerzen im Herzen zur Kenntnis genommen haben wird, dann könnten wir ja einmal die Frage stellen, ob es nicht vielleicht schlauer gewesen wäre — trotz unserer so stark privatwirtschaftlich orientierten Koalitionsparteien —, diese Grube etwa der Bundesbahn zu verkaufen. Damit wäre die Verkaufsauflage nämlich auch erfüllt worden.
— Das ist ja das Schlimme, da wir keine Verpflichtung haben, ins Ausland zu verkaufen. Aber, mein
lieber Herr Samwer, Sie sollten doch, wenn Sie die Dinge realistisch ansehen, sich auch darüber klar sein, daß man diese Verkaufsauflagen seinerzeit mit guten Vorsätzen so gemacht hat, daß bei der Kapitalknappheit in der Bundesrepublik möglicherweise alles, was dort an Verkaufsauflagen vorgesehen ist, damit endet, daß guter, wertvoller Besitz ans Ausland geht. Das ist der entscheidende Punkt, und es ist erstaunlich, habe ich gesagt — darauf liegt das Gewicht, Herr Samwer! —, daß nach zweieinhalb Jahren Verhandlungen jetzt, da man morgen oder übermorgen sozusagen ein souveräner Partner werden soll, diese Verkaufsauflagen nach wie vor aufrechterhalten sind.
Das ist vor allem auch aus einem anderen Grunde in tiefstem Maße beunruhigend und bedauerlich, denn wir alle, vor allem die, die im Montanparlament mit diesen Dingen laufend befaßt sind, wissen, daß diese Verkaufsauflagen zu den schlimmsten Hemmnissen für die notwendige Rückverflechtung im Ruhrgebiet gehören, die die Konkurrenzfähigkeit unserer Betriebe erheblich stärken könnte.
Daß in der Reparationsfrage keine Änderung eingetreten ist, ist ein ebenso erstaunliches Phänomen, wenn man sagt: Wir sind morgen souverän. Und schließlich bleibt noch die Tatsache bestehen — es ist darauf hingewiesen worden —, daß in der Frage des Auslandsvermögens auch nichts anderes geschehen ist als das, wozu sich die Bundesregierung vor zweieinhalb Jahren in höchst anfechtbarer Weise schon bereit erklärt hat. Sie hat damals erklärt, daß sie für jetzt und alle Zeit, auch noch für spätere Transaktionen, darauf verzichtet, gegen die Maßnahmen der Alliierten hinsichtlich des deutschen Eigentums irgendwie Einspruch einzulegen oder etwas zu unternehmen. Natürlich, es hat auch da wieder einen Briefwechsel gegeben; ich habe die Briefe schon einmal erwähnt. Man sieht gerade an dem Beispiel „Auslandsvermögen Amerika", wie wenig solche freundschaftlich ausgetauschten Briefe wirklich bedeuten.
Der Herr Bundeskanzler war sicherlich sehr erfreut, daß er mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika diesen Brief ausgetauscht und mit ihm, wie er sagt, in freundschaftlichem Ton und in bestem Einverständnis über die Rückgabe des deutschen Eigentums in Amerika gesprochen hat. Man hat auch einen Termin für Verhandlungen angesetzt. Aber als man hörte, daß der Herr Bundeskanzler den Herrn Bankier Abs zu Verhandlungen nach Amerika geschickt hat, hat sich manch einer, der die Dinge offensichtlich realistischer sah, gesagt: „Mönchlein, du gehst einen schweren Gang!" Der Herr Bundeskanzler hätte sicherlich außerordentliche Genugtuung empfunden, wenn er etwa hier hätte mitteilen können: Die Amerikaner haben das deutsche Eigentum freigegeben. Das Gegenteil ist der Fall. Herr Abs wird wahrscheinlich, nachdem er auf der Londoner Schuldenkonferenz erfolgreich und gut für die Bundesrepublik gearbeitet und sich da viel Dank verdient hat, aus Amerika mit einem höchst bescheidenen Ergebnis zurückkommen. Jedenfalls ist nach dem jetzigen Stand der Dinge auf der Verhandlerseite Amerika nur bekannt, daß die Amerikaner eventuell bereit sind, die Kleinvermögen bis zu 10 000 Dollar freizugeben — wohlgemerkt: vom beschlagnahmten deutschen Privat vermögen —, und daß die großen Brocken, die drüben liegen, vorläufig jedenfalls, nicht zurückkommen
werden. Das ist eine Illustrierung zu der Frage, was man von freundschaftlichem Briefwechsel halten kann. Aber das Entscheidende ist ja, daß es der Bundesrepublik und den Verhandlungen der Regierung überhaupt nicht gelungen ist, diese schweren Belastungen und Vorbelastungen für die Wirtschaft der Bundesrepublik aus den nunmehr neu abgefaßten und neu zu ratifizierenden Verträgen herauszubringen.
Ich möchte gleich, um nachher nicht noch einmal darauf zurückkommen zu müssen, sagen, daß wir mit vielem, was Herr Scheel sonst noch angeführt hat, durchaus einverstanden und einer Meinung sind. Das gilt vor allem hinsichtlich der Frage — mein Kollege Schöne hat schon darauf aufmerksam gemacht —, daß wir es gewesen sind, die sich im 1. Bundestag dagegen gewandt haben, ein Wirtschaftssicherungsgesetz zu erlassen, das eben, wenn die Dinge einmal schief gehen — und wer möchte voraussagen, ob sie nicht doch eines Tages einmal schief laufen? —, in der Wirtschaft Bewirtschaftung und viele andere Dinge ermöglicht. Wir sind außerdem völlig einer Meinung — ich glaube, das sind sämtliche Vertreter aller Fraktionen seit langer Zeit gewesen —, daß die Methoden und die Arbeitsweise des Koblenzer Amtes schleunigst und gründlich beseitigt werden müßten.
