Rede von
Herbert
Schneider
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne dem Herrn Kollegen Mende zu nahe treten zu wollen, hätte ich allerdings erwartet — und meine Freunde mit mir —, daß er nach der bewegten Klage über die Länge der Reden, die hier gehalten werden, die Konsequenz gezogen und sich selbst etwas kürzer gefaßt hätte.
Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich Sie hier kurz noch mit einem Problem befasse, das wiederholt hier zur Debatte gestanden hat, das meines Erachtens aber so wichtig ist, daß es im Rahmen der hier stattfindenden Besprechung noch einmal erwähnt werden muß. Es handelt sich um das Kriegsverurteiltenproblem. Wir dürfen diese Gelegenheit der Besprechung über die Pariser Verträge auf keinen Fall vorübergehen lassen, ohne über diese Frage noch einmal eingehend zu reden. Auf der anderen Seite steht fest, daß die Freilassung der noch inhaftierten Kriegsverurteilten im In- und Auslande ein enorm wichtiges Stück psychologischen Verteidigungsbeitrages ist. Es sind nunmehr zehn Jahre vergangen, und wir stehen vor der traurigen Tatsache, daß immer noch einige hundert Deutsche im Ausland festgehalten werden. Das ist eines der bittersten Kapitel der Nachkriegszeit.
Wenn wir hier in diesem Hause das Thema selbst schon wiederholt vertagt haben, dann darf ich wohl mit Fug und Recht feststellen, daß sowohl im Inlande wie im Auslande das Wort „Vertagung" in Sachen Kriegsverurteiltenproblem ganz groß geschrieben wurde, und das muß anders werden. Durch diese Vertagung ist das Problem nämlich von einem rechtlichen und moralischen zu einem politischen geworden, und es ist wohl nicht übertrieben, wenn man auf Grund der Dinge, die sich im Rahmen der sogenannten Kriegsverbrecherprozesse abgespielt haben, behauptet, daß hier die Justiz zur Dirne der Politik geworden ist.
Andererseits drückt sich auch die ganze Grausamkeit unserer Zeit nicht nur darin aus, daß wir zehn Jahre nach Kriegsende keinen Friedensvertrag haben, sondern eben auch darin, daß man es trotz der Tatsache, daß wir uns jetzt anschicken, freundschaftliche wirtschaftliche und militärische Bande mit den freien Völkern des Westens zu knüpfen, auf der andern Seite doch anscheinend ganz in Ordnung befindet, daß man die Gefangenen des ehemaligen Besiegten noch in Zellen und Kerkern zurückhält. Es liegt mir fern, etwa alte Wunden wieder aufzureißen. Auf der andern Seite ist gerade — selbst wenn ich einen großen Teil Ressentiment bei den noch Inhaftierten abstreiche — die Klage auf seiten der Inhaftierten, daß die Bundesregierung für ihre Befreiung nicht nachdrücklich genug eingetreten sei, immer wieder zu hören.
Die Zeitung „Der Heimkehrer", das offizielle Organ des Heimkehrerverbandes, schrieb neulich in einer bitteren Glosse, daß man, wenn man sich im Ausland über das Problem der deutschen Kriegsverurteilten unterhalte und mit den Ausländern diese Dinge erörtere, immer wieder gefragt werde, weshalb die Bundesregierung nicht nachdrücklicher für deren Befreiung eintrete. Nun, wir wissen, daß wir selbst in den vergangenen Jahren starke Zurückhaltung geübt haben, die teilweise durch außenpolitische Rücksichten bedingt war. Aber, meine Damen und Herren, es gibt nicht nur eine öffentliche Meinung im Ausland, es gibt auch eine öffentliche Meinung in Deutschland; und diese öffentliche Meinung in Deutschland verlangt, daß wir in einem Moment, wo wir uns anschicken, uns endgültig mit dem Westen zu verbinden, auch die endgültige Freilassung unserer deutschen Menschen fordern müssen.
