Rede:
ID0207001800

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2070

  • date_rangeDatum: 25. Februar 1955

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    2. Deutscher Bundestag — 70. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1955 3663 70. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Februar 1955. Zur Geschäftsordnung — betr. Absetzung der Beratung der Verträge: Wehner (SPD) 3663 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 3664 B, 3665 A Erler (SPD) 3664 D Absetzung abgelehnt 3665 B Fortsetzung der zweiten Beratung der Gesetzentwürfe betr. das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 1000, zu 1000), den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060), den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061, Umdruck 293), das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062, Umdruck 294); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1200) Wiedervereinigung Deutschlands (Fortsetzung): Dr. Kather (GB/BHE) 3665 C Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/ CSU) 3668 A Saarabkommen: Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 3669 B, 3670 B Dr. Mommer (SPD). . . . 3670 B, 3673 C, 3677 B, D, 3681 C, 3.68.4 C, 3704 A, 3716 B, 3720 D, 3722 A Dr. von Merkatz (DP) . 3677 B, C, 3681 B, 3689 B, 3696 B, C, 3700 C, 3704 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler. . 3683 C, 3684 D, 3690 B, 3692 C, 3719 A, 3721 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 3684 D, 3698 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 3692 C Behrisch (SPD) (Persönliche Erklärung) 3692 D Unterbrechung der Sitzung . 3693 C Walz (CDU/CSU) 3693 C Feller (GB/BHE) . . . 3695 C, 3696 B, C Dr. Arndt (SPD) 3705 D, 3708 D, 3709 A, B Haasler (GB/BHE) . . . 3708 D, 3709 A, B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 3709 C Trittelvitz (SPD) 3710 C Schütz (CDU/CSU) . . . . 3712 A, 3713 D Dr. Kather (GB/BHE) 3713 D Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . 3714 D Ladebeck (SPD) 3716 A Sicherheit und Verteidigung: Erler (SPD) . . . . 3722 D, 3726 C, 3727 B, 3730 A, B, C, 3731 C, 3737 B, C, 3742 A, C Dr. von Merkatz (DP) . . 3726 B, 3731 C Euler (FDP) 3727 B Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . 3730 B, 3737 D, 3740 A, 3742 B, C Kiesinger (CDU/CSU) 3730 A, C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 3735 C, 3737 C, D Dr. Arndt (SPD) 3739 D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 3743 A, 3745 C, D Ritzel (SPD) 3745 C Weiterberatung vertagt . 3746 A Persönliche Erklärungen: Strauß (CDU/CSU) 3746 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 3746 D Nächste Sitzung 3746 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider eröffnet.
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    Rede von Dr. Otto Lenz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Mommer, in meinen weiteren Ausführungen komme ich darauf zu sprechen.
    Nun ist durch das Saarabkommen, das in Paris getroffen worden ist und das durch die Abreden in Baden-Baden ergänzt wurde, eine neue Situation geschaffen worden. Ich will nicht auf alle Einzelheiten dieses Abkommens eingehen, ich will nur die entscheidenden Punkte hervorheben. Die Einzelheiten sind in dem vorzüglichen Bericht unseres Kollegen Pfleiderer behandelt worden, und ich nehme an, daß Herr Kollege Mommer sich nicht die Gelegenheit entgehen läßt, dazu nachher noch eingehend Stellung zu nehmen.
    Einer der entscheidendsten Punkte dieses Abkommens ist, daß die politische Abhängigkeit des Saargebiets von Frankreich nunmehr beseitigt wird. In Zukunft vertritt nicht mehr Frankreich, sondern der Europäische Kommissar das Saargebiet in außenpolitischen und militärischen Angelegenheiten. Der saarländisch-französische Truppenvertrag entfällt. Innerpoltisch wird nach dem Statut dieses Abkommens die Saar eine Art begrenzter Autonomie haben. Aber den Charakter eines selbständigen Staates erhält sie auch durch dieses Statut in keiner Weise. Ich möchte hier mit allem Nachdruck betonen, daß dieses Abkommen nicht das Ausscheiden des Saargebiets aus dem deutschen Staatsverband bedeutet.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wir denken nach wie vor nicht daran, eine Abtrennung anzuerkennen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn man sich sehr genau die Debatte in der französischen Kammer durchliest, dann kann man nicht daran vorübergehen, daß auch dort absolute Klarheit darüber bestand, daß die Saar deutsches Gebiet ist. Die endgültige Regelung der Saarfrage und die Festlegung der Grenzen bleibt dem Friedensvertrage vorbehalten.
    Ich habe bereits die derzeitigen innerpolitischen Verhältnisse an der Saar dargelegt. Nun ist es entscheidend, daß durch das Abkommen hier nunmehr eine grundlegende Änderung getroffen wird. Die Beschränkung der politischen Freiheiten muß nunmehr aufgehoben werden. Es wird allerdings eingewandt, daß eine sehr erhebliche Einschränkung bestehe, weil nach dem Text des Abkommens das Statut nicht in Frage gestellt werden dürfe. Unserer Auffassung nach kann das gar nichts anderes bedeuten, als daß lediglich die Gültigkeit des Statuts und seine Dauer nicht angegriffen werden darf, daß es dagegen ganz selbstverständlich ist, daß Einzelheiten des Statuts, die sich nachträglich als unzweckmäßig, als wenig praktisch erweisen, kritisiert werden können und daß deren Änderung verlangt 'werden kann.
    Wir sind auch der Auffassung, daß es ein ganz bedeutender Fortschritt ist, daß nach den Abreden, die in Baden-Baden getroffen worden sind, nicht die Saarregierung zu überwachen und zu entscheiden hat, ob die nach dem Statut erforderliche Wiederherstellung der politischen Freiheiten nunmehr vorliegt, sondern daß die Kommission, die im Rahmen ,der Westeuropäischen Union zur Überwachung des ersten Referendums gebildet wird, zu prüfen hat, ob die Gesetze, die die Saarregierung vorzulegen hat, wirklich eine Wiederherstellung der politischen Freiheiten, die dem Statut und dem Sinn der politischen Freiheiten entspricht, enthalten oder nicht. Es ist auch zu begrüßen, daß die Abreden, die in Baden-Baden getroffen worden sind, der europäischen Kommission und dem Euro-