Zur Frage der Rüstungskontrolle möchte ich, um diesen Punkt zu erledigen, zunächst sagen: Ich habe das Gefühl, daß sich Herr Kollege Scheel irrt, wenn er die Meinung hier im Hause vertritt, daß das, was an Rüstungskontrolle in dem Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler und zum Nordatlantikvertrag vorgesehen ist, „ehrlicher" wäre als das, was wir früher gehabt hätten. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um Ihnen allen mit aller Eindringlichkeit zum Bewußtsein zu bringen, daß der Herr Bundeskanzler von Ihnen verlangt, Verträge zu ratifizieren, die rechtsverbindlich nur in französischer und englischer Sprache vorliegen. Sie finden in den Dokumenten nur eine deutsche Übersetzung.
Wenn man also ganz korrekt und ehrlich verfahren wollte, müßten sogar die Ratifizierungsgesetze, die uns von der Regierung vorgelegt worden sind, etwa in Art. 2 sagen: Der Vertrag vom Soundsovielten, der in Englisch und Französisch rechtsverbindlich ist, wird von dem Bundestag akzeptiert. Und in Art. 3 oder Art. 4 müßte es ehrlicherweise heißen: Der Gesetzestext wird „in deutscher Übersetzung" veröffentlicht. Ich mache auf diesen Punkt deshalb aufmerksam, weil es, jedenfalls für mein Gefühl, wieder einmal außerordentlich erstaunlich ist, daß eine Regierung für ein Land, dem man die Souveränität gibt, gezwungen wird, den Beitritt zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikpakt zu ratifizieren, ohne daß die Sprache dieses Landes die gleiche Gültigkeit hat wie Französisch und Englisch.
Die Wichtigkeit dieses Hinweises geht noch auf etwas anderes zurück, nämlich darauf, daß auch in diesen Übersetzungen — die meisten der Damen und Herren hier im Hause und schon ganz und gar die Menschen draußen, die nur den deutschen Text zu sehen bekommen, haben ja nicht die Möglichkeit, ,den französischen und englischen Text zu vergleichen — wieder Übersetzungsfehler oder Übersetzungsgeschicklichkeiten enthalten sind, bei denen man leider Gottes die Überzeugung bekommen muß, daß sie nicht ganz unabsichtlich erfolgt sind.
Wir haben in dieser Debatte über die Wirtschaftsfragen erfreulicherweise den Anfang damit gemacht, über einzelne konkrete Dinge zu diskutieren, die sich aus den Verträgen ergeben, aus dem Truppenvertrag und ähnlichem mehr. Hier, bei der Frage der Rüstungskontrolle, dem berühmten Protokoll IV, haben wir die Tatsache, daß in der Frage, wieweit die Rüstungskontrolle der Westeuropäischen Union bezüglich der nach Art. 7 festgestellten Aufgaben zu Nachteilen für die deutsche Industrie führen kann, höchst zweifelhafte Beurteilungen vorliegen. Ich habe mit einer Reihe maßgeblicher und sehr gewichtiger Persönlichkeiten aus der Industrie gesprochen, die solchen Industriezweigen angehören, die der Kontrolle automatisch unterliegen, weil sie entweder die von uns nicht mehr herzustellenden Waffen früher hergestellt haben oder aber auf Grund ihres Produktionsganges und ihrer Installation in der Lage wären, solche verbotenen Waffen — auf die also von uns verzichtet worden ist — eventuell herzustellen. Die Frage also, wieweit Werkspionage möglich ist und getrieben werden kann, sollten wir nicht ganz und nicht leichtfertig von der Hand weisen. In der Begründung hat die Bundesregierung erklärt, das sei ausgeschaltet. Die dicke Unterstreichung, daß sie ausgeschaltet sei, macht uns gerade stutzig.
Wir haben die Waffen, auf die wir erfreulicherweise verzichtet haben, die ABC-Waffen, und haben dann die zweite Liste der Waffen — und das ist viel wichtiger und viel entscheidender —, die in der Anlage III aufgeführt sind, wo wir uns vorläufig damit einverstanden erklärt haben, sie nicht herzustellen, die aber vielleicht in der Bundesrepublik hergestellt werden können, wenn durch den Beschluß des Brüsseler Ministerrats mit einer Zweidrittelmehrheit auf Wunsch des NATO-Oberbefehlshabers der Bedarf der Streitkräfte dies eventuell verlangt. Der Bundeskanzler hat nicht nur erklärt — darin sind wir mit ihm völlig einig —, daß wir die ABC-Waffen nicht herstellen wollen — Atomwaffen, chemische Waffen und dergleichen —, sondern er hat sich auch damit einverstanden erklärt, die Verpflichtung einzuhalten, die Gegenstände der anderen großen Liste, in der auch zum Teil nur Teile von Waffen mit einbegriffen sind, nicht herzustellen und dies durch das Organ der Westeuropäischen Union überwachen zu lassen. Das Rüstungskontrollamt muß also hinsichtlich der Bundesrepublik, die für diese. Frage der einzige bezogene Partner in der Westeuropäischen Union ist, von vornherein mit einem viel größeren Umfang von Kotrollen rechnen als alle anderen Partner.
