Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir schwer, mit der Sachlichkeit zu reden, wie ich es gewohnt bin und wie ich es vorhatte, nach dem, war wir hier gestern abend von einem Bundesminister erlebt haben.
Sie haben in dieser Debatte so oft verächtlich von der Straße gesprochen. Was wir hier gestern von einem Bundesminister erlebt haben, das war die Sprache der Gosse, nicht nur der Straße.
Meine Herren, ich hätte mich geschämt, in der kleinsten Dorfversammlung so zu sprechen, wie ein Minister hier gesprochen hat.
Und wenn darunter unsere ganze Debatte leidet, dann trifft die Verantwortung dafür diesen Bundesminister für besondere Aufgaben.
Ich habe den Eindruck gehabt, daß seine besonderen Aufgaben darin bestehen, im Lande umherzuschnüffeln, alle schmutzige Wäsche des politischen Kampfes zu sammeln und sie hier im Bundestag zu waschen.
Ich hoffe zugunsten des Kabinetts, daß Sie Kollektivscham empfunden haben, als Ihr Kollege hier so gesprochen hat.
Wir haben sie für den Bundestag empfunden, und wir wissen, daß viele von Ihnen sie empfunden haben.
Wir wissen auch, daß jemand von Ihnen die Frage stellen wollte — Herr Hellwig, das muß hier gesagt werden, durch diesen Ton hier ist das Parlament herabgesetzt worden, und das muß zur Sprache gebracht werden —,
ob der Herr Bundesminister nicht aufgepaßt habe, ob es ihm entgangen sei, daß der Karneval zwar gerade, aber doch schon vorüber sei.
Es gibt Gott sei Dank den wörtlichen Bericht über unsere Verhandlungen
— ich komme zur Saar und werde da auch einiges zu sagen haben —; dort wird jeder nachlesen können, in welcher Sachlichkeit und Fairneß
unsere Kollegen Wehner und Brandt gestern hier gesprochen haben, und man wird damit vergleichen können, wie dann von Ihrer Seite dieser Gossenton hier hineingebracht wurde.
Ich glaube, dieser Minister hat das Ansehen des Bundestages aufs schwerste geschädigt. Ob das Kabinett sein Ansehen geschädigt fühlt, ist vielleicht seine Sache. Wenn es nicht im Bonner politischen Leben den Tatbestand gäbe, den ein mutiger Kollege von Ihrer Seite einmal so wiedergegeben hat: Was muß denn in Bonn alles passieren, damit einem Minister etwas passiert?, könnte man die Hoffnung haben, daß aus dieser Rede für die Mitgliedschaft im Kabinett Konsequenzen gezogen würden,
aber nicht, um ihn zum Außenminister zu machen, Herr Bundeskanzler.
Jetzt komme ich auch zur Saar.
Wenn ein schlechter Kaufmann in Verlegenheit ist, passiert es ihm, daß er Wechsel auf die Zukunft zieht
und auf diese Weise die Schwierigkeiten des Augenblicks vertagt. Das hat auch der Herr Bundeskanzler getan, als er hier in erster Lesung diesen so umstrittenen Saarvertrag verteidigen mußte. Er mußte damals feststellen, daß die französische Interpretation des Vertrages in der offiziellen Begründung der französischen Regierung vom Vertragstext abweiche, und zwar in einigen sehr bedeutsamen Punkten. Er hat weiter erklären müssen, daß diese französische Begründung den allgemeinen Absichten und Zielen der Vertragspartner widerspreche. Er hat damals im Bundestag versprochen - und da kommt der Wechsel —, er werde wegen dieser offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten wieder Fühlung mit dem französischen Ministerpräsidenten nehmen, er werde, wenn in dieser Fühlungnahme die Gegensätzlichkeiten nicht bereinigt werden könnten, an die im Abkommen genannten Garantiemächte — die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich — appellieren und auf diesem Wege die Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen versuchen.