Ich kann es mir hier versagen, noch einmal das vorzulesen, was der Kollege Mende vorhin schon zum besten gegeben hat, nämlich die Tatsache, daß beispielsweise in Holland sehr starke Kräfte — es handelt sich in der Hauptsache um Hochschulprofessoren und Juristen — am Werke sind, die in ihrem eigenen Land zumindest für eine größere Aufgeschlossenheit in dieser Frage eintreten. Es ist auch schlechthin unzumutbar, daß wir eine neue Wehrmacht aufstellen wollen und daß im gleichen Augenblick noch ehemalige deutsche Soldaten und Zivilisten in Kerkern festgehalten werden. Und seien wir ganz ehrlich: Trotz der gemischten deutsch-alliierten Kommission hat sich ein Großteil der Maßnahmen zur Befreiung bzw. zur Betreuung dieser Menschen bisher nur auf karitativem Gebiete abgewickelt, und wir haben mehr oder minder in der Öffentlichkeit auch die Meinung gehört, es handelt sich ja nur noch darum, daß diese Leute die Freiheit wollten. Nun, es ist über die Freiheit hier im Verlaufe dieser Debatte sehr viel geredet worden, und man kann weiß Gott nicht den Ausdruck „nur Freiheit" gebrauchen; denn das ist ja das, was wir mit den Verträgen auch bezwecken wollen: wir wollen unsere Freiheit sichern.
Ich brauche mich hier nicht noch einmal über die Urteilsfindung in diesen sogenannten Kriegsverbrecherprozessen auszulassen. Darüber ist hier schon sehr viel geredet worden. Ich glaube allerdings, daß dann, wenn die Alliierten 1945 jene Kriegserkenntnisse gehabt hätten, die sie leider — ich betone: leider — in den Nachkriegsjahren auf anderen Kriegsschauplätzen der Welt sammeln mußten, die Beurteilung mancher Tat von Deutschen vielleicht auch anders ausgefallen wäre.
Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es im Rahmen dieser Justiz der frühere englische Generalankläger Sir David Maxwell Fyfe war, der ausführte:
Was wir vermeiden wollen, ist eine Diskussion vor Gericht darüber, ob die Handlungen Verletzungen des Völkerrechts sind oder nicht. Wir bestimmen, was Völkerrecht ist, so daß es keine Diskussion darüber geben kann, ob es Völkerrecht ist oder nicht. Wir hoffen, daß das in einer Linie mit dem Buch von Professor Trahinin liegt.
— Also jenem russischen Experten in der sogenannten Kriegsverbrecherfrage.
Es liegt auf derselben Linie, wenn der frühere amerikanische Hochkommissar in Deutschland McCloy sagte:
Wenn ich zurückblicke, wünschte ich, wir wären in der Lage gewesen, Gerichtshöfe einzusetzen, deren Richter nicht ausschließlich von den Siegern gestellt worden wären.
Meine Damen und Herren, man kann dieses Thema nicht erörtern, ohne schmerzlich darauf hinzuweisen, daß die deutschen Soldaten und Zivilisten im Rahmen dieser Prozesse einer Sonderbehandlung hinsichtlich des Rechts unterworfen worden sind und daß leider die Auswirkungen dieser Sonderbehandlung zwischen Siegern und Besiegten auch heute noch weiterwirken. Ich darf vielleicht in dem Zusammenhang — wenn ich hier einige Zitate mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf — darauf hinweisen, daß es mir notwendig erscheint, wenn ich mir schon speziell dieses Thema herausgesucht habe, auch einige gart
wesentliche Punkte anzusprechen, besonders solche Punkte, wo ich mich in der angenehmen Gesellschaft von ausländischen Staatsmännern, Politikern usw. befinde, die selbst erkannt haben, daß im Rahmen der sogenannten Kriegsverbrecherprozesse oftmals nicht mit den Maßstäben des Rechts gemessen wurde.