Wir haben die Hauptschwierigkeiten und einige kritische Punkte in diesem Vertrag, wenn wir uns einmal Art. 7 Ziffer i b ansehen. Die deutsche Übersetzung spricht davon — und die Interpretation der Bundesregierung, möchte ich sagen, geht darauf hinaus —, die Kontrolle beziehe sich nur auf das Fertigprodukt. In der Begründung sagt die Regierung, die Kontrolle beziehe sich nur auf das Fertigprodukt gewissermaßen außerhalb der Anlagen, nämlich in den Depots und Arsenalen. Art. 7 Ziffer 1 b sagt in deutscher Übersetzung bzw. im deutschen Wortlaut „Ausstoß", während im englischen und französischen Text vollkommen einwandfrei das Wort „Produktion" steht. Wenn auch in dem Brüsseler Protokoll steht, daß das Produktions verfahren nicht kontrolliert wird, daß es also gleichgültig ist, auf welchem technischen Weg und mit welchen Methoden eventuell Waffen her-
gestellt werden, so ist doch klar, daß der Produktions gang selbst natürlich kontrolliert wird. Es ist ernsthaft zu fragen, warum die deutsche Regierung hier von der Übersetzung abgewichen ist, die die anderen beiden Partner gewählt haben.
Nach Art. 9 des Protokolls Nr. IV beschränkt sich die Tätigkeit des Amtes, um ein anderes Beispiel für die Interpretationskunst, möchte ich beinahe sagen, oder Geschicklichkeit auf deutscher Seite zu nennen, auf das Festland. Wenn Sie sich die Begründung der Bundesregierung ansehen, die Sie ein paar Seiten weiter hinten finden, dann stellt sich heraus, daß die Bundesregierung sagt: „Hiernach finden in Großbritannien keine Kontrollen statt". Sie sagt dann — nebenbei gesagt, völlig fehlerhafterweise —, daß allerdings die britischen Truppen auf dem Festland, insbesondere in Deutschland, dieser Kontrolle unterlägen. Genau das aber, nämlich die Kontrolle der Waffenbestände bei den Truppen unter NATO-Kommando, ist nach dem Brüsseler Protokoll ausgeschaltet, unterliegt nicht dem Rüstungsamt, sondern dem Oberbefehlshaber der NATO selbst. Die Bundesregierung fährt dann, nachdem Großbritannien erwähnt war, fort, daß die überseeischen Gebiete ebenfalls nicht unter die Kontrolle fallen. Nun, das, was die Bundesregierung, wenn sie eine wirkliche Klarheit hätte schaffen wollen, in ihre Begründung hätte hineinschreiben müssen, ist die Tatsache, daß der Partner Frankreich bezüglich seines Besitzes in Nordafrika von jeglicher Kontrolle durch das Rüstungskontrollamt, durch die Westeuropäische Union frei ist und die Franzosen also in Nordafrika alle Waffen, und so viel wie immer sie wollen, fabrizieren können, ohne jemals irgendeiner Kontrolle zu unterliegen.
Ich möchte auf andere Dinge nicht weiter eingehen. Ich habe das deutliche Gefühl, die Kollegen haben offenbar weder die Paragraphen des Vertrags noch den Text vor sich, um dem folgen zu können.
Es ist aber ein außerordentlich beachtlicher Umstand — und das ist typisch für die Hast, mit der die Verträge insgesamt gemacht worden sind —, daß es sogar auch zwischen dem französischen und dem englischen Text Differenzen gibt. Wenn dann die Übersetzer der Bundesregierung das Pech gehabt haben, sich an den englischen Text zu halten, dann ist in der deutschen Übersetzung wieder etwas anderes zum Vorschein gekommen als im französischen Text. — Ich sehe, daß der eine oder andere Kollege mit dem Kopfe schüttelt, als ob das belanglose Dinge seien. Die Damen und Herren, die hier dieses Kopfschütteln praktizieren, beweisen, daß sie noch nicht einmal aus der Vergangenheit gelernt haben. Als nämlich der Schumanplan hier im Bundestag ratifiziert wurde, habe ich auch schon darauf hingewiesen, daß er nur, in französischer Sprache gültig ist und wir eine äußerst fehlerhafte deutsche Übersetzung hier im Bundestag ratifiziert haben. Wir erleben es im Montanparlament und wir erleben es bei sehr vielen außerordentlich wichtigen Auseinandersetzungen über die einzelnen Bestimmungen, daß wir, wenn wir naiverweise nur nach dem deutschen Text gehen, über eine Angelegenheit diskutieren, die für den Franzosen nach dem gültigen Text ganz anders aussieht.
Die Gefahr mußte jedenfalls einmal aufgezeigt werden, und es kann sicherlich nichts schaden — und das war eigentlich mein Anliegen —, wenn der Kollege Scheel und eventuell damit, weil er für seine Fraktion gesprochen hat, die ganze Fraktion etwas ihr Urteil revidieren und nicht zu stark betonen, daß diese Rüstungskontrolle eine viel ehrlichere Lösung sei, als wir sie früher gehabt hätten.