    (Dr. Lenz [Godesberg])

    päischen Kommissar eine ganz andere Stellung gegenüber der Saarregierung geben, daß sie ihnen die Möglichkeit geben, Maßnahmen der Saarregierung, die eine Beeinträchtigung der politischen Freiheiten darstellen würden, aufzuheben, und daß jetzt auch ein Gerichtshof eingerichtet wird, der politischen Parteien, Einzelpersonen und auch politischen Gruppen die Möglichkeit gibt, sich ihr Recht zu suchen, falls sie sich in ihren politischen Freiheiten beeinträchtigt fühlen.
    Nun das erste Referendum, die erste Volksabstimmung im Saargebiet darüber, ob die Saarbevölkerung das Statut annehmen will oder nicht. Es ist hier kritisiert worden, daß man der Saarbevölkerung keine echte Wahl gegeben habe, daß man ihr nicht die Möglichkeit gegeben habe, sich auch zu der Frage zu entscheiden, ob die Saar zu Deutschland zurückkehren solle. Meine Damen und Herren, realpolitisch gesehen ist in Verhandlungen nicht alles zu erreichen, was man erreichen möchte. Abgesehen davon ist zu beachten, daß dieses erste Referendum eine Voraussetzung für die zweite Volksabstimmung beim Friedensvertrag bildet. Wir haben dieses erste Referendum hingenommen, weil wir damit das Selbstbestimmungsrecht der Saar in der zweiten Volksabstimmung beim Friedensvertrag erreichen konnten.
    Nun ist ein langer Streit darüber gewesen: ist dieses Saarstatut, das von der Saarbevölkerung angenommen oder verworfen werden kann, ein Definitivum oder ein Provisorium? Mit diesen Ausdrücken ist sehr viel Wortspiel getrieben worden. Aber wenn man die Debatte in der französischen Kammer liest, dann wird doch völlig deutlich, daß auch keiner der französischen Abgeordneten einschließlich des damaligen französischen Ministerpräsidenten sich darüber im unklaren war, daß es sich um ein Provisorium bis zum Abschluß eines Friedensvertrages handelt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich möchte das zitieren, was der Berichterstatter des Außenpolitischen Ausschusses der französischen Kammer, Herr Vendroux, gesagt hat:
    Bei der Endentscheidung wird es nicht um die Wahl: deutsche Saar oder französische Saar, sondern nur noch um die Wahl: saarländische Saar oder deutsche Saar gehen.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Dr. Mommer: Das war immer so, Herr Lenz!)

    — Ich will nur betonen, Herr Kollege Mommer, daß das auch in Frankreich erkannt worden ist, und das halte ich doch immerhin für erheblich.
    Ich möchte dann mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch zitieren, was „Le Monde" in ihrem sehr viel zitierten Artikel seinerzeit gesagt hat. „Le Monde" schreibt:
    Die Deutschen scheinen in der Tat zu fürchten, daß das neue Saarstatut von Frankreich als ein Definitivum betrachtet werde. Es ist bei ihnen eine Art geistiger Konfusion entstanden, die zerstreut werden müßte. In politischer Hinsicht wird Frankreich alle seine Atouts ausspielen, damit ein Akkord bleibt, den es für gut hält. In juristischer Hinsicht dagegen wird es loyal ein Abkommen beachten, welches die saarländischen Geschicke bis zu einem Friedensvertrag mit Deutschland regelt und welches in diesem Moment ein neues Referendum vorsieht.
    Umgekehrt wird auch unser Recht damit anerkannt, darauf hinzuwirken, daß bei diesem Friedensvertrag der Wille der Saarbevölkerung in vollem Umfange anerkannt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es scheint mir auch nicht ohne Bedeutung zu sein, was Herr Hoffmann zu dem Statut erklärt hat. Er hat kurz nach der Veröffentlichung in einem Interview lapidar festgestellt: Das Saarstatut gilt nur bis zum Friedensvertrag und keinen Augenblick länger.
    Was werden die Folgen der Annahme dieses Statuts durch die Saarbevölkerung sein? Die Saarverfassung ist entsprechend dem neuen Statut zu ändern, und wir erwarten, daß damit auch der Passus über die Abtrennung von Deutschland entfällt.
    Der entscheidendste Punkt dieses Abkommens scheint mir aber die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Saarbevölkerung zu sein. In Art. IX des Abkommens heißt es:
    Bestimmungen über die Saar in einem Friedensvertrag unterliegen im Wege einer Volksabstimmung der Billigung durch die Saarbevölkerung; diese muß sich hierbei ohne irgendwelche Beschränkungen aussprechen können.
    Nun ist beanstandet worden, daß nicht sofort eine Volksbefragung über die Zugehörigkeit zur Saar für den Fall des Friedensvertrags vereinbart worden ist. Aber eine solche Bestimmung mußte dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben. Sicher ist es aber jetzt, daß die Saarbevölkerung jede nicht von ihr gewünschte Lösung ablehnen und damit eine Änderung etwaiger unzureichender Bestimmungen beim Friedensvertrag herbeiführen kann.
    Ich möchte hier auf die fast dramatisch zugespitzte Fragestellung zwischen dem Abgeordneten Liautey und dem damaligen Ministerpräsidenten Mendès-France in der Kammer eingehen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren. Der Abgeordnete Liautey hat die Frage gestellt:
    Herr Ministerpräsident, die Mächte kommen überein, das europäische Statut aufrechtzuerhalten. Die Saarländer sind damit nicht einverstanden. Sie lehnen es ab und erklären ihren Wunsch, einfach an Deutschland angeschlossen zu werden. Werden in diesem Fall die Vereinbarungen, denen wir zustimmen sollen, es dem saarländischen Volke erlauben, seinen Willen im Friedensvertrag vorgehen zu lassen, oder wird das Umgekehrte der Fall sein?
    Der französische Ministerpräsident Mendès-France antwortete darauf:
    Die endgültige Lösung wird niemals gegen den Willen des saarländischen Volkes gefaßt werden können.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte. — Abg. Dr. Mommer: Zitieren Sie weiter, sonst werde ich es gleich tun!)

