Meine Damen und Herren! Man sollte doch wohl den Eindruck haben, als ob dieses Abkommen, das vor uns liegt, ein Geschenk des Himmels wäre,
und ich weiß nicht, ob nicht einer unserer Vorredner dem Schicksal dankte. Wir hörten, wie der Herr Bundeskanzler meinte, dieses Abkommen sei von einer Qualität, daß man es auch ohne alle anderen Verträge ratifizieren könne und daß es beinahe genau das sei, das wir brauchten, um einer Lösung des Saarproblems näherzukommen. Aber ich frage: Woher kommen denn dann jene Unruhe und jene Sorge, die nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen im Volk sind, und warum kommt es zu gewissen Formulierungen, die vielleicht nicht immer ganz korrekt sind, die uns aber doch in irgendeiner Form draußen öffentlich an unsere Verantwortung für Brüder, die auch im Westen in Not sind, zu erinnern vermögen?
Statt zu glauben, der Eindruck des Abkommens als Ganzes sei gut, wollen wir uns doch lieber fragen: Warum ratifizierte Pierre Mendès-France jenes Abkommen? Tat er es etwa, um die Saar wieder zu ihrem Mutterland heimzuführen? Warum jenes Junktim des französischen Kabinetts, durch das der französische Ministerpräsident in den Verhandlungen zwischen dem 22. und 23. Oktober 1954 gehalten und gebunden war? Doch ganz einfach deswegen, weil man die Saar; die man seit 1945 in Händen hatte, ohne die Zustimmung der Bundesrepublik sicher nicht mehr halten zu können glaubte, ohne die Zustimmung der einzigen frei gewählten deutschen Regierung zu einer Maßnahme, die keinerlei Rechtsgrundlagen hatte und die mit Mitteln der Besatzungsmacht zu dem unfreiesten Regime diesseits des Eisernen Vorhangs führte.
Bei diesem Saarunternehmen brauchte man endlich die deutsche Zustimmung zu einer Regelung, die dem bisherigen Zustand doch wirklich ähnlich ist. Man brauchte diese Zustimmung, um einen Einfluß auszuschalten, der von seiten Deutschlands, von seiten der Bundesrepublik auf die politische Meinungsbildung in jenem Gebiet ausgeübt werden könnte, auch wenn er im Augenblick noch so gering sein mag. Man brauchte jenen offiziellen,
durch den Beschluß des Bundestages gedeckten Verzicht auf den Rechtsanspruch der Gebietshoheit Deutschlands auf jenes abgetrennte Gebiet, und wenn es nur auf Zeit und bis zu jenem Tage sein sollte, der den Friedensvertrag der Vier Mächte mit Gesamtdeutschland bringen würde. Das war Frankreich wichtig genug, um jene Forderung der Sicherung seiner Ansprüche auf jenes Gebiet zu stellen.
Die zweite Frage ist: Warum ratifizierte Hoffmann, und warum freute man sich in Saarbrücken und war der Jubel über jenes Abkommen so groß, das uns hier als durchaus tragbar und als der erste Schritt auf dem Wege der „Rückführung" der Saar dargestellt wird? Hoffmann ratifizierte jenes Abkommen, weil er weiß, daß sein Regime auf die Dauer politisch nicht bestehen kann, wenn ihm die formale Anerkennung und die de-facto-Anerkennung fehlt. Weil ihm die völkerrechtliche Legitimation fehlt, darum bedurfte er jenes Abkommens, das die Unterschrift der Bundesregierung tragen und die Zustimmung dieses Hauses haben soll.
Dieses Regime kann auf die Dauer aber auch wirtschaftlich nicht bestehen, weil man erkannt hat, daß die einseitige Bindung der Saarwirtschaft an einen Wirtschaftsraum im Westen nicht möglich ist und daß die Saar in einer solchen Bindung nicht leben kann, in der ihr die echte Partnerschaft versagt ist.
Politisch mußte Hoffmann zu einem Statut kommen, das den deutschen Anspruch auf die Saar zumindest auf Zeit ausschließt
und das ihm die Legitimation gibt, sein unfreies Verhalten durch Verträge zu decken, um das fortzuführen, was in diesem Hause seit Bestehen des Deutschen Bundestages wiederholt deutlich genug — auch von Ihnen — gebrandmarkt worden ist.
Nach Leistung jener Unterschrift wird er in der Lage sein, gleichberechtigter Partner in den politischen Gesprächen zu sein, und er wird damit den Protest, der von hier kommen könnte, auszuschließen vermögen, wenn er die Dinge so fortführt, wie er sie bis zum Tage des Inkrafttretens des Statuts zu praktizieren gedenkt. Er hätte bereits nach dem 23. Oktober bis zum heutigen Tag oft Gelegenheit gehabt, ein ganz klein wenig zu zeigen, ob er die Absicht hat, eine Änderung eintreten zu lassen in seinem Verhalten und eine Änderung in den Polizeimethoden politischen Meinungsäußerungen gegenüber. Er tat es nicht. Er verbietet weiterhin deutsche Zeitungen, die sich zu den Verhältnissen an der Saar äußern,
er läßt Bundesdeutsche nicht sprechen, wenn sie in ihre Heimat kommen, um dort irgendwo unter Freunden zu sein, und er gedenkt dem „Übel", wie er es meint, in den Anfängen zu wehren, damit wir nur ja nicht auf die Idee kommen könnten, daß über den Zeitabschnitt hinaus, in dem die politische Freiheit auf Zeit gewährt wird, nämlich bis zur Volksabstimmung über die Billigung des Saarstatuts durch die saarländische Bevölkerung, nun demokratische, westlichen Demokratien eigene Zustände in jenem Lande einkehren.