Inzwischen sind wir bei der zweiten Lesung, und jetzt werden die Wechsel präsentiert. In welcher Lage befindet sich da der Herr Bundeskanzler? Sie hat sich ungeheuer verschlechtert, und die Ereignisse der letzten Tage in Ihrem eigenen Lager, die Krise, die darüber ausgebrochen ist, legen Zeugnis von dieser Verschlechterung seiner Lage ab.
Die Tatsachen haben uns recht gegeben, die wir damals sagten, daß diese Versprechungen, weitere Verhandlungen über die Auffüllung und Ergänzung des Abkommens zu führen, eben nur Beruhigungspillen für die Koalitionsparteien waren, die nicht mitziehen wollten. Es haben in der Tat Verhandlungen über das Saarstatut stattgefunden, in Baden-Baden und in Paris. Aber dabei ist von Bereinigung und von Auffüllung überhaupt nicht die
Rede gewesen, sondern — wie Sie im Kommuniqué von Baden-Baden selbst nachlesen können — ausdrücklich nur von Maßnahmen, die die Anwendung des gegebenen Textes ermöglichen sollen. Es ist der dominierende Zug dieses Abkommens, daß der Dissens, der désaccord, wie Herr Reynaud gesagt hat, das Nichtübereinstimmen hinsichtlich des Übereinkommens, in allen wesentlichen Punkten bestehengeblieben ist. Der Dissens ist so groß wie je. Worin liegt er? Ich versuche, es in zwei kurzen Zitaten von hüben und drüben klarzumachen.
In der Drucksache 1200, dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses, können Sie nachlesen, was Herr Professor Wahl für den Rechtsausschuß geschrieben hat: daß durch das Abkommen seit 1945 zum erstenmal eine vertragliche Grundlage für eine deutsche Politik an der Saar geschaffen worden sei. In dem vorher uns zugesandten hektographierten Mehrheitsgutachten des Rechtsausschusses war es noch klarer gesagt: daß durch das Abkommen die Grundlage für eine Rückgliederung der Saar zu Deutschland geschaffen werden konnte. Das ist die deutsche Lesart. Auf der französischen Seite liest man's anders. Herr Vendroux, der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses des französischen Parlaments sagt: Das Statut ist keineswegs provisorisch; Frankreich betrachtet es als unwiderruflich.
Was wurde nun wirklich in Baden-Baden verhandelt, wenn nicht aufgefüllt und wenn nicht bereinigt wurde? Mit Bezug auf die Saar wurden zwei Komplexe behandelt. Einmal wurden Maßnahmen zur ordentlichen und demokratischen Durchführung der ersten Volksabstimmung getroffen, die im Statut vorgesehen ist, und zum andern wurden die Aufgaben des Saarkommissars näher bestimmt. Das sind ohne Zweifel nützliche Dinge, die man da getan hat, wenn man das Statut als einmal gegeben voraussetzt. Es soll eine Kommission eingesetzt werden, die darauf achtet, daß die demokratischen Freiheiten hergestellt werden, d. h. möglichst vollständig hergestellt werden, um den ordentlichen Verlauf der Abstimmung zu garantieren. Herr Kollege Lenz, es ist ein Irrtum, wenn Sie sagen, daß diese Kommission das Recht haben soll, Maßnahmen der Saarregierung aufzuheben. Sie kann, wenn sie es einstimmig beschließt — es soll eine Fünferkommission sein, eine Kommission der fünf Länder der Westeuropäischen Union mit Ausnahme der Bundesrepublik und Frankreichs —, ein Ersuchen an die Hoffmann-Regierung richten, nicht aber Maßnahmen der Hoffmann-Regierung aufheben. Das ist schon etwas ganz anderes.
Aber ich will mich gar nicht im einzelnen in diese Problematik der Abstimmung verlieren. Viel wichtiger ist die Frage, zu was hier Freiheit hergestellt werden soll. Worum handelt es sich überhaupt? Sollen freie Wahlen abgehalten werden? Werden sie garantiert durch die Abmachungen, die in Baden-Baden — vorläufig nur mündlich, keineswegs endgültig und schriftlich — getroffen wurden? Nein, es soll Freiheit für das erste Plebiszit geschaffen werden. Da aber ist es nötig, sich zu vergegenwärtigen, welches die Rolle dieses ersten Plebiszits ist.