    — Das überlasse ich Ihnen nachher, Herr Kollege Mommer.

    (Abg. Dr. Mommer: Ja, ich werde das tun!)



    (Dr. Lenz [Godesberg])

    Damit ist in überaus klarer Weise das Selbstbestimmungsrecht der Saarbevölkerung auch in der französischen Kammer anerkannt worden. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß durch die amerikanisch-englische Garantie für das Saarabkommen dieses Selbstbestimmungsrecht beim Abschluß eines Friedensvertrags gewährleistet wird.

    (Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.) Nun hat gestern Herr Kollege Brandt erklärt, daß die amerikanischen Gewerkschaften gegen das Saarabkommen gewesen seien. Ich weiß nicht, welcher Text Herrn Kollegen Brandt vorgelegen hat.


    (Abg. Dr. Mommer: Das kommt auch gleich!) Der Text, der mir vorliegt, lautet etwas anders. Es heißt darin: „Wir von der AFL verpflichten uns, unseren ganzen Einfluß aufzubieten, um unsere Regierung zu veranlassen, die Londoner und Pariser Abkommen dahingehend zu ändern und zu verbessern, daß die Saar das volle Selbstbestimmungsrecht und die deutsche Bundesrepublik volle Gleichberechtigung und Souveränität erhält". Das scheint mir doch etwas anderes als eine Ablehnung der Abkommen durch die Gewerkschaften zu sein.


    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Nun zu den wirtschaftlichen Bestimmungen dieses Abkommens! Ich will sie nur kurz streifen. Sie stellen ein Programm über den wirtschaftlichen Zugang Deutschlands zum Saargebiet dar. Das Ziel soll erreicht werden, daß gleichartige Beziehungen zu Deutschland geschaffen werden, wie sie zwischen Frankreich und der Saar bestehen. Es wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß diese Absichten im Rahmen einer sich ständig ausweitenden deutsch-französischen und europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit verwirklicht werden. Gewiß, es gibt eine ganze Reihe für uns drückender französischer Vorbehalte, insbesondere das Bestehenbleiben der Zoll- und Währungsunion bis zur Schaffung einer europäischen Währung. Es wird von den schwebenden Wirtschaftsverhandlungen abhängen, inwieweit der im Interesse des Saargebiets notwendige wirtschaftliche Zugang der Bundesrepublik möglichst bald verwirklicht wird.
    Meine Damen und Herren, alles in allem genommen ein Abkommen, das manches zu wünschen übrigläßt, aber doch ein Abkommen, das immerhin einen Ausgleich der deutschen und französischen Interessen an der Saar versucht und die Endlösung dem Friedensvertrag überläßt. Es ist darauf hingewiesen worden, daß eine große Zahl von Auslegungsstreitigkeiten besteht. Ich würde es begrüßen, wenn ihre Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgte, wie es in dem Vertrag über die Westeuropäische Union vorgesehen ist, und wenn sich die Regierungen nicht ständig mit den Streitigkeiten über die Auslegung des Statuts befassen müßten.
    Grundsätzlich gesehen, gab es zur Lösung der Saarfrage doch nur zwei Möglichkeiten: entweder alles beim alten zu belassen, damit die unbefriedigenden Verhältnisse im Saargebiet in Kauf zu nehmen und die ständige Belastung des deutschfranzösischen Verhältnisses weiter zu ertragen oder eben zu einer Kompromißlösung zu kommen. Etwas anderes war doch wohl nicht gegeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Ich frage Sie, meine Damen und Herren, die Sie
    der Sache ablehnend oder schwankend gegenüberstehen: Glauben Sie wirklich, daß diejenigen, die jetzt gegen das Saarabkommen sind, nach Ablehnung dieses Abkommens noch vor einem Friedensvertrag eine bessere Lösung erzielen könnten?

    (Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Würde nicht gerade eine weitere Verhärtung des deutsch-französischen Verhältnisses und ein weiteres Auseinanderleben mit dem deutschen Volk an der Saar die Folge sein, und würde nicht dadurch gerade der Abschluß eines Friedensvertrages noch weiter belastet werden?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich kann nur auf die sehr bemerkenswerten Ausführungen von Herrn Senatspräsidenten K a i s en im Bundesrat verweisen. Er hat ganz zu Recht ausgeführt, daß der deutschen Außenpolitik eben nun einmal nur eine sehr begrenzte Bewegungsfreiheit zur Verfügung steht und daß man daran ermessen muß, wie wichtig jeder Schritt ist, der zur Erreichung unserer Freiheit beiträgt. Ich glaube, das Saarabkommen kann ein derartiger Schritt sein. Die Hauptsache ist doch schließlich, daß die Saarbevölkerung bei Abschluß des Friedensvertrags sich frei entscheiden kann. Eine gesamtdeutsche Regierung wird in keine Regelung einwilligen, die nicht die Rechte der Saarbevölkerung in vollem Umfange berücksichtigt.
    Ich kann verstehen, daß unsere Freunde aus dem Saargebiet der derzeitigen Regierung ein erhebliches Mißtrauen entgegenbringen und daß sie hieraus mancherlei Bedenken gegen das Abkommen herleiten. Ich muß zugeben, daß gewisse Äußerungen von Herrn Hoffmann die Besorgnis verstärkt haben, daß er wieder Rückfälle in polizeistaatliches Denken hat.

    (Zuruf von der SPD: Rückfälle?)