Nun, wenn wir über die wirtschaftlichen Folgen und das, was aus diesen Verträgen für die Gesamtwirtschaft auf uns zukommt, sprechen und ich von den Einzelheiten weggehe, um einmal den Versuch zu machen, das alles zusammenzufassen, dann kommen wir doch von einem Ausgangspunkt nicht weg, der gestern und heute auch bereits von anderen Sprechern hervorgehoben worden ist, von der Tatsache nämlich, daß die Rüstung Aufwendungen mit sich bringt und die Aufrüstung Ausgaben zur Folge hat, über deren Größenordnung die Bundesregierung sich wissentlich oder willentlich ausschweigt. Wenn eine Regierung — und ich bin da auch mit dem, was Herr Atzenroth gesagt hat, völlig in Übereinstimmung — ein großes Unterfangen beginnt und sich beharrlich weigert zu sagen, was das kostet — wobei noch gar nicht mal gesagt werden muß, wer es aufbringt oder bezahlt —, wenn sie sich überhaupt weigert, Größenordnungen des Gesamtunternehmens in der Wirtschaft zu nennen, dann muß sie sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht als „ehrbarer Kaufmann", und schon gar nicht als ehrbarer Kaufmann gegenüber der Bevölkerung der Bundesrepublik, vorgegangen zu sein.
Das Entscheidende, was die Bundesregierung behauptet — einmal durch den Bundeskanzler höchstpersönlich, ein andermal durch Herrn Erhard in abgewandelter Form und ein drittes Mal, wieder in revidierter Form, durch den Herrn Bundesfinanzminister Schäffer, je nachdem, wer gerade spricht—, ist doch, man könne in der Bundesrepublik die gesamte Aufrüstung preispolitisch ohne Wirkung — das behauptet Herr Professor Erhard — und währungspolitisch neutral — das behaupten der Kanzler und Herr Schäffer — durchführen. Ich will jetzt gar nicht auf die Fragen eingehen, was von der marktwirtschaftlichen Treue und überhaupt von den Begriffen der sozialen Marktwirtschaft möglicherweise übrigbleibt, wenn dieser neue Sektor, der eine sehr militante Rüstungswirtschaft hinter sich hat, in das bisherige Gefüge der Wirtschaft eindringt. Aber die Widersprüche allein, in die sich die verschiedenen Repräsentanten und Vertreter der Bundesregierung, die sich — alle mit Ministerrang, wenn auch manchmal ohne besondere Aufgabe — zu diesen Dingen geäußert haben, verwikkeln, sind ja hinreichender Grund, wenigstens hier im Parlament zu verlangen, daß einmal der ernsthafte Versuch seitens der Regierung gemacht wird, diese Probleme aufzuklären. Es wird also, obwohl wir wissen, daß wahrscheinlich die Größenordnung von 60 Milliarden für die Gesamtkosten dieser 12 Divisionen richtig ist, von der Bundesregierung behauptet, daß man das alles ohne die Beeinträchtigung der sozialen Leistungen machen könne und daß die Senkung des Lebensstandards nicht notwendig sei.
Zunächst muß hier doch einmal eine Feststellung getroffen werden. Ich mache sie ganz kurz, um nichts von dem überflüssigerweise zu wiederholen, was durch den Kollegen Gülich und unzureichende Antworten des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer schon zur Diskussion gestanden hat. Wenn die Bundesregierung zwei solche Behauptungen aufstellt und in ihren Haushalt für das nächste Jahr 9 Milliarden einsetzt, dann muß
sie doch, da man weiß, daß die Kosten unverhältnismäßig viel höher sind, sagen, wer die Differenz bezahlt, bevor sie die Behauptung aufstellen kann, daß die Aufrüstung der Bundesrepublik ohne Beeinträchtigung der sozialen Leistungen oder Senkung des Lebensstandards möglich sei. Denn praktisch gesehen will doch die Bundesrepublik in den drei Jahren, in denen nach dem Willen des Herrn Bundeskanzlers und der Mehrheit dieses Hauses die 12 Divisionen stehen sollen, offenbar nur 27 Milliarden aus eigener Kraft aufbringen, und der Rest — über den gibt sie keine Auskunft — bleibt offen. Wenn die Bundesregierung nur einmal einen andeutungsweisen Versuch gemacht hätte, dem Parlament und damit auch der Bevölkerung, sagen wir in einer Art Weißbuch, nach dem Vorbild der Briten, klarzulegen, wie das Unterfangen aussieht, welche Konsequenzen es haben wird, dann hätten wir einigermaßen die Möglichkeit, sachlich und nüchtern mit der Bundesregierung zu diskutieren und uns über die Probleme und ihre Tragweite auseinanderzusetzen. Die Bundesregierung hat es nicht getan. Sie hat es in den Ausschüssen beharrlich und hartnäckig verweigert. Herr Blank hat erklärt, man könne natürlich schon sagen, daß die Ausrüstung von 12 Divisionen am heutigen Tag einen bestimmten Betrag koste; aber was hätte denn das für Sinn — meinte er —, die Ausrüstung könne übermorgen ganz anders sein, und wenn sie in drei Jahren oder im Laufe dreier Jahre notwendig werde, seien es wieder andere Größenordnungen.
Das ist es doch, was die Bevölkerung der Bundesrepublik außerordentlich beunruhigt und was die Bundesregierung und den Herrn Bundeskanzler jetzt nachträglich außerordentlich stört: daß wir immer nur erlebten, und zwar seit drei, vier, fünf Monaten, daß je nachdem, zu welchem Zweck die Bundesregierung entweder durch den Kanzler oder durch einen Minister sprechen ließ — oder w o sie sprach und zu wem sie sprach —, andere Meldungen und Auffassungen bekanntgeworden sind.