Seitdem über die sogenannte Europäisierung des Saargebietes gesprochen wird, ist es eine französisch-separatistische Forderung gewesen, nicht etwa
freie Wahlen abzuhalten — die fürchtet man dort so sehr, wie Herr Grotewohl sie in der Zone fürchtet —, sondern ein Plebiszit über ein Europäisierungsstatut abzuhalten. Es handelt sich bei diesem Plebiszit also nicht um etwas, was wir gefordert hätten, sondern um etwas, was die französischseparatistische Seite gefordert hat. Auch der Herr Bundeskanzler war - das wissen wir ja — keineswegs geneigt, ein solches Plebiszit anzunehmen. Er hat genau so wie wir alle durchschaut, welche Rolle dem Plebiszit in der Politik der anderen zufällt. Er wollte so wie wir freie Wahlen durchsetzen. Er hat es aber nicht durchgesetzt, und er hat geglaubt, um des Preises willen, von dem ich nachher noch sprechen will, auch das schlucken zu müssen, und er hat es geschluckt.
Die Rolle dieses Plebiszits ist im Denken der anderen Seite immer die gewesen, freie Wahlen zu umgehen; bei diesem Plebiszit will man gleichzeitig den Schein der Plebiszitierung des europäischen Statuts erwecken, das dadurch ein wenig mehr politisches Gewicht bekommen und sich dadurch auch für die Endlösung im Friedensvertrag empfehlen soll, und dann kam es den Herren, die die freien Wahlen fürchten, doch darauf an, einmal bei einer Volksbefragung Herrn Hoffmann und Herrn Konrad Adenauer nebeneinander zu stellen. Ich weiß noch nicht, wie Sie das in Zukunft ertragen werden, wenn das Statut in Kraft tritt, daß Sie, Herr Bundeskanzler, dieselben Wahlparolen werden ausgeben müssen, wie Herr Johannes Hoffmann, nämlich die deutsche Saarbevölkerung aufzufordern, zu diesem Statut ja zu sagen! Davon hat Herr Hoffmann immer geträumt, und dieser Traum wird in Erfüllung gehen, wenn dieses Statut angenommen wird.
Arm in Arm müssen Sie dann an der Saar auftreten und dafür werben, daß das gemacht wird, was Herr Johannes Hoffmann immer gewollt hat.
Diese Freiheit zu dem Plebiszit ist für die französisch-separatistische Politik völlig ungefährlich. Wenn ein deutscher Bundeskanzler so Arm in Arm mit dem Herrn Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann auftreten muß, dann ist von vornherein die Mehrheit gesichert. Man fürchtet nur Volksentscheidungen, bei denen das nicht der Fall ist, bei denen wir hier treu zu denen drüben halten und sie auffordern, an der Saar treu zu uns zu halten. Das fürchtet man, und darum konnte man das erreichen, was man in Baden-Baden erreicht hat: einige Sicherungen für die Freiheit dieser, für die separatistische Politik ungefährlichen Abstimmung.
Trotzdem ist das, was da vereinbart wurde, nicht ausreichend im Sinne höherer Ansprüche, die an freie Volksabstimmungen zu stellen sind. Nach Versailles hat man einige Erfahrungen mit Plebisziten gesammelt, und man hat auch Maßstäbe und Grundsätze aufgestellt, wie solche freien Volksentscheidungen abzuhalten wären. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat einstimmig - einstimmig! — eine Reihe solcher Grundsätze aufgestellt, die zusätzlich im Saargebiet zu verwirklichen wären, wenn eben jenen höheren Ansprüchen für freie Abstimmungen Rechnung getragen werden soll. Ich will diese Entschließung im einzelnen nicht anführen; Sie finden sie in dem Schriftlichen Bericht. Aber auf einen Punkt möchte ich hinweisen: daß es doch unerträglich für die Bundesregierung sein müßte, die Abstimmung abzuhalten, ohne daß alle politischen Ausweisungen aus dem Saargebiet rest-
los und bedingungslos aufgehoben würden. Es scheint mir eine Frage des Selbstbewußtseins, der Selbstachtung zu sein, daß diese politischen Ausweisungen — auch einiger unserer Kollegen hier — zurückgenommen werden. Die Bundesregierung hat dafür nicht Sorge getragen und hat keine bindenden Zusagen in dieser Richtung mit nach Hause bringen können.
