Rede von
Dr.
Hermann
Schmitt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es mir versagen, auf das staatsrechtliche Novum einzugehen, das der Herr Vorsitzende des Ausschusses Nr. 5 hier soeben vorgetragen hat, daß Referentenentwürfe als Initiativanträge eingebracht werden. Aber ich möchte auf eine andere Frage hier zu sprechen kommen. Der Herr Kollege Dr. Müller hat vorhin darauf hingewiesen, daß die Gemeinden oft zwischen zwei Stühlen sitzen. Meine
Damen und Herren, hier sitzen nicht nur die Gemeinden zwischen zwei Stühlen, sondern auch die
CDU-Fraktion sitzt zwischen zwei Stühlen. Sie
sitzt nämlich mit der Anfrage Drucksache 450, bei
der es darum geht, daß den Gemeinden großzügig
geholfen werden soll, auf dem einen Stuhl, und sie
sitzt auf dem andern mit dem Initiativantrag Drucksache 1094, der in den §§ 9, 17 und 25 eine offensichtliche Benachteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände enthält; und es ist sicher nur ein
böser Zufall, daß diese Anfrage heute zusammen
mit ihrem Antrag Drucksache 1094 beraten wird.
Ich werde nachher, wenn ich auf die grundsätzlichen Fragen des Entwurfs Drucksache 1094 eingehe, im einzelnen auf die Frage der Entschädigung der Gemeinden und auf das, was der Herr Finanzminister hier dazu gesagt hat, zu sprechen kommen. Jedenfalls möchte ich meinen: Sicher ist der Verkehrsminister der verkehrte Minister, um den Gemeinden hier zu helfen,
und ich möchte unter allen Umständen bitten, daß sich der Herr Finanzminister dieser Frage mit der notwendigen Sorgfalt annimmt.
Der Antrag ist am 9. April 1954 eingebracht worden, und wir hören jetzt, daß im Februar 1955 ein Rundschreiben hinausgehen soll. Meine Damen und Herren, bis dahin können die betroffenen Gemeinden vielfach vielleicht den Konkurs anmelden, wenn sie warten wollen, bis der Herr Finanzminister das Rundschreiben herausgibt; denn bis die Gemeinden dann tatsächlich etwas bekommen, ist ja auch noch ein sehr, sehr langer Weg.
Nun einige Bemerkungen zu der Frage der Ansprüche der Besatzungsgeschädigten und Besatzungsverdrängten. Sie wissen, daß diese Frage in dem Hohen Hause nicht die Resonanz gefunden hat, die sie eigentlich verdient hätte. Seit über neun Jahren nehmen die Besatzungsmächte Grundstücke, Wohnungen und gewerbliche Gebäude mit Möbeln und anderen beweglichen Sachen in Anspruch, und auch nach der Zwischenregelung des Art. 48 des Truppenvertrages ist noch für ein Jahr, nach dem Entwurf des Bundesleistungsgesetzes darüber hinaus noch für weitere zwei Jahre mit der Inanspruchnahme eines großen Teils der beschlagnahmten Grundstücke, Wohnungen usw. zu rechnen. Schon die lange Dauer dieser Inanspruchnahme ist an sich eine große Härte für den betroffenen Personenkreis. Entscheidend ist aber, daß die Abgeltung nach den besatzungsrechtlichen Vorschriften anerkanntermaßen — wir befinden uns da in Übereinstimmung mit allen Fraktionen — völlig unzulänglich ist.
Nun ist bisher weder von der Bundesregierung noch von der Rechtsprechung ein Rechtsanspruch des geschädigten Personenkreises gegenüber der Bundesrepublik anerkannt worden. Ich will hier nicht über die Frage polemisieren, ob man diese Auffassung teilen kann oder nicht; aber es ist ein unmöglicher Zustand, daß im Jahre 1955 immer noch die Folgen von Leistungen für die Bundesrepublik nur dem zufällig Betroffenen auferlegt werden sollen und nicht der Allgemeinheit. Es kommt hinzu, daß auch das Verfahren für die Ab-
*) Siehe Anlage 2.