    Aber gerade diese Bedenken sind ja nun ausgeräumt, weil eben nicht die Saarregierung, sondern die Europäische Kommission bzw. später der Europäische Kommissar, der Ministerrat der Westeuropäischen Union über eventuelle Beschränkungen der politischen Freiheit zu entscheiden hat und außerdem ein Gerichtshof dafür eingesetzt ist. Ich kann mir einfach nicht denken, daß diese Instanzen nicht die Konvention der Menschenrechte zugrunde legen würden und daß sie irgendwelche Maßnahmen billigen könnten, die dagegen verstießen.
    Der Einwand schließlich, die Bundesrepublik sei nicht berechtigt, ein Abkommen über das Saargebiet abzuschließen, ist mir überhaupt nicht verständlich. Auf der einen Seite halten wir doch alle daran fest, daß das Saargebiet deutsches Gebiet ist. Dann haben wir auch das Recht, Vereinbarungen über dieses Gebiet zu treffen, sofern sie keine endgültigen Lösungen enthalten und eine gesamtdeutsche Regierung nicht binden. Wir haben sogar eine Verpflichtung dazu, wenn wir dadurch für die Bevölkerung an der Saar einen besseren Zu- stand schaffen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Nun kommt der Einwand, wann es denn nun zum Abschluß eines Friedensvertrags komme. Ja, meine Damen und Herren, wir wünschen sehnlichst, daß es sehr bald zum Abschluß eines derartigen Friedensvertrags kommt, in dem ja nicht nur das Saarproblem, sondern noch viel schwer-


    (Dr. Lenz [Godesberg])

    wiegendere Probleme zu regeln sind. Ich halte es für keine realpolitische Betrachtung, wenn man sagt — und das ist gesagt worden —, daß Frankreich im Hinblick auf die Saarfrage eine friedensvertragliche Regelung verzögern könnte, denn auch Frankreich weiß, daß ein Friedensvertrag zur Befriedung Europas und der Welt ein absolutes Erfordernis ist. Deshalb wird die Saarfrage da kein Hindernis sein können. Aber — wir müssen ja realpolitisch denken — käme es in absehbarer Zeit nicht zu einem Friedensvertrag, nun, meine Damen und Herren, dann wäre eben eine neue Situation gegeben. Da gerade in diesem Abkommen eine friedensvertragliche Regelung vorgesehen ist, würde sich aus diesem Abkommen von selbst herleiten, daß wir dann eben neue Verhandlungen über eine andere Lösung führen müßten. Würde man jedes Abkommen als einen statischen, als einen nicht zu wandelnden Zustand betrachten, dann würde ja jede politische Entwicklung geleugnet werden. Wir haben doch gerade in den letzten Jahren erlebt, wie rasch im gegenseitigen Einvernehmen Vereinbarungen den veränderten Verhältnissen angepaßt wurden. Ich erinnere an das Besatzungsstatut und an das Ruhrstatut. Und, meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eigenartig, daß Sie Entwicklungsmöglichkeiten sehen, wo keine oder noch keine sind, daß Sie aber Entwicklungsmöglichkeiten übersehen, wo sie auf der Hand liegen.

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe links.)

    Es ist sicher zu bedauern, daß französischerseits ein Junktim zwischen dem Saarabkommen und den übrigen Verträgen geschaffen worden ist. Aber seien wir uns darüber im klaren: Wer die anderen
    Verträge bejaht, das Saarabkommen aber ablehnt, setzt damit alles aufs Spiel, ohne sagen zu können, wie er auch hinsichtlich der Saar eine bessere Lösung hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU, vereinzelt beim GB/BHE und rechts.)

    In einer Situation wie der unsrigen, in der wir nun einmal die Folgen eines verlorenen Krieges zu tragen haben, ist es nicht möglich, nur die Rosinen aus dem Kuchen zu picken, das andere aber ungegessen zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, die Christlich-Demokratische Union ist sich bewußt, daß wir einer Lösung zustimmen, die sicherlich nicht vollkommen ist, die aber die Möglichkeit gibt, befriedigendere Zustände im Saargebiet zu schaffen, und die uns wieder Zutritt und Möglichkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet eröffnet.
    Wir sind uns klar darüber, daß die Handhabung dieses Abkommens auf allen Seiten ein Höchstmaß von gutem Willen voraussetzt. Wir stimmen aber zu, weil wir hoffen, daß hiermit der Saarbevölkerung ihre politische Freiheit und die Möglichkeit einer freien Entscheidung beim Friedensvertrag gegeben wird.

    (Zuruf von der SPD: Glauben Sie!)

    Und wir stimmen ihm schließlich zu, weil wir hoffen, daß die Opfer, die wir bei diesem Abkommen zweifellos bringen müssen, der europäischen Verständigung und der Sicherung des Friedens dienen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.) Voraussetzung für unsere Zustimmung, das möchte ich allerdings betonen, ist, daß nunmehr die Abkommen auch von Frankreich ratifiziert werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU, teilweise beim GB/BHE und rechts. — Zurufe von der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Mommer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir schwer, mit der Sachlichkeit zu reden, wie ich es gewohnt bin und wie ich es vorhatte, nach dem, war wir hier gestern abend von einem Bundesminister erlebt haben.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Sie haben in dieser Debatte so oft verächtlich von der Straße gesprochen. Was wir hier gestern von einem Bundesminister erlebt haben, das war die Sprache der Gosse, nicht nur der Straße.

    (Beifall bei der SPD. — Widerspruch und Pfui-Rufe von der Mitte.)

    Meine Herren, ich hätte mich geschämt, in der kleinsten Dorfversammlung so zu sprechen, wie ein Minister hier gesprochen hat.

    (Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von der Mitte.)

    Und wenn darunter unsere ganze Debatte leidet, dann trifft die Verantwortung dafür diesen Bundesminister für besondere Aufgaben.

    (Zuruf von der SPD: „Besondere Aufgaben"!)