Papst Pius XII. sagte am 3. Oktober 1953 über das internationale Strafrecht u. a.:
Einem unbeteiligten Dritten 'bereitet es Unbehagen, wenn er sieht, wie nach Abschluß der Feindseligkeiten der Sieger den Besiegten wegen Kriegsverbrechen aburteilt, während sich der Sieger dem Besiegten gegenüber ähnlicher Handlungen schuldig gemacht hat. Die Besiegten können zweifellos schuldig sein, die Richter der Sieger können ein offenbares Rechtsgefühl und den Willen zur völligen Objektivität haben. Trotzdem verlangt in solchen Fällen oft das Interesse des Rechts und das Vertrauen, das für das Urteil beansprucht wird, die Zuziehung von neutralen Richtern zum Gerichtshof, so daß die entscheidende Mehrheit von diesen abhängt. Der neutrale Richter darf es in solchen Fällen nicht als seine Aufgabe betrachten, den Angeklagten freizusprechen. Er muß das bestehende Recht anwenden und sich demgemäß verhalten. Aber diese Zuziehung gibt allen unmittelbar Interessierten, allen neutralen Dritten und der Weltöffentlichkeit eine größere Gewißheit, daß Recht gesprochen worden ist. Gewiß stellt sie eine gewisse Begrenzung der eigenen Souveränität dar; aber dieser Verzicht wird mehr als aufgewogen durch den Zuwachs an Prestige, an Achtung und Vertrauen gegenüber den richterlichen Entscheidungen des Staates, der so vorgeht.
Meine Damen und Herren, es ist auch eine bedauerliche Tatsache, daß heute noch Deutsche in alliierten Gefängnissen sitzen, die überhaupt noch kein Gerichtsverfahren gehabt haben. Ich habe mich darüber in meiner letzten Rede zu dieser Frage schon näher verbreitet. Man kann, wenn man die Methoden betrachtet, mit denen diese Prozesse vielfach geführt worden sind, wohl ohne weiteres feststellen, daß diese in vielen Fällen völkerrechtswidrig waren, daß sie in vielen Fällen gegen die Prinzipien der Vereinten Nationen absolut verstießen, daß sie in vielen Fällen den Forderungen des öffentlichen Gewissens absolut entgegenstanden und nicht zuletzt auch, daß sie den Grundsätzen der UN-Charta widersprachen.
Ich darf in dem Zusammenhang auch noch auf eine Äußerung des Hamburger Ausschusses der Werl-Verteidiger hinweisen, in der es u. a. heißt:
Alle Gefangenen wurden in einem Ausnahmeverfahren verurteilt, von dem ein Engländer, der Manstein-Verteidiger Paget, in seinem Buche schreibt, daß es im Prozeß gegen Deutsche mindestens ein Dutzend Dinge gegeben habe, von denen jedes einzelne in einem Prozeß gegen Engländer zur Aufhebung des Urteils wegen schwerer Rechtsverletzung geführt hätte. Bei solchen Verfahren konnte es gar nicht ausbleiben, daß viele unschuldig verurteilt wurden und daß bei anderen die Straftat außer allem Verhältnis zum Maß der persönlichen Schuld ausfiel. Obwohl sich der Gedanke geradezu aufdrängte, daß mancher Irrtum vorgekommen sein müßte, hat die britische Regierung während der ganzen Jahre keine gerichtliche Nachprüfungsinstanz geschaffen. Selbst wenn wichtige Zeugen erreichbar waren, deren Anschriften zur Zeit des Prozesses nicht ermittelt werden konnten, gab es kein gerichtliches Wiederaufnahmeverfahren.