Es ist auch ungewöhnlich, daß französische Truppen im Lande bleiben können, wenn frei abgestimmt werden soll. Die Anwesenheit von Truppen, die Partei sind, ist bei solchen Dingen nicht die Regel.
Wenn man sagt, daß einige der Forderungen des Ausschusses für innere Verwaltung irreal seien, dann ist das bezeichnend dafür, wie man seine Position bei diesen Verhandlungen einschätzt. Sie wagen es noch nicht, in Verhandlungen mit Frankreich über diese Dinge das nicht anzunehmen, was die Franzosen nicht annehmen würden, wenn sie in unserer Lage wären. Sie wagen noch nicht, zu fordern, daß dieselben einheitlichen Maßstäbe für ordentliches demokratisches Verhalten angewandt werden für uns sowohl wie für andere.
Der Dissens, über den ich gesprochen habe, besteht also nicht und hat nie bestanden über die Abstimmung und die Freiheit der Abstimmung. Auf der anderen Seite war man bereit, die Freiheit für diese Abstimmung zu garantieren. Der Dissens liegt in der Frage, ob die Herstellung der Freiheiten an der Saar für drei Monate, nämlich zum Zwecke des Plebiszits, oder ob sie darüber hinaus unbegrenzt Geltung haben soll. Der Dissens liegt in dem Art. VI Abs. 2, wo gleich nach dem Abs. 1, der sagt, daß in Zukunft Parteien, Vereine und die Presse keiner Genehmigungspflicht mehr unterworfen werden sollen, gesagt wird, daß das Statut nach Annahme im Plebiszit nicht mehr in Frage gestellt werden dürfe.
Die Bundesregierung erklärt diesen verdächtigen Satz gleich nach jenem ersten „Freiheitssatz" in der Weise, daß die Parteien durchaus weiterarbeiten 'dürften, wenn sie sich im Rahmen der Demokratie und des Statuts hielten. Die französische Regierung liest den Satz ganz anders; sie sagt, jede Propaganda werde unerlaubt und der Erhaltung des Friedens in Europa und den guten deutsch-französichen Beziehungen zuwider sein, die der Autorität der Instanzen, die durch das Statut zu schaffen sind, schaden könnte. Herr Johannes Hoffmann , der Ministerpräsident sein wird, wenn die Neuwahlen stattfinden werden, die nach dem Statut innerhalb dreier Monate nach dem Plebiszit abgehalten werden sollen, hat kürzlich auf einem Parteitag über diese Freiheit nach der Volksabstimmung folgendes gesagt:
Wenn also nunmehr gesagt wird, daß nach Bestätigung des Statuts durch die Volksabstimmung das Statut bis zum Abschluß eines Friedensvertrages nicht in Frage gestellt werden kann, so soll und kann damit doch nur zum Ausdruck gebracht worden sein, daß dieser nach so vielen Mühen endlich erreichte Zustand der Befriedung nicht mehr durch Wort oder Tat gestört werden solle.
Das ist sehr deutlich. Nachher soll diese Befriedung
nicht mehr gestört werden. Hier kündigt Herr
Hoffmann an - er hat es mehrfach wiederholt, in den verschiedensten Variationen —, daß die feste Absicht besteht, nach Abhaltung der Volksabstimmung die politischen Parteien wieder zu unterdrükken. Die Absicht ist völlig klar, daß die Freiheit nur für drei Monate hergestellt werden soll.