    Ich habe den Eindruck gehabt, daß seine besonderen Aufgaben darin bestehen, im Lande umherzuschnüffeln, alle schmutzige Wäsche des politischen Kampfes zu sammeln und sie hier im Bundestag zu waschen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich hoffe zugunsten des Kabinetts, daß Sie Kollektivscham empfunden haben, als Ihr Kollege hier so gesprochen hat.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Wir haben sie für den Bundestag empfunden, und wir wissen, daß viele von Ihnen sie empfunden haben.

    (Zuruf von der SPD: Da gibt's keine Scham!)

    Wir wissen auch, daß jemand von Ihnen die Frage stellen wollte — Herr Hellwig, das muß hier gesagt werden, durch diesen Ton hier ist das Parlament herabgesetzt worden, und das muß zur Sprache gebracht werden —,

    (Sehr gut! bei der SPD und Zurufe von der Mitte)

    ob der Herr Bundesminister nicht aufgepaßt habe, ob es ihm entgangen sei, daß der Karneval zwar gerade, aber doch schon vorüber sei.
    Es gibt Gott sei Dank den wörtlichen Bericht über unsere Verhandlungen

    (Zuruf von der Mitte: Zur Saar!)

    — ich komme zur Saar und werde da auch einiges zu sagen haben —; dort wird jeder nachlesen können, in welcher Sachlichkeit und Fairneß

    (Widerspruch in der Mitte)



    (Dr. Mommer)

    unsere Kollegen Wehner und Brandt gestern hier gesprochen haben, und man wird damit vergleichen können, wie dann von Ihrer Seite dieser Gossenton hier hineingebracht wurde.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das ist der Anfang!)

    Ich glaube, dieser Minister hat das Ansehen des Bundestages aufs schwerste geschädigt. Ob das Kabinett sein Ansehen geschädigt fühlt, ist vielleicht seine Sache. Wenn es nicht im Bonner politischen Leben den Tatbestand gäbe, den ein mutiger Kollege von Ihrer Seite einmal so wiedergegeben hat: Was muß denn in Bonn alles passieren, damit einem Minister etwas passiert?, könnte man die Hoffnung haben, daß aus dieser Rede für die Mitgliedschaft im Kabinett Konsequenzen gezogen würden,

    (Zuruf von der Mitte: Das würde Ihnen so passen!)

    aber nicht, um ihn zum Außenminister zu machen, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD.)

    Jetzt komme ich auch zur Saar.

    (Zuruf von der Mitte: Also! Endlich!)

    Wenn ein schlechter Kaufmann in Verlegenheit ist, passiert es ihm, daß er Wechsel auf die Zukunft zieht

    (Zuruf von der Mitte: Das ist doch kein Wechsel!)

    und auf diese Weise die Schwierigkeiten des Augenblicks vertagt. Das hat auch der Herr Bundeskanzler getan, als er hier in erster Lesung diesen so umstrittenen Saarvertrag verteidigen mußte. Er mußte damals feststellen, daß die französische Interpretation des Vertrages in der offiziellen Begründung der französischen Regierung vom Vertragstext abweiche, und zwar in einigen sehr bedeutsamen Punkten. Er hat weiter erklären müssen, daß diese französische Begründung den allgemeinen Absichten und Zielen der Vertragspartner widerspreche. Er hat damals im Bundestag versprochen - und da kommt der Wechsel —, er werde wegen dieser offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten wieder Fühlung mit dem französischen Ministerpräsidenten nehmen, er werde, wenn in dieser Fühlungnahme die Gegensätzlichkeiten nicht bereinigt werden könnten, an die im Abkommen genannten Garantiemächte — die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich — appellieren und auf diesem Wege die Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen versuchen.
    Inzwischen sind wir bei der zweiten Lesung, und jetzt werden die Wechsel präsentiert. In welcher Lage befindet sich da der Herr Bundeskanzler? Sie hat sich ungeheuer verschlechtert, und die Ereignisse der letzten Tage in Ihrem eigenen Lager, die Krise, die darüber ausgebrochen ist, legen Zeugnis von dieser Verschlechterung seiner Lage ab.
    Die Tatsachen haben uns recht gegeben, die wir damals sagten, daß diese Versprechungen, weitere Verhandlungen über die Auffüllung und Ergänzung des Abkommens zu führen, eben nur Beruhigungspillen für die Koalitionsparteien waren, die nicht mitziehen wollten. Es haben in der Tat Verhandlungen über das Saarstatut stattgefunden, in Baden-Baden und in Paris. Aber dabei ist von Bereinigung und von Auffüllung überhaupt nicht die
    Rede gewesen, sondern — wie Sie im Kommuniqué von Baden-Baden selbst nachlesen können — ausdrücklich nur von Maßnahmen, die die Anwendung des gegebenen Textes ermöglichen sollen. Es ist der dominierende Zug dieses Abkommens, daß der Dissens, der désaccord, wie Herr Reynaud gesagt hat, das Nichtübereinstimmen hinsichtlich des Übereinkommens, in allen wesentlichen Punkten bestehengeblieben ist. Der Dissens ist so groß wie je. Worin liegt er? Ich versuche, es in zwei kurzen Zitaten von hüben und drüben klarzumachen.
    In der Drucksache 1200, dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses, können Sie nachlesen, was Herr Professor Wahl für den Rechtsausschuß geschrieben hat: daß durch das Abkommen seit 1945 zum erstenmal eine vertragliche Grundlage für eine deutsche Politik an der Saar geschaffen worden sei. In dem vorher uns zugesandten hektographierten Mehrheitsgutachten des Rechtsausschusses war es noch klarer gesagt: daß durch das Abkommen die Grundlage für eine Rückgliederung der Saar zu Deutschland geschaffen werden konnte. Das ist die deutsche Lesart. Auf der französischen Seite liest man's anders. Herr Vendroux, der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses des französischen Parlaments sagt: Das Statut ist keineswegs provisorisch; Frankreich betrachtet es als unwiderruflich.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Was wurde nun wirklich in Baden-Baden verhandelt, wenn nicht aufgefüllt und wenn nicht bereinigt wurde? Mit Bezug auf die Saar wurden zwei Komplexe behandelt. Einmal wurden Maßnahmen zur ordentlichen und demokratischen Durchführung der ersten Volksabstimmung getroffen, die im Statut vorgesehen ist, und zum andern wurden die Aufgaben des Saarkommissars näher bestimmt. Das sind ohne Zweifel nützliche Dinge, die man da getan hat, wenn man das Statut als einmal gegeben voraussetzt. Es soll eine Kommission eingesetzt werden, die darauf achtet, daß die demokratischen Freiheiten hergestellt werden, d. h. möglichst vollständig hergestellt werden, um den ordentlichen Verlauf der Abstimmung zu garantieren. Herr Kollege Lenz, es ist ein Irrtum, wenn Sie sagen, daß diese Kommission das Recht haben soll, Maßnahmen der Saarregierung aufzuheben. Sie kann, wenn sie es einstimmig beschließt — es soll eine Fünferkommission sein, eine Kommission der fünf Länder der Westeuropäischen Union mit Ausnahme der Bundesrepublik und Frankreichs —, ein Ersuchen an die Hoffmann-Regierung richten, nicht aber Maßnahmen der Hoffmann-Regierung aufheben. Das ist schon etwas ganz anderes.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Aber ich will mich gar nicht im einzelnen in diese Problematik der Abstimmung verlieren. Viel wichtiger ist die Frage, zu was hier Freiheit hergestellt werden soll. Worum handelt es sich überhaupt? Sollen freie Wahlen abgehalten werden? Werden sie garantiert durch die Abmachungen, die in Baden-Baden — vorläufig nur mündlich, keineswegs endgültig und schriftlich — getroffen wurden? Nein, es soll Freiheit für das erste Plebiszit geschaffen werden. Da aber ist es nötig, sich zu vergegenwärtigen, welches die Rolle dieses ersten Plebiszits ist.
    Seitdem über die sogenannte Europäisierung des Saargebietes gesprochen wird, ist es eine französisch-separatistische Forderung gewesen, nicht etwa