Wie zweifelhaft die Rechtsprechung in vielen Fällen gewesen ist, besagt auch eine Notiz in „The American Year-book" vorn Jahre 1946 — ich sage: vom Jahre 1946 —, wo Senator Robert Taft aus Ohio, ein führender Amerikaner, das von dem Nürnberger Gericht gefällte Urteil öffentlich angriff. Am 5. Oktober 1946 behauptete Taft in einer Rede im Kenyon College, daß der Schuldspruch von Nürnberg eine Rechtsbeugung, miscarriage of justice, darstellt, die das amerikanische Volk noch lange bereuen werde. Der Nürnberger Gerichtshof, erklärte er, habe idas fundamentale Prinzip des amerikanischen Rechts verletzt, wonach niemand für eine Handlung bestraft werden kann, die zur Zeit ihrer Begehung nicht ausdrücklich verboten war. Er stellte des weiteren fest, daß kein Prozeß, der von den Siegern gegen die Besiegten geführt werde, unparteiisch sein könne, wie sehr man sich auch bemühe, ihn mit justizmäßigen Formen zu umkleiden. In diesen Prozessen, so klagte Taft an, haben wir uns die russische Vorstellung vom Zweck eines Strafverfahrens zu eigen gemacht, Regierungspolitik und nicht Gerechtigkeit zu üben. Das hat aber wenig mit unserem angelsächsischen Erbe zu tun.
Meine Damen und Herren, am 6. Mai 1954 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über den Beitritt zu den vier Genfer Rot-Kreuz-Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 verabschiedet und damit zum Ausdruck gebracht, daß diese Abkommen auch für die Bundesrepublik rechtsverbindlich seien. Der Art. 1 dieser Genfer Abkommen vom 12. August 1949 lautet: „Die hohen Vertragschließenden verpflichten sich, das vorliegende Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung sicherzustellen." Hier ist nun die Frage angebracht, was die Bundesregierung getan hat, zu prüfen, wieweit diese Genfer Abkommen auf unsere Kriegsgefangenen und Verurteilten in ausländischem Gewahrsam Anwendung finden und, wo Verstöße aufgetreten sind, was unternommen werden kann, um diese Verstöße zu beseitigen. Ich glaube, daß hierüber in der Öffentlichkeit leider wenig bekannt ist.
Ich möchte dann noch weiter darauf hinweisen, daß ich in meine Betrachtungen alle Kriegsverurteilten einbeziehen möchte, und zwar auch jene, die in Gefängnissen des In- und Auslandes sitzen, ferner diejenigen, die nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 in Deutschland selbst verurteilt worden sind. Diejenigen Kriegsverurteilten, die durch alliierte Gerichte verurteilt worden sind und heute in alliierten Haftanstalten in Deutschland und auch im Ausland sitzen, erfreuen sich einer Betreuung durch die zentrale Rechtsschutzstelle. Eine solche Stelle gibt es leider nicht für jene, die nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 in Deutschland inhaftiert worden sind, und eis ist ein bedauerliches Faktum, daß hier nicht nur diesen Inhaftierten vielfach mangels der notwendigen Mittel usw. die Möglichkeit fehlt, irgendwo einen Rettungsanker zu werfen, sondern daß man leider auch in Deutschland selbst fast neun Jahre gebraucht hat, um in allen
Fällen eine Aburteilung derjenigen vorzunehmen, die nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 zu verurteilen waren.
Ich sagte schon, meine Damen und Herren, daß die Verfahren oftmals nicht, ich möchte fast sagen: mit rechten Dingen zugingen, rund wenn ein so bekannter Völkerrechtler wie Hans Kelsen, ein aus Österreich emigrierter Jude und jetziger USA-Bürger, in seiner Schrift mit folgenden Worten darauf hinweist:
Die Bestrafung von Kriegsverbrechern sollte eine Maßnahme der internationalen Gerechtigkeit, nicht der Befriedigung eines Rachedurstes sein; mit der Idee der internationalen Gerechtigkeit ist es aber unvereinbar, daß nur besiegte Staaten verpflichtet sein sollten, ihre Staatsangehörigen der Gerichtsbarkeit eines internationalen Gerichtshofs zur Bestrafung wegen Kriegsverbrechen zu übergeben,
so ist hieran viel Wahres. Er fährt dann fort:
Die Siegerstaaten sollten jedenfalls bereit sein,
die Gerichtsbarkeit über ihre eigenen Staatsangehörigen, die gegen die Gesetze der Kriegsführung verstoßen haben, auf den internationalen unparteiischen Gerichtshof zu übertragen. Nur wenn sich die Sieger selbst idem Recht
unterwerfen, das sie den besiegten Staaten
aufzuerlegen wünschen, wird die Idee der internationalen Gerechtigkeit gewahrt bleiben.