I geltung der Besatzungsgeschädigten im großen und ganzen den Erfordernissen eines Rechtsstaates nicht entspricht.
Der Herr Vorsitzende, Kollege Wahl, hat soeben auf die Drucksache 554 hingewiesen, die die Fraktion der FDP im vergangenen Mai eingebracht hat. Meine Fraktion hat damals auf die Einbringung eines eigenen Antrages verzichtet, um die Beratungen des Antrags Drucksache 554 zu beschleunigen. Bedauerlicherweise haben sich nun doch größere Verzögerungen ergeben, die hier mehr oder weniger gut von Professor Wahl begründet worden sind. Der Herr Professor Wahl hat kürzlich gemeint, wenn der Antrag Drucksache 1094 nunmehr beschleunigt behandelt werde, dann könne die Ernte für die Besatzungsverdrängten und -geschädigten noch in die Scheunen eingebracht werden. Ich kann nur sagen: das ist eine schöne Mißernte, die Sie hier einbringen wollen. Wir müssen unter allen Umständen an dem vorliegenden Antrag grundsätzliche Verbesserungen vornehmen.
Lassen Sie mich deshalb im Rahmen der ersten Lesung auf einige Einzelheiten grundsätzlicher Art eingehen. Zunächst ist es für uns unmöglich, daß in den §§ 11, 15, 62 usw. immer wieder auf das Gesetz Nr. 47 und die einschlägigen alliierten Vorschriften hingewiesen wird. Ich stimme mit dem, was Sie soeben hier vorgetragen haben, überein Gerade diese Vorschriften, die jetzt in der Drucksache 1094 wieder angezogen werden, sind es ja, die den Anlaß zu dem Ärger in den vergangenen Jahren gegeben haben. Wir dürfen doch nicht vergessen, daß die Besatzungsleistungen ein Teil der Gesamtaufwendungen der Bundesrepublik für den Besatzungskostenhaushalt sind, und es geht doch nicht an, daß einige 100 Millionen deshalb schamhaft unter den Tisch fallen, weil es dem Herrn Bundesfinanzminister bisher gelungen ist, einen Rechtsanspruch des betroffenen Personenkreises gegenüber der Bundesrepublik abzuwimmeln. Ich möchte dringend davor warnen, auf diese Weise zu versuchen, den Besatzungskostenhaushalt zu verringern.
Das Problem der Abgrenzung der Besatzungsschäden und -leistungen gegenüber den Restitutionen, Demontagen und anderen Kriegsfolgen hat Herr Kollege Wahl hier dargelegt. In einer ersten interfraktionellen Besprechung haben wir weitgehende Übereinstimmung über diese Abgrenzung erreicht. Diese Frage wird auch im Ausschuß keine Schwierigkeiten machen.
Die größte Schwierigkeit bietet zweifellos der § 36 des Entwurfs, der sich mit der Rückwirkung beschäftigt. Hier liegt zweifellos die schwächste Stelle. Entschädigungen für Besatzungsleistungen sollen nämlich überhaupt erst für nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eintretende Fälle gewährt werden, und zwar für Besatzungsschäden, wenn die Schädigungen nach dem 31. März 1950 eingetreten sind, aber auch erst dann, wenn sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch nicht endgültig entschieden waren. Damit sind die Bestimmungen des Gesetzes praktisch entwertet. Herr Professor Wahl, der § 36 schlägt Ihnen eigentlich das Argument für die Verzögerung der Behandlung der Drucksache 554 wieder aus der Hand, denn nach dem Inkrafttreten der Verträge soll ja das Bundesleistungsgesetz eintreten. Wenn wir hier einen so späten Stichtag für die Verabschiedung dieses Gesetzes bekommen, dann wird der Personenkreis, der echte Ansprüche nach diesem Gesetz hat, viel zu klein sein. Diese Frage ist also für die Begründung der Verzögerung sicher nicht stichhaltig.