Am 8. Februar — um nun auf die Kernfrage zu kommen, wie bisher die Bevölkerung aufgeklärt worden ist — ist der .Herr Bundeskanzler nach Frankfurt gegangen und hat in der Messehalle erklärt: „Wir haben im Haushaltsplan die Besatzungskosten vorgesehen und werden in den ersten Jahren mit derselben Summe auskommen". Hier erklärt also der Bundeskanzler — da wir wissen, im ersten Jahr sind 9 Milliarden im Haushalt — einer großen Menge — mit Radioübertragung — und man kann den Satz, wenn man Glück hat, sogar noch in der Wochenschau hören —, hier will der Bundeskanzler also der Bevölkerung doch sagen: Macht euch keine Sorgen; in den nächsten Jahren werden wir mit 9 Milliarden pro Jahr auskommen! — Anders jedenfalls ist so eine Erklärung nicht zu verstehen.
Dann hat er außerdem gesagt: „Meine Damen und Herren, ich garantiere dafür, daß durch die Aufstellung der 12 Divisionen die sozialen Aufgaben in keiner Weise vernachlässigt werden". Es ist hier schon von meinem Kollegen Gülich darauf hingewiesen worden, was denn das für eine merkwürdige Situation ist. Woher nimmt denn der Bundeskanzler eigentlich den Mut, zu sagen: Ich garantiere? Aber wenn er schon den Mut hat, das zu sagen: Woher sollen wir denn den Glauben nehmen, daß diese Erklärung irgend etwas Positives nützt?
Er hat schließlich erklärt — und das ist das, was beinahe am schwerstwiegenden ist —: „Ich garantiere auch dafür , daß die Währung erhalten bleiben wird". Nun, er hat kurze Zeit vorher —nämlich am 22. Januar — aus einem anderen Anlaß über sämtliche Sender der deutschen Bundesrepublik gesprochen. Der Anlaß war, daß die Gewerkschaften mit guten Gründen, sehr viel Recht und ausgezeichnetem Erfolg dagegen protestiert hatten, daß ein Mann namens Reusch glaubte, es seien wieder andere Zeiten angebrochen, und belehrt werden mußte, daß das doch noch nicht der Fall ist. Da war der Herr Bundeskanzler besorgt; da waren die treuesten Söhne, von denen gestern oder vorgestern fahrlässigerweise ein Kollege hier gesprochen hatte, wirklich einmal aufgestanden, um das zu verteidigen, was ihr gutes Recht ist, und da hat der Herr Bundeskanzler über sämtliche Sender erklärt:
Unsere Wirtschaft steht wirklich nicht auf so sicherem Boden,
— Herr Professor Erhard, hören Sie bitte gut zu! —
daß solche Experimente gestattet sein könnten. Es fehlt unserer Wirtschaft an Reserven, um in kritischen Zeiten durchhalten zu können.
Der Bundeskanzler am 22. Januar! — Nun, Sie sagen, das stimmt auch? Ich hätte beinahe gesagt: auf den Zwischenruf habe ich gewartet. Wenn wir nämlich keine Reserven haben, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik in kritischen Zeiten nicht stehen kann, dann ist ja das Unterfangen, jetzt Milliarden für die Rüstung auszugeben, noch merkwürdiger!
Aber mich interessiert folgendes, und die Bevölkerung hat auch ein Recht auf Aufklärung in diesem Punkt. Wir wollen doch einmal wissen: Hat denn der Bundeskanzler am 22. Januar recht gehabt? Oder hat er unrecht gehabt? Er hat erklärt: wir haben keine Reserven, und wenn es kritisch wird, dann wird es ganz gefährlich. — Wir haben ein offizielles Organ, das Bulletin, das Sie ja wahrscheinlich auch hin und wieder lesen, oder jedenfalls sollten Sie es lesen; wir lesen es stets aufmerksam, weil wir dort die sonderbarsten Dinge finden. Der Bundeswirtschaftsminister hat am 7. Januar in einem wunderbaren Presseinterview
— natürlich an die United Press, an die Amerikaner — erklärt: „Wir werden den Lebensstandard nicht antasten. Wir werden vor allem auch trotz der Rüstung die Konvertibilität der D-Mark erreichen, und dabei bleibt es." Punkt. — Sehen Sie, das ist ein Manneswort. „United Press", das erinnert an jugendliche Zeiten, als man nach Amerika ging; es ist beinahe so wie die Indianersprache.
— Er hat weiter hinzugefügt: Die Bundesrepublik werde auch weiterhin nur 9 Milliarden DM aufbringen.
Hier haben wir also die gleiche Erklärung, einmal vom Bundeskanzler in Frankfurt und hier durch den Bundeswirtschaftsminister. Der Bevölkerung wird also doch durch diese vorsätzlichen Erklärungen vorzumachen versucht, sie solle sich nicht weiter beunruhigen, in den nächsten Jahren werde es bei 9 Milliarden bleiben, obwohl doch die Regierung genau weiß, daß es bei diesen 9 Milliarden in den nächsten Jahren nicht bleiben wird
und gar nicht bleiben kann. Ich komme darauf noch zurück.