Meine Damen und Herren, die Tendenzen im Ausland zu einer eventuellen Entlassung auch der restlichen inhaftierten Deutschen sind zweifellos unterschiedlich. Wir können aber feststellen, daß sich in den letzten Monaten zumindest in Frankreich und neuerdings auch in Holland eine größere Bereitschaft zur Lösung dieses Problems angebahnt hat. Leider ist diese Bereitschaft beispielsweise gegenüber den unter amerikanischer Herrschaft Inhaftierten in letzter Zeit offenbar gesunken; denn man schreibt mir aus Landsberg:
Seit Mitte Dezember 1954 macht sich . . . eine Versteifung in der Tätigkeit des Ausschusses bemerkbar, deren Gründe vorläufig nicht bekannt sind. Seit dieser Zeit wurden in nicht weniger als 28 Fällen zum zweitenmal gestellte Gnadengesuche, in zwei Fällen zum erstenmal gestellte Gnadengesuche von noch nicht parolefähigen Gefangenen und in fünf Fällen Parolegesuche von Gefangenen, von denen der Paroleplan von allen zuständigen Stellen längst genehmigt war, ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Daß angesichts dieser Massenablehnungen — an einem Tag wurden 15 derartige ablehnende Bescheide bekanntgegeben — die Stimmung unter den Gefangenen die denkbar schlechteste, zum Teil verzweifelt ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die Masse der noch Einsitzenden besteht aus kleinen Leuten, die genau so viel oder so wenig verbrochen haben wie die 212 bereits parolierten und wie die bereits in früheren Jahren Entlassenen .. . Sie können einfach nicht verstehen, daß gerade sie dazu verdammt sein sollen, zur Befriedigung irgendwelcher Launen. ... ihren Kopf hinzuhalten. Auch sei die Gefahr groß, daß die ... gerade von deutscher Seite ausgestreute Auffassung, die. die jetzt noch säßen, seien die wirklichen Verbrecher. um sie sich zu kümmern, lohne es sich nicht mehr, Allgemeingut würde.
Bei dieser Gelegenheit muß ich an die Bemerkung des Herrn Kollegen Mende erinnern, die hier vielleicht Anlaß zu Mißdeutungen geben könnte. Sicherlich befinden sich unter den Kriegsverurteilten da und dort solche, die wirklich Verbrechen begangen haben; aber man darf unter keinen Umständen behaupten, daß etwa der größere Teil der jetzt noch Inhaftierten Asoziale oder Verbrecher seien. Ganz im Gegenteil, es würde sich bei größerer Nachgiebigkeit auf alliierter Seite sehr bald zeigen, wenn diesen Leuten ein ordentliches Verfahren zuteil würde, daß es sich um die Opfer einer Nachkriegsjustiz handelt, wie wir sie ja hier leider zu erörtern gezwungen sind.
Ich darf daran erinnern, daß Frankreich nach dem ersten Weltkrieg ebenfalls die Auslieferung seiner Kriegsverurteilten gefordert hat; und wenn wir damals auch die Besiegten waren, so haben wir sie damals ausgeliefert.
Bezüglich der Behandlung der Kriegsverurteilten durch die Pariser Verträge möchte ich den Bedenken meiner Freunde Ausdruck geben, da uns nach dem Art. 6 nicht gewährleistet erscheint, daß die jetzt noch Inhaftierten der deutschen Verantwortlichkeit überstellt werden können, da der Art. 6, wenn ich ihn richtig auslege, offenbar vorsieht, daß auch weiterhin die Alliierten Gewahrsams- und Vollstreckungsmacht bleiben, auch wenn diese Verträge ratifiziert sind.