    (Dr. Mommer)

    freie Wahlen abzuhalten — die fürchtet man dort so sehr, wie Herr Grotewohl sie in der Zone fürchtet —, sondern ein Plebiszit über ein Europäisierungsstatut abzuhalten. Es handelt sich bei diesem Plebiszit also nicht um etwas, was wir gefordert hätten, sondern um etwas, was die französischseparatistische Seite gefordert hat. Auch der Herr Bundeskanzler war - das wissen wir ja — keineswegs geneigt, ein solches Plebiszit anzunehmen. Er hat genau so wie wir alle durchschaut, welche Rolle dem Plebiszit in der Politik der anderen zufällt. Er wollte so wie wir freie Wahlen durchsetzen. Er hat es aber nicht durchgesetzt, und er hat geglaubt, um des Preises willen, von dem ich nachher noch sprechen will, auch das schlucken zu müssen, und er hat es geschluckt.
    Die Rolle dieses Plebiszits ist im Denken der anderen Seite immer die gewesen, freie Wahlen zu umgehen; bei diesem Plebiszit will man gleichzeitig den Schein der Plebiszitierung des europäischen Statuts erwecken, das dadurch ein wenig mehr politisches Gewicht bekommen und sich dadurch auch für die Endlösung im Friedensvertrag empfehlen soll, und dann kam es den Herren, die die freien Wahlen fürchten, doch darauf an, einmal bei einer Volksbefragung Herrn Hoffmann und Herrn Konrad Adenauer nebeneinander zu stellen. Ich weiß noch nicht, wie Sie das in Zukunft ertragen werden, wenn das Statut in Kraft tritt, daß Sie, Herr Bundeskanzler, dieselben Wahlparolen werden ausgeben müssen, wie Herr Johannes Hoffmann, nämlich die deutsche Saarbevölkerung aufzufordern, zu diesem Statut ja zu sagen! Davon hat Herr Hoffmann immer geträumt, und dieser Traum wird in Erfüllung gehen, wenn dieses Statut angenommen wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Arm in Arm müssen Sie dann an der Saar auftreten und dafür werben, daß das gemacht wird, was Herr Johannes Hoffmann immer gewollt hat.
    Diese Freiheit zu dem Plebiszit ist für die französisch-separatistische Politik völlig ungefährlich. Wenn ein deutscher Bundeskanzler so Arm in Arm mit dem Herrn Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann auftreten muß, dann ist von vornherein die Mehrheit gesichert. Man fürchtet nur Volksentscheidungen, bei denen das nicht der Fall ist, bei denen wir hier treu zu denen drüben halten und sie auffordern, an der Saar treu zu uns zu halten. Das fürchtet man, und darum konnte man das erreichen, was man in Baden-Baden erreicht hat: einige Sicherungen für die Freiheit dieser, für die separatistische Politik ungefährlichen Abstimmung.
    Trotzdem ist das, was da vereinbart wurde, nicht ausreichend im Sinne höherer Ansprüche, die an freie Volksabstimmungen zu stellen sind. Nach Versailles hat man einige Erfahrungen mit Plebisziten gesammelt, und man hat auch Maßstäbe und Grundsätze aufgestellt, wie solche freien Volksentscheidungen abzuhalten wären. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat einstimmig - einstimmig! — eine Reihe solcher Grundsätze aufgestellt, die zusätzlich im Saargebiet zu verwirklichen wären, wenn eben jenen höheren Ansprüchen für freie Abstimmungen Rechnung getragen werden soll. Ich will diese Entschließung im einzelnen nicht anführen; Sie finden sie in dem Schriftlichen Bericht. Aber auf einen Punkt möchte ich hinweisen: daß es doch unerträglich für die Bundesregierung sein müßte, die Abstimmung abzuhalten, ohne daß alle politischen Ausweisungen aus dem Saargebiet rest-
    los und bedingungslos aufgehoben würden. Es scheint mir eine Frage des Selbstbewußtseins, der Selbstachtung zu sein, daß diese politischen Ausweisungen — auch einiger unserer Kollegen hier — zurückgenommen werden. Die Bundesregierung hat dafür nicht Sorge getragen und hat keine bindenden Zusagen in dieser Richtung mit nach Hause bringen können.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Es ist auch ungewöhnlich, daß französische Truppen im Lande bleiben können, wenn frei abgestimmt werden soll. Die Anwesenheit von Truppen, die Partei sind, ist bei solchen Dingen nicht die Regel.
    Wenn man sagt, daß einige der Forderungen des Ausschusses für innere Verwaltung irreal seien, dann ist das bezeichnend dafür, wie man seine Position bei diesen Verhandlungen einschätzt. Sie wagen es noch nicht, in Verhandlungen mit Frankreich über diese Dinge das nicht anzunehmen, was die Franzosen nicht annehmen würden, wenn sie in unserer Lage wären. Sie wagen noch nicht, zu fordern, daß dieselben einheitlichen Maßstäbe für ordentliches demokratisches Verhalten angewandt werden für uns sowohl wie für andere.
    Der Dissens, über den ich gesprochen habe, besteht also nicht und hat nie bestanden über die Abstimmung und die Freiheit der Abstimmung. Auf der anderen Seite war man bereit, die Freiheit für diese Abstimmung zu garantieren. Der Dissens liegt in der Frage, ob die Herstellung der Freiheiten an der Saar für drei Monate, nämlich zum Zwecke des Plebiszits, oder ob sie darüber hinaus unbegrenzt Geltung haben soll. Der Dissens liegt in dem Art. VI Abs. 2, wo gleich nach dem Abs. 1, der sagt, daß in Zukunft Parteien, Vereine und die Presse keiner Genehmigungspflicht mehr unterworfen werden sollen, gesagt wird, daß das Statut nach Annahme im Plebiszit nicht mehr in Frage gestellt werden dürfe.
    Die Bundesregierung erklärt diesen verdächtigen Satz gleich nach jenem ersten „Freiheitssatz" in der Weise, daß die Parteien durchaus weiterarbeiten 'dürften, wenn sie sich im Rahmen der Demokratie und des Statuts hielten. Die französische Regierung liest den Satz ganz anders; sie sagt, jede Propaganda werde unerlaubt und der Erhaltung des Friedens in Europa und den guten deutsch-französichen Beziehungen zuwider sein, die der Autorität der Instanzen, die durch das Statut zu schaffen sind, schaden könnte. Herr Johannes Hoffmann , der Ministerpräsident sein wird, wenn die Neuwahlen stattfinden werden, die nach dem Statut innerhalb dreier Monate nach dem Plebiszit abgehalten werden sollen, hat kürzlich auf einem Parteitag über diese Freiheit nach der Volksabstimmung folgendes gesagt:
    Wenn also nunmehr gesagt wird, daß nach Bestätigung des Statuts durch die Volksabstimmung das Statut bis zum Abschluß eines Friedensvertrages nicht in Frage gestellt werden kann, so soll und kann damit doch nur zum Ausdruck gebracht worden sein, daß dieser nach so vielen Mühen endlich erreichte Zustand der Befriedung nicht mehr durch Wort oder Tat gestört werden solle.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das ist sehr deutlich. Nachher soll diese Befriedung
    nicht mehr gestört werden. Hier kündigt Herr