Wir müssen jetzt fragen: Was hat die Bundesregierung seit der ersten Lesung und insbesondere bei den Verhandlungen in Baden-Baden getan, um zu verhindern, daß die Polizeistaatspraxis wieder einsetzt, nachdem man die erhoffte Mehrheit an „Ja" in der Volksabstimmung erreicht hat?
Es ist uns gesagt worden, daß der Kommissar der Westeuropäischen Union, der dann eingesetzt wird, die Anwendung des Statuts zu überwachen und insbesondere auch auf die Einhaltung der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte zu achten haben werde. Es ist uns gesagt worden, daß Einzelpersonen und Organisationen das Recht haben sollen, sich bei dem Gericht der Westeuropäischen Union über undemokratische Maßnahmen der Saarregierung zu beschweren. Sind das ausreichende Schutzmaßnahmen dagegen, daß die Unterdrückung im Saargebiet wieder voll einsetzt? Wir haben da Erfahrungen zu unserer Verfügung, die es uns erlauben, jetzt schon zu sagen, was bei diesen Maßnahmen herauskommen wird. Wir haben im Europarat sowohl mit der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte als auch mit dem dem Geiste nach gleichlautenden Statut des Europarats versucht, gegen die Unterdrückung an der Saar anzugehen. Wir haben dabei keine Erfolge gehabt, und wir haben gesehen, wie schwerwiegend es ist und wie erschwerend es für uns ist, daß die Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates Ländern angehören, die von Deutschland während des zweiten Weltkrieges überfallen und besetzt worden sind, und wie dadurch ihr demokratisches Gewissen ganz erheblich geschwächt worden ist, dann nämlich, wenn einmal Deutsche die von Unterdrückungsmaßnahmen Betroffenen sind.
In der Westeuropäischen Union und sogar bei einem internationalen Gericht wird das nicht anders sein, und es wird besonders dann nicht anders sein, wenn man sich, um die neue Unterdrückung zu rechtfertigen, auf den Text dieses Abkommens, d. h. auf den Art. VI Abs. 2 berufen kann. Wer die politische Sprache in Europa in diesem Punkte kennt, der muß leider sagen — leider, meine Damen und Herren! —, daß dieser Abs. 2 so gemeint ist, wie Herr Hoffmann und Herr Mendès-France in der offiziellen Begründung ihn interpretiert haben, und für ein Gericht würde, eben dieser Text gelten. Bei zusätzlichen Verhandlungen hätten Sie erreichen müssen, daß hier jeder Zweifel beseitigt worden wäre.
Sie hätten da auch eine Grundlage in dem gehabt, was die deutschen Mitglieder des Politischen Ausschusses der Beratenden Versammlung des Europarates dort anläßlich der Beratung des Naters-Plans erreicht haben. Wir wußten so gut, wie die Bundesregierung es wußte, welches die Absichten der Saarregierung mit einem sogenannten europäischen Statut waren, und wir haben in einer Entschließung, die zum Naters-Plan gehört, einen Text erreicht, der den Zweifel beseitigte. Dieser Text lautete:
Der Art. 16
— in dem das gleiche stand, wie jetzt in Art. VI Abs. 1 des Statuts —
soll so angewendet werden, daß sichergestellt wird, daß die politischen Parteien einer Genehmigung nicht unterworfen werden und daß sie aus politischen Gründen weder verboten noch suspendiert werden dürfen, es sei denn, daß sie danach trachten, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, aus Baden-Baden eine zusätzliche Vereinbarung mitgebracht hätten, in der dieser Text gestanden hätte, dann wären die Zweifel beseitigt, dann wäre es auch der Wille der französischen Regierung, die Parteien, die Presse und die Vereine nicht wieder einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen oder nicht erneut mit anderen Mitteln zu unterdrücken, nachdem die Volksabstimmung stattgefunden hat. Aber statt dieses Brotes haben Sie Steine mitgebracht. Sie haben die Zusage erhalten, daß die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte maßgebend sein soll. Wir wissen aber, daß der Saarlandtag, dieser separatistische, unfrei gewählte Saarlandtag — wir kennen ja sein Hurra-Europäertum —, das, ich glaube, erste Parlament in Europa war, das jene Konvention des Europarates ratifiziert hat, und Herr Johannes Hoffmann sowie die französische Regierung haben immer behauptet, daß die Unterdrückung der deutschen Opposition an der Saar keineswegs im Gegensatz zu dieser Konvention stünde.