Wir wollen versuchen, durch Anträge und Mitarbeit im Ausschuß eine günstige Regelung zu erreichen. Es ist doch untragbar, daß Rechtsansprüche erst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes beginnen sollen. Vor allem ist es unmöglich, einen Geschädigten, je nachdem, ob der Schaden einen Tag früher oder später entstanden ist, völlig anders zu behandeln bei einer Inanspruchnahme von so vielen Jahren. Schließlich haben wir doch ein Rechtsgebiet vorliegen, das bisher der deutschen Gesetzgebung entzogen war oder von ihr nicht behandelt worden ist, so daß wir hier auf eine Rechtsgleichheit sehen müssen.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zu der Frage der Zuständigkeit der Besatzungsschädenverwaltung sagen. Wir haben große Bedenken dagegen, daß diese Verwaltung dem Ressort des Herrn Bundesfinanzministers zugehört. Es ist oft mißlich, wenn der Herr Finanzminister, der das Geld zu besorgen hat, es auch ausgeben soll; denn dann ist er besonders sparsam. Wenn die Besatzungsschädenverwaltung ressortmäßig dem Herrn Innenminister und damit der allgemeinen und inneren Verwaltung zugeordnet wäre, würden wir sicher auch für den betroffenen Personenkreis gewisse unter allgemeinen Verwaltungsgesichtspunkten günstigere Möglichkeiten erreichen. Ich möchte anregen, daß wir gerade diese Frage im Ausschuß besonders prüfen.
Nun darf ich darauf eingehen, warum ich vorhin darauf hingewiesen habe, daß die Gemeinden, die Sie in Ihrem freundlichen Antrag Drucksache 554 so wohlwollend bedenken wollen, bei Ihnen in dem Antrag Drucksache 1094 so schlecht weggekommen sind. Ich darf dazu auf die §§ 9, 17 und 25 verweisen. § 25 beschäftigt sich insbesondere mit den Schäden an Wegen, Brücken usw. Die Regelung ist, wie der Entwurf vorsieht, im wesentlichen dem alten EVG-Truppenvertrag nachgebildet. Wir sollten eine Regelung erreichen, die dem Art. 4 des Justizprotokolls entspricht. Dann könnten wir den berechtigten Wünschen der Gemeinden und Gemeindeverbände viel besser entsprechen.
Es wäre nicht sinnvoll, die Einzelheiten, warum die Gemeinden und Gemeindeverbände in dem Entwurf besonders benachteiligt sind, hier noch vorzutragen. Schon ein Blick in die Gesetzestexte zeigt Ihnen ohne weiteres, daß in dieser Beziehung der Entwurf nicht sehr günstig ist. Das ist auch wieder ein Ausfluß der Kommunal-Unfreundlichkeit der Mehrheit dieses Hauses und des Herrn Bundesfinanzministers.
Ich möchte doch dringend bitten, daß diese innere Abwehr gegenüber der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu einer echten Arbeit mit der Selbstverwaltung, die doch ein wesentliches Element eines demokratischen Staates ist, umgewandelt wird.
Wir sollten nicht vergessen, in diesem Zusammenhang auch noch eine andere Frage anzuschneiden. Der Herr Bundesfinanzminister weiß, daß im Mai ein großer Teil der bisher noch beschlagnahmten Hotels freigegeben wird. Der Mai ist ein recht ungünstiger Monat für die Freigabe. Außer der
I allgemeinen Bausaison beginnt im Mai auch die Hotelsaison. Nun verweigern in den meisten Fällen die Besatzungsmächte den Eigentümern die Besichtigung der Gebäude, so daß die Instandsetzungsarbeiten frühestens im Mai überhaupt erst geplant werden können. Das bedeutet, daß die betroffenen Hotelbesitzer überhaupt nicht mehr in der Lage sein werden, die echten Möglichkeiten der Saison Sommer/Herbst 1955 wahrzunehmen.