Sie entschuldigen, wenn ich auf diese Dinge eingehe. Aber es ist nun so: wenn man sie am eigenen
Fell verspürt, ist das viel wichtiger, als wenn man es nur vom Hörensagen kennenlernt.
Diese Dinge sind ernst genug, weil es so entscheidend darauf ankommt, ob wir bereit sind, zu dulden, daß das gleiche Regime, das die Mißbilligung dieses Hauses erfährt, in den Stand versetzt wird, weiterhin eine bestimmte Zeitlang die politische Meinungsbildung an der Saar zu lenken.
Dieses Statut, das da vor uns liegt, regelt die Situation genau so, wie Hoffmann und seine Freunde es sich wünschen; über den Rest kann man wohl streiten. Es wird dort nur so viel politische Freiheit geben, wie möglich ist, ohne dem Regime zu schaden. An wirtschaftlichen Dingen wird so viel geregelt, daß es der deutschen Wirtschaft gerade gestattet wird, jene Hilfen zu gewähren, die das Saarregime braucht, um weiterexistieren zu können, ohne sich dazu zu bekennen, daß die einseitige Bindung der Wirtschaft und der Industrie dieses Landes an Frankreich auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein wird.
Aber wie ist die Situation der deutschen politischen Parteien an der Saar, die einmal den Boden suchen und finden sollen für ihre politische Tätigkeit, die einmal eine gute Arbeit tun sollen bei den Wahlen und Abstimmungen, von denen in Art IX des Saarabkommens die Rede ist? Sie sollten doch eine breite Basis der Betätigung haben, und sie sollten in dem, was sie an freier Meinungsbildung an der Saar tun, nicht eingeschränkt sein. Zehn Jahre hat jenes Regime hinreichend Gelegenheit gehabt, sich ein Meinungsmonopol zu sichern. Wie könnte es den deutschen politischen Parteien möglich sein, ohne die ideelle Unterstützung, ohne eine Solidaritätserklärung dieses Hauses wirksam tätig zu sein und die Saarbevölkerung in wenigen Monaten auf den Weg demokratischer Meinungsbildung zu führen, den sie bisher nie hat gehen können?
Vergessen wir doch nicht, daß die Menschen an der Saar bis 1918 unter dem System des Dreiklassenwahlrechts lebten, daß sie dann unter die Herrschaft eines Völkerbundregimes getreten sind und schließlich die zehn Jahre Hitlerdiktatur haben erleben dürfen, so daß sie, nachdem 1945 das Besatzungsregime und jene Institutionen folgten, die Ihnen bekannt sind, bis auf den heutigen Tag freies demokratisches Wesen nie haben kennenlernen dürfen und nie in der Lage gewesen sind, die politischen Zeiterscheinungen kritisch zu betrachten. Wie soll sich eine solche Bevölkerung angesichts der Haltung dieses Parlaments zu Deutschland bekennen? Soll sie sagen müssen, daß sie vielleicht deutscher sei als der Bundestag?
Das ist doch die Frage, die sich uns dort unten stellt; das ist die Situation, vor die wir gestellt sind. Die Schwierigkeiten sind nicht materieller Art, die Schwierigkeiten sind ideeller Art: daß die Deutschen an der Saar das Gefühl bekommen könnten, aus der Solidarität dieses Hauses und der übrigen deutschen Menschen entlassen zu sein, daß auf sie eine Verantwortung gelegt worden ist, die zu tragen sie nicht stark genug sein könnten, wenn man ihnen alle Möglichkeiten und Chancen nimmt.
Sind wir bereit, dieses zu tun, auch wenn die deutschen Parteien an der Saar der Bundesregierung haben sagen müssen, daß dies ein Statut sei,
ohne das sie besser würden arbeiten können, und daß sie die Unfreiheit jenes Regimes vorziehen, wenn nur der Rechtsstandpunkt der Deutschen Bundesrepublik auf jenes Gebiet gewahrt bleibt? Sie wissen, daß die dynamische Kraft, die der saarländischen Bevölkerung innewohnt und die in der saarländischen Wirtschaft lebt, die Saar zurückführen wird aus dem Zwangsregime, und sie wissen, daß es den politischen Kräften an der Saar möglich ist, einmal den Nachweis zu liefern, daß die Saar deutsches Land geblieben ist.
Durch das Statut und durch die Entscheidung dieses Hauses könnte die Haltung dieser Menschen einen harten Stoß bekommen; sie werden trotzdem das ihre tun und versuchen, sich zu bekennen, wie sie sich früher bekannt haben.
Das Statut, das man ihnen hier anbietet, ist schlechter als der gegenwärtige Zustand; es bietet wenig Chancen zu wirksamerer politischer Aktivität, weil dieses Regime die Opposition dann weiter unterdrücken wird. Vielmehr würden die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Saar und die Dynamik, die den Menschen an der Saar innewohnt, eher zu einer Beendigung des Regimes an der Saar führen, wenn es nur nicht die ausdrückliche Approbation dieses Bundestages als einziger frei gewählter Repräsentanz des deutschen Volkes bekäme.