Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute vormittag hier zum Ausdruck gebracht, daß er nicht geneigt sei, ein politisches Urteil zu akzeptieren, das sich auf eine 30jährige Notariatstätigkeit stützt. Ich kann infolgedessen von ihm weder erwarten noch verlangen, daß er einer 10jährigen Studienratstätigkeit eine höhere Qualifikation zur Beurteilung politischer Tatbestände zubilligt.
Aber ich darf doch zu meiner Freude feststellen, daß der Herr Bundeskanzler sich der Zunft der Studienräte insofern stark angenähert hat, als er heute vormittag hier sehr scharfe Zensuren ausgeteilt hat.
Über das Thema „Zensuren austeilen", Herr Bundeskanzler, ließe sich vom Standpunkt eines Studienrats noch einiges sagen, vor allem, daß man dabei sehr vorsichtig prüfen und abwägen und sich das, was gesagt oder geschrieben wurde, genau auf seinen Gehalt ansehen soll.
Das möchte ich auch für meine Ausführungen in Anspruch nehmen, denn sie werden sich, Herr Bundeskanzler, von denen des Herrn Kollegen Dr. Becker inhaltlich wahrscheinlich nicht sehr stark unterscheiden.
Denn die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE, für die ich hier spreche, lehnt das Saarstatut in der zur Ratifizierung vorgelegten Fassung ab.
— Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen. — Sie befindet sich dabei in Übereinstimmung mit dem Beschluß des außerordentlichen Parteitages des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, der am vergangenen Sonntag beschlossen hat: „Das Saarstatut wird abgelehnt, weil es für deutsche Menschen und deutsches Gebiet eine Minderung des unbestreitbaren Rechts der Zugehörigkeit zu Deutschland mit sich bringt und als Baustein für eine wirkliche europäische Gemeinschaft nicht gewertet werden kann". Dieser Beschluß unseres höchsten Parteigremiums besitzt allerdings keine bindende Kraft und kann diese auch nach dem Grundgesetz nicht haben für einige Abgeordnete meiner Fraktion, die glauben, mit Rücksicht auf den politischen Zusammenhang, der in der französischen Nationalversammlung am 27. Dezember für die Ratifikation der Gesamtheit der Verträge durch Frankreich hergestellt wurde, auch dem Saarstatut ihre Zustimmung geben zu müssen, um die Gesamtheit der Pariser Verträge in keiner Weise zu gefährden. Die Mehrheit meiner
Fraktion teilt aber in Übereinstimmung mit unserem Parteitag diese Befürchtungen nicht oder glaubt, die Annahme des Saarstatuts unter keinen Umständen verantworten zu können.
Die Gründe für unsere ablehnende Haltung hat mein Freund Seib o t h schon in der Debatte vom 16. Dezember 1954 vorgetragen. Er hat seine Ausführungen damals mit dem Wunsche geschlossen, daß neue Verhandlungen über die Saarfrage, die der Herr Bundeskanzler selbst angekündigt hatte, zu einer derartigen Klärung führen möchten, daß wir vom gesamtdeutschen Standpunkt mit gutem Gewissen zu einem solchen Abkommen ja sagen könnten. Wir haben diese unsere Wünsche nach Klarstellung und Verbesserung des Abkommens dem Herrn Bundeskanzler auch in einem Memorandum dargelegt, in der Hoffnung, daß es ihm eine Stütze bei den angekündigten Verhandlungen sein werde. Wir müssen aber zu unserem Bedauern feststellen, daß unsere damaligen Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Auch das Ergebnis der Besprechungen, die der Herr Bundeskanzler mit dem Herrn französischen Ministerpräsidenten am 14. Januar dieses Jahres in Baden-Baden hatte, hat unseren Erwartungen nicht entsprochen. Wir können ihm jedenfalls nicht die Bedeutung beimessen, die ihm Herr Dr. Lenz heute vormittag hier zu geben versucht hat. Es bleibt danach bei den schweren Bedenken, die wir von Anbeginn gegen dieses Statut und seine Auswirkungsmöglichkeiten gehabt haben. Ich darf diese noch einmal kurz zusammenfassend vortragen.
Unser erstes und entscheidendstes Bedenken—es wurde auch von anderen Rednern schon berührt — beruht darauf, daß dieses Statut in seiner Präambel als „europäisches Statut" bezeichnet wird. Diese Bezeichnung ist nach unserer Überzeugung falsch.
Sie wird keineswegs gerechtfertigt durch die geringen Spuren europäischen Charakters, die das Statut etwa dadurch erhalten kann, daß der Hohe Kommissar vom Ministerrat der Westeuropäischen Union ernannt werden soll und irgendein, noch nicht einmal näher bezeichnetes und noch zu schaffendes Gremium der Westeuropäischen Union als oberste Gerichtsinstanz für die aus dem Statut sich ergebenden Streitigkeiten gelten soll. Die Bezeichnung „europäisch" ist aber auch besonders geeignet, auf die Diskrepanz aufmerksam zu machen, die zwischen dem Inhalt des Statuts und dem besteht, was in zahlreichen Beschlüssen und Willensbekundungen von Bundestag und Bundesregierung als eine europäische Lösung des Saarproblems angesehen und definiert worden ist.