    (Dr. Mommer)

    Hoffmann an - er hat es mehrfach wiederholt, in den verschiedensten Variationen —, daß die feste Absicht besteht, nach Abhaltung der Volksabstimmung die politischen Parteien wieder zu unterdrükken. Die Absicht ist völlig klar, daß die Freiheit nur für drei Monate hergestellt werden soll.
    Wir müssen jetzt fragen: Was hat die Bundesregierung seit der ersten Lesung und insbesondere bei den Verhandlungen in Baden-Baden getan, um zu verhindern, daß die Polizeistaatspraxis wieder einsetzt, nachdem man die erhoffte Mehrheit an „Ja" in der Volksabstimmung erreicht hat?
    Es ist uns gesagt worden, daß der Kommissar der Westeuropäischen Union, der dann eingesetzt wird, die Anwendung des Statuts zu überwachen und insbesondere auch auf die Einhaltung der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte zu achten haben werde. Es ist uns gesagt worden, daß Einzelpersonen und Organisationen das Recht haben sollen, sich bei dem Gericht der Westeuropäischen Union über undemokratische Maßnahmen der Saarregierung zu beschweren. Sind das ausreichende Schutzmaßnahmen dagegen, daß die Unterdrückung im Saargebiet wieder voll einsetzt? Wir haben da Erfahrungen zu unserer Verfügung, die es uns erlauben, jetzt schon zu sagen, was bei diesen Maßnahmen herauskommen wird. Wir haben im Europarat sowohl mit der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte als auch mit dem dem Geiste nach gleichlautenden Statut des Europarats versucht, gegen die Unterdrückung an der Saar anzugehen. Wir haben dabei keine Erfolge gehabt, und wir haben gesehen, wie schwerwiegend es ist und wie erschwerend es für uns ist, daß die Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates Ländern angehören, die von Deutschland während des zweiten Weltkrieges überfallen und besetzt worden sind, und wie dadurch ihr demokratisches Gewissen ganz erheblich geschwächt worden ist, dann nämlich, wenn einmal Deutsche die von Unterdrückungsmaßnahmen Betroffenen sind.
    In der Westeuropäischen Union und sogar bei einem internationalen Gericht wird das nicht anders sein, und es wird besonders dann nicht anders sein, wenn man sich, um die neue Unterdrückung zu rechtfertigen, auf den Text dieses Abkommens, d. h. auf den Art. VI Abs. 2 berufen kann. Wer die politische Sprache in Europa in diesem Punkte kennt, der muß leider sagen — leider, meine Damen und Herren! —, daß dieser Abs. 2 so gemeint ist, wie Herr Hoffmann und Herr Mendès-France in der offiziellen Begründung ihn interpretiert haben, und für ein Gericht würde, eben dieser Text gelten. Bei zusätzlichen Verhandlungen hätten Sie erreichen müssen, daß hier jeder Zweifel beseitigt worden wäre.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sie hätten da auch eine Grundlage in dem gehabt, was die deutschen Mitglieder des Politischen Ausschusses der Beratenden Versammlung des Europarates dort anläßlich der Beratung des Naters-Plans erreicht haben. Wir wußten so gut, wie die Bundesregierung es wußte, welches die Absichten der Saarregierung mit einem sogenannten europäischen Statut waren, und wir haben in einer Entschließung, die zum Naters-Plan gehört, einen Text erreicht, der den Zweifel beseitigte. Dieser Text lautete:
    Der Art. 16
    — in dem das gleiche stand, wie jetzt in Art. VI Abs. 1 des Statuts —
    soll so angewendet werden, daß sichergestellt wird, daß die politischen Parteien einer Genehmigung nicht unterworfen werden und daß sie aus politischen Gründen weder verboten noch suspendiert werden dürfen, es sei denn, daß sie danach trachten, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, aus Baden-Baden eine zusätzliche Vereinbarung mitgebracht hätten, in der dieser Text gestanden hätte, dann wären die Zweifel beseitigt, dann wäre es auch der Wille der französischen Regierung, die Parteien, die Presse und die Vereine nicht wieder einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen oder nicht erneut mit anderen Mitteln zu unterdrücken, nachdem die Volksabstimmung stattgefunden