Dann kam der Herr Professor Erhard zu der wundervollen Berechnung, die nun noch tröstlicher sein soll und uns die Sache offenbar noch schmackhafter machen soll. Er sagte: Da wir in diesem Jahr 1955 auf 150 Milliarden Sozialprodukt kommen, sind das ganze 6 % des Sozialprodukts, und das ist doch spielend zu verkraften. An anderer Stelle hat er gesagt, es wäre ja gelacht, wenn wir nicht ein paar Hunderttausend Soldaten auf die Beine brächten, nachdem wir so viel gute wirtschaftliche Erfolge haben, und dergleichen mehr. Er hat aber, nachdem er das offenbar vergessen hatte, nur wenige Zeilen später in demselben Interview — Sie können das alles nachlesen im Bulletin Nr. 7 vom 12. Januar dieses Jahres — gesagt, daß möglicherweise aus den 9 Milliarden 11 bis 12 Milliarden DM werden könnten. Nun, das war schon immerhin ein bißchen mehr Wahrheit oder Annäherung an die Wahrheit. Er hat tröstlicherweise dann aber wieder hinzugefügt, daß auch Beträge dieser Größenordnung jedoch vollkommen neutral seien und die Marktwirtschaft nicht „aus den Angeln heben" würden. Der gegenwärtige Lebensstandard, hat er erklärt, wird während der „Rüstungskonjunktur" absolut erhalten bleiben. Da ist ein neues Wort drin, da wird von Rüstungskonjunktur gesprochen. Und das alles aus dem Munde des verantwortlichen Bundeswirtschaftsministers und schwarz auf weiß gedruckt, zum Teil gesperrt, im Bulletin der Regierung!
Nun, meine Damen und Herren, es kann noch so oft erklärt werden: „Wir wollen aufrüsten ohne Senkung des Lebensstandards", — es hat in der ganzen Welt noch niemand das Rezept dafür gefunden, den Lebensstandard nicht stillstehen zu lassen oder nicht einzuschränken, wenn man in hohem Maße aufrüstet, selbst wenn man langsam aufrüstet. Auf alle Fälle wird das, was dort gebraucht wird, nicht mehr für die Bevölkerung zur Verfügung stehen. Das Problem wird eben auch nicht dadurch gelöst, daß der Bundeswirtschaftsminister und gelegentlich — nicht wahr? — ein Minister ohne besondere Aufgaben durch die Bundesrepublik posaunen, sie könnten es schaffen.
Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Pferdmenges noch da ist. Ich hätte sonst, da er heute schon so oft zitiert worden ist, für ihn sogar noch einen Satz des Lobes hinzugefügt. Ich weiß aus alter Erfahrung im Wirtschaftsrat — Herr Bucerius lacht schon vorweg —, daß Herr Pferdmenges sich immer ganz besonders freut, wenn die sozialdemokratische Opposition mit ihm zufrieden ist. Herr Scheel hat ihn lange zitiert, und ich glaube, Herr Samwer auch. Da sehen wir wieder die Schwierigkeit mit Zitaten. In diesem Falle hat uns Herr Hellwig einen ausgesprochenen Dienst erwiesen. Es kommt selten vor, daß aus dem Deutschen Industrie-Institut Gutes kommt, aber diesmal war es eine gute Tat.
Aus dem Referat, das wir zugeschickt bekommen haben, habe ich mir einen Satz herausgeschrieben, den die anderen Herrschaften hier offenbar vergessen haben oder ungern hören. Herr Kollege Pferdmenges ist nämlich weit ehrlicher, scheint mir,
als unsere offiziellen Vertreter. Da wir wissen, daß er ein guter Ratschlaggeber und guter Berater des Herrn Bundeskanzlers ist, möchte ich Herrn Pferdmenges empfehlen, noch öfter zu dem alten Herrn zu gehen. Herr Pferdmenges hat nämlich in der gleichen Rede vor der Industrie- und Handelskammer erklärt, daß nun auch das Hinzutreten unproduktiven Rüstungsbedarfs unsere Konsumquote am Sozialprodukt herabdrücke! Herr Pferdmenges ist ehrlich genug, und er weiß — ich bin sogar davon überzeugt, daß es viele von Ihnen auch wissen, es nur nicht ehrlicherweise zugeben wollen —, daß man eben nicht rüsten kann, ohne daß die Konsumquote verringert wird. Mit anderen Worten: der Lebensstandard für die Bevölkerung wird zumindest nicht in dem Umfang weiterwachsen, wie er weiterwachsen könnte.
— Das ist etwas anderes? Aber bitte, sagen Sie doch dem Herrn Professor Erhard, daß er nicht mit Zigeunergäulen handeln soll. Wir wollen doch nicht das Volk hinters Licht führen, Herr Bucerius, sondern ihm die Wahrheit sagen. Wenn Sie also sagen, Rüstung ohne Beeinträchtigung des Lebensstandards wäre möglich, dann ist das, mit Verlaub zu sagen, unwahr und undurchführbar.