Die Tätigkeit der Gemischten deutsch-alliierten Ausschüsse, der sogenannten Gnadenkommissionen, hat sicherlich segensreiche Auswirkungen gehabt, wenn sie auch nicht die in sie gesetzten Erwartungen voll erfüllt haben. Ich muß hier nochmals betonen, was ich schon einmal von dieser Stelle aus sagte, daß es sich dabei nicht darum handeln konnte, Gnade zu üben, sondern daß es an sich darum ging, das Recht für diese Menschen herzustellen. Aber ich gebe zu: wenn es neun und zehn Jahre dauert, dann kommt es auch diesen Menschen in erster Linie darauf an, daß sie ihre Freiheit erst einmal wiedererlangen.
Meine Damen und Herren, die Amerikaner haben in ihrem Lande eine Regelung, wonach lebenslänglich Verurteilte zu 30 Jahren begnadigt werden können, wodurch sie dann nach 10 Jahren Haftzeit parolefähig werden. Die Amerikaner haben diese ihre eigene Regelung auf die japanischen Kriegsverurteilten übertragen. Ich vermisse es, daß etwas Derartiges auch in Deutschland bisher erfolgt ist. Außerdem haben die Japaner, die bekanntlich sehr zäh sind, in ihrem eigenen Innenministerium eine nationale Kommission zur Befreiung der Kriegsverurteilten gebildet, die sehr nachdrücklich und auch mit Erfolg gearbeitet hat. Sie hat den Amerikanern unter anderem jenes Zugeständnis abgezwungen, von dem ich eben sprach.
Meine Damen und Herren! Es kann über dieses Thema nicht abschließend gesprochen werden, ohne — es geziemt sich vielleicht gerade, es von diesem Platze aus zu tun — all jenen Menschen draußen zu danken, die sich in den verflossenen Jahren der unendlichen Mühe unterzogen haben, die Kriegsverurteilten im In- und Ausland zu betreuen.
Wir alle sind uns darüber klar — das möchte ich
abschließend sagen —, daß dieses Problem gelöst
werden muß, daß die Erledigung geradezu überreif,
ja überfällig ist und daß es nicht nur genügt, daß
wir von dieser Stelle aus die Versicherung geben, daß wir alles tun wollen, sondern daß die Regierung mit größerem Nachdruck als bisher auftreten muß, um endlich eine Befreiung der Inhaftierten zu erreichen. Wenn wir zusammenfassend die Auslandsstimmen betrachten, dann kann ohne Übertreibung festgestellt werden, daß etwas nachdrücklichere Vorstellungen der Bundesregierung zweifellos auf Entgegenkommen stoßen würden. Wir fodern im Rahmen der Ratifizierung der Pariser Verträge die Freiheit für unsere Kriegsverurteilten mit der gleichzeitigen Zusicherung, sie in deutsche Verantwortlichkeit überstellen zu können, um eventuell bei jenen, deren Taten zweifelhaft sein könnten, die Möglichkeit zu haben, nach deutschem Recht zu prüfen, ob Verfehlungen vorliegen. Ich meine jedenfalls, daß diese — es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen: geschichtliche — Stunde nicht vorübergehen dürfte, ohne daß wir mit allem Nachdruck auf diese Probleme hinweisen.
Es muß insonderheit zu jenen, die nun neun und zehn Jahre in Zellen und Kerkern sitzen, der Ruf von diesem Platze aus bis in die entferntesten Zellen und Kerker dringen. Sie müssen wissen, daß sie nicht verlassen sind. Es muß zu ihrer Ehre hier gesagt werden, daß viele, die alle Veranlassung zur Bitternis haben, von sich aus schon geäußert haben, daß die Einigung Europas und die Ratifizierung dieser Verträge nicht daran scheitern dürfe, daß sie zu Unrecht festgehalten würden. Wir müssen diesen Menschen wieder die Hoffnung machen, daß sie in die Freiheit gelangen.
Ich darf zum Abschluß jene Äußerungen bekanntgegeben, die der französische Botschafter in
Berlin, der Vicomte de Goutant-Biron am 14. Januar
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