hat. Aber statt dieses Brotes haben Sie Steine mitgebracht. Sie haben die Zusage erhalten, daß die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte maßgebend sein soll. Wir wissen aber, daß der Saarlandtag, dieser separatistische, unfrei gewählte Saarlandtag — wir kennen ja sein Hurra-Europäertum —, das, ich glaube, erste Parlament in Europa war, das jene Konvention des Europarates ratifiziert hat, und Herr Johannes Hoffmann sowie die französische Regierung haben immer behauptet, daß die Unterdrückung der deutschen Opposition an der Saar keineswegs im Gegensatz zu dieser Konvention stünde.
    Sie haben uns auf den Rechtsweg verwiesen, anstatt eine politische Vereinbarung mit der Garantie der Freiheit nach Hause zu bringen. So besteht an diesem Punkte nicht der Zweifel weiter, sondern die Gewißheit weiter, daß es die Absicht der anderen Seite ist, die Freiheit nur für das Plebiszit zu gewähren und sie dann wieder zu beseitigen. Das ist der schlimmste Punkt dieses Abkommens und das Schlimmste an den Vereinbarungen von Baden-Baden: ein freies Plebiszit, durch das die Vertiefung der Separation von Deutschland bewirkt wird, aber keine freien Wahlen. Außerdem muß gesagt werden, daß das, was in Baden-Baden vereinbart wurde, nicht bis zu einem amtlichen Dokument gediehen ist und daß es nach dem Regierungswechsel in Frankreich auch fraglich erscheinen muß, ob die mündlichen Absprachen, die getroffen wurden, jetzt noch weiter gelten werden.
    Wenn man diesen schlimmsten Punkt aus dem Abkommen beseitigen will, dann muß man es für die Vertragspartner verbindlich klarstellen, daß dieser Bundestag einem solchen Abkommen nur insoweit zustimmt, als die Gefahr der erneuten Unterdrückung nicht besteht. Deshalb liegt dem Hause unser Änderungsantrag zum Ratifikationsgesetz auf Umdruck 294 vor. Wir bitten da in Ziffer 1, zu dem Art. 1 einen Art. la hinzuzufügen, in dessen Abs. 2 gesagt wird:
    Art. VI des Abkommens stellt sicher, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung unterworfen sein werden und weder vor noch nach der in Artikel I des Abkommens vorgesehenen Volksabstimmung aus politischen Gründen verboten oder in ihrer Tätigkeit beschränkt werden können, soweit sie nicht darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
    Dieses Ratifikationsgesetz wäre der französischen
    Regierung zu notifizieren. Dadurch würde dieser
    Text nachträglich zu einem Teil des Abkommens


    (Dr. Mommer)

    gemacht. Wenn die französische Regierung das annähme, dann wäre eine vertragliche Garantie für die Herstellung der Freiheiten im Saargebiet gegeben. Wenn sie es nicht annähme, nun, meine Damen und Herren, sollten Sie daraus nicht die Konsequenz ziehen, daß Sie ein Abkommen nicht annehmen können, in dem freie Wahlen nicht garantiert sind?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nach dem Osten hin sind freie Wahlen für uns alle eine Grundvoraussetzung für die Annahme der Wiedervereinigung. Nach dem Westen hin scheinen manche von Ihnen bereit zu sein, ein Statut anzunehmen, in dem freie Wahlen nicht nur nicht garantiert sind, in dem vielmehr der Text so ist, daß auch vor einem Gericht der Wille des Vertragspartners sich durchsetzen würde und freie Wahlen unmöglich gemacht werden könnten.

    (Abg. Schlick: Sie sollten diese Verdächtigungen unterlassen!)

    — Was sollen sie?

    (Abg. Schlick: Das ist eine bedauerliche Verdächtigung!)

    — Das ist keine Verdächtigung, das ist eine Analyse dieses Textes; und das ist das Schlimme an diesem Abkommen, daß Sie von uns verlangen, wir sollen Ihre Interpretationskünste mitmachen,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)

    obschon Sie ganz genau wissen, daß der Text, den Sie unterschrieben haben, ein französischer Text ist.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Ich darf bei dieser Gelegenheit — und das paßt hierhin — auch Herrn Sabel noch etwas sagen, was man anderweitig — —

    (Abg. Dr. von Merkatz meldet sich zu einer Zwischenfrage.)