Sie haben uns auf den Rechtsweg verwiesen, anstatt eine politische Vereinbarung mit der Garantie der Freiheit nach Hause zu bringen. So besteht an diesem Punkte nicht der Zweifel weiter, sondern die Gewißheit weiter, daß es die Absicht der anderen Seite ist, die Freiheit nur für das Plebiszit zu gewähren und sie dann wieder zu beseitigen. Das ist der schlimmste Punkt dieses Abkommens und das Schlimmste an den Vereinbarungen von Baden-Baden: ein freies Plebiszit, durch das die Vertiefung der Separation von Deutschland bewirkt wird, aber keine freien Wahlen. Außerdem muß gesagt werden, daß das, was in Baden-Baden vereinbart wurde, nicht bis zu einem amtlichen Dokument gediehen ist und daß es nach dem Regierungswechsel in Frankreich auch fraglich erscheinen muß, ob die mündlichen Absprachen, die getroffen wurden, jetzt noch weiter gelten werden.
Wenn man diesen schlimmsten Punkt aus dem Abkommen beseitigen will, dann muß man es für die Vertragspartner verbindlich klarstellen, daß dieser Bundestag einem solchen Abkommen nur insoweit zustimmt, als die Gefahr der erneuten Unterdrückung nicht besteht. Deshalb liegt dem Hause unser Änderungsantrag zum Ratifikationsgesetz auf Umdruck 294 vor. Wir bitten da in Ziffer 1, zu dem Art. 1 einen Art. la hinzuzufügen, in dessen Abs. 2 gesagt wird:
Art. VI des Abkommens stellt sicher, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung unterworfen sein werden und weder vor noch nach der in Artikel I des Abkommens vorgesehenen Volksabstimmung aus politischen Gründen verboten oder in ihrer Tätigkeit beschränkt werden können, soweit sie nicht darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern.
Dieses Ratifikationsgesetz wäre der französischen
Regierung zu notifizieren. Dadurch würde dieser
Text nachträglich zu einem Teil des Abkommens
gemacht. Wenn die französische Regierung das annähme, dann wäre eine vertragliche Garantie für die Herstellung der Freiheiten im Saargebiet gegeben. Wenn sie es nicht annähme, nun, meine Damen und Herren, sollten Sie daraus nicht die Konsequenz ziehen, daß Sie ein Abkommen nicht annehmen können, in dem freie Wahlen nicht garantiert sind?
Nach dem Osten hin sind freie Wahlen für uns alle eine Grundvoraussetzung für die Annahme der Wiedervereinigung. Nach dem Westen hin scheinen manche von Ihnen bereit zu sein, ein Statut anzunehmen, in dem freie Wahlen nicht nur nicht garantiert sind, in dem vielmehr der Text so ist, daß auch vor einem Gericht der Wille des Vertragspartners sich durchsetzen würde und freie Wahlen unmöglich gemacht werden könnten.
— Was sollen sie?
— Das ist keine Verdächtigung, das ist eine Analyse dieses Textes; und das ist das Schlimme an diesem Abkommen, daß Sie von uns verlangen, wir sollen Ihre Interpretationskünste mitmachen,
obschon Sie ganz genau wissen, daß der Text, den Sie unterschrieben haben, ein französischer Text ist.
Ich darf bei dieser Gelegenheit — und das paßt hierhin — auch Herrn Sabel noch etwas sagen, was man anderweitig — —