Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Kiesinger, dieses Hinterland einer Verteidigung würde auch für die Bundesrepublik, für uns, im Falle einer Aggression nicht von großem Nutzen sein; dann wären wir nämlich tot.
Das ändert doch die Lage nicht! Wir können uns aus unserer geographischen Situation doch nicht herausmogeln.
Und zum zweiten, Kollege Kiesinger: die Einzelheften bezüglich eines wiedervereinigten Deutschlands und seines Einbaus in ein System der kollektiven Sicherheit auszuarbeiten, das ist doch selbstverständlich Aufgabe der praktischen Politik. Aber daran müssen wir uns doch nun endlich einmal machen! Sie fragen, als ob ich den Vertrag über die Wiedervereinigung Deutschlands mit Mitwirkung der Bundesrepublik schon auf dem Tisch liegen hätte!
Nein, jetzt steht zur Debatte, welche Konsequenzen Ihre Politik mit der Gefahr der Verhinderung der Wiedervereinigung hat.
Wir haben uns bemüht — —
— Entschuldigen Sie, dann will ich Ihnen, auch wenn es ein bißchen grob klingt, hier einmal eine Karte zeigen, die mir ein evangelischer Pfarrer nach jener historischen Sitzung des vergangenen Jahres, als das Monopol der CDU auf die Alleinvertretung des Christentums im politischen Raum zerbrach,
zu diesem Thema einen entzückenden Scherenschnitt geschickt:
Wenn so ein Kauz nicht sehen will, dann helfen weder Licht noch Brill'.
Meine Damen und Herren, kommen wir zurück zu der Ihnen anscheinend unbequemen Erklärung des Außenministers Dulles. Ich weiß gar nicht, warum Sie mich bei diesem Punkt dauernd mit anderen Fragen unterbrechen. Was haben Sie eigentlich gegen die Erklärung von Herrn Dulles?
Die reicht Ihnen nicht aus; mir auch nicht.
Dulles hat nach der klaren verfassungsrechtlichen Lage der Vereinigten Staaten nicht mehr und nicht weniger erklärt, als daß er für keinen künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten eine Verpflichtung übernehmen könne, amerikanische Truppenverbände irgendwelcher Größe an irgendeinem Punkt außerhalb der Vereinigten Staaten zu stationieren. Das ist der nackte Inhalt. Er hat die Hoffnung ausgedrückt, daß künftige amerikanische Präsidenten der augenblicklich vertretenen Politik des Präsidenten Eisenhower folgen würden; aber er hat ganz klargemacht, daß jene Behauptung einfach nicht zutrifft, daß die Vereinigten Staaten mit dem Abschluß dieser Verträge irgendeine Verpflichtung eingegangen wären, amerikanische Truppen auf dem europäischen Kontinent, insbesondere
in Deutschland zu belassen. Nur das wollte ich hier einmal feststellen, nicht mehr und nicht weniger.
Aber es kommt nun noch ein interessanter Punkt hinzu. In demselben Ausmaß, in dem eine deutsche Streitkraft von 500 000 Mann aufgestellt wird, in demselben Ausmaß werden die amerikanischen Heerestruppen um 400 000 Soldaten verringert.
In der gleichen Zeit, in der die Bundesrepublik erhebliche, auch finanzielle Verteidigungsanstrengungen auf sich nehmen soll, wird der amerikanische Haushalt um rund 71/4 Milliarden Dollar in zwei Jahren verringert.
Meine Damen und Herren! Warum sage ich Ihnen das? Ich sage Ihnen das ja nicht, um die Amerikaner im geringsten zu tadeln. Wir alle wissen, was wir der großartigen Hilfe des Volkes und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in den bittersten Nachkriegsjahren zu verdanken haben.
Es handelt sich gar nicht um Dankbarkeit oder Undankbarkeit, es handelt sich einfach um die nüchterne Feststellung, daß entgegen vielerorts hörbarer Behauptungen die Gesamtstärke der westlichen Welt durch das Hinzutreten der Deutschen global gar nicht wächst, sondern nur anders verteilt wird. Wenn Sie schon von einer besseren Verhandlungsposition mit den Russen sprechen wollen — der wirkliche Verhandlungspartner wird nie die Bundesrepublik sein, im Verhältnis zum russischen Bären bleibt sie doch immer ein allzu kleines Tier —, der wirkliche Verhandlungspartner werden eben
doch die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrem Gefolge sein.
— Natürlich, das haben wir nie bestritten! Die Wiedervereinigung Deutschlands ist doch nicht möglich gegen den Westen, genau sowenig wie gegen die Sowjets; sie ist nur möglich mit allen vier Besatzungsmächten, und deshalb müssen wir unseren westlichen Freunden zuraten zu dieser Politik.