Und schauen Sie: wir müssen uns doch vor allem eines überlegen: wir sollten doch einmal daran denken —davon hat in der Debatte bisher noch kein Mensch gesprochen —, daß wir in der Bundesrepublik außer den wirtschaftlichen Dingen auch eine sozialpolitische Aufgabe haben und daß eine sozialpolitische Situation zu berücksichtigen ist. Und wenn man sich die Frage vorlegt: Was kommt bei der Rüstung heraus, und was kommt aus der Rüstung auf uns zu?, dann müssen wir doch zunächst einmal folgendes feststellen. Es wäre notwendig — ich bitte Sie, jetzt möglichst genau zuzuhören, meine Damen und Herren, was ich sage, weil es wirklich wichtig ist — es wäre notwendig erst einmal die Aufstellung einer klaren sozialpolitischen Konzeption auf seiten der Regierung und ihre Durchführung, um in diesem wichtigen Bereich endlich Lösungen zu schaffen, die wir nun dringend brauchen, damit unvorhersehbare Einflüsse aus der Rüstungswirtschaft im sozialen Bereich in einer wirklichen Ordnung aufgefangen werden können. Es muß ausgesprochen werden, daß die bisherige Sozialpolitik kläglich war
und daß es jetzt geradezu gefährlich wäre, die Dinge in der gleichen jammervollen Art wie bisher weiter zu behandeln, ohne Konzeption, ohne Klarheit, ohne Unterlagen und ohne einheitliche Zuständigkeit.
— Schauen Sie, meine Damen und Herren, das mißfällt Ihnen,
und Sie sind der Meinung:
da habe die Sozialdemokratie wieder einmal ein böses Urteil gegen die böse Regierung. Wissen Sie, was ich, als ich Ihnen sagte, Sie möchten genau aufpassen getan habe? Ich habe einen Satz aus dem Neujahrsleitartikel des Düsseldorfer „Handelsblatts" zitiert.
Meine Herren, und nun werden Sie doch schließlich nicht behaupten wollen, daß die Redakteure des Düsseldorfer „Handelsblatts" etwa Sozialdemokraten sind oder daß das Düsseldorfer „Handelsblatt" eine sozialdemokratische Zeitung sei.
Es sind also ganz andere Kreise, nicht nur wir Sozialdemokraten, sehr bewußte und sehr überlegte Kreise auch in Ihrem eigenen Lager — Sie sollten sich darüber Rechenschaft geben und sollten sich das nicht zu leicht machen — sehr besorgt darüber, was aus diesem Experiment, in das wir hineingehen, werden könnte. Und ich muß schon sagen: wenn in einer wirklich als gut kanzler-
und kapitalisten- und regierungsfreundlichen Zeitung so ein Urteil kommt, dann werden Sie sich einmal überlegen müssen, wieviel davon bittere Wahrheit ist und wie viele dringende Notwendigkeiten in dieser Bundesrepublik zu lösen sind. Wenn demgegenüber der Bundeskanzler in der Messehalle sagt: „Ich garantiere dafür, daß die sozialen Aufgaben in keiner Weise vernachlässigt werden", meine Damen und Herren, was hat ein solcher Ausspruch dann für Wert?
Nun, die Bundesregierung erklärt — und das ist ihre Konzeption, und mit dieser Konzeption glaubt sie offenbar den Stein der Weisen gefunden zu haben —: Wir schmeißen das alles. Ich möchte nicht, daß etwa in der oberflächlichen Weise, in der agitatorisch vom verantwortlichen Mann für die Wirtschaft bisweilen gesprochen wird, auf legere Art und Weise so ernste Probleme angefaßt werden. Wenn man versucht herauszubekommen: welche Konzeption könnte denn da sein?, dann kommt man zu Folgendem: „Das machen wir alles ohne Schwierigkeiten — da braucht sich kein Mensch Sorgen zu machen —, das geht gewissermaßen aus idem Handgelenk", wobei auch einmal hinzugefügt wird: Es ist natürlich auch nicht gerade ein Pappenstiel.
Die Konzeption scheint doch folgende zu sein: Wir werden die Produktivität erhöhen, wir kommen zu Kapazitätsausweitungen, wir kriegen verstärkte Investitionen und möglicherweise noch einen forcierten Export, der dringend notwendig wird, wenn man nämlich die Waffen aus dem Ausland hereinnimmt, mit denen nach dem Willen der Mehrheit unsere Jungens dann durch die deutschen Lande fahren sollen. Und was ist die Folge? Ich erinnere an das, was Ihr Kollege Pferdmenges in seinem Vortrag sehr richtig gesagt hat — er war nämlich nicht einseitig, sondern umfassend, und versuchte, die Problematik wirklich zu treffen —: Wir haben einen erheblichen unproduktiven Rüstungsbedarf, der bewältigt werden muß, um den der private Konsum, die Konsumrate für jeden einzelnen aus dem zivilen und privaten Sektor, natürlich geschmälert wird.
Die Konzeption hat Herr Pferdmenges in seinem Referat angedeutet, und diese Konzeption hören wir, wenn auch in sehr schlechter und deshalb überhaupt unakzeptabler Form auch von der anderen Seite, nämlich: wenn man das alles macht, muß die Arbeitnehmerschaft „bereitwillig mitgehen", indem Herr Pferdmenges sagte: Sie sollten nicht gleich jede Preiserhöhung, die da kommt, zu Lohnerhöhungen benutzen. Dann ist also die These fertig, daß die Arbeiter jedenfalls die Rüstung ohne Lohnerhöhungen hinnehmen sollen. Wenn sie auf die Idee kämen, eventuell durch Streik ihr Einkommen zu erhöhen, dann wäre das wieder ein ähnliches Verbrechen an Deutschland, wie vorgestern Herr Dr. Becker sich auch eines schuldig gemacht haben soll. Professor Erhard wird sich also wahrscheinlich abgewöhnen müssen — oder hat er es sich vielleicht schon abgewöhnt? —, daß er, wenn die Arbeiter von gutem Lohn oder von mehr Lohn sprechen, sagt, es handele sich um den „krassen Materialismus der dicken Koteletts". Es ist noch gar nicht so lange her, daß er davon gesprochen hat. Die Quintessenz dieser These ist, daß der Riemen enger geschnallt werden muß, daß mehr gearbeitet werden muß, jedenfalls mehr als bisher, und möglicherweise weniger gegessen werden darf. Das paßt dann in diese — wie soll ich sagen? — fatale Parole, die der Bundeswirtschaftsminister in Berlin am 2. Dezember 1954 ausgesprochen hat. Da hat er auch munter für die Rüstung gesprochen und gleichzeitig im Berliner Wahlkampf das Ergebnis herbeizuführen versucht, das der Herr Bundeskanzler so gern gehabt hätte, was dann schief gegangen ist. Da hat er erklärt: Wir erinnern uns an die bösen Zeiten: „Kanonen statt Butter", und er sagte: Wenn es not tut, dann werden wir „Kanonen und noch mehr Butter" produzieren. Ich frage Sie, wem erstirbt da nicht das Lächeln auf dem Gesicht? —es gibt einige, denen das nie passiert —, und wem läuft da nicht wieder langsam die Gänsehaut den Rücken herunter? Ich erinnere daran — man muß bei solchen Aussprachen einmal daran erinnern —, daß es einen Mann gegeben hat, der sagte: „Ich will Meier heißen, wenn auch nur ein einziges Flugzeug nach Deutschland hereinkommt." Dann kamen so viele, daß er gar nicht mehr daran gedacht hat, sich Meier-Meier zu nennen.
Ich sage das deshalb, weil Befürchtungen aus jahrelangen bösen Erfahrungen vorhanden sind. Wir haben festgestellt und wir wissen es alle — und Ihre Fraktion, die CDU/CSU, weiß es besonders gut; denn Ihre Erwägungen wegen der mangelhaften Innenpolitik und des Versagens in der Sozialpolitik sind ja in der Öffentlichkeit bekanntgeworden —, ich meine: wir haben es jahrelang erlebt, daß der Außenminster und Bundeskanzler seine Außenpolitik als das absolute Primat vor Innenpolitik und Sozialpolitik gestellt hat. Nachdem diese Politik praktiziert worden ist, fragen wir uns mit etwas Besorgnis, ob wir nicht jetzt in eine Zeitspanne hineinkommen, wo die Rüstungspolitik und der Sektor Rüstung die erste Rolle in der Bundesrepublik spielen wird. Diese Befürchtung ist um so begründeter, wenn Sie sich einmal anschauen, wie sich die Etats für die Rüstung und Bewaffnung in den verschiedenen Ländern entwickelt haben; dann werden Sie feststellen, daß sich in den letzten Jahren auch die Kosten für Rüstung in jedem Land in geometrischer Progression erhöht haben und angestiegen sind.
Wir kommen also leider zu dem bedauerlichen Ergebnis — bedauerlich deshalb, weil uns die Wahrheit über die Kosten nicht gesagt wird —. Das, was jetzt geschieht, und was Sie offenbar bereit sind, ziemlich uribesehen und ohne exaktere Kontrolle zunächst einmal gutzuheißen und im Bundestag zu akzeptieren, sind die Belastungen, die zunächst kommen, ist das, was man zunächst in einer Schonfrist ausgeben und zugestehen will. Aber das dicke Ende wird dann vermutlich nach 3 oder 4 Jahren kommen. Die Bundesregierung und auch der verantwortliche Bundeswirtschaftsminister wären vor dem Gesetz, vor dem Parlament und vor
ihrem Gewissen gezwungen, hier im Parlament zu sagen, welche Hypothek die deutsche Wirtschaft auferlegt bekommt und wie hoch die festen Kosten sind, die auf der Wirtschaft lasten werden, wenn einmal die zwölf Divisionen nach dem Wunsch des Kanzlers und seiner Mehrheit in der Bundesrepublik aufgestellt sind. Das wäre der faire, der echte, gute, parlamentarische und demokratische Vorgang. Das nicht zu tun mit der Behauptung, man kenne die Kosten nicht oder könne sie nicht abschätzen, ist in jeder Weise unannehmbar.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar Bemerkungen machen zu dem, was Kollege Scheel sagte, als er darauf hinwies, daß es offensichtlich gewisse unterschiedliche Beurteilungen der Auswirkungen gebe. Ich will jetzt keine Ausführungen über die Probleme des Arbeitsmarktes machen, zumal wir in der vorigen Woche eine lange Diskussion über diese Probleme hatten. Wenn er uns fragt, warum wir über die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt so besorgt seien, dann kann ich ihm die Antwort geben — wenn er im Augenblick nicht da ist, werden seine Kollegen so freundlich sein, es ihm zu sagen —: Wir haben aus den Verhandlungen über die EVG und auch sogar aus den Besprechungen, die wir jetzt im Wirtschaftspolitischen Ausschuß mit dem Herrn Bundesarbeitsminister gehabt haben, wieder erfahren, daß im Bundesinnenministerium ein Gesetz über die persönlichen Dienstleistungen zumindest ausgearbeitet wurde und daß es dort beim Herrn Dr. Schröder jetzt in einer Schublade versunken ist. Ob das immer so bleiben wird, kann nicht einmal Herr Schröder sagen, obwohl es ihn offenbar reizt, darauf sofort eine Antwort zu geben.